Den Moment bei der FrauenĂ€rztin, beide Beine weit gespreizt und eines der intimsten Körperteile entblöĂt, den fand ich schon immer etwas unangenehm, besonders als Jugendliche. Als ich 18 Jahre alt war, war ich mal wieder in genau dieser unangenehmen Situation. Seit vier Monaten war meine Periode ausgeblieben, an den Besuch bei der GynĂ€kologin fĂŒhrte kein Weg mehr vorbei. »Kein Wunder kriegen Sie ihre Periode nicht mehr, Sie sind viel zu dĂŒnn«, quĂ€kte mich die Ărztin an. »Kriegen Sie besser jetzt Kinder, sonst wird das nichts mehr.« Ich war geschockt. Laut BMI war ich weder unter-, noch ĂŒbergewichtig. Ich war gerade dabei das Abitur zu machen. Ein Kind zu bekommen kam mir in diesem Lebensabschnitt unpassend vor. Damit ich wieder eine Blutung bekomme, bekam ich ein Rezept fĂŒr die Pille in die Hand gedrĂŒckt. Ich war irritiert.
Nach etwa eineinhalb Jahren war ich von den starken Nebenwirkungen der Pille genervt und hatte sieben Kilo mehr auf der Waage. Ich wollte endlich wissen, was fĂŒr eine Zyklusstörung ich hatte und beantragte bei meiner GynĂ€kologin meine Patientinnenakte, um die Praxis zu wechseln. Da stand es dann ganz fett auf dem Befund: polyzystisches Ovarialsyndrom, kurz PCOS. Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Nach Recherche, Arztbesuchen und einem Termin in der sogenannten »Kinderwunschabteilung« eines UniversitĂ€tsklinikums begann ich zu verstehen, was da alles dranhĂ€ngt: PCOS ist eine Hormonstörung, die schĂ€tzungsweise fĂŒnf bis zehn Prozent aller cis Frauen im gebĂ€rfĂ€higen Alter haben. Gesprochen wird darĂŒber kaum, vielleicht auch weil die Symptome nicht ins gĂ€ngige Repertoire eines Small Talks passen: Pickel, fettige Haut, zu wenig Haare auf dem Kopf, dafĂŒr zu viele am Körper und im Gesicht, Gewichtszunahme, einen seltenen Eisprung und somit unter UmstĂ€nden auch Unfruchtbarkeit.
Die medizinische ErklĂ€rung ist komplex. MĂ€nnliche Hormone werden in den Eierstöcken ĂŒberproduziert, deshalb kommt es verzögert oder gar nicht zur Eizellreifung, was sich wiederum auf den Eisprung auswirkt. AuĂerdem gibt es einen ganzen Pool an Begleiterscheinungen wie beispielsweise SchilddrĂŒsenunterfunktion oder Insulinresistenz, was sich wiederum auf das Körpergewicht auswirkt. Viele von PCOS betroffene Frauen sind deshalb ĂŒbergewichtig. Ich bin nicht ĂŒbergewichtig, muss aber stĂ€ndig auf meine ErnĂ€hrung achten. Medizinische Beratung zu bekommen ist schwierig. Das verwundert mich immer wieder aufs Neue. Von allen GynĂ€kologinnen, bei denen ich bisher wegen PCOS war, habe ich ein Pillenrezept in die Hand gedrĂŒckt bekommen. Mehr könne man eben nicht machen. Und das, obwohl ich jedes Mal betont habe, dass ich die Antibabypille nicht vertrage. Wie mir geht es vielen anderen jungen Frauen. In den letzten Jahren hat die Zahl an Onlineforen oder PCOS-Bloggerinnen enorm zugenommen. Betroffene beraten sich gegenseitig und teilen ihr Wissen. FĂŒr stolze Preise werden Seminare und E-Books angepriesen, geschrieben von Betroffenen meist ohne medizinische Ausbildung.
Ich wundere mich sehr, wie wenig diese weit verbreitete Frauenkrankheit von unserem Gesundheitssystem beachtet wird, dann aber von GeschĂ€ftsfindigen als Einkommensquelle umfunktioniert wird. Mit einer ErnĂ€hrungsumstellung und einigem Wissen ĂŒber PCOS lĂ€sst sich die IntensitĂ€t mindern. Deswegen finde ich, dass jede Betroffene als Krankenkassenleistung ein Anrecht auf Informationen haben sollte und darauf, mehr als nur ein Pillenrezept in die Hand gedrĂŒckt zu bekommen.