Der Fußball entwickelte sich in der DDR weniger zentral als andere Sportarten und entwickelte im Laufe der Jahre ein System, dass die anfangs noch bevorzugten Betriebssportgemeinschaften später konsequent benachteiligte. Der 1. FC Union Berlin befand sich über die Jahre in einem streng hierarchischen System, in dem der Zugang zum Politbüro oder zu starken Trägerbetrieben über Wohlstand und Chancen von Clubs entschied. Dazu kam ein Überwachungsnetz durch das Ministerium für Staatssicherheit und Schiedsrichter, die zugunsten des BFC Dynamo oder Vorwärts Berlin Spiele manipulierten.
Die Sportvereine wurden von den Allierten als Träger der nationalsozialistischen Ideologie angesehen und im Prinzip direkt nach Kriegsende komplett verboten. Sie durften als Sportgruppen auf lokaler Ebene auftreten (SG). Wir kennen davon beispielsweise Hertha BSC, die als SG Gesundbrunnen agierten. Der SC Union Oberschöneweide firmierte als SG Oberschöneweide.
Für die sowjetische Besatzungszone lief das so ab, dass im Dezember der Alliierte Kontrollrat zum 1. Januar 1946 die Auflösung aller vor der Kapitulation Deutschlands bestehenden sportlichen, militärischen und paramilitärischen Organisationen verfügte. Nur auf lokaler Ebene durften Sportgemeinschaften gegründet werden.
Für die sowjetische Besatzungszone bedeutete der Beschluss die Zerschlagung und Enteignung der bürgerlichen Vereine. In den Westzonen konnten die Clubs sich bald neugründen. Im Osten wurden die Sportgemeinschaften von kommunalen Behörden und der Freien Deutschen Jugend geregelt. Mit den Gewerkschaftsgründungen ging der Sportbetrieb ähnlich wie in der Sowjetunion auf diese über.
Sport auf ProduktionsgrundlageDamit wurde sportliche Betätigung immer mehr nur dann möglich, wenn es eine betriebliche Anbindung gab. Aus den Sportgemeinschaften wurden mehr und mehr Betriebssportgemeinschaften und das hatte eine ideologische Begründung, wie dieser Ausschnitt aus der Leipziger Volkszeitung vom 16. Juli 1950 zeigt:
“Unsere Sportfreunde in der Sowjetunion und den Volksdemokratien haben längst erkannt, dass der schaffende Mensch mit seiner Arbeitsstätte untrennbar verbunden ist, dass über die Tätigkeit an der Werkbank, an der Maschine hinaus, sein kulturelles Erleben hier in der Gemeinschaft gepflegt werden muss, hier eine Heimstätte finden kann und wird. Darum die Umstellung der gesamten Sportorganisation in diesen Ländern auf den Betriebssport auf Produktionsgrundlage.”
Der Vorteil war natürlich auch dadurch gegeben, dass eine private Finanzierung des Sports nicht notwendig war, wenn sie über Betriebe finanziert wurden. Außerdem grenzte man sich so vom Nur-Sportlertum genannten Profisport im Westen ab. Zudem konnten die in Betriebssportgemeinschaften erfassten Werktätigen besser an die SED gebunden werden. Mit Gründung der DDR wurden die Sportgemeinschaft unter dem Kampagnen-Motto „Sport auf Produktionsgrundlage“ auf BSGs umgestellt. Das war allerdings kein harter Schnitt, sondern fand graduell statt. Sportgemeinschaften gab es bis zum Ende der DDR, allerdings nicht im Spitzenfußball. Dort ist in Berlin der vielleicht bekannteste Vertreter die SG Lichtenberg 47.
Jeder Erfolg einer BSG wurde als Bekenntnis zur sozialistischen Gesellschaft dargestellt. Sportgemeinschaften, die sich nicht bekannten, wurde im Umkehrschluss zu Feinden der demokratischen Sportbewegung erklärt. Um die Vereine straffer an das Regime zu binden, wurden Industriesportvereinigungen gegründet, die in sich die BSGs anschlossen. Die letztlich 18 Industriesportvereinigungen kennen wir bis heute durch ihre markanten Namen wie Chemie, Motor, Einheit, Rotation, Mechanik, Stahl, Turbine, Aktivist, Textil oder Lokomotive. Für den Breitensport war diese Entwicklung gut und darauf zielte das auch ab, doch neben den öden immergleichen Namen war diese Vereinheitlichung für den Spitzensport Gift.
Um den Spitzensport zu fördern wurden die Sportvereinigungen der bewaffneten Organe gegründet: Dynamo und Vorwärts. Dorthin wurden die guten Spieler abgeworben bzw. gezwungen.
1954/55 kam es zur Bildung der Sportclubs und 1965/66 Bildung der Fußballclubs, weshalb so viele Clubs in Ostdeutschland mit 1966 das gleiche Gründungsjahr haben.
Der Sonderweg des Fußballs in der DDRGenau diese Bildung der Fußballclubs zementierte den Sonderweg des Fußballs in der DDR, der sich nie komplett der zentralen Sportorganisation in der DDR fügte. Weder der Deutsche Turn- und Sportbund mit Chef Manfred Ewald noch der Deutsche Fußballverband konnten den Fußball komplett kontrollieren. Denn die Macht im Fußball lag bei den SED-Chefs der Bezirke, den 1. Sekretären der SED-Bezirksleitung. Von DTSB-Chef Manfred Ewald, der unter anderem deswegen ein distanziertes Verhältnis zum Fußball hatte, stammt folgendes Zitat:
„Früher gab es in Deutschland Kleinstaaterei und jeder kleine Fürst hielt sich sein Ballett. Heute unterhalten sie Fußballmannschaften.“
Jeder 1. Sekretär wollte seine BSG bzw. seinen SC oder FC stärken. Deshalb gab es irgendwann das Transferverbot als Beschluss, weil das den Bezirkssekretären ermöglichte, keinen Leistungsträger zu verlieren. Das Verbot war zwar von Manfred Ewald gewünscht, aber es stärkte die Bezirksfürsten noch mehr. Spielerwechsel waren nun nur möglich, wenn das jeweilige Team abstieg, dann konnten Wechsel von Kaderspielern der Nationalmannschaft vorgeschrieben werden, weil die in der Oberliga spielen sollten. Oder wenn Dynamo einen Spieler wollte.
Wollte hingegen ein Spieler zu einem anderen Verein wechseln, der nicht Dynamo war, konnte es sein, dass der Spieler einen Wechsel erlebte. Aber einen, den er nicht geplant hatte. Dann konnte es ganz schnell auf Betreiben des Bezirkssekretärs zur Armee gehen. Und damit war nicht gemeint, bei Vorwärts Fußball zu spielen und das als Wehrdienst zu bezeichnen.
Warum machten die Bezirkssekretäre das? Offiziell wurde häufig gesagt, die Leute würden besser und produktiver arbeiten, wenn der jeweilige Verein am Wochenende zuvor gut gespielt hatte. Dazu sagte Klaus Ullrich, früherer Sportchef des Neuen Deutschlands:
„Eines der beliebtesten Argumente für diese durch nichts zu begründende Einmischung in den Sport, die in krassen Fällen bis zum Mitreden bei der Aufstellung ging, lautete: ‚DerFußball ist von unübertroffener Massenwirksamkeit, und deshalb politisch so wichtig, dass man sich selbst darum kümmern müsse. Von den Resultaten, wurde oft genug behauptet, hänge sogar die Planerfüllung mit ab. Dieser Blödsinn wurde ernsthaft erörtert.“
Die Hierarchie der Fußballclubs in der DDRHanns Leske, auf dessen Forschung ich mich stütze und der unzählige hervorragende Bücher über den Fußball in der DDR veröffentlicht hat, ordnet die Mannschaften in eine sehr nachvollziehbare Hierarchie ein, die es ihnen je nach Rang ermöglichte, sich beim Nachwuchs zu bedienen und politische oder ökonomische Ressourcen zu aktivieren.
Diese Hierarchie entwickelte sich über die Zeit und war im Prinzip spätestens seit den Gründungen der FCs 1966 fest zementiert. Vorher gab es in den 50er Jahren noch eine Reihe von
Hier die Einordnung von Hanns Leske
1. Kategorie: Vereine der bewaffneten Organe
2. Kategorie: Vereine der bewaffneten Organe
3. Kategorie: FCs mit Politbüromitgliedern bzw. mit starken Trägerbetrieben
4. Kategorie: FCs ohne Politbüromitglieder
5. Kategorie: FCs ohne Politbüromitglieder
Union hatte zunächst die Unterstützung durch FDGB-Chef Herbert Warnke und wohl nur durch ihn den Status eines FCs überhaupt erhalten. Aber insgesamt war er bei der Staatsmacht der unbeliebteste Club und ein Verein, den Erich Mielke nicht mochte. Als Harry Tisch den FDGB übernahm hatte Union im Prinzip kaum noch Unterstützung und lebte von dem, was der BFC Dynamo an Spielern übrig ließ. Selbst die Unterstützung durch den 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Karl Naumann ging verloren, weil man sich bin so krasser Rivalität zum BFC befand. Der soll zu Heinz Werner gesagt haben:
„ Also ich verbrenne mir hier nicht an Union die Finger, um mich mit dem Minister, also Staatssicherheitsminister Erich Mielke, zu schlagen. Daran denke ich gar nicht. Ich habe wichtigere Dinge zu tun als das.“
Die 6. Kategorie sind BSG mit starken Trägerbetrieben (beispielsweise Chemie Leipzig, Wismut Aue, Energie Cottbus oder Sachsenring Zwickau) und die 7. Kategorie normale BSG (Stahl Brandenburg, Stahl Eisenhüttenstadt).
Die BSG stellten ursprünglich ja das ideologische Ziel der Sportorganisation der DDR dar. Durch den 1. Fußballbeschluss von 1970 wurden sie jedoch endgültig im Leistungsfußball degradiert. Das kam daher, dass sie durch ihre starken Trägerbetriebe teils höhere Prämien zahlten als FCs und sich gegenseitig lokal Talente abjagten und jegliche Beschlüsse für Leistungskonzentrationen ignorierten. In Schwerin machten sich beispielsweise Dynamo Schwerin, Motor Schwerin und die Inustriesportgemeinschaft Schwerin über 20 Jahre Talente abspenstig und verhinderten eine Entwicklung des Fußballstandorts. Auch dieser regionale Egoismus sollte zugunsten der FCs mit dem Fußballbeschluss beseitigt werden.
Das waren die Kernpunkte des Beschlusses:
Damit wurden einerseits den BSGen Fesseln angelegt. Aber andererseits startete danach der DDR-Fußball seine erfolgreichste Phase.
Die 8. Kategorie sind die 2. Mannschaften der Clubs der ersten 3 Kategorien und die 9. Kategorie BSG und 2. Mannschaften, die zwischen Liga und Bezirksliga pendelten.
Der 2. Fußballbeschluss von 19831982 schieden alle DDR-Teams in der ersten Europokalrunde aus, was zum zweiten Fußballbeschluss führte, der am 13. April 1983 verabschiedet wurde. Der setzte allerdings nicht bei der Oberliga an und beseitigte nicht die Ungleichheit zwischen FCs und BSG. Er sollte die Talentausbildung mehr in den Fokus nehmen und reformierte die zweitklassige Liga.
Das waren die Beschlüsse:
Die Liga sollte also ein leistungsstarker Unterbau der Oberliga werden und dort Fußballer für die Oberliga entwickeln. Das Unternehmen scheiterte im Prinzip komplett. Denn die BSG standen nun nicht nur FCs gegenüber, die mal abstiegen, sondern nun auch den zweiten Mannschaften der großen FCs. Die Liga wurde immer unattraktiver. 1989 wurde der Teil des Beschlusses mit den 2. Mannschaften in der Liga aufgehoben. Richtige Erfolge zeitigte der Beschluss letzten Endes nicht.
Der Fußball unter Kontrolle der StaatssicherheitAus Angst vor Sportspionage und Abwerbung, sprich Republikflucht, hatte Erich Mielke schon 1963.einen Befehl unterzeichnet, der die Überwachung von Sportlern, Funktionären, Trainern und Journalisten zum Ziel hatte. Anlass waren die Olympischen Spiele 1964 in Innsbruck und Tokio. 1971 wurde mit der Dienstanweisung 4/71 die flächendeckende Überwachung des Leistungssports beschlossen.
Alle Sportler mit Reisen ins NSW wurden erfasst und quasi automatisch zu Objekten operativer Maßnahmen (operative Personenkontrollen und zentrale operative Vorgänge). Darin sollten Erkenntnisse gewonnen werden über die Zielpersonen. Zum Beispiel über die …
Im Prinzip wurde ein komplettes Personenprofil von Sportlern gezeichnet, das ständig ergänzt, bestätigt und aktualisiert wurde. Reisekader ins NSW wurden jährlich überprüft.
Aus der Struktur des Sports ist klar, dass diese Überwachung nicht allein durch Mitarbeiter der Staatssicherheit erledigt werden konnte. Der Geheimdienst benötigte Unmenge an inoffiziellen MItarbeitern. Gezielt wurden junge Talente mit Oberligaperspektive angesprochen und junge Trainer.
Motivationen für eine Verpflichtung waren für IMs:
Besonders wichtig waren Personen, die mit vielen in Kontakt kamen, wie beispielsweise Masseure. Mal ein besonderes Beispiel, wie das aussah bei einem Team, das Europapokal spielte, nämlich Dynamo Dresden unter Trainer Eduard Geyer. Da spitzelten für das Ministerium für Staatssicherheit folgende Personen:
Das waren nicht alles Top-Spitzel, sondern die Qualität schwankte sehr stark aus Sicht der Staatssicherheit. Aber es war ein richtiges Netz, das da gespannt war. Es konnte auch vorkommen, dass ein Spieler bei einer Auslandsreise auf einen anderen angesetzt war und die Zielperson die gleichen Instruktionen bekommen hatte, so dass beide sich gegenseitig ohne es zu wissen gegenseitig observierten.
Im Schnitt war ein Drittel eines Kaders IM der Staatssicherheit. Bei regelmäßigen Europacupteilnehmern mehr und bei anderen, unbedeutenderen Clubs weniger.
SchiedsrichtermanipulationenÜber Jahre wurden durch Schiedsrichter die Clubs Vorwärts Berlin und BFC Dynamo bevorteilt. Bis heute lässt sich kein schriftlicher Befehl dafür finden. Es wird vermutet, dass das von den Schiedsrichtern gemacht wurde, um sich bei Dynamo einzuschmeicheln und Vorteile zu erlangen (Reisekader werden beispielsweise). Denn die Schiedsrichterkommission wurde vom BFC dominiert.
Als der Leipziger Karl Zimmermann Generalsekretär des DFV wurde, gab es eine interne Auswertung der Saison 1984/85 und Schiedsrichter wurden sehr milde gesperrt (Prokop erhielt zwei Spiele Sperre für internationale Partien und andere wurden nicht mehr bei Spielen von BFC, Lok oder Dresden eingesetzt). Der Jenaer Schiedsrichter Bernd Stumpf pfiff 1986 in der 95. Minute noch einen „Schandelfmeter“ genannten Strafstoß, der dem BFC den Ausgleich zum 1:1 ermöglichte. Mit Unterstützung von Honecker und Krenz wurde Stumpf auf Dauer gesperrt.
Es gab unter den Schiedsrichtern nicht nur IMs wie bei den Spielern, sondern auch direkte Mitarbeiter des MfS. Der bekannteste dürfte Adolf Prokop sein, der OibE war, Offizier im besonderen Einsatz. Das waren hauptamtliche MfS-Mitarbeiter, die im Alltag komplett andere Jobs machten. Bekanntester OibE ist Alexander Schalck-Golodkowski, der im Bereich Kommerzielle Koordinierung des Außenhandels arbeitete.
Daniel Roßbach | |||
Sebastian Fiebrig |