ÖVP: Die Stadtpartei schlägt zurück
Es ist Tag 1 nach Christine Marek, ein Samstagmorgen. Ich wache auf, wage einmal mehr den lebensgefährlichen Abstieg aus meinem Hochbett. Just als ich beginne, mich über eine abklingende Erkältung zu freuen, irritiert mich ein Kratzen im Hals. Husten. Ich öffne das Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Mich empfangen Jazzklänge vom nahe gelegenen Markt und entfernte Rhythmen eines Synthesizers. Ich mache mich auf gen Meidlinger Hauptstrasse, um mich beim Drogeriemarkt des Vertrauens mit Munition gegen die Verkühlung auszurüsten. Ein Ausflug, der letztlich zu einer politischen Bestandsaufnahme werden sollte.
Je näher ich meinem Ziel komme, desto leiser vernehme ich die Melodie des Saxophons und desto lauter wird die Schunkelmusik aus dem Keyboard. Sie ist untermalt von Gesang, der sonst an den Plastikwänden eines Bierzelts an seine wohlverdienten Grenzen stößt. Hier darf sich dieser Schall frei entfalten, vom Meidlinger Platz zur Wienzeile, in der anderen Richtung zum Ende der Einkaufsmeile. Ich betrete die Drogerie und decke mich mit allerlei Gesundheitsartikeln ein. Von der Strasse hört man ein DJ-Ötzi-Cover bis in den hintersten Winkel des Ladens.
Schließlich mache ich noch einen Abstecher in ein Textilgeschäft, dessen Eingang keine zehn Meter von den Boxen jenes Sängers entfernt ist, der sich nun im anregenden Gespräch mit den Passanten versucht. “Ein Mönch spaziert durch den Sumpf”, beginnt der circa 60-jährige Mann einen Witz in tief-steirischem Dialekt. Es ist die bekannte Geschichte mit dem Geistlichen in der Grube und dem Feuerwehrmann
Die Zote kommt nicht an. Der Entertainer wechselt abrupt das Thema und versucht sich an politischem Humor. In Wien müsse man immer zwei Fahrräder kaufen, eines könnte man gleich getrost ungesichert am Gehsteig parken, meint er. Diesen Verlust muss man als Bewohner dieser Stadt sowieso fix einkalkulieren. Während die gelb bekleideten Helfer der Volkspartei Kaffee ausschenken und Goodies verteilen, erläutert der Mann am Keyboard, dass die ÖVP “voller ehrlicher Leute” sei, die dieses Problem gewiss lösen würden, wenn man sie nur wähle. Eine Handvoll Menschen steht in der Nähe und lauscht dem Treiben des ÖVP-Marktschreiers, als dieser “Weus’d a Herz host, wia a Bergwerk” anstimmt. Verweilen wollen aber scheinbar nur die Kinder, die von der Technik seines Instruments fasziniert sind.
Stress spiegelt sich in den Gesichtern der Textilverkäuferinnen. Sie sind der Mischung aus schlechten Witzen, Propaganda und Schlagertempelbeschallung seit Stunden wehrlos ausgesetzt. Ich bezahle, bekunde kurz mein Mitleid und ernte stummes Nicken. Der Unterhalter im Dienste der Konservativen ist nun zu Scherzen über die chinesische Sprache übergegangen. “Zang”, erklärt er glucksend, hieße auf Chinesisch “Mutter”, “Zang Zang” sei der Begriff für die Großmutter. Und die Schwiegermutter wird mit “Beis Zang” übersetzt, spricht er und zerrt die Pointe aus den Tiefen jener staubigen Mottenkiste, in der sie seit Jahrzehnten friedlich ruhte. Auch dies vermag das spärliche Publikum nicht mitzureissen. Er setzt die linguistischen Unlustigkeiten trotzdem fort und beginnt mehrsprachig zu jodeln.
Ich, für meinen Teil, habe genug und ohnehin nichts mehr zu erledigen. Am Heimweg denke ich kurz über das Erbe von Christine Marek nach. Die Wiener Wahlen brachten der ÖVP einen Negativrekord. Im Windschatten des Kurz’schen Geilomobils endete die vollmundig angekündigte Erneuerung der selbsternannten Stadtpartei im politischen Straßengraben. Hier in Meidling kassierte man ein dickeres Minus als die SPÖ, in der Bezirksvertretungswahl schrumpfte man gar zur viertstärksten Kraft.
Und das führt mich zu einer logischen Schlussfolgerung: Der heutige Auftritt war ein Vergeltungsakt. Die Stadtpartei schlägt zurück und rächt sich für das desaströse Ergebnis des Urnengangs vor einem Jahr. Es kann keine andere Erklärung geben. Warum sonst sollte man an einem sonnigen Samstagvormittag die traurige Persiflage eines Festzeltunterhalters an einem dicht frequentierten Platz auf unschuldige Bürger loslassen?
“Zangmyniang” ist übrigens der korrekte Begriff für Schwiegermütter im fernen China.
Foto: _gee_ auf Flickr/CC-BY 2.0
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