Homo historicus   /     Hh 001: Der deutsche Widerstand im Dritten Reich

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Auf den deutschen Widerstand beriefen sich, wĂ€hrend der Wiederbewaffnung beider deutscher Staaten, sowohl die Bundeswehr als auch die NVA – wenn auch auf andere Akteure des Widerstands. Es gab nicht den deutschen Widerstand, es gab viele einzelne Akteure die aus sehr unterschiedlichen Motiven kĂ€mpften. Allen gemein war, dass sie sich unter Einsatz ihres Lebens gegen das Regime der Nationalsozialisten wandten. Mein erster GesprĂ€chspartner im Homo historicus ist Peter Steinbach. Er ist Leiter der GedenkstĂ€tte Deutscher Widerstand und Professor fĂŒr Neuere und Neuste Geschichte in Mannheim. Leider kam es bei der Aufnahme zu einem ziemlichen Missgeschick. Ich habe mit meinem Computer die falsche Spur und damit fĂ€lschlicherweise das interne Mikrofon aufgezeichnet. Dadurch ist die Aufnahme leider sehr verrauscht geworden. Amy hat lieberweise in mĂŒhevoller Arbeit das gesamte GesprĂ€ch transkribiert (An dieser Stellte nochmals vielen vielen Dank!). Ihr könnt das GesprĂ€ch also auch wahlweise nachlesen. Ich freue mich ĂŒber Kritik und Anregungen. Viel Spaß beim Anhören des Podcast. Download: AAC/MP3/Ogg (Abonnieren in iTunes/Miro), der Podcast steht unter Creative Commons Lizenz: by-nc Shownotes: WP: Peter Steinbach WP: Wolfgang Abendroth WP: Widerstand WP: Widerstand gegen den Nationalsozialismus WP: Faschismustheorie WP: Sanktionsmacht (Sanktionsrecht) Foto von Carl von Ossietzky im KZ WP: Carl von Ossietzky WP: KZ Esterwegen WP: Kadavergehorsam WP: Befehlsnotstand ErklĂ€rung des Bunds der Vertriebenen Reaktionen: FAZ, Taz, Sueddeutsche, Spiegel WP: Hermann Weber WP: NKFD - Nationalkomitee Freies Deutschland WP: Alfred Andersch, Der Ruf (Zeitschrift) WP: Wiederbewaffnung WP: Rote Kapelle WP: Weiße Rose WP: Dietrich Bonnhoefer (Bild von Bonnhoefer im KZ) WP: KPD wĂ€hrend des Nationalsozialismus WP: Katholische Arbeitnehmerbewegung WP: Bolschewismus WP: Walter Ulbrich im Exil WP: Nationalkommunismus WP: Bewegung 20. Juli 1944 WP: Georg Elser WP: Kreisauer Kreis WP: Hoßbach Protokoll (Orginal Protokoll) WP: MĂŒnchner Abkommen 1938 WP: Carl Friedrich Goerdeler WP: Claus Schenk Graf von Staufenberg WP: Novemberpogrome (Reichskristallnacht) WP: Gestapo WP: Konzentrationslager WP: Denunziation WP: Blockwart WP: SA - Sturmabteilung WP: Röhm Putsch WP: Wilhelm Keitel WP: Fahnenflucht WP: Eisenberger Kreis Und zum Schluss die interessante Frage"Was wĂ€re wenn der Widerstand Erfolg gehabt hĂ€tte?" vom Geschichtsblog Transkript: Frank: Hallo, willkommen zur ersten Ausgabe des Homo historicus, schön dass ihr zuhört! Leider ist mir direkt zur ersten Aufnahme ein ziemliches Malheur passiert. Mein Computer hat die falsche Spur aufgezeichnet, und deswegen nur mit dem internen Mikrofon gearbeitet. Dadurch ist die Aufnahme leider ziemlich verrauscht geworden. Amy hat netter weise das gesamte GesprĂ€ch transkribiert. Ihr könnt es also auch auf der Homepage lesen, falls es wirklich zu schlimm sein sollte. Trotz alle dem fand ich das GesprĂ€ch sehr interessant mit Herrn Steinbach und wĂŒnsche euch viel Spaß beim Zuhören. Danke! #00:00:36# [Intro Musik] #00:01:16.2# Frank: Herzlich Willkommen zur ersten Episode des Homo historicus! Ich sitze heute hier in Mannheim mit Herrn Steinbach. Das ist der Leiter der GedenkstĂ€tte Deutscher Widerstand und Professor hier an der UniversitĂ€t. Schönen Guten Tag #00:01:31.3# Steinbach: Ich grĂŒĂŸe Sie! #00:01:36.1# Frank: Am besten Sie stellen sich erst einmal selbst kurz vor und warum Sie ĂŒberhaupt Geschichte studiert haben, letztendlich oder Politikwissenschaft und dann Geschichte sich spezialisiert haben, damit man erstmal einen Eindruck bekommt. #00:01:47.4# Steinbach: Ja, ich heiße Peter Steinbach. ich bin Jahrgang 1948 und ich habe von 1968/69 bis 1972 in Marburg Geschichte und Politikwissenschaft studiert, bei bedeutenden, wunderbaren, sehr sehr guten akademischen Lehrern wie Gerhard Oestr...

Summary

Auf den deutschen Widerstand beriefen sich, wĂ€hrend der Wiederbewaffnung beider deutscher Staaten, sowohl die Bundeswehr als auch die NVA – wenn auch auf andere Akteure des Widerstands. Es gab nicht den deutschen Widerstand, es gab viele einzelne Akteure die aus sehr unterschiedlichen Motiven kĂ€mpften. Allen gemein war, dass sie sich unter Einsatz ihres Lebens gegen das Regime der Nationalsozialisten wandten.
Mein erster GesprĂ€chspartner im Homo historicus ist Peter Steinbach. Er ist Leiter der GedenkstĂ€tte Deutscher Widerstand und Professor fĂŒr Neuere und Neuste Geschichte in Mannheim. Leider kam es bei der Aufnahme zu einem ziemlichen Missgeschick. Ich habe mit meinem Computer die falsche Spur und damit fĂ€lschlicherweise das interne Mikrofon aufgezeichnet. Dadurch ist die Aufnahme leider sehr verrauscht geworden. Amy hat lieberweise in mĂŒhevoller Arbeit das gesamte GesprĂ€ch transkribiert (An dieser Stellte nochmals vielen vielen Dank!). Ihr könnt das GesprĂ€ch also auch wahlweise nachlesen. Ich freue mich ĂŒber Kritik und Anregungen. Viel Spaß beim Anhören des Podcast.

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Shownotes:

* WP: Peter Steinbach
* WP: Wolfgang Abendroth
* WP: Widerstand
* WP: Widerstand gegen den Nationalsozialismus
* WP: Faschismustheorie
* WP: Sanktionsmacht (Sanktionsrecht)
* Foto von Carl von Ossietzky im KZ
* WP: Carl von Ossietzky
* WP: KZ Esterwegen
* WP: Kadavergehorsam
* WP: Befehlsnotstand
* ErklÀrung des Bunds der Vertriebenen Reaktionen: FAZ, Taz, Sueddeutsche, Spiegel
* WP: Hermann We...

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Auf den deutschen Widerstand beriefen sich, wĂ€hrend der Wiederbewaffnung beider deutscher Staaten, sowohl die Bundeswehr als auch die NVA – wenn auch auf andere Akteure des Widerstands. Es gab nicht den deutschen Widerstand,
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1:07:20
Publishing date
2010-08-21 13:34
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Contributors
  Frank Beutell
author  
Enclosures
http://media.blubrry.com/homohistoricus/homohistoricus.podcast-kombinat.de/hh/HH01-Deutscher_Widerstand_3_Reich.m4a
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Shownotes

Auf den deutschen Widerstand beriefen sich, wĂ€hrend der Wiederbewaffnung beider deutscher Staaten, sowohl die Bundeswehr als auch die NVA – wenn auch auf andere Akteure des Widerstands. Es gab nicht den deutschen Widerstand, es gab viele einzelne Akteure die aus sehr unterschiedlichen Motiven kĂ€mpften. Allen gemein war, dass sie sich unter Einsatz ihres Lebens gegen das Regime der Nationalsozialisten wandten.

Mein erster GesprĂ€chspartner im Homo historicus ist Peter Steinbach. Er ist Leiter der GedenkstĂ€tte Deutscher Widerstand und Professor fĂŒr Neuere und Neuste Geschichte in Mannheim. Leider kam es bei der Aufnahme zu einem ziemlichen Missgeschick. Ich habe mit meinem Computer die falsche Spur und damit fĂ€lschlicherweise das interne Mikrofon aufgezeichnet. Dadurch ist die Aufnahme leider sehr verrauscht geworden. Amy hat lieberweise in mĂŒhevoller Arbeit das gesamte GesprĂ€ch transkribiert (An dieser Stellte nochmals vielen vielen Dank!). Ihr könnt das GesprĂ€ch also auch wahlweise nachlesen. Ich freue mich ĂŒber Kritik und Anregungen. Viel Spaß beim Anhören des Podcast.

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Shownotes:

Und zum Schluss die interessante Frage “Was wĂ€re wenn der Widerstand Erfolg gehabt hĂ€tte?” vom Geschichtsblog


Transkript:

Frank:
Hallo, willkommen zur ersten Ausgabe des Homo historicus, schön dass ihr zuhört!

Leider ist mir direkt zur ersten Aufnahme ein ziemliches Malheur passiert. Mein Computer hat die falsche Spur aufgezeichnet, und deswegen nur mit dem internen Mikrofon gearbeitet. Dadurch ist die Aufnahme leider ziemlich verrauscht geworden. Amy hat netter weise das gesamte GesprÀch transkribiert. Ihr könnt es also auch auf der Homepage lesen, falls es wirklich zu schlimm sein sollte.

Trotz alle dem fand ich das GesprĂ€ch sehr interessant mit Herrn Steinbach und wĂŒnsche euch viel Spaß beim Zuhören. Danke! #00:00:36#

[Intro Musik] #00:01:16.2#

Frank: Herzlich Willkommen zur ersten Episode des Homo historicus! Ich sitze heute hier in Mannheim mit Herrn Steinbach. Das ist der Leiter der GedenkstÀtte Deutscher Widerstand und Professor hier an der UniversitÀt. Schönen Guten Tag #00:01:31.3#

Steinbach: Ich grĂŒĂŸe Sie! #00:01:36.1#

Frank: Am besten Sie stellen sich erst einmal selbst kurz vor und warum Sie ĂŒberhaupt Geschichte studiert haben, letztendlich oder Politikwissenschaft und dann Geschichte sich spezialisiert haben, damit man erstmal einen Eindruck bekommt. #00:01:47.4#

Steinbach: Ja, ich heiße Peter Steinbach. ich bin Jahrgang 1948 und ich habe von 1968/69 bis 1972 in Marburg Geschichte und Politikwissenschaft studiert, bei bedeutenden, wunderbaren, sehr sehr guten akademischen Lehrern wie Gerhard Oestreich, Karl Christ, Wolfgang Abendroth, dem Ökonomen [Karl Paul] Hensel, Ernst-Otto Czempiel, Walter Schlesinger
 Also das war damals in Marburg ein unglaublich anregendes intellektuelles Klima. Eigentlich ganz anders als das dann vor kurzem Ulrich Traut in der FAZ beschrieben hat. Denn es war ein Klima des Austausches, der Nachdenklichkeit, des Engagements, vielleicht auch manchmal der Erprobung Grenzen. Aber wir hatten eigentlich immer Hochschullehrer, die uns erst nahmen als Studierende und uns im Grunde auch als Partner sahen. Also die Gemeinsamkeit von Forschung und Lehre war immer zu spĂŒren. Wichtig war natĂŒrlich die Begegnung mit Wolfgang Abendroth, dem wir als Studierende sehr bewunderten, weil wir wussten, er ist ein absolut unabhĂ€ngiger Intellektueller, der sich auch durch irgendwelche politischen Vorgaben nicht einengen lĂ€sst. Da konnte Ernest Mandel ein Redeverbot in Deutschland haben. Wolfgang Abendroth lud ihn ein und diskutierte mit ihm hinreißend. Da konnte es ihm auch passieren, dass er Partei fĂŒr diejenigen nahm, die die politischen Studierenden damals eher fĂŒr Rechte hielten, weil er sagte auch fĂŒr die Redefreiheit dieser Menschen setze er sich ein. Wichtig war fĂŒr ihn Berechenbarkeit. Und dann wurde uns zunehmend eigentlich bewusst, dass Wolfgang Abendroth diese klare Haltung eigentlich Zeit seines Lebens gezeigt hatte. Also er wurde bewundert von uns, weil er sogar im britischen Kriegsgefangenenlager noch einmal eingesperrt worden war. Einfach aus UnabhĂ€ngigkeit er öffnete eigentlich den Blick fĂŒr die Breite des Widerstandes, fĂŒr die Breite des Faches [
] und vermittelte so etwas was mich eigentlich immer am Widerstand fasziniert hat; dass er nicht immer nur UnterstĂŒtzung seines Gleichen suchte, sondern ja dadurch zu charakterisieren war, dass er auf den Austausch mit anderen mit gegenteiligen Meinungen angelegt war. Und so erfuhr ich eigentlich in der Auseinandersetzung mit dem Widerstand was eigentlich PluralitĂ€t bedeutete, nĂ€mlich Respekt vor der Meinung anderer, die man nicht diffamiert, sondern die man versucht zu verstehen und die man als Herausforderung an sich selbst begreift. Und das war eigentlich dann nach der Schulzeit, wo ich mich auch schon sehr intensiv mit zeitgeschichtlichen Fragestellungen beschĂ€ftigt habe, der Augenblick wo man in einem thematischen Kreis trat, der einen dann nicht wieder losließ. Insofern ist also die BeschĂ€ftigung mit dem Widerstand ein guter Teil meines wissenschaftlichen Lebens geworden. #00:05:44.1#

Frank: Gut, dann sind wir auch schon direkt beim Thema. Das Thema der aktuellen Ausgabe ist “Akteure und Arten des deutschen Widerstandes” Ich denke dafĂŒr ist es sinnvoll wenn zuerst einmal das Wort Widerstand definieren, was Widerstand ist und dann wie sich das im VerhĂ€ltnis zum Staat ĂŒberhaupt verhĂ€lt. #00:06:04.7#

Steinbach: Wenn Sie mir diese Frage als erstes stellen, zeigt das, dass Sie ein sehr politologisch denkender Mensch sind. Wir versuchen natĂŒrlich zunĂ€chst einmal zu definieren und wir machen uns hĂ€ufig gar nicht klar, dass Definieren auch bedeutet Aus[zu]grenzen. Das hat man in der Widerstandsgeschichte sehr oft getan. Ich versuchte einen anderen Weg zu gehen. Ich versuchte ein integrales WiderstandsverstĂ€ndnis zu entwickeln, d.h. nicht immer nach politischen Richtungen, nach politischen Sympathien zu fragen, sondern in den Blick zu nehmen, welches Risiko Menschen eingegangen sind, in dem Moment in als sie sich gegen den nationalsozialistischen Staat gewandt haben. Also Risiko, die Bereitschaft ein Risiko einzugehen, gehört dazu. Dann habe ich irgendwie in der Auseinandersetzung mit der Faschismustheorie gelernt, dass es vielleicht gar nicht so wichtig sei, theoretisch einen Gegenstand zu definieren, sondern zunĂ€chst einmal es darauf ankomme, ihn möglichst differenziert in seiner ganzen Breite, VielfĂ€ltigkeit, auch WidersprĂŒchlichkeit zu beschreiben. Die beste Theorie, auch das hat Wolfgang Abendroth mal gesagt, ist eigentlich die Beschreibung eines PhĂ€nomens und daraus leiten wir dann Abstraktionen und Definitionen ab. Ich glaube zum Widerstand gehört die FĂ€higkeit die RealitĂ€t, die einen umgibt, zu erkennen, sie sich nicht schön zu reden, sondern sie zu versuchen zu erkennen wie sie ist, auch mit dem ganzen Unrecht, das in der RealitĂ€t verborgen ist. Der zweite Schritt ist, dass ein Regimegegner, ein WiderstandskĂ€mpfer, die FĂ€higkeit haben muss, sich ĂŒber das was er sieht, gegebenenfalls auch zu empören. EmpörungsfĂ€higkeit ist eine ganz wichtige Vorraussetzung fĂŒr WiderstĂ€ndigkeit. Und die dritte Ebene, das berĂŒhrt dann im Grunde das Verhalten der Menschen, d.h. aus der Empörung ĂŒber Unrecht, das man beobachtet hat, muss im Grunde auch eine Verhaltenskonsequenz gezogen werden. Man muss sich gegen denjenigen wenden, der Unrecht begeht, der Menschenrechte verletzt und das kann man nur machen, indem man nicht nach seiner eigenen Person fragt. #00:08:44.1#

Frank: Was meinen Sie jetzt “nicht nach seiner eigenen Person fragt”?
#00:08:46.1#

Steinbach: Dass man nicht nach den Folgen fragt, die fĂŒr einen selbst aus dieser Auflehnung resultieren und dann sind wir natĂŒrlich bei einer RadikalitĂ€t des Schauens, des Bewertens, des Denkens und des Verhaltens. Bei einer RadikalitĂ€t, die von der eigenen Person, ich sage das noch einmal, absieht und dabei im Grunde auch keine RĂŒcksicht mehr auf das unmittelbare Umfeld nimmt – auf die Eltern, auf die Ehefrau, auf die Kinder. Man handelt ganz konsequent und weil idR dieses Handeln schiefgeht, fragt man auch nicht nach den Chancen dieses Handelns. Sondern: man muss sich eigentlich beweisen, man will sich beweisen in der Auflehnung ĂŒber die Tat [
] und damit stĂ¶ĂŸt man natĂŒrlich zusammen mit einem Staat, der durch seine Definitionsmacht und durch sein Gewaltmonopol, das er beansprucht, auch die Sanktionsmacht hat, dieses Abweichende Verhalten zu kriminialisieren und zu bestrafen. Und dann sind wir im Grunde mitten in einem KrĂ€ftefeld, das besteht aus Staat, aus Gesellschaft und aus Individuen. Also aus einem DreiecksverhĂ€ltnis als einem KrĂ€fteverhĂ€ltnis, das sich permanent verschiebt. Mal ist der Staat wichtiger, mal ist die Gesellschaft mĂ€chtiger, und manchmal ist das Individuum viel stĂ€rker als beide anderen zusammen weil es die beiden anderen Faktoren in die Schranken weisen kann. Das ist ein spannendes Thema, das weit ĂŒber die Bedeutung der Widerstandsgeschichte hinausgeht und eigentlich unser VerhĂ€ltnis zur Welt heute in einem ganz erheblichen Maß mit beschreibt. #00:10:51.9#

Frank: Nun stelle ich es mir aber relativ schwer vor, jetzt im Nachhinein die WiderstandskÀmpfer & -kÀmpferinnen zu betrachten, weil dieses SpannungsverhÀltnis lÀsst sich ja sehr schwer nur analysieren bzw. nicht wiedererleben, aber mit einbeziehen in die Betrachtung davon [lÀsst]. #00:11:08.7#

Steinbach: Naja, in dem Moment wo ich frage “Wie sieht eigentlich der Freundeskreis aus, wie sieht der Kreis der Gleichgesinnten aus, wie sieht der Kreis der Kollegen, Kameraden oder der Familie aus”, entwickel ich ja ein GespĂŒr fĂŒr das Risiko, das der Einzelne einging, und dieses Risiko muss ich zunĂ€chst einmal positiv bewerten an sich. D.h. ich frage nicht “Tritt der fĂŒr die richtigen Ziele ein? Tritt der fĂŒr die falschen Ziele ein? Ist es ein Anarchist? Ist das ein Kommunist? Ist das ein Sozialist? Ist das ein Anarchist?” Sondern: Ich sehe eigentlich das Individuum in der Konfrontation mit einer kollektiven Macht. Versinnbildlichen lĂ€sst sich das, worum es mir geht, etwa an dem berĂŒhmten Photo, in dem Carl von Ossietzky, der [
] Chefredakteur der WeltbĂŒhne, vor seinem Peiniger steht im Konzentrationslager Esterwegen und man spĂŒrt, der Herr der Situation, auch wenn er ausgeliefert ist, ist Ossietzky. Ossietzky hat ein leichtes LĂ€cheln auf dem Gesicht und gibt dadurch zu verstehen, dass er eigentlich ĂŒber seinem Peiniger steht. #00:12:33.1#

Quelle: Bundesarchiv Bild 183-R70579

Frank: WĂŒrden Sie dann so klassische Einteilungen nach Arten des Widerstands, im Sinne von der Motivation — also, ich habe hĂ€ufig die Einteilung gesehen, z.B. kommunistischer Widerstand, religiöser Widerstand usw. — wĂŒrden Sie das eigentlich eher ablehnen? #00:12:51.6#

Steinbach: Das dumme ist, man kommt in ein Dilemma. Diese Einteilung dient ja auch der Legitimation von Gruppen, die sich heute in die Tradition dieser Bewegung stellen. Das Problem ist, wir benutzen diese fast Linné-hafte Einteilung in Kategorien um Tradition zu stiften. Wir schneiden durch diese Einteilung eigentlich die EntwicklungsfÀhigkeit von Regimegegnern ab. Wir tun so, als ob der kommunistische Regimegegner immer kommunistisch gewesen sei und immer geblieben wÀre.

Wir tun so, als ob der protestantische Regimegegner immer protestantischer AufmĂŒpfiger war und nie die GefĂ€hrdungen der Anpassung aus Überlebenswillen an sich gespĂŒrt hĂ€tte. Deshalb möchte ich eigentlich Lebensgeschichten beschreiben, weil ich fest davon ĂŒberzeugt bin, dass selbst der hĂ€rteste, der unbeirrbarste Regimegegner niemals gewackelt hat, immer sich auch gefragt hat wie kommt er aus dieser lebensbedrohlichen Situation heraus, immer wieder konfrontiert worden ist mit der Herausforderung an sich, ob er nicht doch mal einen Kompromiss eingehen kann. Ob er nicht doch mal etwas mehr in einem Verhör sagt. Und so werden wir eigentlich in der Widerstandsgeschichte konfrontiert mit existentiellen Situationen, die ganz absehen können vom politischen Ziel, nicht absehen dĂŒrfen von politischen PrĂ€gungen durch Wertesysteme.

Ein kommunistischer Regimegegner hat ein klares Wertesystem. Dieses Wertesystem setzt ihn genau wie etwa den glĂ€ubigen Katholiken oder dem ĂŒberzeugten Protestanten in die Lage sich der Sogströmung derjenigen, die ĂŒber ihn herrschen wollen, zu widersetzen. Er beruft sich auf Tradition, er schafft es sich mit diesen Traditionen von den Sogströmungen seiner Zeit zu distanzieren. In Alternativen zu denken. #00:15:12.6#

Frank: Sozusagen als Ankerpunkt seines Widerstands? #00:15:16.2#

Steinbach: Ich wĂŒrde nicht nicht nur sagen als Ankerpunkt, sondern eigentlich sogar als Ausgangspunkt. Wer diese FĂ€higkeit einer eigenen Werteorientierung nicht hat, wird nach 1933 den Nationalsozialisten immer ausgeliefert sein, wird leicht deren Wertvorstellungen ĂŒbernehmen können. Aber wer alternative Wertvorstellungen hat, der weiß es gibt eine Differenz, eine Differenz der Überzeugung. Und aus dieser Differenz da kann dann genau der Wille zum klaren Blick, zum klaren Urteil erwachsen. Darauf kommt es mir an. Und deshalb finde ich dieses Einteilen in Kategorien vielleicht unverzichtbar, [
] weil wir Menschen halt so denken, dass wir immer alles in Schubladen packen. #00:16:13.7#

Frank: Das macht es ja auch ĂŒberschaubarer
 #00:16:15.3#

Steinbach: Es macht sie ĂŒberschaubarer, es macht sie handhabbarer, es macht sie leicht handhabbar fĂŒr die Traditionsbildung. Aber wenn wir es ganz ernst nehmen, dann betrachten wir den Menschen herausgefordert durch VerhĂ€ltnisse, die ihn aufregen, die ihn krank machen, die ihn töten, die andere töten
 [
] und beobachten ihn in seiner inneren Verpflichtung zur Auflehnung. Wenn ich diese Dimension nicht hĂ€tte, dann wĂŒrde ich mich als Widerstandshistoriker mit einem Gegenstand beschĂ€ftigen, wie 1000 anderen. Dann könnte ich auch die Geschichte der Bienenzucht beschreiben, oder des Schmetterlingsammelns oder des Pfeiferauchens. Das wĂ€re ein Gegenstand den ich zwei, drei Jahre erforsche und dann wende ich mich einem anderen zu. Nein, die BeschĂ€ftigung mit der existentiellen Situation, die Herausforderung des Einzelnen gegenĂŒber einem kriminellen Staat, das ist eine Lebensgrundlage, glaube ich, fĂŒr die Orientierung in der Gegenwart selbst. Weil wir ja permanent Zumutung beobachten, permanent zur Entscheidung aufgefordert sind.
Insofern bin ich wirklich Abendroth-SchĂŒler bis heute geblieben. [
] Permanent vor Entscheidung stehen. Das ist das, was mich als junger Student an der Politologie, die ich mit derselben Leidenschaft studiert habe wie die Neuere Geschichte. Ich wollte beides zusammenbringen und dieser Schnittpunkt, der war dann der Bereich in dem es um MoralitĂ€t, um Ethik, um Ordnungsdenken, um Entscheidungsbereitschaft, um Mitmenschlichkeit, um Selbstbehauptung, ging. Also der Bereich des Widerstandes. Jetzt habe ich erst relativ spĂ€t Ihre Eingangsfrage beantwortet. #00:18:24.9#

Frank: DafĂŒr aber sehr ausfĂŒhrlich, das fand ich schonmal ziemlich gut. Denken Sie denn, dass sich die Art der Betrachtung des Widerstandes in den letzten 50 Jahren verĂ€ndert hat, entwickelt hat? #00:18:36.4#

Steinbach: Erheblich. Einmal haben die Nationalsozialisten das Bild des Widerstandes bestimmt und die deutsche Nachkriegsgesellschaft, vor allen Dingen die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft, hat dieses Bild sehr hĂ€ufig ĂŒbernommen. Man sprach von VerrĂ€tern, ja, von VerrĂ€tern. Diejenigen, die treu zur Fahne standen, die das Hakenkreuz trug, machten aus ihrer PassivitĂ€t, aus ihrem Kadavergehorsam gleichsam eine Tugend, und mussten sich natĂŒrlich ĂŒber den Regimegegner aufregen, weil der Regimegegner ja deutlich machte, es gab eine Alternative zur Anpassung, nĂ€mlich die Auflehnung. Und das hĂ€lt ein Mensch schlecht aus der sich permanent einredet “wir hatten doch gar nichts anderes” nötig! Wir konnten doch keine Befehle verweigern! Die hĂ€tten uns doch sofort an die Wand gestellt! Wir berufen uns auf den Befehlsnotstand und wenn das nicht gelingt, dann werden wir sagen wir hĂ€tten nichts gesehen, wir hĂ€tten nichts gewusst, wir wĂ€ren eigentlich erst nach 1946/47 richtig mit geöffneten Augen durch die Gegend gegangen.” Was ja auch nicht stimmt, denn sonst hĂ€tte man ja nicht solange die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen minimieren oder gar leugnen können. D.h. ein Regimegegner ist ein Stachel im Fleisch der eigenen Person, denn er zeigt alle die LebenslĂŒgen, die funktionieren ja gar nicht. #00:20:10.2#

Frank: Und wie lange hat dieses GefĂŒhl angehalten in der deutschen Gesellschaft? #00:20:14.0#

Steinbach: Ich glaube das ist ein sehr, sehr schwieriger und langfristiger Prozess und da wird man auch ĂŒberhaupt [
] kein fixes Datum nennen können. Denn wenn Sie etwa sich vergegenwĂ€rtigen wie vor nicht einmal einer Woche ĂŒber die ErklĂ€rung der Vertriebenen diskutiert worden sind, dann entzieht sich mir eigentlich die Möglichkeit zu sagen eine ZĂ€sur [habe stattgefunden]. Es gibt Wandlung. Es gibt Wandlung, die wir erklĂ€ren können. Ein ganz wichtiger ErklĂ€rungsfaktor ist, das mag ĂŒberraschend klingen, die Tatsache der deutschen Teilung. Beide deutschen Staaten berufen sich auf jeweils unterschiedliche Traditionen der WiderstĂ€ndigkeit und konfrontierten den jeweils anderen Staat mit der eigenen Tradition. Also die DDR bezog sich auf den kommunistischen Widerstand
 #00:21:07.5#

Frank: Rote Kapelle usw.
? #00:21:08.9#

Steinbach: Auf die Rote Kapelle, auf Einzelne
 und hinderte deshalb die BRD daran, diese Bereiche zu vernachlĂ€ssigen. Das wĂ€re aufgefallen. Die wichtige kommunistische Widerstandsforschung fand hier in Mannheim statt durch Hermann Weber [
], der die ersten BĂŒcher zum Widerstand schrieb. Die wichtige Widerstandsforschung, die sich auf die kleinen sozialistischen BrĂŒckenparteien bezog, hĂ€ngt unwiderruflich am Namen von Marburg. Das sind Arbeiten die Wolfgang Abendroth angestoßen hat. Also er suchte ja immer nach einem dritten Weg zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus und kam dann auf die SDAP und auf [???] MĂŒslisozialisten und die Gruppe Neu Beginnen und was weiß ich alles
 so und umgekehrt konnte die DDR auch den bĂŒrgerlichen, den kirchlichen Widerstand nicht von vorne herein verdammen. Sie musste sich stellen. Und unterm Strich – und das ist jetzt nicht die Hegel’sche List der Vernunft, die ich da beschwöre – kam im Grunde aus dem Gegeneinander der beiden deutschen Widerstandstraditionen, Ost und West, dann so etwas heraus wie die Bereitschaft, die GesamtwĂŒrdigung des Widerstandes zu nehmen. Das griff nicht immer. Es gibt wirklich schwer diffamierte Gruppen, z.B. Gruppe der Regimegegner, die in der sowjetischen Kriegsgefangenenschaft sich gegen den Nationalsozialismus wanden, die nicht in die Bundeswehr aufgenommen werden dĂŒrften, die als NKFD, AnhĂ€nger Nationalkomitee Freies Deutschland, AnhĂ€nger oder als Mitglieder des Bundes deutscher Offiziere gewissermaßen außerhalb des [
] Konsenses standen. Man unterstellte ihnen, sie hĂ€tten eigentlich nur den Teufel Hitler mit dem Belzebub Stalin ausrotten wollen und ĂŒbersahen natĂŒrlich ganz fleißig, dass die ganze Welt zu diesem Zeitpunkt auf den Belzebub Stalin setzte. Churchill war mit ihm verbĂŒndet, Roosevelt war mit ihm verbĂŒndet und alle erhofften sich einen tödlichen Schlag fĂŒr die deutsche Front im Osten durch Widerstandsmacht und -kraft der Roten Armee. #00:23:36.1#

Also was solls?! Wir lĂŒgen uns gewissermaßen hĂ€ufig etwas in die Tasche, wenn wir diese ideologische PrĂ€gung des Kalten Krieges immer wieder in die Geschichte rĂŒck[???]verlĂ€ngern. Und vor diesem Hintergrund, ich sage es immer wieder, ist es fĂŒr mich unverzichtbar, ein integrales WiderstandsverstĂ€ndnis zu entwickeln, das den Widerstand aus den Grenzen und Horizonten seiner eigenen Zeit interpretiert und nicht nur nach unserer gegenwĂ€rtigen politischen OpportunitĂ€t. #00:24:10.6#

Frank: Könnten Sie auf die Widerstandsgruppe noch einmal kurz zurĂŒckkommen, weil die war mir noch nicht bekannt. Also die auf Seiten der russischen Armee gekĂ€mpft, oder
? #00:24:20.2#

Steinbach: Es gab [
] Kriegsgefangene in der amerikanischen, in der britischen und auch in der sowjetischen Kriegsgefangenschaft, die eindeutig Regimegegner waren und aus der Kriegsgefangenschaft heraus versuchten das Regime zu bekĂ€mpfen. Das waren z.B. in amerikanischer Kriegsgefangenschaft die Menschen um Alfred Andersch und andere, die spĂ€ter die Zeitschrift “Der Ruf” grĂŒndeten. Die waren so gefĂ€hrdet in der amerikanischen Kriegsgefangenschaft, dass die Amerikaner sie selbst wieder in der Kriegsgefangenschaft absondern mussten, um sie vor ihren eigenen deutschen Kameraden zu schĂŒtzen. #00:25:05.3#

Frank: Aber wo war denn das Aktionsfeld — war das unter den Kriegsgefangenen oder haben die nach Deutschland hineingewirkt? #00:25:10.7#

Steinbach: Einmal [
] in der Kriegsgefangenschaft versuchten sie andere Kriegsgefangene zu bewegen und zurechtzurĂŒcken. Und zum anderen haben sie auch aus der Kriegsgefangenschaft — und ich sage es noch einmal — aus der amerikanischen, aus der britischen und auch aus der sowjetischen, zum Sturz des Regimes aufgerufen. Sie haben Ziele formuliert, die fĂŒr die Zeit nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft gelten sollten. Diese Ziele waren wiederum fĂŒr die politischen Regimegegner im Innern ungemein wichtig, weil sie daraus versuchten abzuleiten die Zielvorstellungen der Alliierten. D.h. auch das was die deutsche Widerstandsdiskussion so lange negativ belastet hat, nĂ€mlich der Gegensatz zwischen Immigration, Exil — Kampf von außen — und Widerstand — Kampf von Innen –, der war in diesen Lebensbereichen völlig unerheblich. Ein Risiko gingen die Kriegsgefangenen, die sich von außen gegen das Regime wandten ein, stellvertretend, denn ihre Angehörigen, die wurden hĂ€ufig von den Nationalsozialisten genauso behandelt, wie spĂ€ter die Angehörigen der Regimegegner des 20. Juli [1944]. Das haben dann wiederum deren Angehörigen, also die Angehörigen der Regimegegner des 20. Juli, ĂŒberhaupt nicht so gerne gesehen, dass sie da plötzlich in einer Reihe mit Angehörigen standen, deren VĂ€ter im Nationalkomitee Freies Deutschland angeblich Deutschland verraten wĂŒrden. #00:26:59.8#

Also, Sie merken, wir sind hier in einem KnÀuel von Ideologien, von Verwicklungen, die wir aufdröseln können, die wir nur kompliziert erklÀren können und die sich dem leichten, raschen, rechtfertigenden, ideologisierten Urteil entziehen. #00:27:20.4#

Frank: Zu den Kriegsgefangenen noch einmal ganz kurz: War die Anerkennung ihrer Verdienste dann unterschiedlich? Sie hatten vorhin kurz gesagt, dass es auf der sowjetischen Seite die Kriegsgefangenen gab, die im Nachhinein nicht anerkannt wurden. #00:27:36.0#

Steinbach: Im Westen. Im Osten machten diese ostdeutschen Kriegsgefangenen vom BdO und NKFD dann durchaus Karriere, vor allen Dingen nachdem Mitte der 50er Jahre die Bundeswehr im Westen und die Nationale Volksarmee im Osten aufgestellt worden war, versuchten ja beide bewaffneten MĂ€chte hĂŒben und drĂŒben wiederum eine eigene Tradition zu bilden. Die Bundeswehr entdeckte den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, die NVA knĂŒpfte an verdiente Kundschafter des Volkes, auch so eine Verzeichnung der RealitĂ€t. Meinten damit “verdiente Kundschafter” — Spione — des Volkes und diffamierte, nach meiner Meinung, auf diese Weise nicht zuletzt selbst die Rote Kapelle, die nun wirklich aufklĂ€ren wollte ĂŒber [
] die RealitĂ€t des Dritten Reiches, aber nicht primĂ€r Spionage fĂŒr die Sowjetunion leisten wollte.
Also, auch da ist einfach die wichtige Aufgabe, den Anfang der WiderstĂ€ndigkeit wirklich zu suchen und nicht immer aus den ideologischen Verkrustungen der Nachkriegsgesellschaft ein Urteil zu fĂ€llen, dass sehr sehr viel aussagt ĂŒber die Nachkriegsgesellschaft aber ganz wenig ĂŒber den Widerstand. #00:29:09.9#

Frank: Wir haben jetzt schon mehrfach die Rote Kapelle angesprochen, könnten Sie dazu ein paar Worte sagen? Ich habe gehört dass es extrem heterogen gewesen sein soll, bei denen. #00:29:19.2#

Steinbach: Da haben sie richtig gehört! Es ist eine außerordentlich komplexe Gruppe, die sich zunĂ€chst einmal von allen anderen Gruppen durch den relativ großen Anteil von weiblichen Regimegegnern auszeichnet. Wir finden viele StrĂ€nge — KĂŒnstler, Psychoanalytiker, Verwaltungsbeamte, sogar Angehörige der NSDAP, ehemalige Kommunisten, Mitarbeiter der Zeitschrift “Die Tat“, ebenso wie Mitarbeiter der kommunistischen “Roten Fahne” — die in diesem Kreis zusammen finden. Gebildet wurde das Urteil dieses Kreise vor allen Dingen durch Nachkriegsprozesse in Deutschland. [???] Prozess war eine wichtige Weichenstellung. Dort hatte man einen der Hauptverantwortlichen fĂŒr die Verhaftung und vor allen Dingen fĂŒr die Verurteilung und Hinrichtung dieser Gruppe vor Gericht gestellt. Und wie verteidigt man sich als Angeklagter? Indem man behauptet, derjenigen ĂŒber den man ein schandbares Urteil gefĂ€llt hat, habe dieses Urteil selbst verdient, denn er sei LandesverrĂ€ter gewesen und er habe spioniert und er habe letztlich dazu beigetragen, dass die deutsche Wehrmacht im Osten ganz schwere Niederlagen einzustecken hĂ€tte. Eine Schutzbehauptung, die aber die RealitĂ€t ĂŒberhaupt nicht trifft, denn wir wissen heute, keiner der FunksprĂŒche hat funktioniert. Die AktivitĂ€t der Roten Kapelle konzentrierte sich vor allem darauf, auch die deutsche Gesellschaft aufzuklĂ€ren, ĂŒber die Verbrechen. Sie hatten Bilder, sie hatten Nachrichten von der Front, von den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen und wollten die in die deutsche Gesellschaft transportieren, um diese Gesellschaft zu zwingen RealitĂ€t zu erkennen, sich zu empören um dann anschließend auch zu handeln, indem man sich gegen das Regime stellte.
Das ist dieselbe Taktik, die wir auch bei der Weißen Rose beobachten können, [
] das ist dieselbe Taktik, die wir bei Widerstandsgruppen, bei Gesinnungskreisen feststellen können. Immer diese verzweifelte Hoffnung: Wenn man den Deutschen endlich sagen kann, was nationalsozialistische Herrschaft bedeutet, dann werden die sich schon auflehnen, dann werden die schon Stellung ziehen gegen den Nationalsozialismus. Das war vielleicht eine Illusion. #00:32:06.9#

Frank: Hatten die denn dann auch irgendwie Erfolge? #00:32:09.1#

Steinbach: Ganz sicherlich hatten sie Erfolge, denn sie gewannen Einzelne. Aber keine politischen Erfolge. Wer mir einreden will, der Widerstand gegen die Nationalsozialisten gehörte zu den Bewegungen, die nun wirklich unendlich viel bewirkt hĂ€tten, der muss sich eigentlich die Gegenfrage gefallen lassen: Was denn? Wer hat denn Deutschland befreit? Es waren die Alliierten[???] Wer hat denn dazu beigetragen dass weniger Tote im Krieg anfielen? Bestimmt nicht der Widerstand. Sein Blutzoll war höher. Historisch gehört er ganz bestimmt zu den gescheiterten Bewegungen. Nicht moralisch! Denn Regimegegner werden dann nach einem Umschlag des Zivilisationsbruches hĂ€ufig gewĂŒrdigt, geehrt, 
 ja wie sieht ihre Karriere eigentlich aus? Sie landet bei Straßennamen, bei der Benennung von PlĂ€tzen, bei DenkmĂ€lern, bei Schulbenennungen, 
 vielleicht bei Briefmarken. Ein historischer Erfolg ist auch das nicht. Aber der Moralische ist, glaube ich, nicht genĂŒgend zu achten, denn wir können uns in der Auseinandersetzung mit der RealitĂ€t, mit der Lebenswirklichkeit der Regimegegner durchaus unseren Blick schulen, durchaus unser moralisches Urteil schulen, durchaus fragen, was dazu gehört sich aufzulehnen. Welche GrĂ¶ĂŸe es geben muss. #00:33:49.3#

Frank: Ich stelle mir die persönliche Situation von den WiderstandskĂ€mpferInnen extrem schwierig vor. Es muss ja ein enormer Druck eigentlich, ein psychischer aber halt auch Angst gewesen sein, jederzeit aufgedeckt zu werden. Gibt es da Untersuchungen wie sie untereinander damit fertig geworden sind und was das fĂŒr Auswirkungen hat. #00:34:18.8#

Steinbach: Ich muss da nachdenken, denn Sie stellen mir da eigentlich eine Frage, die ich mir so noch nie gestellt habe, weil ich eigentlich den sachlichen Hintergrund fĂŒr diese Frage bei meiner BeschĂ€ftigung mit Regimegegnern nie gespĂŒrt habe. Angst? Lebensfreude — ja, Lebenshoffnung — ja, aber dass sie aus Angst in die PassivitĂ€t ausgewichen wĂ€ren, nur um zu ĂŒberleben? Nein. [
] Ich vertrete eine ganz andere Situation: Ich glaube, dass jeder, der sich gegen solch ein kriminelles Regime wie gegen den Nationalsozialismus wendet, eigentlich muss der mit seinem Leben abgeschlossen haben. Dietrich Bonhoeffer sagte [???] mal: “Wir sind schon tot. Wir sind schon viele Tode gestorben.” D.h. die fĂŒhlten sich wie Todgeweihte.
Und das erklĂ€rt vielleicht die UnabhĂ€ngigkeit, die Frechheit, fast die Heiterkeit, die wir manchmal beobachten, wenn wir diese Regimegegner vor ihren Peinigern sehen. Ossietzky, Dietrich Bonhoeffer’s Ă€hnliches Bild: Er steht zwischen Gefangenen und einem GefangenenwĂ€rter und der der GefangenenwĂ€rter, der macht deutlich “dieser HĂ€ftling, dieser Dietrich Bonhoeffer, das ist der eigentliche Herr in unserem Kreis” [
] und wir finden Regimegegner, die den Richter auslönz[???]ten. [???], ein Regimegegner aus dem Umkreis des 20. Juli, der auf Freislers Ausruf “Scheren Sie sich zum Teufel”, sagte: “Ich gehe Ihnen nur voraus, Sie kommen nach”
 #00:36:09.9#

Oder eine BalletttĂ€nzerin aus dem Kreis der Roten Kapelle, die zum Tode verurteilt wird und die in schallendes GelĂ€chter ausbricht, ja? D.h. also [
] die Angst, die Sie ansprechen, ist eigentlich unsere kleinbĂŒrgerliche, kleinliche Lebensangst, die wir auf Regimegegner ĂŒbertragen. Da waren die lĂ€ngst darĂŒber hinaus, sonst könnten wir deren Verhalten ĂŒberhaupt nicht erklĂ€ren. Diejenigen, die stramm jedem Befehl folgten, die wachsam waren, die sagten “Feind hört mit”, die den Blockwart spielten, das waren die Ängstlichen, das waren die Schisser, die da im Grunde FĂŒllsel waren, nicht die anderen. #00:37:07.0#

Ich hab eigentlich nie gespĂŒrt, auch in Gerichtsverhandlungen, dass da einer der angeklagten Regimegegner um sein Leben winselte oder bat. Es gibt mal eine Situation vor Gericht, dass da einer der Angeklagten bittet an die Ostfront zu kommen um sich zu bewĂ€hren und da lacht sich Freisler tot. “Glauben Sie das wirklich?” Und da korrigiert der sofort seine Handlung und dann wackelt der nicht mehr. Auch das gehört zum Widerstand dazu: Positionen einzunehmen, Positionen ĂŒberwinden, manchmal sogar Positionen zu ĂŒberwinden, die man ursprĂŒnglich einmal mit den Nationalsozialisten geteilt hat, weil man vielleicht auch latent antisemitisch war, vielleicht auch den Versailler Vertrag ablehnte, vielleicht auch die LebenslĂŒge glaubte, dass Arbeitslosigkeit, Massenarbeitslosigkeit die Massen im nationalsozialistischen Sinne radikalisiert hĂ€tte. Die KPD zeigte ja, es wĂ€re ja auch anders gegangen, eine ganz andere Radikalisierung
 #00:38:18.8#

Frank: Sie haben die KPD angesprochen, das finde ich eigentlich einen ziemlich interessanten Punkt
 #00:38:23.3#

Steinbach: Das freut mich
 #00:38:26.2#

Frank: Im Nachhinein betrachtet hatte die KPD ja sehr viele AnhĂ€nger eigentlich bis ’33, war sehr gut eigentlich organisiert, und es hat mich immer ein bisschen gewundert, dass es keinen wirklich organisierten Widerstand gab, wo dann die Nazis die Macht eigentlich ĂŒbernommen haben. #00:38:44.2#

Steinbach: Es gab schon organisierten Widerstand, aber nicht in dem effektiven Sinne den Sie vielleicht erwarten. Es gab sogar Orte in denen es einen Generalstreik gab, um die Nationalsozialisten abzuwehren. Aber es waren eben nur einzelne Orte
 Wir mĂŒssen, glaube ich, auf die Differenzierung der Arbeiterbewegungen schauen, um zu verstehen was da eigentlich passierte. #00:39:11.5#

Da waren die Gewerkschaften. Gewerkschaften sind eigentlich immer Kompromissrollen[???], immer kompromissbereit, und setzen eigentlich auch darauf, dass man auch mit denjenigen, die man eigentlich ja ablehnt, irgendwann einen Kompromiss kommen soll. Also der gewerkschaftliche Widerstand ist nicht so breit wie die große Zahl von Gewerkschaftsmitgliedern erwarten ließe. Es gibt da einige Gewerkschafter im Widerstand, etwa Leuschner oder Kaiser oder Habermann, also es gibt einen Gewerkschafter, hĂ€ufig kommen sie sogar aus katholischen Arbeiterbewegung, die wir heute gar nicht mehr primĂ€r als Gewerkschaftsbewegung anerkennen wollen, weil es die eigentlich kaum mehr gibt. Das andere sind die Sozialdemokraten, das waren so Sozialdemokraten, treffen sich im kleinen Zirkel und pflegen die Gesinnung und sagen, “das geht irgendwann hier mit dem Nationalsozialist zu ende, und dann mĂŒssen wir klar sein, dann mĂŒssen wir klar sehen und darauf bereiten wir uns vor, und wir werden ein Netzwerk bilden und wir werden irgendwie zusammenhalten und im allerschlimmsten Fall werden wir halt Kaffee aus dem Bauchladen verkaufen und immer wieder zu Gesinnungsfreunden[
] oder wir machen einen Kohlehandel auf
” also da gibt es viele Möglichkeiten. #00:40:45.5#

Und was machen die Kommunisten? Die setzten eigentlich auf Widerstand, auf massenhaften Widerstand. Gingen auch massenhaft zum Demonstrieren. Es war deren Widerstand der anfĂ€nglich die meisten Opfer hatte, die grĂ¶ĂŸten Opferzahlen, nur er wurde angeleitet von FunktionĂ€ren, die sich auf diesen Kampf vor Ort ĂŒberhaupt nicht einließen. Sondern die ihn versuchten von außen zu steuern und deshalb immer wieder von ihren widerstandsbereiten Genossen hörten: “Ihr seid doch ĂŒberhaupt nicht in der Lage die RealitĂ€t des Dritten Reiches auch in der ganzen GefĂ€hrlichkeit fĂŒr uns einzuschĂ€tzen. Ihr schickt uns nĂ€chtens auf die MarktplĂ€tze, ihr veranlasst uns, irgendwo Parolen anzuschreiben und wir verbluten hier.” Der kommunistische Widerstand brach im Grunde Mitte der 30er Jahre zusammen, da rollten die Nationalsozialisten ihn systematisch auf, fĂŒhrten Schauprozesse, die wir nie richtig systematisch untersucht haben. Richtige Schauprozesse, die Terror verursachten.

Naja und dann musste ein anstĂ€ndiger Kommunist eigentlich den aller stĂ€rksten Schlag einstecken, den er sich ĂŒberhaupt vorstellen konnte: Dieser Regime, dieses nationalsozialistische Regime, das Kommunisten verfolgte, weil es Bolschewisten hasste, und Bolschewisten eigentlich fĂŒr eine “Steigerung des Weltjudentums” hielt — in AnfĂŒhrungsstrichen –, dieses Regime machte plötzlich mit Stalin einen gemeinsamen Pakt am 23. August 1939 und teilten Europa auf. Und teilten Ost- und Mitteleuropa im Grunde auf.

Das war fĂŒr die Kommunisten ein unglaublicher Schlag, der allerdings eine sehr, sehr positive Folge hatte: Denn nun entstanden kommunistische Widerstandsbewegungen, die nicht mehr auf das Exil hörten, die nicht mehr auf Ulbricht, auf Pieck, andere hörten, sondern die im Grunde so einen national-kommunistischen Widerstand organisierten und der war effizient. Das waren die Gruppen um Uhrig, um Saefkow, um BĂ€stlein, das waren Widerstandsgruppen, die wir dann im Westen, in der der kommunistischen Widerstandsforschung wirklich erst durch Hermann Weber und Wolfgang Abendroth und seine SchĂŒler sehen gelernt haben. Aber das waren eigentlich Gruppen, die sich nicht von außen leiten ließen und die werden dann wiederum fĂŒr den militĂ€rischen Widerstand im Umkreis des 20. Juli ungemein interessant, weil dieser Widerstand ja ein Widerstand ohne Volk war. [
] Es war ja eine reine Elite, die da aus der Spitze des Staates heraus den Umsturz probierte. [
] Die natĂŒrlich mit Kommunisten, mit Sozialdemokraten, mit der katholischer Arbeiterbewegung und mit Gewerkschaften versuchte aus dem Widerstand ohne Volk ein Widerstand aus dem Volk werden zu lassen.

Dazu brauchten sie aber das [???] dass es andere gab, die sehr, sehr klar waren, zeigt ein Regimegegner wie Johann Georg Elser, ein Schreiner, der zu handeln wusste, der konsequent war, der alles riskierte, ein idealer Regimegegner, [
] in durchaus normalen VerhĂ€ltnissen, nicht akademisch gebildet, vielleicht deshalb gerade prĂ€destiniert zum Widerstand, denn kluge Leute, hat der katholische Theologe Karl Hanerma[???] gesagt, haben es bekanntlich sehr einfach, feige zu sein. Elser war nicht feige [
] und verkörperte in seinem Denken ein Konglomerat von Anarchismus, Kommunismus, Pietismus, alles mobilisierte er um den Nationalsozialisten nicht auf den Leim zu kriechen. Da war er viel weiter, als manche der Angehörigen der bĂŒrgerlichen Verwaltungseliten, des MilitĂ€rs, die relativ lange Ziele verfolgten, die sie mit den Nationalsozialisten teilten und erst relativ spĂ€t realisierten, dass der nationalsozialistische Krieg den Bestand der Nation wirklich in Frage stellte. #00:45:27.6#

Frank: Sie waren ja auch ziemlich dicht dran, eigentlich, Erfolg zu haben. Also 20 Minuten, glaube ich,
 #00:45:33.0#

Steinbach: Nicht mal, Sie rechnen hoch! Es waren nicht einmal zehn Minuten. [???] Es war ein reiner, reiner Zufall. Nein Johann Georg Elser war der erste, der dem Ziel, Hitler zu töten, denkbar nah gekommen war. Etwa fĂŒnf Jahre vor Stauffenberg, was dessen Leistung durchaus nicht schmĂ€lert. [
] Also das war der Anschlag im MĂŒnchener BĂŒrgerbrĂ€ukeller #00:46:05.2#

Frank: Einen wichtigen Punkt noch: Ich habe immer das GefĂŒhl gehabt, dass zwar neben dem akademischen Widerstand, wie z.B. bei der Roten Kapelle, oder halt auch wie bei Herrn Elser, das eher so Bewegungen von unten heraus waren und die Bewegung des 20. Juli, war eher so ein Ding von ganz oben. Ich hatte da in der Rezeption immer das GefĂŒhl, dass das noch einmal ‘ne Rettung auf letzter Sekunde war, von der FĂŒhrungselite eigentlich. Könnten Sie darauf noch einmal eingehen? #00:46:37.1#

Steinbach: Ja, aber gerne. DarĂŒber hat man auch nach dem Krieg dann lange nachgedacht. [
] Man hat gesagt dieser Anschlag von Stauffenberg sei dillettantisch und zu spĂ€t erfolgt, darauf spielen Sie an. #00:46:47.6#

Man hat dabei ĂŒbersehen, dass bereits seit 1938 sich ein wenig ein Netzwerk bildet, von MilitĂ€rs, von Abwehrleuten, von Verwaltungsbeamten, die fast Ă€hnlich komplex zusammengesetzt sind wie der Kreislauer Kreis. Es sind auch unterschiedliche Strömungen und Richtungen die zusammen kommen. 1938 — da war eigentlich klar, dass Hitlers Herrschaft auf den Krieg zielt. Im November 1937 hatte er [???] das Hoßbach Protokoll, seine Kriegsziele deutlich gemacht, hat er gesagt wir wollen ein Ostimperium haben, wir wollen den Kommunismus endgĂŒltig besiegen und wir wollen in Europa herrschen und wir wollen eigentlich auch ĂŒber Europa hinaus herrschen, Kolonien, usw.
 Es war klar das fĂŒhrt zum Krieg und den MilitĂ€rs war klar, mit dem RĂŒstungsstand, den Deutschland damals hatte, ist dieser Krieg nicht zu gewinnen. #00:47:54.3#

Also was macht man? Entweder man versucht die Gegner Hitlers und außenpolitischen MĂ€chte — England, Frankreich, vor allen Dingen England — so zu beeinflussen, dass sie eine ganz, ganz harte Haltung gegenĂŒber Hitler demonstrieren. Ist das schon Widerstand?! Kann man diskutieren, ja? Sie versuchen im Grunde von außen Druck zu machen, um das Risiko des Scheiterns im Innern deutlicher zu machen. Andere spielen in dieser Zeit bereits mit dem Gedanken Hitler auszuschalten. Zu [beachten???] der Kreis um Dohnanyi, um Oster, der Kreis in den auch spĂ€ter Bonhoeffer hineingeriet, das ist der Kreis um die Abwehr. [
] Und dann kommt eigentlich die Katastrophe von MĂŒnchen, 1938 im September, zwei Monate spĂ€ter brennen in Deutschland die Synagogen
 #00:48:54.8#

Frank: Sie meinen das ZugestÀndnis, dass sie das Sudetendeutschland
 #00:48:58.1#

Steinbach: 
Sudetenland und im Grunde damit ja auch die Rest-Tschechei dann irgendwann
 und Deutsch-Österreich sich einverleiben. D.h. also es kommt zu dieser territorialen Expansion. Und diese Erfolge, das fasziniert die Deutschen und das fasziniert auch den Widerstand, lĂ€hmen den Widerstand. Und so kommt es eigentlich immer wieder zu einem stĂ€ndigen Auf und Ab. Es ist keine KontinuitĂ€t in dieser Widerstandsbewegung drin. Erst 1942/43 formiert sich wieder ein militĂ€rischer Widerstand, der die militĂ€rische Katastrophe kommen sieht. #00:49:51.2#

Frank: Also war das so ein bisschen orientiert einfach daran, wie erfolgreich Hitler letztendlich mit seiner Politik war. Weil nach MĂŒnchen hatte er ja Erfolg, dann geht’s wieder runter
 #00:50:00.9#

Steinbach: Viele sind fasziniert, nicht alle. Zum Beispiel die Mitglieder des Kreisauer Kreises sagen im Sommer 1940, auf dem Höhepunkt eigentlich von Hitlers Faszination, nach dem Sieg ĂŒber Frankreich, das geht nicht gut, wir mĂŒssen ĂŒber Alternativen nachdenken — auch das gab es. D.h. [
] je tiefer wir eigentlich in diese Widerstandsgeschichte eindringen, umso deutlicher mĂŒssen wir uns klar machen: Es gibt keine roten Linien, es gibt keine KontinuitĂ€ten, [
] das ist blöd, weil natĂŒrlich ein Historiker unheimlich gerne in KontinuitĂ€ten denkt, hĂ€ufig konstruiert er sie. Und das nun ein Historiker nun im Widerstand sagen muss: “Wieder abgebrochen, wieder Köpfe ausgewechselt, wieder einige ausgeschieden, wieder den Einen oder Anderen gekauft
 ” das war so. Und ich kann ja als Historiker die RealitĂ€t auch nicht schön reden. Damit muss ich werben und komme dann im Grunde 1941/42 auf diese Denkschriften von [???], völlig unabhĂ€ngig noch von den Überlegungen die dann auf den 20. Juli zu reißen. Eigentlich will man die NS-FĂŒhrung beeinflussen und den Kurs der Politik bestimmen. Ja, ist das Widerstand oder ist das Denkschriften auf Position?! [
] #00:51:33.2#

Aber vielleicht mĂŒssen wir ja auch gar nicht immer so bewerten. Vielleicht mĂŒssen wir zunĂ€chst einmal zur Kenntnis nehmen. Dann kommen wir natĂŒrlich darauf, dass die aus den Horizonten ihrer Zeit argumentierten. Ich sagte schon, Antisemitismus war denen nicht fremd. Überheblichkeit gegenĂŒber den osteuropĂ€ischen Völkern, gegenĂŒber den Polen, war denen nicht fremd. Damit mĂŒssen wir werden. In dem Moment wo wir Bilder der Vergangenheit schönen, nehmen wir eigentlich denjenigen, die sich auflehnten und die diese Position gerade ĂŒberwandten, ihre WĂŒrde und ihre Leistung. #00:52:16.4#

Und das gilt auch fĂŒr Stauffenberg. NatĂŒrlich war er ein Kind seiner Zeit, natĂŒrlich war er Nutznießer der AufrĂŒstung. Es gab unglaubliche militĂ€rische Karrieren, die man machen konnte und [
] Stauffenberg ist innerhalb weniger Jahre, vom Leutnant zum Oberleutnant, zum Hauptmann, zum Major, zum Oberstleutnant, und dann schließlich zum Oberst geworden. General war er ja nie. Oberst – das ist also ein relativ mĂ€ĂŸiger, hoher militĂ€rischer Rang, denn darĂŒber gibt es noch einige andere Stufen, GeneralsrĂ€nge, die man vertreten kann. NatĂŒrlich schrieb er seiner Frau ĂŒber die furchtbaren ZustĂ€nde in Polen und das war nicht Polen-freundlich und natĂŒrlich regte er sich ĂŒberhaupt nicht auf — jedenfalls haben wir keine Hinweise dafĂŒr — dass es da eine anti-semitische politische Praxis gab. Irgendwann ja, aber nicht zu dem Zeitpunkt den wir eigentlich erwarten. Denn was wĂŒrden wir eigentlich heute erwarten? Dass man am 9. November 1938 angesichts der brennenden Synagogen und angesichts der zig Tausend verhafteten Juden zutiefst empört ist und den verbrecherischen Charakter des Regimes genau erkennt. Es war nicht so. Und ich habe keine andere Möglichkeit als einfach das hinzunehmen und zu erklĂ€ren. #00:54:06.6#

Frank: Sie haben gerade gesagt: Sie waren nicht — oder: das deutsche Volk war nicht — empört. War es denn dann begeistert dazu, oder waren die dann einfach opportun
 #00:54:14.8#

Steinbach: Es regte sich – also ich will jetzt mal zynisch meinen –, es regte sich darĂŒber auf, dass so relativ viele Sachwerte vernichtet worden waren. Aber da mĂŒssen wir uns jetzt wirklich nichts vormachen
 Es tut mir wirklich leid. Es wĂ€r schön, es wĂ€r aufgeregt gewesen, es wĂ€r schön es hĂ€tte eine artikulierte Scham gegeben, nicht nur so diese stumme [Scham]. Aber das was wir hier ja wenige — zwei — Jahre spĂ€ter bei der Deportation der Juden aus Baden und aus der Pfalz erleben, macht eigentlich deutlich, dass die zurĂŒckgebliebenen Deutschen — die sog. Arier — sich sehr, sehr gerne an dem Besitz der deportierten Juden bereichert haben. Nicht “nur arisiert” haben im wirtschaftlichen Bereich, sondern auch im alltĂ€glichen Bereich: Mal ‘ne billige SchĂŒrze, mal ‘nen billigen Tisch, billige Socken, bis hin zu “preiswerten”, fĂŒr Pfennige ersteigerte Unterhosen. Alles finden wir in den Protokollen. Nein, die Empörung war nicht so groß. #00:55:17.6#

Frank: Mich hat bloß immer irritiert, dass das Reichskristallnacht genannt wurde, obwohl es ja eigentlich ein Pogrom war. Und ich hab irgendwie immer gedacht, dass das vielleicht ein bisschen Ironie war, oder so? #00:55:30.3#

Steinbach: Wir wissen bis heute nicht genau, woher dieser Begriff kommt. Ich weiß nur, dass ich ihn nie verwenden wĂŒrde und vermutlich noch nie verwendet habe. FĂŒr mich war es das Novemberpogrom, das Parteipogrom, das Massenpogrom, [
] der Synagogensturm. Wir haben ganz viele Begriffe um das zu beschreiben und wir mĂŒssen nicht so einen verniedlichten Begriff wie “Reichskristallnacht” verwenden, obwohl es da auch wieder Kollegen gibt, die sagen das ist eigentlich auch nur ein ironisierender Begriff. Ich weiß es nicht. Ich habe mich nur entschieden, diesen Begriff streiche ich aus meinem Argumentationshaushalt. #00:56:12.8#

Frank: Gut. Das hat mich bloß immer ziemlich irritiert. Wie hat der Staat eigentlich auf diese WiderstandskĂ€mpfer reagiert und was waren seine Mittel, gegen ihn [den Widerstand] zu kĂ€mpfen? #00:56:27.5#

Steinbach: Also er hatte, ich glaube, zwei wichtige Instrumente: Zum einen die Denunziationsbereitschaft der Deutschen. Die deutsche NS-Gesellschaft war eine Denunziationsgesellschaft. Und zum anderen die Gestapo, die nun keineswegs diese flĂ€chendeckende Terrororganisation war, als die wir sie uns heute vorstellen. Es war ein relativ kleiner Apparat. Aber, ein Karlsruher Historiker — Michael Stolle — hat das mal nachdrĂŒcklich zeigen können: Dieser kleine Apparat der Gestapo war in der Lage den gesamten Polizeiapparat urplötzlich und blitzschnell fĂŒr seine eigenen Ziele zu mobilisieren. Dadurch kam dieser Eindruck der allmĂ€chtigen Terrororganisation auf. Und das weitere Element, dass man ableiten muss, waren die GefĂ€ngnisse, die [???] Konzentrationslager, die Konzentrationslager, die Öffentlichkeit des Terrors. Dieser Terror, der ausgeĂŒbt wurde, Schaufahrten, die man mit Regimegegnern gemacht hat — man setzte sie in einen Wagen und fuhr sie durch die Stadt, man prĂŒgelte sie durch die Stadt, man hĂ€ngte ihnen ein Schild um, um sie zu diffamieren, wir sprechen von regelrechten Schaufahrten mit 30., 40., 50.000 Zuschauern in den StĂ€dten. Dieser Terror lebte natĂŒrlich auch und dieser Terror der Nationalsozialisten zielte immer auf Öffentlichkeit und zielte immer auf Produktion von Anpassung und Folgebereitschaft, von Kadavergehorsam. Das macht den Widerstand ja so besonders: Dass er vor dieser Folie der breitesten Anpassung, der breitesten ZurĂŒckhaltung, sich entfaltet und auch gesehen und gedacht werden muss. Und ich glaube, Denunziationsbereitschaft ist durchaus eine Übereinstimmung, da sollten wir uns gar nichts vormachen. Die Nationalsozialisten haben in vielem den Zielen der damaligen Menschen entsprochen. #00:58:43.7#

Frank: Inwiefern zum Beispiel? #00:58:47.3#

Steinbach: Partiell entsprochen: Sie haben die Volksgemeinschaft propagiert, sie haben [
] Freizeitangebote gemacht, sie haben außenpolitische Erfolge vorgewiesen, [
] die Entmilitarisierung des Rheinlandes wurde aufgehoben, die Wehrpflicht wurde eingefĂŒhrt, die [
] Reparationszahlungen wurden eingestellt, es gab Arbeitsprogramme, [
] zusĂ€tzliche Verhaftungen verknappten das Arbeitsangebot noch mehr. Die Deutschen hatten das GefĂŒhl der Lebensstandard steigt im Vergleich zu der Weimarer Zeit. Also es gibt eigentlich ĂŒberhaupt keinen Grund zu bezweifeln, dass viele der Deutschen von den Nationalsozialisten fasziniert waren und deren Politik teilten. Es war nicht der Terrorstaat, da hat ein Historiker wie Götz Aly völlig recht, wenn er sagt, eigentlich mobilisierten die Nationalsozialisten auf Zustimmung und Begeisterung. #00:59:56.5#

Frank: Hat sich der Widerstand verÀndert mit dem Wegfall der SA? Also, nicht der Widerstand des Staates sondern sozusagen die Verfolgung von WiderstÀndlern? #01:00:08.5#

Steinbach: Sie spielen auf den RĂŒckputsch an, den sog. RĂŒckputsch. Der ist eigentlich ganz wichtig, weil man mit dieser Ausschaltung der SA die Wehrmacht [
] in den Griff bekommt und eigentlich das vorbereitet, was Hitler dann mit der Übernahme faktisch des Amtes des Kriegsministers ĂŒbernimmt. Er ist auch der FĂŒhrer der Wehrmacht geworden. D. h. also er schaltet die einzige Macht, die ihm hĂ€tte kritisch werden können, 1938 in einer Krise, aus. [
] Und fĂŒhrt im Grunde die Wehrmacht wie eine nachgeordnete Parteiabteilung und macht den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Keitel, zu seinem Lakaien. Deshalb sprach man ja auch sehr gerne von “La-Keitel”. #01:01:12.4#

Frank: [lachen] Das hab ich jetzt auch noch nicht gehört. #01:01:16.3#

Steinbach: Na gut man lernt nie aus. #01:01:19.3#

Frank: Gut, zum Abschluss wĂŒrde ich Sie gern noch fragen, wo Sie LĂŒcken in der Forschung sehen, gerade halt in diesem Bezug auch in der Rezeption von heute? #01:01:28.8#

Steinbach: Ich glaube wir sind heute bei den Themen der politischen Bewertung des Widerstands durch. Wir haben seit 1982 in Berlin mit der GedenkstĂ€tte Deutscher Widerstand gegen durchaus heftige WiderstĂ€nde ein integrales VerstĂ€ndnis von Widerstand etabliert; Widerstandsgeschichte ohne Exil, ohne Kommunisten, ohne Anarchisten, ohne [
], ohne Jugendliche BĂŒnde, ohne Nationalkomitee Freies Deutschland, ist seriös nicht mehr zu beschreiben. Ich glaube da haben wir eine ganze Menge bewegt und glauben Sie mir, es waren wirklich zum Teil heftige geschichtspolitische WiderstĂ€nde die dabei zu ĂŒberwinden waren. #01:02:19.5#

Aber: Sie fragten mich ja nach den offenen Themen. Und ich glaube wir haben viel zu lange gebraucht um das Thema der Desertion angemessen zu bearbeiten und wir sind noch lange nicht am Ende bei der Bewertung des Alltagswiderstandes, bei der Erforschung der sog. “stillen Helfer”, der unbesungenen Helden, also der Menschen, die situativ bedrohten Mitmenschen, die lebensgefĂ€hrlich lebten — Juden, Sinti und Roma, die verfolgt wurden –, diese Geschichte haben wir noch nicht aufgearbeitet und die wĂ€re aus historisch, politisch, pĂ€dagogischen GrĂŒnden so besonders wichtig, weil sich in diesem alltĂ€glichen Widerstand natĂŒrlich das greifen lĂ€sst, was wir aus historisch-politischen GrĂŒnden immer von der BeschĂ€ftigung mit dem Widerstand fordern, nĂ€mlich Zivilcourage. #01:03:18.3#

Frank: Letztendlich ist dadurch die Forschung aktueller denn je. #01:03:22.8#

Steinbach: Ich glaube diese Forschung bleibt und wenn Sie einfach mal rumschauen, in der Welt, wenn Sie mal Fragen welche Gestalten deutscher Geschichte eigentlich fraglos akzeptiert werden, dann landen Sie sehr, sehr hĂ€ufig bei Regimegegnern. Ob das Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen von der Roten Kapelle, Dietrich Bonhoeffer, ob das Alfred Delp, der Jesuitenpater, ob das die Geschwister Scholl, ob das ein Johann Georg Elser ist, ob das ein Stauffenberg ist
 und da braucht man nicht nur einen Spielfilm mit Tom Cruise um ihn öffentlich bekannt zu machen — das war er schon vorher. Dann verkörpert sich da durchaus ein Geschichtsbild, dass auch andere in der eigenen EinschĂ€tzung von HandlungsspielrĂ€umen beeinflusst. Mandela ist ohne Bonhoeffer nicht denkbar. [
] Die Weiße Rose hat durchaus Widerstandsaktionen in Ost-/Mitteleuropa beeinflusst, den [???]berger Kreis. D.h. eigentlich können wir den Widerstand gegen den Nationalsozialismus nicht mehr interpretieren als ein wichtiges Ereignis des deutschen Nationalstaates, sondern es ist ein Versuch, vielleicht ein geringer Versuch der Deutschen, auch einen Beitrag zur Geschichte des Widerstands und der Menschenrechte zu leisten. Und da strahlt dieses Thema durchaus aus und beeinflusst andere. Und deshalb denke ich hat die Widerstandsgeschichte international auch solch eine hohe Reputation. Und fĂŒr mich ist das tröstlich, weil ich natĂŒrlich weiß, dass viele natĂŒrlich konkret aus den Horizonten und Verengungen ihrer Zeit handelten. Stauffenberg war nicht der lupenreine Demokrat, den wir auf dem Boden des Grundgesetzes sehen. Aber: Er verstand es, sich aufzulehnen. Er verstand es Unrecht zu erkennen. Er verstand es ein verbrecherisches Regime zu durchschauen. Das ist ja der allererste Schritt. Und wir haben inzwischen viele Beispiele: Martin Luther King, z.B., ohne Bonhoeffer nicht denkbar, wirklich nicht denkbar
 So und ich denke das ist ein weiteres Thema der Widerstandsgeschichte, im Grunde die Rezeption, der Auseinandersetzung mit dem Widerstand in den Blick zu nehmen. Und da bin ich eigentlich ganz froh, dass Sie mir die Möglichkeit geben, ein immer wichtiger werdendes Medium unserer politischen Kommunikation auch zu nutzen um fĂŒr dieses Anliegen zu werben. #01:06:56.6#

Ich glaube das Podcast eines der wichtigen Kommunikationsmedien wird, die wir haben, ein wichtiger Austausch, der ja auch zu hoffentlich dann Reaktionen und Kommentaren einlÀd und so eine Diskussion in Gang bringt. #01:07:19.5#

Frank: Ich danke Ihnen fĂŒr das GesprĂ€ch.