Im Gespräch mit Psychologin Christina Beran über Prokrastination, vulgo Aufschieberitis, zuviel Input und Strategien, sich selbst zu überlisten. Und über die Wichtigkeit der Langeweile für kreatives Arbeiten. [Tonverbesserte Wiederholung der Folge 24 vom 3.4.2018]
Machbar. Nicht perfekt.
Im Gespräch mit Psychologin Christina Beran über Prokrastination, vulgo Aufschieberitis, zuviel Input und Strategien, sich selbst zu überlisten. Und über die Wichtigkeit der Langeweile für kreatives Arbeiten. [Tonverbesserte Wiederholung der Folge 24 vom 3.4.2018]
Christinas Buch: Machbar. Gut gegen Aufschieben.
Christina auf Twitter
beran-psychologie.at
Prokrastination
griechisch: fĂĽr morgen
aka: Aufschieberitis
gibt es schon länger
im Faust
bei griechischen Philosophen
Aber warum wird es immer aktueller und brisanter?
Digitalisierung
Der Teil des Gehirns, der dafĂĽr verantwortlich ist, dass wir uns leicht ablenken lassen, bekommt sehr einfach immer neues Futter.
Astrid Lindgren: »Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schauen.«
Wenn wir zu viele Inputs bekommen, läuft unser Gehirn auf einer Ebene, die nur Automatismen produziert.
Tipp: Das Areal, wo Kreativität und Konzentration zu Hause ist, braucht Ruhe und Abschalten.
Connectivity ist das Gegenteil.
Jedes Medium, das wir lang verwenden, verändert die Art, wie wir denken. Es wird zu einem Fortsatz unserer Selbst, Wir sind zu einem Teil der Digitalisierung geworden, nicht umgekehrt.
»Sofortness« / Geschwindigkeit der Geräte und der Technologie
Die Menschen passen sich den neuen Gegebenheiten an. Als Zeitungen kamen, waren allenur noch am Zeitung lesen, als Radios kamen, alle am Radio hören und jetzt ist es das Internet mit Smartphones, die wir nicht mehr aus der Hand legen.
Aber schon Sokrates hat sich bereits über Platon beschwert, weil der diese neumodische Erfindung des Aufschreibens benutzt hat! Es wird alles ganz katastrophale Auswirkungen auf die Gedächtnisleistung haben!
Aufschreiben hat die Art, die Autoren sich an ihre Leserschaft wenden, völlig verändert! Bibliotheken waren eine Anreihung von kleinen Hütten (wie Telefonzellen), worin sich die Leser die langen Papyrusrollen – ohne Satzzeichen oder Abstände – laut vorgelesen haben. Leise lesen war die absolute Ausnahme. Als Satzzeichen erfunden wurden, wurde das laute, rhythmische Vorlesen dann überflüssig.
Und das hat auch die Beziehung von Autor und Leserschaft verändert, denn plötzlich war Lesen etwas sehr Intimes, Leises. Der Kontakt war plötzlich »unter uns«, ohne Öffentlichkeit und ganz andere Dinge konnten geschrieben werden.
Jede intellektuelle Technologie verändert das Denken der Menschen, weil sich das Gehirn entlang seiner Nutzung entwickelt.
Ăśber Christina:
Psychologin mit bunter Biographie
StraĂźen Sozialarbeit / Streetworkerin
Strukturwandel der Arbeit
»Viel machen« kennen Menschen im Kreativbereich auch. Wissenschaft ist auch kreativ!
Psychologie ist eine Kellerwissenschaft.
Neurowissenschaften boomen, weil bildgebende Methoden da sind. Menschen beim Denken zusehen. Wie funktioniert denn Aufmerksamkeit, wie leichte Ablenkung und wie kann man dies direkt im Gehirn beobachten.
Ziele setzen braucht relative Ruhe, diese auch durchzuziehen und sich zu konzentrieren.
Wir haben ein Grundbedürfnis nach Verbundenheit und Potentialentfaltung – gleichzeitig.
Aufgabengebiete, die Menschen gern prokrastinieren:
zu Langweiliges
zu Schwieriges / zu GroĂźes, zu Diffuses, Dinge wo man nicht weiĂź, wie man sie angehen soll
Dinge, über die man nicht die Autonomie hat (Steuererklärung, etc.)
Beim BĂĽcherschreiben: Autor*innen haben sowohl die Autonomie, es ist auch nicht langweilig, schwierig ist es an sich auch nicht, aber wir Autor*innen prokrastinieren trotzdem.
Möglicherweise liegt es an der Einsamkeit des Schreibens. Sich konzentrieren und Aufmerksamkeit aufbringen ist eine Frage von Energie. Unsere Energiereserven für Kreativität, Aufmerksamkeit und Konzentration sind begrenzt.
Bessere und schlechtere Zeiten fĂĽr verschiedene zu erledigende Aufgaben im Tagesverlauf.
Nachtigallen und Eulen
später Vormittag und Nachmittag haben wir Spitzen, und dann ab 20:00 noch einmal für ca. 2h.
In der FrĂĽh gleich die Zeit nĂĽtzen und keine eMails oder Social Media lesen, das raubt die Energie!
Frisch verliebt ist auch nicht gut für die Konzentration oder Kreativität!
Tipp: Ein Ritual draus machen! Wiederholung, Gewohnheit, Bahnungen im Gehirn! Am besten abends vor’m Zuklappen des Notebooks gleich noch das Schreibprogramm starten und das Internet anschalten, dass in der Früh nichts mehr dazwischenkommen kann.

Tipp: Benachrichtigungen am Rechner und am Telefon abschalten.
Tipp: Hyperlinks im Fließtext sind ein Absaugen von Energie von Aufmerksam und Energie, da eine Entscheidung vom Leser gefordert ist, ob er dem Link nachgehen möchte oder nicht. Fußnoten sind sinnvoller.
Das Gehirn entwickelt sich entlang seiner Nutzung und wenn man sich oft ablenken lässt und auf viele unterschiedliche, bunte Signale reagiert, wird man gut darin, sich ablenken zu lassen, aber nicht darin, sich zu konzentrieren, denn dafür wurde das Gehirn ja nicht genutzt.
Ein durchschnittlicher Mann um 1850 hatte in seinem ganzen Leben weniger Impulse zu verarbeiten als wir an einem einzigen Tag. Wir lernen dazu und das Gehirn ist gemacht, um Probleme zu lösen. Wir sind auch dazu gemacht, dass wir auf Ablenkungen reagieren. Sich zu konzentrieren oder ein Buch zu lesen ist nicht genetisch veranlagt, sondern eine Kulturleistung, die man lernen und üben muss. Und das geht verloren.
Das können wir alle selbst beeinflussen. Beim Öffis Fahren eher ein Buch lesen, statt Social Media durchschauen oder komprimierte Beiträge konsumieren.
Die Herausforderung ist, das Umfeld und den Kontext so zu gestalten, dass es gelingt.
Fehlende Sinnhaftigkeit ist ein weiteres Element, die uns Dinge prokrastinieren lässt.
Tipps:
– Termine setzen
– Öffentlich erklären, dass man etwas tun möchte
– Meilensteine setzen
– Accountability Buddies
Gamification ist eine Frage der Persönlichkeitsstruktur. Wenn man ein Freund der eigenen Autonomie ist, findet man das nicht so super.
Auch Navis greifen in die eigene Autonomie ein und es gehen (Gehirn)fähigkeiten verloren. Use it or lose it! Besser vorher den Weg auf der Landkarte raussuchen, das wirkt sich auf das Gehirn positiv aus.
Ich persönlich mag Straßenschilder.
Motivation – Inspiration und Begeisterung kommt von innen!
Schreiben ist ein schmerzhafter Prozess, weil wir Energie dafĂĽr verbrauchen.
Tipps:
– Große Dinge zerlegen. Je abstrakter und diffuser eine Unternehmung ist ist, umso konkreter sollte man Sachen in Scheibchen schneiden.
– Wenn man etwas überhaupt gar nicht angreifen möchte, kann man sich wie die Katze um den heißen Brei annähern. Erst einmal Randaufgaben erledigen. Beispiel Buchhaltung: hübscher gestalten, Papiere zusammensammeln, in einen Ordner geben statt wild verteilt (Rundablage), … – In einer Schneckenbewegung zum Zentrum vortasten.
– Zeit gut nützen, die man hat! Man hat nur begrenzte Energie zur Verfügung!
– Die Umgebung so gestalten, dass die Ablenkungen weniger werden, dass die Verfügbarkeit schwieriger ist. Vllt zwei unterschiedliche Accounts am Rechner – einen nur für die Arbeit, wo keine Möglichkeiten zu spielen.
– Wenn etwas zu langweilig ist, den Schwierigkeitsgrad erhöhen!
– Öffentlich machen und Nachfrage von außen schaffen.
– Arbeiten, wo man nicht alleine ist – Kaffeehaus, Bibliothek, …
– Schreiben und Überarbeiten/Kritisieren zu unterschiedlichen Zeiten
Andere Umgebungen simulieren durch andere Geräuschkulissen mit Noisly & Co.
Aber oft fehlt tatsächlich die menschliche Verbundenheit.
Unterschiedliche Areale im Hirn fĂĽr Schreiben per Hand, an der Tastatur oder diktieren?
Was griffiger ist, mehr mit Begreifen zu tun hat, je mehr Sinne involviert sind, umso sinnlicher wird es. Es macht einen Unterschied, mit welchem Medium man schreibt. Es prägt die Sprache und den Stil, weil unterschiedliche Areale aktiv sind.
Dinge, die schon einmal funktioniert haben, macht das Gehirn wieder. Die eigene Erfolgsstruktur wird vom Gehirn immer wiederholt. Kehrseite: Wenn man schon erfolgreich prokrastiniert hat, lernt das Gehirn diese Strukturen und wiederholt sie, weil es nicht unterscheidet in positiv oder negativ. Es lernt einfach. Und die Frage ist, was man ihm fĂĽttert.
FĂĽr Ruhe sorgen, Stress, Druck, Unsicherheit vermeiden, sonst kann man keine Standortbestimmung machen und den Kompass auch nicht stellen, wohin es gehen soll.
Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem.
Mein übliches Umsetzungsproblem liegt im Überarbeiten. Wenn ich einen Text geschrieben habe, ist der für mich bereits »erledigt«, warum soll ich mich schon wieder damit beschäftigen?
Christinas Tipp: in einen Sinnzusammenhang stellen, was ist der Sinn hinter der Arbeit? Es müsste emotional berühren und wenigstens ein bisschen begeistern, dass man den Sinn dahinter erkennt. Die Karotte des veröffentlichten Buchs könnte schon ziehen.
Die Belohnung, etwas erledigt/abgeschlossen zu haben, ist ja auch ein Punkt.
Aber: enn man sich lang mit etwas beschäftigt hat, gehört es zu einem dazu. Maler haben das oft mit Werken, an denen sie lang gearbeitet haben. Es ist ein Trennungsschmerz.
Es ist eine Erfahrung, etwas abzuschlieĂźen und etwas zu erreichen. es werden GlĂĽckshormone ausgeschĂĽttet. Die Erfahrung, dass man auf sich selbst vertrauen kann, hilft einem dann wieder ĂĽber Durststrecken.
Umgang mit unvorhergesehenen Dingen:
Und was, wenn das Leben einem dazwischenkommt und der Zeitplan nicht mehr hält? Das frustriert. Aber, es einfach seinlassen ist keine Option.
Wenn unvorhergesehener Stress und Angst eintreffen, sinken wir durch die Übererregung im Gehirn »ein Stockwerk tiefer«. Wir sind nicht mehr im Stirnhirn aktiv, wo Kreativität und Konzentration sitzen, sondern ein Stockwert weiter unten, wo Kindheitsmuster funktionieren. »Nein, will nicht, mag nicht, alles doof.« Wenn es noch schlimmer kommt und die Reize im Gehirn zu hoch sind, kann es noch ein weiteres Stockwerk abwärts gehen, wo dann nur noch Angriff, Flucht oder ohnmächtige Erstarrung funktionieren.
Man muss sich wieder hochschrauben, sich mit sich selbst wieder verbinden. Erlebnisse hervorholen, eventuell mit jemand anderem drüber reden und wieder Vertrauen fassen zu der Fähigkeit, die man schonmal hatte. Erinnerungen an Erfolgserlebnisse aktivieren. Sich selbst wieder etwas zutrauen und Vertrauen fassen zu anderen Menschen.
Wenn dann wieder etwas Ruhe im Gehirn ist, dann kann man sich den Plan wieder vornehmen und sich fragen: Wie wird es machbar? Nicht perfekt! Aber machbar.
Gut und veröffentlicht ist besser als perfekt. Perfekt gibt es ohnehin nicht!
Zu wissen, dass man gerade in einer anderen Gehirnregion unterwegs ist, hilft schon. Es braucht etwas Zeit und man muss in einen Zustand der Gelassenheit zurĂĽck kommen, dass man sich das wieder zutraut.
PM-Weisheit: 20% Zeitpuffer draufschlagen!
Es macht große Freunde, wenn man sieht, dass Pläne aufgehen. (»Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!« … scnr )
Erfolg ist ein groĂźes Treibmittel, wenn auch relativ. FĂĽr die einen ist es schon ein Erfolg, wenn das Buch nur drauĂźen ist, fĂĽr die anderen muss es dann mindestens ein gewonnener Preis sein.
Sich immer wieder dran erinnern, was Erfolg fĂĽr einen selbst bedeutet.
Ein Ritual daraus machen, einmal die Woche im Kalender zu schauen und zu checken, ob man auf Kurs ist. Die Psychologie des Gelingens – das ist es, was man als Motivation beschreiben kann.
Tipp: Sich selber gut zureden und höflich und freundlich zu sich selber sein! Nicht mit sich schimpfen.
Demnächst dann mit Erfolgsgeschichte!
Unterstützt den Vienna Writer’s Blog & Podcast