QUEERKRAM   /     Luca Renner und Alfonso Pantisano ĂŒber Aktivismus zwischen nett und radikal

Description

Luca Renner und Alfonso Pantisano sprechen ĂŒber den Spagat zwischen Aktivismus und Realpolitik, Queerfeindlichkeit in linken Parteien und die Frage, wo die GesprĂ€chsbereitschaft endet. Zu den sehr deutschen Besonderheiten der LGBTI-Bewegung gehört, dass sich nicht wenige ihrer bekannten Vertreter*innen parallel und an ebenso herausragender Stelle in Parteien engagieren. Der queere Marsch durch die Ortsvereine und KreisvorstĂ€nde hat nicht nur Vorteile. Ohne die Verdienste der fleißigen Aktivist*innen mit Parteibuch zu schmĂ€lern: Manchmal können sie ihre jeweiligen HĂŒte nicht auseinanderhalten und verlieren bei Bewertungen gelegentlich das Augenmaß. Wie schwer der Spagat zwischen queerem Aktivismus und zĂ€her Realpolitik (nicht nur) in den Parteien ist, darĂŒber redet Johannes Kram in einer neuen QUEERKRAM-Folge mit Luca Renner und Alfonso Pantisano. Renner ist eine von vier Bundessprecher*innen von Die Linke.queer und seit 2016 Mitglied des ZDF-Fernsehrats, Pantisano macht als Landesvorsitzender der SPDqueer in Berlin und Mitglied des LSVD-Bundesvorstands oft von sich reden. Beide Aktivist*innen sind dafĂŒr bekannt, radikale Forderungen zu stellen und kein Blatt vor den Mund zu nehmen, gleichzeitig scheuen sie auch nicht den Dialog und wissen die Erfolge einer Politik der kleinen Schritte zu schĂ€tzen. Das Versprechen in der ZDF-SelbstverpflichtungserklĂ€rung 2021/2022, verstĂ€rkt auch die queere gesellschaftliche Vielfalt abzubilden, sieht Renner etwa als Erfolg ihres jahrelangen Nachbohrens. Pantisano plaudert sehr spannend aus dem NĂ€hkĂ€stchen, wie er den frĂŒheren Berliner Innensenator Andreas Geisel dazu gebracht habe, das Thema HasskriminalitĂ€t gegen queere Menschen auf die Tagesordnung der Landesinnenministerkonferenz zu setzen. Er habe seinen Parteifreund bei einer Veranstaltung einfach auf das Thema angesprochen und sei zunĂ€chst freundlich abgebĂŒgelt geworden, berichtet er im Podcast. Erst als er einen kleinen Wutausbruch bekommen habe, sei Geisel der Ernst des Themas bewusst geworden. Kurz darauf spĂ€ter habe er tatsĂ€chlich einen Anruf bekommen. Im GesprĂ€ch mit Johannes Kram geht es natĂŒrlich auch um Wolfgang Thierse und Sahra Wagenknecht, um Queerfeindlichkeit in den eigenen Parteien. „Die SPD darf noch lernen, wie das Thema SolidaritĂ€t neu definiert wird“, rĂ€umt Alfonso Pantisano ein, sieht jedoch insgesamt keine queerfeindliche SPD-Kultur. Gegner*innen von LGBTI-Rechten gebe es auch bei den GrĂŒnen. In der Linken sei der Kampf gegen LGBTI-Feindlichkeit schwieriger als in der SPD, meint Luca Renner ĂŒberraschend selbstkritisch. Im Podcast nennt sie die GrĂŒnde und verrĂ€t auch, wie Die Linke.queer auf das jĂŒngste LĂ€stern von Gregor Gysi ĂŒber geschlechtergerechte Sprache reagieren will. Immer wieder geht es um den vielbeschworenen Dialog. Kann man den Einfluss des Vatikans bekĂ€mpfen und gleichzeitig mit einem Vertreter der katholischen Kirche befreundet sein? Wie ernst mĂŒssen wir irrationale Ängste vor dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz nehmen? „Politiker*innen muss man nichts mehr erklĂ€ren“, sagt Pantisano zu den Grenzen der Diskussionsbereitschaft, die politische Debatte ĂŒber das Transsexuellengesetz werde schließlich schon seit Jahren gefĂŒhrt. „Wenn aber Nachbar*innen Fragen haben, beantworte ich sie gern.“ Renner, selbst nichtbinĂ€r und mit „Sisterhood, not cisterhood“-T-Shirt im Tonstudio erschienen, mahnt ebenfalls zur Eile. „Die Mehrheiten sind da, das Selbstbestimmungsgesetz gehört jetzt verabschiedet.“ Den heftigen Widerstand gegen ein Selbstbestimmungsgesetz erklĂ€rt Alfonso Pantisano it mit Angst vor Machtverlust. „Sie wollen weiter diskriminieren, sie wollen keine Kontrolle abgeben“, sagt der LSVD-Bundesvorstand ĂŒber die Gegner*innen, die sich selbst bei der SPDqueer fĂ€nden. „Immer Ă€lter werdende schwule MĂ€nner verlieren manchmal, so glauben sie es jedenfalls, ihre Deutungshoheit ĂŒber das queere Leben, weil plötzlich andere Themen wichtiger werden als sie selbst.“ Micha Schulze, queer.de 23.07.2022

Subtitle
Duration
4051
Publishing date
2022-07-23 07:00
Link
https://queerkram.podigee.io/38-neue-episode
Contributors
  Johannes Kram prĂ€sentiert von queer.de
author  
Enclosures
https://main.podigee-cdn.net/media/podcast_20234_queerkram_episode_823310_luca_renner_und_alfonso_pantisano_uber_aktivismus_zwischen_nett_und_radikal.mp3?v=1658510360&source=feed
audio/mpeg

Shownotes

Luca Renner und Alfonso Pantisano sprechen ĂŒber den Spagat zwischen Aktivismus und Realpolitik, Queerfeindlichkeit in linken Parteien und die Frage, wo die GesprĂ€chsbereitschaft endet.

Zu den sehr deutschen Besonderheiten der LGBTI-Bewegung gehört, dass sich nicht wenige ihrer bekannten Vertreterinnen parallel und an ebenso herausragender Stelle in Parteien engagieren. Der queere Marsch durch die Ortsvereine und KreisvorstĂ€nde hat nicht nur Vorteile. Ohne die Verdienste der fleißigen Aktivistinnen mit Parteibuch zu schmĂ€lern: Manchmal können sie ihre jeweiligen HĂŒte nicht auseinanderhalten und verlieren bei Bewertungen gelegentlich das Augenmaß.

Wie schwer der Spagat zwischen queerem Aktivismus und zĂ€her Realpolitik (nicht nur) in den Parteien ist, darĂŒber redet Johannes Kram in einer neuen QUEERKRAM-Folge mit Luca Renner und Alfonso Pantisano. Renner ist eine von vier Bundessprecher*innen von Die Linke.queer und seit 2016 Mitglied des ZDF-Fernsehrats, Pantisano macht als Landesvorsitzender der SPDqueer in Berlin und Mitglied des LSVD-Bundesvorstands oft von sich reden.

Beide Aktivist*innen sind dafĂŒr bekannt, radikale Forderungen zu stellen und kein Blatt vor den Mund zu nehmen, gleichzeitig scheuen sie auch nicht den Dialog und wissen die Erfolge einer Politik der kleinen Schritte zu schĂ€tzen. Das Versprechen in der ZDF-SelbstverpflichtungserklĂ€rung 2021/2022, verstĂ€rkt auch die queere gesellschaftliche Vielfalt abzubilden, sieht Renner etwa als Erfolg ihres jahrelangen Nachbohrens.

Pantisano plaudert sehr spannend aus dem NĂ€hkĂ€stchen, wie er den frĂŒheren Berliner Innensenator Andreas Geisel dazu gebracht habe, das Thema HasskriminalitĂ€t gegen queere Menschen auf die Tagesordnung der Landesinnenministerkonferenz zu setzen. Er habe seinen Parteifreund bei einer Veranstaltung einfach auf das Thema angesprochen und sei zunĂ€chst freundlich abgebĂŒgelt geworden, berichtet er im Podcast. Erst als er einen kleinen Wutausbruch bekommen habe, sei Geisel der Ernst des Themas bewusst geworden. Kurz darauf spĂ€ter habe er tatsĂ€chlich einen Anruf bekommen.

Im GesprĂ€ch mit Johannes Kram geht es natĂŒrlich auch um Wolfgang Thierse und Sahra Wagenknecht, um Queerfeindlichkeit in den eigenen Parteien. „Die SPD darf noch lernen, wie das Thema SolidaritĂ€t neu definiert wird“, rĂ€umt Alfonso Pantisano ein, sieht jedoch insgesamt keine queerfeindliche SPD-Kultur. Gegner*innen von LGBTI-Rechten gebe es auch bei den GrĂŒnen. In der Linken sei der Kampf gegen LGBTI-Feindlichkeit schwieriger als in der SPD, meint Luca Renner ĂŒberraschend selbstkritisch. Im Podcast nennt sie die GrĂŒnde und verrĂ€t auch, wie Die Linke.queer auf das jĂŒngste LĂ€stern von Gregor Gysi ĂŒber geschlechtergerechte Sprache reagieren will.

Immer wieder geht es in der neuen QUEERKRAM-Folge um den vielbeschworenen Dialog. Kann man den Einfluss des Vatikans bekĂ€mpfen und gleichzeitig mit einem Vertreter der katholischen Kirche befreundet sein? Wie ernst mĂŒssen wir irrationale Ängste vor dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz nehmen?

„Politikerinnen muss man nichts mehr erklĂ€ren“, sagt Pantisano zu den Grenzen der Diskussionsbereitschaft, die politische Debatte ĂŒber das Transsexuellengesetz werde schließlich schon seit Jahren gefĂŒhrt. „Wenn aber Nachbarinnen Fragen haben, beantworte ich sie gern.“ Renner, selbst nichtbinĂ€r und mit „Sisterhood, not cisterhood“-T-Shirt im Tonstudio erschienen, mahnt ebenfalls zur Eile. „Die Mehrheiten sind da, das Selbstbestimmungsgesetz gehört jetzt verabschiedet.“

Den heftigen Widerstand gegen ein Selbstbestimmungsgesetz erklĂ€rt Alfonso Pantisano im Podcast mit Angst vor Machtverlust. „Sie wollen weiter diskriminieren, sie wollen keine Kontrolle abgeben“, sagt der LSVD-Bundesvorstand ĂŒber die Gegner*innen, die sich selbst bei der SPDqueer fĂ€nden. „Immer Ă€lter werdende schwule MĂ€nner verlieren manchmal, so glauben sie es jedenfalls, ihre Deutungshoheit ĂŒber das queere Leben, weil plötzlich andere Themen wichtiger werden als sie selbst.“

Johannes Kram hat zwei aufrichtige Aktivistinnen zu Gast, denen man in diesem klaren und lebendigen Podcast ganz bestimmt nicht den Vorwurf machen kann, Parteisoldatinnen zu sein. Schauen wir mal, was ihre Genoss*innen zum Podcast sagen


Micha Schulze, queer.de 23.07.2022

HintergrĂŒnde und Informationen zum Podcast-GesprĂ€ch:

In der Diskussion bringt Johannes Kram eine nicht-genannte Studie zur Sprache, nach der Queerfeindlichkeit unter SPD-AnhÀnger*innen Àhnlich hoch sei wie unter denen der CDU.

Hier die nachgefĂŒgte Hintergrund: Gemeint ist die von der SPD-nahen Friedrich Ebert im Juni 2021 herausgegebene Studie "Die geforderte Mitte", die hier bestellt werden kann. In dieser Studie werden queerfeindliche Ansichten als "Antigenderismus" beschrieben.

In der Studie heißt es dazu auf Seite 258:

"Unter Befragten, die angegeben haben, bei der nĂ€chsten Bundestagswahl BĂŒndnis 90/Die GrĂŒnen wĂ€hlen zu wollen, findet sich kaum Zustimmung zum Antigenderismus (3,3 %), wĂ€hrend er unter Befragten mit einer PrĂ€ferenz fĂŒr die CDU/CSU (9,7 %), die FDP (13,9 %), aber auch fĂŒr Die Linke (6,3 %) etwas verbreiteter ist. Bemerkenswert sind die vergleichsweise höheren Zustimmungen unter erklĂ€rten SPD- und NichtwĂ€hlerinnen, die beide mit rund 14 % und 15 % vermehrt eine Anti-Gender-Auffassung teilen. Hier scheint der identitĂ€tspolitische Diskurs eines »Entweder/oder« der sozialen StĂ€rkung einfacher Arbeiterinnen und des Schutzes von Minderheiten zutage zu treten. Noch hĂ€ufiger sind potenzielle WĂ€hler_innen der AfD der Ansicht, Frauen wĂŒrden durch die Gleichberechtigung ĂŒbervorteilt, MĂ€nner benachteiligt und die Thematisierung von sexueller Vielfalt störe Kinder in ihrer Entwicklung (22,2 %)".

BeitrĂ€ge von Johannes Kram im Nollendorfblog zu Wolfgang Thierses problematischen Äußerungen zu queeren Themen.

Auch zur Queefeindlichkeit von Sahra Wagenknecht gibt es ein Dossier im Nollendorfblog.