Wissen schafft Sprache   /     S3E4 Warum sprechen Frauen höher als Männer?

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Frauen und Männer klingen anders. Das wissen wir. Doch was, wenn der Klang unserer Stimme nicht angeboren ist, sondern dadurch beeinflusst wird, wo wir leben und wie wir unser Leben gestalten (können)?

Subtitle
Frauen. Männer. Stimme.
Duration
00:13:46
Publishing date
2022-11-15 07:00
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Contributors
  Verena Hofstätter
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Shownotes

Frauen und Männer klingen anders. Das wissen wir. Doch was, wenn der Klang unserer Stimme nicht angeboren ist, sondern dadurch beeinflusst wird, wo wir leben und wie wir unser Leben gestalten (können)?

Im Biologieunterricht lernen wir, dass Buben in der Pubertät in den sogenannten Stimmbruch kommen. Mit dem Kehlkopf wachsen auch die Stimmbänder. Dadurch verändert sich der Klang ihrer Stimme. Wie gesagt: Frauen und Männer klingen anders. Das wissen wir. Und die Biologie ist dafür verantwortlich. Oder etwa nicht?

So einfach ist die Sache tatsächlich nicht. Menschen in anderen Ländern sprechen anders als hier in Mitteleuropa. Sogar bei ein und derselben Person lassen sich Unterschiede in der Tonhöhe feststellen, wenn sie von einer Sprache in eine andere wechselt. Mehr noch: Nicht nur unterschiedliche Sprachen, sondern auch unterschiedliche Dialekte ein und derselben Sprache führen zu einem anderen Klang. 

Wenn also die Menschen so unterschiedlich klingen, wenn sogar ein und derselbe Mensch unterschiedlich klingen kann, kann für diese Unterschiede nicht mehr nur die Biologie verantwortlich gemacht werden.

Natürlich haben Männer aufgrund ihrer Kehlkopfentwicklung andere “natürliche” Voraussetzungen. Ihre sogenannte Stimmgrundfrequenz liegt bei nur ca. 100 Hertz. Das heißt ihre Stimmritze öffnet und schließt sich etwa 100 Mal pro Sekunde. Die Stimmgrundfrequenz von Frauen liegt bei etwa 170 Hertz. Bei ihnen schließt und öffnet sich die Stimmritze also deutlich öfter. Dabei überschneiden sich die individuellen Tonhöhenspektren in der Regel aber sehr stark. Wenn Männer eine etwas höhere Grundfrequenz haben, klingen sie wie Frauen, die eine etwas niedrigere Grundfrequenz haben und umgekehrt. Dieser Überschneidungsbereich beträgt jeweils 50%. Das heißt das höhere männliche Stimmspektrum ist gleichzeitig das niedrigere weibliche.

Und dennoch: Frauen sprechen häufig höher als sie es natürlicherweise machen würden. Männer hingegen tiefer. Wir beobachten also, dass sich Männer und Frauen stimmlich mit Absicht voneinander abgrenzen, indem sie sich in jenen Tonhöhenbereich zurückziehen, der sich nicht mit dem jeweils anderen Geschlecht überschneidet.
Das zeigen zum Beispiel Studien, die die Stimmen von Frauen aus unterschiedlichen Ländern vergleichen. Von den in den 1990er Jahren untersuchten Frauen hatten Japanerinnen mit 225 Hertz die höchste Stimmgrundfrequenz. Schwedinnen und Niederländerinnen lagen mit 196 bzw. sogar nur 191 Hertz weit darunter.

Auch in der Musik werden Stimmen heute nach Geschlecht eingeteilt. Dadurch entsteht der Eindruck, als wären Männer- und Frauenstimmen grundsätzlich verschieden. Der bereits erwähnte — und beträchtliche — Überschneidungsbereich wird ignoriert. Das war allerdings nicht immer so. Erst ab dem 19. Jahrhundert wird die Stimme genderisiert. Bass, Bariton und Tenor werden männlich, Alt, Mezzosopran und Sopran werden weiblich. Die weibliche Singstimme wird zusätzlich durch mehr Beweglichkeit von der männlichen unterschieden.

Dabei geht der Trend abseits der Bühne in zahlreichen westlichen Kulturen seit einiger Zeit in die entgegengesetzte Richtung. Eine Stimmfeldmessung mit rund 5.000 Erwachsenen und Kindern aus Deutschland ergab, dass deutsche Frauen heute viel tiefer sprechen als noch vor zwei Jahrzehnten. Während sich Männerstimmen in ihrer Tonlage kaum verändert haben, ist die Stimmgrundfrequenz bei Frauen von rund 220 auf nunmehr knapp 170 Hertz gesungen. Damit unterscheiden sich Männer und Frauenstimmen nicht mehr wie früher um eine ganze Oktave, sondern nur mehr um eine Quinte.
Die Forscher*innen gehen nicht davon aus, dass biologische oder hormonelle Faktoren für diese Entwicklung verantwortlich sind. Viel eher vermuten sie, dass sich Frauen stimmlich an neue Rollenbilder anpassen.

Unsere Stimme ist also eigentlich gar nicht so natürlich, wie wir denken. Ihr Klang hängt zu einem großen Teil davon ab, wo, wozu und vor allem vor wem wie sie verwenden. Unsere Stimme ist damit weit weniger Teil oder Ausdruck unserer Persönlichkeit. Sie ist konstruiert und dabei unterliegt sie einem enormen gesellschaftlichen Druck. Die Art und Weise, wie wir unsere Stimme einsetzen, in welchen Tonlagen wir sprechen, wie viel oder wenig Bewegung wir in sie bringen, all das hängt weitgehend nicht von unseren anatomischen Voraussetzungen ab., sondern von den Voraussetzungen in unserem Umfeld.

Doing gender durch Stimme — also die Art und Weise wie wir durch Stimme vermeintlich typische männliche oder weibliche Attribute verkörpern quasi, und dadurch die Asymmetriezwischen den Geschlechtern weiter aufrechterhalten — ist trotz allem auch heute immer noch gang und gäbe.


Quellen:

LIFE-Studie (Uniklinikum Leipzig) | Genderlinguistik (Koffhoff/Nübling, 2018) | Frauenstimme und Zeitgeist (Berliner Zeitung) | Comeback der Mädchenstimme (Deutschlandfunk)
Musik:

Edda Moser (s), Queen of the Night; Bavarian State Opera Orchestra, Wolfgang Sawallisch, cond.EMI, recorded August 1972: https://archive.org/details/ActIiDerHoelleRachemoserSawallisch
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Die Musik im Intro dieser Staffel stammt von lemonmusicstudio.