Insgesamt 14 Sanktionspakete hat die Europäische Union (EU) seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs gegen Russland verhängt. Wir wollen „Russland ruinieren“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock seinerzeit. Heute zeigt sich jedoch, die Sanktionen schaden den sanktionierenden Ländern mehr als dem sanktionierten. Denn während die russische Wirtschaft weiter wächst, befindet sich die deutsche im freien Fall. Vor allem dasWeiterlesen
Insgesamt 14 Sanktionspakete hat die Europäische Union (EU) seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs gegen Russland verhängt. Wir wollen „Russland ruinieren“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock seinerzeit. Heute zeigt sich jedoch, die Sanktionen schaden den sanktionierenden Ländern mehr als dem sanktionierten. Denn während die russische Wirtschaft weiter wächst, befindet sich die deutsche im freien Fall. Vor allem dasWeiterlesen
Insgesamt 14 Sanktionspakete hat die Europäische Union (EU) seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs gegen Russland verhängt. Wir wollen „Russland ruinieren“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock seinerzeit. Heute zeigt sich jedoch, die Sanktionen schaden den sanktionierenden Ländern mehr als dem sanktionierten. Denn während die russische Wirtschaft weiter wächst, befindet sich die deutsche im freien Fall. Vor allem das Ende der billigen Energieversorgung aus Russland setzt den hiesigen Unternehmen zu. All dies hätte man in Brüssel und Berlin wissen können, hätte man die Erfahrungen bisheriger „Wirtschaftskriege“ ausgewertet. Eine Rezension von Thomas Trares.
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Der Wiener Historiker und Verleger Hannes Hofbauer indes hat dies getan. In seinem neuen Buch „Im Wirtschaftskrieg: Die Sanktionspolitik des Westens und ihre Folgen“, das jetzt in Hofbauers Promedia Verlag erschienen ist, schreibt er:
„Überall dort, wo Wirtschaftskriege gegen große Länder mit widerstandsfähigen und potenziell autarken ökonomischen Strukturen geführt werden, sind diese zum Scheitern verurteilt. Dann dreht sich der gewünschte Effekt oft um und trifft die sanktionierende Seite mindestens genauso wie die sanktionierte.“ (S. 9)
Russland – das meistsanktionierte Land der Welt
Hofbauers „Im Wirtschaftskrieg“ ist im Grunde ein Buch über die Geschichte von Sanktionsregimen, also von Blockaden, Boykotten, Embargos und anderen „wirtschaftskriegerischen“ Maßnahmen, wobei der Schwerpunkt klar auf den seit 2014 gegen Russland verhängten Sanktionen liegt. Die Gründe dafür sind offensichtlich. So ist Russland inzwischen das meistsanktionierte Land der Welt – noch vor dem Iran. 14 Sanktionspakete hat die EU seit 2022 gegen Russland erlassen. Berücksichtigt man noch die Entwicklung seit der Annexion der Krim im Jahr 2014, sind es sogar 21. Insgesamt 21,5 Milliarden Euro an russischen Vermögenswerten waren zuletzt eingefroren, 300 Milliarden Euro an Zentralbankgeldern blockiert.
Bemerkenswert dabei ist, wie total, wie umfassend und auch wie feingliedrig die Abtrennung von Russland bereits vorangeschritten ist. So kam es nach dem „Paukenschlag vom 26. Februar 2022“, wie Hofbauer das Einfrieren der russischen Zentralbankgelder nennt, nicht nur zu umfangreichen Sanktionen gegen russische Unternehmen und Einzelpersonen, sondern auch zum Ausschluss russischer Banken aus dem internationalen Zahlungsverkehrssystem SWIFT, zur Einstufung Russlands als einem dem „Terrorismus Vorschub leistenden Staat“, zur Kappung der wichtigsten Verkehrsverbindungen von und nach Russland, zur Abschaltung russischer Medien wie Russia Today und Sputnik und nicht zuletzt auch zur Sperre bzw. zum Ausschluss russischer Sportler und Künstler von internationalen Veranstaltungen. „Die Abschottung ist schlimmer als zu Zeiten des Eisernen Vorhangs“, bemerkt Hofbauer. (S. 191)
Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze
Dabei schreckt die EU noch nicht einmal davor zurück, gegen die eigenen, von ihr selbst immer so gerne hochgehaltenen Werte und rechtsstaatlichen Grundsätze zu verstoßen. Ein Beispiel dafür ist die Beschlagnahmung von Zinsen aus russischen Vermögenswerten, die sich auf drei Milliarden Euro bezifferten und letztlich zur Finanzierung des Kriegs gegen Russland verwendet werden sollten. Hofbauer schreibt dazu:
„Das große Problem bei der Beschlagnahme von russischen Staatsgeldern ist die fehlende gesetzliche Grundlage. Denn in all den EU-Mitgliedsstaaten, in der Union selbst, aber auch in den USA und Kanada, ist Eigentum geschützt. Nicht einmal verurteilten Straftätern kann es üblicherweise entzogen werden.“ (S. 133)
Ein weiteres Beispiel ist das des Slowaken Jozef Hambalek, Europapräsident des russischen Motorradclubs „Nachtwölfe“. Hambalek war wegen der Verstrickung seines Vereins in den Ukraine-Krieg als erster EU-Bürger überhaupt auf einer Sanktionsliste der EU gelandet. Dazu stellt Hofbauer fest:
„Wenn ein auf diese Weise ausgelisteter Mensch seinen Lebensmittelpunkt in einem Drittstaat hat, ist eine Sanktionierung für ihn unangenehm und er kann sehr viel verlieren, aber sie ist nicht existenzbedrohend. Ein EU-Bürger ohne andere Staatsbürgerschaft verliert damit allerdings alles: seine Lebensgrundlage und seine Bürgerrechte – und das ohne jedes gerichtliche Verfahren.“ (S. 118)
Der Blick zurĂĽck in die Geschichte
Hofbauer ist von Haus aus Historiker, was sich nicht nur darin zeigt, dass er all die Geschehnisse rund um die Russland-Sanktionen mit einem hohen Maß an Akribie und Detailtreue nachzeichnet, sondern auch darin, dass er der Historie von Wirtschaftskriegen und Sanktionsregimen einen breiten Raum gibt. Demnach ereignete sich das erste bekannte Embargo bereits im Jahre 432 vor Christus, und zwar von Sparta gegen Athen und den Attischen Seebund im Ringen um die Vorherrschaft im antiken Griechenland. In der neueren Geschichte indes ist vor allem die Kontinentalsperre von 1806 des französischen Kaisers Napoleon gegen England interessant, in der bestehende Importverbote für britische Waren zu einer umfassenden Wirtschaftsblockade ausgebaut wurden. In beiden Fällen kam es danach zu bewaffneten Auseinandersetzungen. „Schießkrieg und Wirtschaftskrieg hängen eng zusammen“, schreibt Hofbauer dazu. (S. 19)
Auch die Sprengung der Gaspipeline Nord Stream 2 hat freilich eine Vorgeschichte. So hatten die USA schon im Erdgas-Röhren-Geschäft von 1961 die deutsch-russische Energiepartnerschaft ins Visier genommen. Damals ging es um den Bau einer Pipeline, die Erdöl von Tatarstan nach Deutschland bringen sollte. Die USA konnten das Projekt jedoch noch verhindern. 20 Jahre später trat Washington dann erneut gegen eine Zusammenarbeit zwischen Moskau und Bonn auf, scheiterte damals aber an der konsequenten Haltung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt. Was dies mit der Sprengung von Nord Stream 2 zu tun hat, erklärt Hofbauer wie folgt:
„Wer einen Blick zurück in die jahrzehntelange US-Blockadepolitik gegen den Aufbau deutsch-russischer Erdgas- und Erdölprojekte wirft, der kann die Debatte darüber, wer den Terroranschlag verübt hat, nur als Heuchelei empfinden.“ (S. 53)
Der Westen hat sich verschätzt
Alles in allem, so glaubt Hofbauer, hat sich der Westen mit seiner Sanktionspolitik gegen Russland verzockt. Er schreibt:
„Nach den US-Aggressionen gegen den Irak, Libyen und Venezuela, die nicht zuletzt um die Aufrechterhaltung des Dollars als weltweites Zahlungsmittel geführt wurden, dürften sich die US-Strategen mit dem Wirtschaftskrieg gegen Russland verschätzt haben. Denn ihre Art von Weltökonomie, die bisher darin bestand, den Greenback mit militärischer Unterstützung aller Welt aufzuzwingen, um dafür Produkte in die USA zu liefern, die mit von US-Staatsanleihen ´gedeckten´ Dollars bezahlt wurden, steht vor dem Aus. Der Krieg in der Ukraine beschleunigt das Ende des ´amerikanischen Jahrhunderts´.“ (S. 224)
Hannes Hofbauer: Im Wirtschaftskrieg: Die Sanktionspolitik des Westens und ihre Folgen. Das Beispiel Russland. Wien, Promedia 2024, Taschenbuch, 256 Seiten, ISBN 978-3853715338, 22 Euro
Titelbild: Buchcover
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