Was NEOS ohne TV-Auftritte nicht allen sagen mĂĽssen
Ich war ja lange davon ĂĽberzeugt, dass die NEOS es nicht in den Nationalrat schaffen werden. Vielleicht erweist sich diese Intuition eh noch als richtig, mittlerweile zweifle ich aber zumindest ein wenig.
Das liegt nur in einem geringen Ausmaß daran, dass sie sich erfolgreich (und zurecht) in viele Sontagsfragen reinreklamiert haben und dabei jetzt auch zwischen 2 und 5 Prozent Schwankungsbreite angesiedelt werden – dass ihnen demoskopisch also eine tatsächliche Chance zugesprochen wird. Es hat ein bisserl was damit zu tun, dass sie mit dem nötigen Kleingeld auch die Wahrnehmungsschwelle übertreten haben. Und in relevanten Journalistenkreisen ernten sie seit jeher Sympathie, weil sie ihnen als wohlsituierte Bildungsbürger Millieu-technisch nahe stehen. Daraus folgt eine Überrepräsentation gegenüber anderen wahlwerbenden Kleinparteien in vielen Medien von Beginn des Projekts an. Auch das galt es wie gesagt schon länger.
Vor allem kratzen mittlerweile aber persönliche Beobachtungen an meiner ursprünglichen Annahme. In Gesprächen mit sonst eher links angehauchten Menschen wird immer wieder ernsthaft erwähnt, die NEOS wählen zu wollen. Der Wechselwille erstaunt mich angesichts der riesigen Diskrepanz zwischen sozialdemokratischer oder linksliberaler und rechtsliberaler Sozial- und Wirtschaftspolitik immer wieder. Vielen geht es wohl vor allem darum, gesellschaftspolitische Liberalität zu fördern – und da sind Pinke, progressive Rote und Grüne einigermaßen kompatibel. Diese Gespräche werden von kleineren Eindrücken ergänzt: Gar nicht so wenige Freunde “liken” zum Beispiel NEOS-Seiten auf Facebook. Und damit meine ich Nicht-Twitteria-, Nicht-Journalistenblasen-, Nicht-Wiener-Freunde, die ich eigentlich nicht der NEOS-Programmatik zugeordnet hätte.
Gleichzeitig beklagen die NEOS die Ausgrenzung aus TV-Debatten und meinen damit vor allem die Konfrontationen im ORF, die nur Parteien offenstehen, die Parlamentsklubs haben. Wären die NEOS dabei, müssten auch KPÖ und Piraten als bundesweit antretende Parteien einbezogen werden. Die Zahl der Konfrontationen würde damit auf gestörte 36 anwachsen. Das Format wäre damit tot. Für die Bekanntheit einer Partei sind die ORF-Konfrontationen natürlich Gold wert. Diese sind immer noch die wichtigsten Wahlkampfereignisse in Österreich. Insofern war mein Tweet vorhin natürlich bewusst provokant, wo ich es als Glücksfall für NEOS bezeichnete, dort nicht dabei zu sein.
An Bekanntheit schadet es den NEOS jedoch streng genommen nicht. Ihre genauso inhaltsleeren Wahlplakate wie die aller anderen Parteien hat die gut ausfinanzierte Partei im ganzen Land stehen und in vielen Medien sind sie ausreichend gecovered worden. In der angebrochenen Woche vor der Wahl wird man beispielsweise noch zwei Mal zur Primetime auf Puls 4 gastieren. Matthias Strolz sagte erst am Sonntag in der Kleinparteien-Diskussion im ORF, dass zwei Drittel der Österreicher seine Partei kennen. Eine beachtliche Menge – und eine, die auch wenig Ausreden für die 4%-Hürde zulässt.
Was eine TV-Konfrontation aber auch mit sich bringt, ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Programm. Die Moderatoren und der politische Gegner bohren in offenen Wunden. Wie bitte soll man realistisch 1,5 Milliarden im Gesundheitsbereich einsparen, ohne Leistungen zu verlieren? Wie mittelfristig auf eine Staatsverschuldung von 60% des BIP kommen, wenn man Steuern senkt? Wie will man ohne soziale Härten eine bequem zweistellige Millliardensumme einsparen? Und dieses Bürgergeld, das im Programm nur vage beschrieben wird, was ist das eigentlich genau? Wie erklärt man heute 50-jährigen Frauen, dass sie möglicherweise noch bis zu 50% länger arbeiten sollen, als das bisher gesagt wurde? Wie erhöht man das faktische Pensions-Antrittsalter in 5 Jahren um 4 Jahre? Diese Fragen ersparen sich die NEOS in der bedeutenden TV-Öffentlichkeit durch ihre unfreiwillige Abwesehnheit in den wichtigsten Formaten.
Die NEOS sind eine rechtsliberale (auch wirtschafts- oder von manchen neoliberal genannt) Partei, wie es heute teilweise auch das BZÖ und das Team Stronach sind. So richtig deutlich herausgearbeitet wird für die Öffentlichkeit das Programm einer Partei aber eben nicht, die öffentlich vor allem auf ihrer Webseite, auf ihren Flyern und auf Plakaten existiert und kaum in der Konfrontation mit anderen Ideologien und Parteien. Wenn die historische Erfahrung in Österreich eines vermuten lässt, dann dass besonders wirtschaftlicher Liberalismus nicht besonders populär ist.
Das wissen die NEOS. Sie sind eine geschickt, aufwändig und professionell vermarktete Partei und tragen ihre unpopuläre Ideologie nicht offen vor sich her. Das unterscheidet die Wahlplattform von der deutschen FDP und ihren Teilorganisationen: den “Jungen Liberalen” und dem “Liberalen Forum”. Bei der FDP kommt das Wort “liberal” schon im ersten Absatz und dannach auf praktisch jeder Seite des Bundestags-Wahlprogrammes vor. Im 77-seitigen NEOS-Programm oder auch im nichtssagenden 9-1/2-Punkteplan taucht das Wort in keiner Abwandlung auch nur ein einziges Mal auf.
Doch ihr Programm ist eindeutig. NEOS propagieren den Rückzug des Staates, die Privatisierung von individuellen Risiken und öffentlichem Eigentum und die Deregulierung der Wirtschaft. Dazu gehören Pläne für Studiengebühren, Schulautonomie, Gehaltskürzungen für 350.000 öffentlich Bedienstete, Abbau staatlicher Investitionsprojekte, die privatisierte Pensionsvorsorge und die Privatisierung von Staatsbetrieben wie Telekom, Post und ÖBB. Bristantes Detail zu Letzteren am Rande: NEOS-Geldgeber Hans-Peter Haselsteiner ist Gründer und Haupteigentümer des ÖBB-Konkurrenten “Westbahn”.
NEOS sind eine rechtsliberale Partei, die den Begriff “liberal” vermeidet. Ihr Gesamtprogramm sieht eine radikale Umgestaltung des österreichischen Staates nach rechtsliberalem Modell vor. Das ist freilich nicht ehrenrührig, sondern eine legitime Ideologie. Und eine Prise Liberalismus bzw. auch so manche Idee aus dem NEOS-Programm würde Österreich nicht schaden. Aber die NEOS versuchen sich nicht als ideologisierte, sondern als eine Art Feel-Good-Partei zu verkaufen. Dass sie die ÖsterreicherInnen nicht nur vom Politikfrust, sondern auch vom Sozialstaat befreien wollen, wie wir ihn kennen, das sollte halt schon auch irgendwie deutlich gesagt werden. Ihre Abwesenheit in TV-Konfrontationen erspart ihnen das.
Aber vielleicht sollten sie mal den “Mut haben”, zumindest das Wort “liberal” in das Wahlprogramm zu schreiben.
Weiterlesen?
Der Beitrag Was NEOS ohne TV-Auftritte nicht allen sagen mĂĽssen erschien zuerst auf zurPolitik.com.