Neues Terrain   /     Der Langstock - Hilfsmittel oder Zauberstab?

Description

Ottmar Kappen, Trainer und Leiter von Sehwerk, und Christoph Erbach, Mobilitätstrainer bei Sehwerk, sind zu Gast bei Gerhard Jaworek vom Studienzentrum für Sehgeschädigte (SZS) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Thema der Folge ist der klassische Blindenstock oder Langstock. Jeder, der an blinde Menschen denkt, verbindet das meist mit dem robustesten und zuverlässigsten Hilfsmittel zur Orientierung, dem Langstock, den die blinde Person vor sich her pendelt beziehungsweise mit sich führt. Die Geschichte, dass sich blinde Menschen mit Stöcken orientieren, geht bis in das Mittelalter zurück. Es scheint Darstellungen zu geben, die Blinde mit Stock zeigen. Auf dem Gemälde „Zug der Blinden“, das auf um 1800 geschätzt wird, geht einer mit einem Stecken voraus und andere blinde Menschen folgen. Der klassische Langstock wurde in Frankreich von Guilly d’Herbemont entwickelt. In Deutschland hielt sich noch sehr lange bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein der weiße kurze Krückstock. Der Volksmund sagt heute noch „Das sieht ja ein Blinder mit dem Krückstock“… Hauptnachteil des Krückstocks ist die zu kurze Distanz, um auf Hindernisse reagieren zu können. Er diente auch eher der Kennzeichnung und weniger der Orientierung. Die Systematisierung der Benutzung des Langstockes erfolgte 1944 durch Richard Edwin Hoover. Der Stock sollte ungefähr bis zum Brustbein reichen. Bei Kindern, bzw. Personen, die sehr schnell unterwegs sind, etwas länger, um einen längeren Reaktionsweg zu erreichen. Erste Experimente wurden in den 70er Jahren mit Stativ-Beinen gemacht, die man weiß anstrich. Heute kommen häufig Hightech-Materialien zum Einsatz, wie man sie vom Outdoor-Bereich her kennt, beispielsweise Carbon, Aluminium und andere Leichtmetalle bis hin zum Flugzeugstahl. Die Machart des Stockes, also  wie viele Klappteile er besitzt, das Material des Stockes und auch der Spitze, legen fest, wie gut der Stock Bodeninformationen überträgt. Den Vorteil eines praktisch faltbaren Klappstocks erkauft man sich eventuell durch seinen dadurch eher dämpfenden Charakter und die dadurch etwas weichere und verwaschenere Informationsübertragung. Auch die Spitze ist hierfür sehr entscheidend. Eine starre unbewegliche überträgt mehr Information und gibt mehr Geräusch, was auch zur Auswertung der Umgebung genutzt werden kann, aber auf Kopfsteinpflaster bleibt man damit hängen. Oft kommen Rollspitzen zum Einsatz. Diese entlasten die Stockhand enorm. Sie drehen sich leider nicht in Laufrichtung. Die Rollspitze hat die Technik verändert. Bei starren Spitzen tippt man eher und bei Rollspitze verbleibt der Stock auf dem Boden. Es gibt im wesentlichen drei Typen von Langstöcken und Kombinationen davon: Der starre Langstock kann weder gefaltet, noch ineinander geschoben werden. Der Teleskop-Langstock. mit ihm kann die Länge variiert werden. Das kann beispielsweise dann sinnvoll sein, wenn man mal schneller und mal langsamer unterwegs ist. Der Faltstock. Von zwei bis sechs Teile, die durch einen Gummizug gehalten werden. Bei manchen Faltstöcken ist ein Glied als Teleskop ausgelegt, so dass man die Länge so auf 20 cm variieren kann. Den besten Stock gibt es nicht. Der muss gemeinsam mit den Trainern individuell gefunden werden. Manche setzen je nach Situation auch mehrere Stöcke ein. Für sehbehinderte Menschen gibt es kürzere Stöcke, die lediglich der Kennzeichnung dienen. Auch bei den Griffen gibt es inzwischen von der Krücke, dem Golfgriff, dem edlen Holzgriff alles, was man sich denken kann. Ein Langstock darf heutzutage auch schick, space-ig oder sonst wie gemacht sein. Über den Griff lässt sich ein Stock gut personalisieren. Jemand, der einen Stock mit sich führt muss nicht zwangsläufig vollblind sein. Hat er einen Röhrenblick, dann kann die Person eventuell noch ohne Brille lesen, sich aber nicht mehr mit dem kleinen Gesichtsfeld orientieren. Gesellschaftlich bedeutet Stock aber meistens Blindheit. Das macht den Start mit dem Langstock für Menschen mit einer schleichenden Erblindung oft schwer. Der Stock muss akzeptiert werden. Nur dann wird er seine Möglichkeiten voll entfalten. Er muss zum verlängerten Zeigefinger werden. Blinde Menschen haben, wenn sie sich alleine im Verkehr bewegen, eine Kennzeichnungspflicht. Der Stock ist neben der Armbinde, Signalleibchen auch ein akzeptiertes Zeichen. Deshalb sollten Walking- Ski- oder andere Stöcke, die keine Kennzeichnungs- oder Langstöcke sind, eigentlich nie weiß sein. Das Führgeschirr eines Führhundes dient auch als Verkehrsschutzzeichen und kennzeichnet auch die Seheinschränkung. Teil des O&M-Unterrichtes ist es auch, dass man sich ausreichend kennzeichnet, z. B. anhand der richtigen Stockhaltung in der richtigen Situation. So darf der Stock nicht in den Verkehr hinein ragen. Sehende sollten nie versuchen, dem pendelnden Stock durch einen Hochsprung auszuweichen. Stehen bleiben ist das beste. Dann stößt der Stock vielleicht mal an die Füße, was man aber kaum wahrnimmt. Viele verfallen in eine Art Starre. Das beste, wie schon gesagt, stehen zu bleiben und sich akustisch bemerkbar zu machen. Sehende erden oft nervös, wenn sie sehen, dass jemand mit Langstock auf ein Hindernis zusteuert und wollen warnen. Das ist gut gemeint, aber nicht immer hilfreich. Scheinbare Hindernisse sind für blinde manchmal sogar wichtige Orientierungs-Marken. Ich empfehle an dieser Stelle, wenn es sich nicht wirklich um ein gefährliches Hindernis, z. B. eine offene Grube oder so handelt, etwas Gelassenheit. Sollte die blinde Person tatsächlich in Schwierigkeiten geraten, bekommen Sie das schon mit, oder sie werden um Hilfe gebeten etc. Und wenn Sie rufen müssen, dann rufen Sie bitte auch den Grund ihrer Besorgnis dazu. „Achtung“ bringt nicht viel, weil für uns ein Hindernis erst dann existiert, wenn es mindestens in Reichweite des Langstockes ist. Was der Stock nicht kann, ist die Erkennung von Hindernissen, die nicht direkt am Boden beginnen, wie Kanten von Laderampen bei LKWs, Schranken und ähnliche in der Luft schwebende Hindernisse. Hierfür gibt es Geräte zum Oberkörperschutz. Basierend auf Infrarot, Laser oder beidem warnen diese vor derartigen Hindernissen, indem beispielsweise der Griff des Stockes vibriert. Ein Beispiel hierfür ist der Ultra Cane, oder die Fledermaus von Synphon, deren Prototyp auch hier zu hören ist. Wichtig ist an dieser Stelle, dass es sich hier lediglich nur um Zusatzgeräte handelt. Bisher ist es technisch nicht gelungen, den Stock zu ersetzen.

Summary

Ottmar Kappen, Trainer und Leiter von Sehwerk, und Christoph Erbach, Mobilitätstrainer bei Sehwerk, sind zu Gast bei Gerhard Jaworek vom Studienzentrum für Sehgeschädigte (SZS) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Thema der Folge ist der klassische Blindenstock oder Langstock. Jeder, der an blinde Menschen denkt, verbindet das meist mit dem robustesten und zuverlässigsten Hilfsmittel zur Orientierung, dem Langstock, den die blinde Person vor sich her pendelt beziehungsweise mit sich führt. Die Geschichte, dass sich blinde Menschen mit Stöcken orientieren, geht bis in das Mittelalter zurück. Es scheint Darstellungen zu geben, die Blinde mit Stock zeigen. Auf dem Gemälde „Zug der Blinden“, das auf um 1800 geschätzt wird, geht einer mit einem Stecken voraus und andere blinde Menschen folgen. Der klassische Langstock wurde in Frankreich von Guilly d’Herbemont entwickelt. In Deutschland hielt sich noch sehr lange bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein der weiße kurze Krückstock. Der Volksmund sagt heute noch „Das sieht ja ein Blinder mit dem Krückstock“… Hauptnachteil des Krückstocks ist die zu kurze Distanz, um auf Hindernisse reagieren zu können. Er diente auch eher der Kennzeichnung und weniger der Orientierung. Die Systematisierung der Benutzung des Langstockes erfolgte 1944 durch Richard Edwin Hoover. Der Stock sollte ungefähr bis zum Brustbein reichen. Bei Kindern, bzw. Personen, die sehr schnell unterwegs sind, etwas länger, um einen längeren Reaktionsweg zu erreichen. Erste Experimente wurden in den 70er Jahren mit Stativ-Beinen gemacht, die man weiß anstrich. Heute kommen häufig Hightech-Materialien zum Einsatz, wie man sie vom Outdoor-Bereich her kennt, beispielsweise Carbon, Aluminium und andere Leichtmetalle bis hin zum Flugzeugstahl. Die Machart des Stockes, also wie viele Klappteile er besitzt, das Material des Stockes und auch der Spitze, legen fest, wie gut der Stock Bodeninformationen überträgt. Den Vorteil eines praktisch faltbaren Klappstocks erkauft man sich eventuell durch seinen dadurch eher dämpfenden Charakter und die dadurch etwas weichere und verwaschenere Informationsübertragung. Auch die Spitze ist hierfür sehr entscheidend. Eine starre unbewegliche überträgt mehr Information und gibt mehr Geräusch, was auch zur Auswertung der Umgebung genutzt werden kann, aber auf Kopfsteinpflaster bleibt man damit hängen. Oft kommen Rollspitzen zum Einsatz. Diese entlasten die Stockhand enorm. Sie drehen sich leider nicht in Laufrichtung. Die Rollspitze hat die Technik verändert. Bei starren Spitzen tippt man eher und bei Rollspitze verbleibt der Stock auf dem Boden. Es gibt im wesentlichen drei Typen von Langstöcken und Kombinationen davon: 1. Der starre Langstock kann weder gefaltet, noch ineinander geschoben werden. 2. Der Teleskop-Langstock. mit ihm kann die Länge variiert werden. Das kann beispielsweise dann sinnvoll sein, wenn man mal schneller und mal langsamer unterwegs ist. 3. Der Faltstock. Von zwei bis sechs Teile, die durch einen Gummizug gehalten werden. (...)

Subtitle
Neues Terrain 12
Duration
1:03:25
Publishing date
2019-07-17 07:00
Link
https://www.terrain-projekt.de/neues-terrain-12-11-07-2019-der-langstock-hilfsmittel-oder-zauberstab/539
Contributors
  C. Erbach, O. Kappen & G. Jaworek
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Enclosures
http://www.terrain-projekt.de/wp-content/uploads/2019/07/neues-terrain-12-langstock-190708.mp3
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