Warum Tiefgang nicht nur etwas für Print-Zeitungen ist
Der Innenpolitik-Chef der Süddeutschen Heribert Prantl äußert in einem absolut lesenswerten Text einen Satz, bei dem ich stutze.
Weil es das Internet, weil es also nun bessere, schnellere Methoden bloßer Informationsvermittlung gibt, kann sich die Zeitung auf anderes konzentrieren – auf Analyse, Hintergrund, Kommentierung, auf Sprachkraft, Gründlichkeit und Tiefgang auf all das, was sich in der Hetze der Echtzeit im Internet nicht leisten lässt.
In dieser Aussage steckt sowohl eine Wahrheit als auch ein Fehler.
Ja, es stimmt. Die gedruckte Zeitungen muss aufgrund ihrer natürlichen Langsamkeit, den Leuten etwas bieten, das sie nicht schon Stunden bis Tage davor im TV, Radio, bei Onlinezeitungen oder in anderen Medien gehört haben. Der analytischere Zugang zum Weltgeschehen ist demnach logisch und nötig, um dem drohenden Zeitungssterben entgegenzuwirken.
Ein trügerischer Denkfehler ist allerdings, dass das eine Domäne der Printzeitung sein wird, die Online nicht leisten kann. Nur weil Onlinemedien schnell sein können, müssen sie es noch lange nicht sein. Und dass Printmedien langsam sind, ist kein Vorteil. Das könnte es nur sein, wenn man Onlinemedien künstlich in ein Geschwindigkeitskorsett zwingt. Das können Verläge für ihre eigenen Onlinemedien bzw. ihre zukunftsträchtigen Kanäle nicht wollen. Es würde sie lediglich gegenüber der ausreichend vorhandenen, externen Konkurrenz schwächen.
Mit den angesprochenen Aussagen wird der ökonomische und technische Medienwandel nicht konsequent gewürdigt. Solange Printzeitungen ein gutes Geschäft waren, saßen in ihren Redaktionen die gestandenen Journalisten. Sie waren älter, weitaus besser bezahlt und erfahrener. Onlineredaktionen hingegen waren bisher kleiner, jünger und billiger. Da sie weniger Ressourcen hatten, zogen sie sich auf ihre Kernkompetenz und ihren unverrückbaren Vorteil zurück: schnell zu sein.
Aber diese alte Medienwelt geht nun unter. Wer sie kannte, erliegt gerne der Verlockung, auch all ihre Qualitäten bedroht zu sehen. Mit der Printzeitung muss deshalb scheinbar auch der Qualitätsjournalismus sterben – eben der, der sorgfältige, sprachgewaltige Texte, Recherchen, Analysen, Kommentare und Hintergründe ermöglicht. Doch wer bei einem solch radikalen Wandel übersieht, dass sich mit dem Kontext auch die Möglichkeiten verschieben, verfehlt nicht nur die Analyse des bisherig Wahren, sondern auch die Konsumentenbedürfnisse der Gegenwart und Zukunft.
Tiefgründigkeit entsteht nicht durch Papier, sondern durch die Kompetenz einer gut finanzierten Redaktion. Egal wie es mit Printmedien auch weitergeht: Das sind zunehmend Onlineredaktionen. In gut aufgestellten Verlägen wird an diesem Shift ohnehin längst gearbeitet. Die Umsätze der Printmedien sinken, die der Onlinemedien wachsen. Natürlich haben die Online-Redaktionen das genutzt, um auch ihr Terrain auszuweiten. Nicht zuletzt sind die einst jungen, unerfahrenen Journalisten älter und erfahrener geworden. Längst gibt es online auch tiefgängige Analysen, gründliche Kommentare und erhellende Hintergründe. Die Behauptung, dass sich das dort gar nicht leisten lässt, ist ignorant gegenüber der langjährigen, emanzipatorischen Arbeit vieler Online-Journalisten.
Wer krampfhaft versucht, über eine künstliche Verengung von Onlinemedien eine ewige Daseinsberechtigung für Printprodukte erzudenken, übersieht vielleicht etwas sehr Grundlegendes: Journalismus existiert nicht, weil manche gerne auf Papier und andere gerne über Bildschirme publizieren und das Universum ihnen diese Freude macht. Medienkanäle haben keinen Selbstzweck und sind für die Nutzer nicht per se wertvoll. Sie sind Mittel zum Zweck: Der Information. Journalismus existiert, weil Menschen Informationen brauchen.
Es klingt vielleicht in manchen Ohren anders, aber das sind im Medienwandel die guten Nachrichten für uns Journalisten. Wir sind als Informationsspezialisten unverzichtbar und werden das auch bleiben, weil es eine Nachfrage nach sicherer, professioneller Information gibt. Und die “neuen” Medien erleichtern durch technische Vielseitigkeit unsere Arbeit, diese zu vermitteln.
Gleichzeitig bedeutet diese Konstellation aber auch, dass nicht primär Journalisten, sondern die Mediennutzer bestimmen, wie sie journalistische Produkte erleben möchten. Sie wollen ihre Analysen nicht an anderer Stelle lesen, als ihre Berichte (ich will das als Nutzer jedenfalls nicht). Dort wo das noch so ist, sind das tradierte Gewohnheiten. Dass manche Menschen lange Texte nicht am Bildschirm lesen wollen, wird beispielsweise als Verhaltensweise dem Lauf der Zeit nicht standhalten. Mediennutzer wollen Hintergründiges im Endeffekt dort lesen, wo sie sinnvoll und appetitlich präsentiert, einfach zugänglich, leicht zu teilen und angenehm diskutierbar sind. Dafür hat man als Internetmedium mit unzähligen Auslieferungs- und Aufbereitungsmöglichkeiten jedenfalls alle Vorteile der Welt.
Printzeitungen und -redaktionen sind nach wie vor nicht verzichtbar. Das liegt an ihrer derzeitigen ökonomischen Funktion für den Berufs-Journalismus und an der immer noch bestehenden Nachfrage. Ihre Lebenslinie lässt sich mit gutem Medienmanagement und geschickter Ausrichtung nach Leserbedürfnissen weiter verlängern. Doch Papier ist nicht aus einer fiesen Laune der Natur heraus, sondern aufgrund seiner technischen Defizite in einem Rückzugsgefecht.
Der Überlebenskampf der Printzeitung kann und sollte deshalb nicht auf Kosten der Onlinezeitungen gehen. Das Angebot eigener Onlinemedien künstlich zu verknappen, ihnen Tiefgründigkeit zugunsten anderer Produkte nicht zuzugestehen, wäre nichts anderes als Selbstschädigung. Print als alleinigen Träger der “Hintergründigkeit” zu positionieren bliebe letztlich ein kurzsichtiger und zweckloser Versuch, Schwächen zum Vorteil umzudeuten.
Fotocredits: Nick Sherman, CC 2.0 BY-NC-SA
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