Was Hausbesetzungen uns sagen sollten
Das “Epizentrum” in der Wiener Lindengasse ist vor wenigen Tagen geräumt worden. Nun ist die “Szene” nicht allzuweit entfernt wieder aktiv, diesmal in der Westbahnstraße. In diversen Kommentarforen wird eifrig diskutiert, leider am Kern der Sache vorbei. Die wichtige Frage ist meiner Meinung nach nicht, wie rechtens so eine Besetzung ist, wie viele Arbeitslose unter den Besetzern sind oder wie umfangreich ein polizeilicher Räumungseinsatz sein sollte. Die Frage ist: Was bedeuten solche Besetzungen und was könnte die Politik tun? Ein Gesetzesvorschlag.
So ein Besetzertrupp ist sehr heterogen. Wer gerade in den Mauern eines besetzten Gebäudes anwesend ist, kann allein stark mit der Tageszeit variieren. Gepflegt wird dennoch meist eine alternative Kultur, die stark auf politische Diskussion mit normativer Ausrichtung, Vernetzung und zwangloses Beinandersein (vulgo “Socializing”) ausgerichtet ist. So jedenfalls meine Erfahrung aus verschiedenen Lokalaugenscheinen. Man redet über bevorstehende Räumungen, erörtert Möglichkeiten um auf positive Weise Öffentlichkeit zu schaffen und denkt darüber nach, wie das unbewohnte Gemäuer genutzt werden könnte.
Und da ist der springende Punkt. Jene Häuser, die in Wien besetzt werden, stehen davor in der Regel jahrelang ungenutzt und modern vor sich hin. Berichterstattung über die plötzliche Inanspruchnahme selbiger könnte dafür Aufmerksamkeit schaffen, tut das aber nur begrenzt, weil sich die “Szene” teilweise selbst im Weg steht* und der gelernte Österreicher scheinbar nicht Willens ist, mehr als nur genannte Punkte in den Fokus der Debatte zu stellen.
In Wien herrscht ein Mangel an (Jugend-)Kulturzentren, insbesondere solchen die nicht unter kirchlicher oder staatlicher Weisung stehen. Selbstorganisierte Freiräume sind rar. Gleichzeitig ist auch die Wohnsituation für Studenten, Berufseinsteiger und Niedrigverdiener eher problematisch. Will man nicht ins suburbane Nirvana ziehen benötigt man schon einen Glückstreffer oder erstaunliches Durchhaltevermögen um in halbwegs brauchbarer Lage trotz der fast geschwürartigen Herrschaft des Maklertums zumutbare Wohnräume zu einem zumutbaren Preis zu bekommen. In Anbetracht solcher und anderer Problematiken wirkt es wie Hohn, wenn große Gebäude wie jenes in der Lindengasse schlichtweg verrotten.
Aus genannten Gründen haben Besetzungen in den seltensten Fällen einen nachhaltigen Effekt. Die letzte mit messbarem Erfolg war wohl jene der Arena, die vor über 30 Jahren unter anderen Bedingungen stattfand.
An den plötzlichen Ausbruch großen zivilgesellschaftlichen Einsatzes glaube ich leider nicht, ich stelle aber hiermit einen Gesetzesvorschlag zur Diskussion, der darauf abzielt, ungenutzte Gebäude schneller wieder in Verwendung zu bringen – entweder durch den Eigentümer oder einen neuen Besitzer mit einer Projektidee. Ich bitte um Beachtung, dass ich kein Jurist bin und meine Formulierungen daher wohl nicht ganz “wasserdicht” sind und auch nicht alle Eventualitäten abdecken.
“Wird ein Zinshaus, Gewerbebau oder ein anderes Gebäude nachweislich über einen Zeitraum von X nicht vom Eigentümer oder Pächter genutzt, so fällt der zuständigen Gemeinde das Recht zu, nach einem Ultimatum an den Eigentümer über den Zeitraum von Y dieses Gebäude inklusive dem zur Nutzung und Erreichbarkeit erforderlichen Anteil des Grundstückes zu einem per Gutachten festgestellten, marktüblichen Preis unter in Betrachtziehung des Zustandes des Gebäudes und Grundstückes zu erwerben, oder im Namen des Eigentümers an einen Dritten zum Kauf zu vermitteln.
Für die Vermittlung an einen Dritten ist das Gebäude nebst Teilgrundstück öffentlich zur solchen um den gutachterlich ermittelten Fixpreis über einen Zeitraum von Z auszuschreiben. Interessierte Käufer haben einen zeitlich und rechtlich verbindlichen Gebäudenutzungs- bzw. Gebäudeerrichtungs- und Projektplan einzureichen. Der Käufer ist von der zuständigen Gemeinde nach den Kriterien der Langfristigkeit und Nachhaltigkeit der geplanten Nutzung sowie deren Kompatibilität mit dem Bezirks- oder Gemeindeentwicklungsplan auszuwählen und hat nach dem Zuschlag unverzüglich mit der Umsetzung zu beginnen.”
Diskussionsvorschlag X: 3-4 Jahre
Diskussionsvorschlag Y: 6 Monate – 1 Jahr
Diskussionsvorschlag Z: 3 Monate
Eine weitere, möglicherweise nachahmenswerte Vorgehensweise in puncto Hausbesetzungen, wird von der Stadt Zürich gepflegt (Klick: Merkblatt als PDF). Dank gebührt unserem Leser Jonas für den Hinweis.
Ihr seid am Wort.
* Die Mehrheit geht engagiert und konstruktiv zu Werke, ein Problem sind jedoch extrem langatmige Entscheidungsfindungsprozesse und ein gewisser, wenn auch kleiner Kern an Leuten, denen vor lauter Ideologie die Realität aus dem Blick geraten ist.
Foto: agfreiburg via Flickr / CC-BY-NC-SA 2.0
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