Alles Geschichte - History von radioWissen   /     DER HITLERPUTSCH - Anfang vom Ende der Demokratie

Description

MĂŒnchen, 9. November 1923. Vor der MĂŒnchner Feldherrnhalle scheitert Adolf Hitlers Putschversuch klĂ€glich. Doch die Folgen sollten sich als drastisch erweisen - fĂŒr Deutschland und die Welt. Von Astrid Freyeisen (BR 2014)

Subtitle
Duration
00:23:25
Publishing date
2023-11-09 10:10
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/alles-geschichte-history-von-radiowissen/der-hitlerputsch-anfang-vom-ende-der-demokratie-1/2074097
Contributors
  Astrid Freyeisen
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2074097/c/feed/der-hitlerputsch-anfang-vom-ende-der-demokratie-1.mp3
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Shownotes

MĂŒnchen, 9. November 1923. Vor der MĂŒnchner Feldherrnhalle scheitert Adolf Hitlers Putschversuch klĂ€glich. Doch die Folgen sollten sich als drastisch erweisen - fĂŒr Deutschland und die Welt. Von Astrid Freyeisen (BR 2014)

Credits
Autor/in dieser Folge: Astrid Freyeisen
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Rainer Bock, Guntram Brattia, Katja Amberger
Technik: Christiane Schmidbauer-Huber
Redaktion: Thomas Morawetz

Linktipps:

Paula sucht Paula
Podcast / Alles Geschichte / ARD Audiothek
Das Tagebuch der jungen Undercover-Journalistin Paula Schlier gibt uns heute, 100 Jahre spĂ€ter, einen seltenen Einblick in die AnfĂ€nge des Nationalsozialismus in MĂŒnchen. Aber wer war diese Frau, was hat sie motiviert, war sie ĂŒberhaupt eine Heldin? Die BR-Reporterin Paula Lochte begibt sich auf Spurensuche:

Paula Schlier und der Hitlerputsch 1923 (1/3)
FOLGE 1 JETZT ANHÖREN

Paula Schlier und #MeToo vor 100 Jahren (2/3)
FOLGE 2 JETZT ANHÖREN

Paula Schlier und die Gestapo (3/3)
FOLGE 3 JETZT ANHÖREN

Hitlerputsch 1923: Das Tagebuch der Paula Schlier
Dokumentation / ARD History / BR Fernsehen / Geschichte im Ersten
Deutschland 1923: Inflation, Hunger, instabile politische VerhÀltnisse. In dieser Zeit schleicht sich die 24-jÀhrige Paula Schlier undercover beim "Völkischen Beobachter", dem Kampfblatt der NSDAP, ein und gerÀt mitten in Hitlers Putschversuch.
(VerfĂŒgbar bis 07.11.2025)
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Und hier noch ein paar besondere Tipps fĂŒr Geschichts-Interessierte:

Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt ĂŒber bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?

DAS KALENDERBLATT erzĂ€hlt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrĂŒhrend, witzig und oft ĂŒberraschend.

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Wir freuen uns ĂŒber Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:

00:15 – Intro 
02:22 – Die Stenotypistin Paula Schlier 
04:48 – Das Krisenjahr 1923 
06:21 – Der Aufstieg Hitlers
08:39 – Die UnterstĂŒtzer des Putschs
10:37 – Die Landtagsabgeordnete Ellen Ammann
11:47 – Der Marsch auf die Feldherrnhalle 
15:47 – Ein Putsch mit Nachspiel 

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

TC 00:15 – Intro 

MUSIK: Z8003086 101 (00‘36‘‘)

ErzÀhler:

Es muss eine gespenstische Szene gewesen sein: Da sitzt die Elite der bayerischen Politik im ĂŒberfĂŒllten MĂŒnchner BĂŒrgerbrĂ€ukeller. Am Rednerpult steht der sogenannte Generalstaatskommissar, ein Mann mit diktatorischer Macht: Gustav Ritter von Kahr, ein nuschelnder Redner mit Schnauzbart. Plötzlich stĂŒrmen Bewaffnete den Saal. Es sind Rechtsradikale. Darunter der Chefredakteur des Nazi-Blattes Völkischer Beobachter Alfred Rosenberg. Er wĂŒrde sich spĂ€ter so erinnern:

MUSIK ENDE

O-Ton Alfred Rosenberg:

Und als mit einem großen Krach das erste Maschinengewehr in den Saal rollte, zogen wir unsere entsicherten Pistolen aus den Taschen und gingen durch die Versammlung zum Rednerpult.

MUSIK: Z8003086 101 (00‘15‘‘)

ErzÀhler:

An der Spitze: Adolf Hitler, 34 Jahre, Österreicher, vorbestraft wegen Landfriedensbruchs. Er steigt auf einen Stuhl, schießt in die Decke erklĂ€rt die Regierung fĂŒr abgesetzt: 

MUSIK ENDE

Zitator:

Eine deutsche nationale Regierung wird in Bayern hier in MĂŒnchen heute noch ernannt. Ich schlage vor: Bis zum Ende der Abrechnung mit den Verbrechern, die Deutschland tief zugrunde richten, ĂŒbernehme die Leitung der Politik ich.

ErzÀhler:

Es ist der Abend des 8. November 1923. Adolf Hitlers Putsch hat begonnen. In der rechtsradikalen Szene brodelte es. Hitler hatte der bayerischen Regierung eigentlich versprochen, nicht gegen sie vorzugehen. Jetzt aber nahm Hitler den Diktator Kahr, dessen MilitĂ€rkommandanten und den Polizeichef in einem Hinterzimmer des Bierkellers als Geiseln. Sie gaben ihm ihr Wort, an seiner Regierung mitzuwirken. Zu der sich auch Erich Ludendorff bekannte, der Weltkriegsheld vieler Deutscher – Hitlers Trumpf-As, der große Name, den er unbedingt brauchte fĂŒr seinen Plan vom Sturm auf das sĂŒndhafte Berlin und die verhasste Demokratie. Denn Hitler beherrschte die rechte Szene noch nicht alleine.

TC 02:22 – Die Stenotypistin Paula Schlier 

Atmo Schreibmaschine

ErzÀhler:

Paula Schlier war 24, als sie sich als Stenotypistin beim Völkischen Beobachter einschlich. Sie, die normalerweise fĂŒr den NĂŒrnberger Anzeiger Artikel gegen die Nazis verfasste. Die junge Frau aus Neuburg an der Donau wollte wissen, wie der Gegner denkt. Ihre Erlebnisse beim Parteiorgan der Nazis veröffentlichte sie 1926 als Buch. Es heißt "Petras Aufzeichnungen", heute einsehbar im Nachlass der Paula Schlier, den die UniversitĂ€t Innsbruck verwaltet. Hitlers Adjutanten Hermann Esser beschrieb die junge Frau als jĂ€hzornigen, unwissenden, naiven Knaben. Er ist erst 23, ein Jahr jĂŒnger noch als Paula Schlier. Sie nennt ihn E. 

Zitatorin:

Hinter dem schreienden und heftig gestikulierenden E. taucht plötzlich ein Mann im gelben Gummimantel auf. Es ist Hitler selbst. „Dieses dreimal, als Plakat, als erste Seite fĂŒr den Anschlag und in die Zeitung! DarĂŒber meine Fotografie  und mein Name dick darunter!“ brĂŒllt er, lauter noch als E., aber mit tiefer Stimme und mit GebĂ€rden, als wolle er den ganzen Raum durchfegen. Blitzartig, wie er gekommen, war er wieder verschwunden. Unten hupte das Auto, ein neuer Benz-Wagen, und staute sich das Volk.

Atmo Schreibmaschine

ErzÀhler:

Dieser Vorfall ereignete sich Anfang Oktober 1923. Zu dieser Zeit versuchte Hitler noch, jene MĂ€nner zu einem Putsch zu ĂŒberreden, die er vier Wochen spĂ€ter im BĂŒrgerbrĂ€ukeller dazu zwingen wĂŒrde. Darunter General Otto von Lossow, den Befehlshaber der Reichswehr in Bayern:

Zitator:

Die bekannte hinreißende und suggestive Beredsamkeit Hitlers hat auf mich anfangs einen großen Eindruck gemacht. Je öfter ich aber Hitler hörte, desto mehr schwĂ€chte sich der erste Eindruck ab. Ich merkte, daß die langen Reden doch fast immer das Gleiche enthielten, und daß Hitler der Wirklichkeitssinn abgeht. Im Allgemeinen fĂŒhrt Hitler bei derartigen GesprĂ€chen allein das Wort. Einwendungen sind schwer zu machen, sie sind auch vergeblich. Hitler hielt sich fĂŒr den deutschen Mussolini, und seine Gefolgschaft bezeichnete ihn als den deutschen Messias. Er war der Berufene, und die damalige Misere verstĂ€rkte natĂŒrlich diesen Glauben. 

TC 04:48 – Das Krisenjahr 1923 

MUSIK: Z8003086 106 (00‘50‘‘)

ErzÀhler:

Die damalige Misere – 1923 war in vieler Hinsicht ein Krisenjahr. Als SpĂ€tfolge des Ersten Weltkriegs besetzten die Franzosen zu Jahresbeginn das Ruhrgebiet – den Alliierten ging es um die dortige Kohle als Zahlungsmittel fĂŒr ĂŒberfĂ€llige Reparationszahlungen. Die Franzosen wollten das Herz der deutschen Industrieproduktion unter ihre Kontrolle bekommen. Monatelang herrschten bĂŒrgerkriegsĂ€hnliche ZustĂ€nde. Die Regierung in Berlin rief zu Generalstreik und passivem Widerstand auf. Was sie in große Schwierigkeiten brachte: Denn nun musste der Staat zwei Millionen streikenden Arbeitern die Löhne zahlen. Berlin druckte deshalb Geld. Es folgte eine Inflation, die immer atemberaubender Tempo aufnahm. Paula Schlier beschreibt die Lage so:

MUSIK ENDE

Atmo Schreibmaschine

Zitatorin:

20. Oktober 1923: Es ist wahr, das VerhĂ€ngnis, dass ein ganzes Volk vor dem Verhungern steht, schreit nach einer erlösenden Tat. Heute gingen die Leute mit leeren HĂ€nden aus den BĂ€ckerlĂ€den heim, weil sie eine Milliarde Mark fĂŒr ein Pfund Brot nicht zahlen konnten (Atmo Schreibmaschine). Niemand in MĂŒnchen schien mehr einen Gedanken fassen, ein Wort aussprechen zu können, ohne die ErwĂ€gung, wie er das Vaterland retten könne. Kein Vater war so stolz wie der, dessen Sprössling gar schon singen konnte: „Sieg-reich woll’n m’r Frank-reich schla-gen, sterben als ein tapf-rer Held!“

Atmo Schreibmaschine

MUSIK: Z8003765 110 (00‘42‘‘)

TC 06:21 – Der Aufstieg Hitlers

ErzÀhler:

Das war die Stimmung im Herbst 1923. Zwischen den Machthabern in MĂŒnchen und Berlin knirschte es gewaltig. Der vom Reich als Generalstaatskommissar eingesetzte Kahr war nicht der richtige Mann, antidemokratische Tendenzen einzudĂ€mmen. Dies trug sicher zum rasanten Aufstieg Adolf Hitlers bei. ZunĂ€chst war er bloß einer in der Masse der KriegsrĂŒckkehrer in MĂŒnchen. Er blieb in der Reichswehr, ließ sich dort zum Propagandaredner gegen die Revolution von 1919 ausbilden. Und nicht nur das, sagt Andreas Heusler, Leiter der Abteilung Zeitgeschichte im MĂŒnchner Stadtarchiv:

MUSIK ENDE

O-Ton Andreas Heusler:

Ja, also soweit ich das beurteilen kann und die Vita von Hitler kenne, wurde er auch gezielt eingesetzt, um vor Ort als informeller Mitarbeiter Erkenntnisse ĂŒber politische Entwicklungen zu sammeln und die dann an seine vorgesetzten Dienststellen weiterzugeben. Also er war so was wie ein Spion, ein Agent im Dienste der MilitĂ€rs.

ErzÀhler:

Klar ist: Der V-Mann Hitler entschied sich fĂŒr eine Seite. Er schloss sich der grade gegrĂŒndeten deutschen Arbeiterpartei DAP an, der Urzelle der Nationalsozialisten. Dies ist ein SchlĂŒsselmoment fĂŒr Thomas Weber. Der Historiker von der renommierten US-UniversitĂ€t Harvard sucht nach ErklĂ€rungen fĂŒr Hitlers plötzlich enorm aufgeblĂ€htes Selbstbewusstsein:

O-Ton Thomas Weber:

Auch im Reichswehrgruppenkommando 4 scheint es so gewesen zu sein, dass nach einiger Zeit Hitler einfach in ein Einzelzimmer verlegt wird, weil er den anderen ein bisschen auf die Nerven geht. Auch wenn sie ihn vielleicht jetzt politisch nicht blöd finden oder grundsĂ€tzlich, aber die wollen nicht mit ihm auf einem Zimmer sein. Und jetzt taucht er auf einmal, dieser suchende Mensch, im Herbst 1919 bei der DAP auf. Und merkt auf einmal, hier sind Leute, wenn ich den Mund aufmache, lachen die nicht, sondern die finden das gut. Bei Hitler war es ja durchaus schon so, auch wĂ€hrend des Ersten Weltkrieges und so, dass er immer vor sich her geredet hat, auch durchaus mal politisch geredet hat, aber sich eigentlich niemand dafĂŒr interessiert hat, so: Lasst den Adolf mal reden. Ich glaube, von daher ist die DAP fĂŒr ihn auch erst mal ein neues Zuhause, was ĂŒber das Politische hinaus eine Bedeutung hat.

MUSIK: Z8003086 107 (00‘31‘‘)

TC 08:39 – Die UnterstĂŒtzer des Putschs

ErzÀhler:

Viele frĂŒhe Nationalsozialisten stammen aus kleinen VerhĂ€ltnissen. Doch Hitler gelingt es, die MĂŒnchner Oberschicht zu gewinnen. Mit viel Pathos schließt sich im BĂŒrgerbrĂ€ukeller Erich Ludendorff dem Putsch an - also jener trotz der Kriegsniederlage verehrte General, der sich sogar mit Exzellenz anreden lĂ€sst. FĂŒr Historiker Andreas Heusler ist das bis heute eins der großen RĂ€tsel in der Geschichte des Hitlerputsches:

MUSIK ENDE

O-Ton Andreas Heusler:

Das ist schwer zu deuten, wie diese Weltkriegsikone, die Ludendorff ja war, also jetzt plötzlich diesem Gefreiten nachlĂ€uft, der – ja – ihm nicht auf Augenhöhe begegnen kann. Ludendorff ist ja nicht der Einzige. Es gibt ja unglaublich viele sehr arrivierte, großbĂŒrgerliche Persönlichkeiten, die diesen Emporkömmling plötzlich zum Mittelpunkt ihres bĂŒrgerlichen Lebens machen, denken sie an den Herrn Hanfstaengl, die Bruckmanns, die Bechsteins, und so weiter, also das ist sehr rĂ€tselhaft. Und ich denke, es ist ein Ă€hnliches PhĂ€nomen wie bei Ludendorff auch.

ErzÀhler:

Die Verlegerfamilien Hanfstaengl und Bruckmann, die Klavierbauer Bechstein - Hitler war in den Villen der MĂŒnchner Reichen ein gern gesehener Gast, viele unterstĂŒtzten ihn finanziell. Ernst „Putzi“ Hanfstaengl, der jĂŒngere Bruder des renommierten Verlegers von Kunst, stĂŒrmte am Abend des 8. November an Hitlers Seite in den BĂŒrgerbrĂ€ukeller. 

Atmo Druckerpresse

ErzÀhler:

Sofort ließen die Putschisten Plakate drucken. Sie erklĂ€rten die sogenannte Regierung der Novemberverbrecher in Berlin fĂŒr abgesetzt und Ludendorff, Hitler, den MilitĂ€rkommandanten Lossow und den Polizeichef von Seißer zur provisorischen Reichsregierung. Was die siegessicheren Nationalsozialisten nicht ahnten: Im Hintergrund entwickelte sich die Sache ganz anders, als sie dachten. 

TC 10:37 – Die Landtagsabgeordnete Ellen Ammann

Atmo Telefon

MUSIK: Z8003086 110 (01‘02‘‘)

ErzÀhler:

Als Hitler im BĂŒrgerbrĂ€ukeller losschlug, bekam die Landtagsabgeordnete der Bayerischen Volkspartei Ellen Ammann einen warnenden Anruf. Sie reagierte sofort. Schon im FrĂŒhjahr hatte die Sozialpolitikerin vergeblich versucht, den Österreicher Hitler aus Bayern ausweisen zu lassen. Jetzt trommelte sie ihre Parteifreunde und Regierungsmitglieder zusammen. Um den stellvertretenden MinisterprĂ€sidenten Franz Matt zu warnen, schickte Ellen Ammann einen ihrer Söhne mit dem Fahrrad los. Ellen Ammann versammelte die Politiker in der karitativen Frauenschule, die sie gegrĂŒndet hatte. Gemeinsam formulierte man eine Resolution, die den Putsch als verbrecherisch verurteilte. Die Reichswehr in Berlin wurde verstĂ€ndigt – vielleicht der entscheidende Schachzug. Ellen Ammann besorgte ein Auto, um die Regierung nach Regensburg und somit aus der Schusslinie zu bringen. Franz Matt wĂŒrde spĂ€ter urteilen:

MUSIK ENDE

Zitator:

Ellen Ammann hatte damals mehr Mut bewiesen als manche Herren.

MUSIK: Z8003086 110 (00‘19‘‘)

TC 11:47 – Der Marsch auf die Feldherrnhalle 

ErzÀhler:

Gleichzeitig zeigte sich, dass Hitler seine Mit-Putschisten nicht im Griff hatte. So entließ er Kahr, Lossow und Seißer, von denen er eben noch die Zusage erpresst hatte, sich an seiner Regierung zu beteiligen, aus dem BĂŒrgerbrĂ€ukeller (MUSIK ENDE). Doch anstatt den Putsch durchzuziehen, entschlossen die sich nun, ihn niederzuschlagen. Sie tauchten ab, besetzten Kasernen und waren nicht mehr zu sprechen fĂŒr die selbsterklĂ€rten neuen Machthaber. Einem Boten Ludendorffs sagte MilitĂ€rkommandant Lossow, Hitler habe sein Wort gebrochen, nicht zu putschen. Weitere VerstĂ€ndigung - ausgeschlossen. Aber schon rĂŒckten rechtsradikale KampfverbĂ€nde vor. Polizeimajor Sigmund Freiherr von Imhoff wollte gerade in den Feierabend aufbrechen, als ein schockierter Kollege die Nachricht vom Putsch in die Polizeidirektion brachte. Imhoff wartete keine Befehle von oben ab:

Zitator:

Das erste, was ich tat, war, daß ich die Landespolizei alarmierte, um weitere KrĂ€fte bereitzustellen. Außerdem beauftragte ich den FĂŒhrer der StationsverstĂ€rkung in der alten Schwere-Reiter-Kaserne mit Einleitung der Erkundung. Außerdem veranlasste ich auf eigene Verantwortung die Besetzung von Hauptpost und Telegrafenamt, um die Fernleitungen in der Hand zu haben.

ErzÀhler:

Kahr, Lossow und Seißer erklĂ€rten am Morgen des Putsches öffentlich auf Plakaten, sie hĂ€tten sich im BĂŒrgerbrĂ€ukeller nur zum Schein Hitler angeschlossen. Den Putschisten wurde langsam klar, dass sie voreilig triumphiert hatten. Es muss eine seltsame Stimmung geherrscht haben in dieser Stadt, deren BĂŒrger sich noch allzu gut an die blutige Revolution von 1919 erinnerten. Carl Christian Bry, 31, Korrespondent des Argentinischen Tag- und Wochenblatts, schrieb:

Zitator:

Auf meiner Bank wird das Ereignis ruhig und nĂŒchtern aufgenommen, obwohl bekannt ist, dass Hitler wirtschafts- und wĂ€hrungspolitische Mitarbeiter mit finsteren PlĂ€nen hat. Man glaubt, dass wenn irgendetwas Ernstes an der Sache wĂ€re, Hitler jetzt nicht im MĂŒnchner BĂŒrgerbrĂ€u, sondern in der Berliner Wilhelmstraße sein mĂŒĂŸte. Prachtvoll benehmen sich die Straßenbahnen. Nur auf ganz kurze Zeit ist streckenweise der Verkehr unterbrochen. 

MUSIK: Z8003765 (00‘36‘‘)

ErzÀhler:

Fassungslos beschrieb Carl Christian Bry jedoch die EnttĂ€uschung vieler MĂŒnchner. Sie empfanden es als Verrat, dass sich Kahr, Lossow und Seißer doch noch gegen Hitler stellten. Der marschierte am Mittag an der Spitze seiner etwa 2.000 Mann starken Kampftruppen auf den Odeonsplatz. Vor der Feldherrnhalle trafen sie auf die Landespolizei. Oberleutnant Michael von Godin, 26, berichtete hinterher im bayerischen Kurier:

MUSIK ENDE

Zitator:

Ich hatte sofort den Eindruck: Hier liegt die Entscheidung des Tages und trat mit meinen Leuten zum Gegenstoß gegen den gelungenen Durchbruch der Hitlertruppen an. Beim Einbruch in den Gegner wurden wir mit gefĂ€lltem Bajonett, entsichertem Gewehr und vorgehaltenen Revolvern empfangen. Plötzlich gab ein Hitlermann einen Pistolenschuss auf meinen Kopf ab. Der Schuss ging an meinem Gesicht vorbei und tötete den hinter mir stehenden Unterwachtmeister Hollweg. Noch bevor es mir möglich gewesen wĂ€re, einen Befehl zu geben, gaben meine Leute Feuer, was die Wirkung einer Salve hatte. Zu gleicher Zeit feuerten die Hitlertruppen und es entspann sich ein regelrechter Feuerkampf, der ungefĂ€hr 25 Sekunden dauerte. 

ErzÀhler:

Wer vor der Feldherrnhalle zuerst schoss, das sollte spĂ€ter fĂŒr Spekulationen sorgen. Die Putschisten behaupteten nĂ€mlich, die Polizei habe das Feuer eröffnet. Die Bilanz des Putsches an der Feldherrnhalle: 20 Tote. Ein unbeteiligter Passant, vier Polizisten, 15 Rechtsradikale. Ludendorff wurde festgenommen, Hitler floh. Er versteckte sich in der Villa seines Gönners Hanfstaengl in Uffing am Staffelsee. Am 11. November wurde er festgenommen, NSDAP und Völkischer Beobachter verboten. 

Atmo Marschieren

MUSIK: Z8003765 (00‘36‘‘)

TC 15:47 – Ein Putsch mit Nachspiel 

ErzÀhler:

Ist dies das Ende des Hitlerputsches? Nein. Es folgte ein Nachspiel, das auf lange Sicht das Ende der Demokratie einleiten sollte.

MUSIK ENDE

ErzÀhler:

Am 18. November 1923 schrieb Paula Schlier:

Zitatorin:

Da in der Redaktion zu arbeiten polizeilich verboten ist, werden im Geheimen FlugblĂ€tter herausgegeben. Die Freunde der Bewegung stellen dafĂŒr gerne Privatsalons im vornehmsten Stadtviertel, nahe dem Englischen Garten, zur VerfĂŒgung. 

Atmo Schreibmaschine

ErzÀhler:

Was das verbotene Naziblatt berichtete, begeisterte seine AnhĂ€nger: Hitler werde in der Untersuchungshaft ĂŒberschĂŒttet mit Geschenken und sei der Alte geblieben. Unterdessen geriet Generalstaatskommissar Kahr immer stĂ€rker unter Druck. Die SchmĂ€hungen, Kahr sei ein VerrĂ€ter, nahmen kein Ende, und so trat er am 24. Februar 1924 zurĂŒck. Zwei Tage spĂ€ter begann vor dem sogenannten Volksgericht in MĂŒnchen der Prozess gegen die Putschisten – ein Justizskandal, denn allein schon die Existenz dieses Sondergerichts war ein Bruch der Weimarer Verfassung. Andreas Heusler vom Stadtarchiv MĂŒnchen:

O-Ton Andreas Heusler:

Vom Delikt her, es war ein Hochverratsverfahren, hĂ€tte das beim Reichsgericht in Leipzig stattfinden mĂŒssen. Die MĂŒnchner haben dieses Verfahren an sich gezogen und hatten dadurch natĂŒrlich Einfluss auf die Prozessgestaltung. In diesen völkisch-reaktionĂ€ren Kreisen, zu denen auch der Richter Neithart zu rechnen ist, galt Hitlers Hochverrats-Handeln als respektables Handeln. Es war ja auch kein Geheimnis, wie dieser Prozess gefĂŒhrt wird. Er wurde in den Tageszeitungen unglaublich breit und intensiv dargestellt. Es wurde berichtet. Ich denke auch, die ProzessfĂŒhrung hat gewusst und hat sehenden Auges akzeptiert, dass dieses Prozessgeschehen politisch instrumentalisiert wird.

O-Ton Adolf Hitler:

Der scheinbare Fehlschlag ist trotzdem zur Geburt der großen nationalsozialistischen Freiheitsbewegung geworden. Denn in der Folge dieses Fehlschlags kam der berĂŒhmte Prozess, der es uns ermöglichte, zum ersten Mal vor aller Öffentlichkeit große Massen unseres Volkes mit unserem Gedankengut vertraut zu machen. 

ErzÀhler:

Hitler als RĂ€delsfĂŒhrer wurde nur zu einer Minimalstrafe verurteilt, von der er grade einmal ein halbes Jahr verbĂŒĂŸte. Sein Adjutant Fritz Wiedemann berichtete spĂ€ter:

Zitator:

Bezeichnend war, dass Hitler sich wiederholt ĂŒber die bayerische Regierung lustig machte, die ihn fĂŒr einige Zeit auf die Festung Landsberg schickte und dann wieder freiließ, anstatt ihn zu liquidieren. Er selbst ließ keine Zweifel daran, dass er im umgekehrten Falle restlos durchgegriffen hĂ€tte.

ErzÀhler:

1933 wĂŒrden die herrschenden Eliten auch deshalb die Regierungsgewalt an Hitler ĂŒbergeben, weil sie ihn als Person unterschĂ€tzten, sich aber vor der schieren Masse seiner AnhĂ€nger fĂŒrchteten. Hitler nutzte diese Konstellation, um ganz legal an sein Ziel zu kommen. FĂŒr Historiker Thomas Weber ist der Putsch eine wichtige Lektion:

O-Ton Thomas Weber:

Hitler lernt 1923, dass er es halt doch nicht richtig kann, und vor allen Dingen, dass er vieles dilettantisch angegangen ist und taktisch nicht richtig angegangen ist. Und ich glaub, man muss wirklich die Jahre danach als Versuch sehen, aus den Fehlern zu lernen. 

O-Ton Adolf Hitler:

Das Schicksal selber hat es dann gut gemeint mit uns. Es hat eine Aktion nicht gelingen lassen, die wenn sie gelungen wĂ€re, am Ende an der inneren Unreife der Bewegung und ihrer ganzen organisatorischen und geistigen Grundlagen hĂ€tte scheitern mĂŒssen. Das wissen wir heute ganz genau.

Atmo „Helden“gedenken: Am Siegestor tritt die Spitze des Zuges an
 

ErzÀhler:

Das jĂ€hrliche Spektakel vor der Feldherrnhalle zur Erinnerung an den Putsch wurde wĂ€hrend des Dritten Reiches live im Radio ĂŒbertragen. Historiker Andreas Heusler:

O-Ton Andreas Heusler:

FĂŒr das SelbstverstĂ€ndnis des Nationalsozialismus oder der NS-Bewegung spielt das Ereignis November 1923 und auch der Prozess selber, vor allem aber das Ereignis eine SchlĂŒsselrolle in der Inszenierung. So dass man die Menschen quasi – ja – einer GehirnwĂ€sche unterzogen hat. Das ist etwas, was man vielleicht auch nochmal verfolgen mĂŒsste, wie geht diese Bewegung mit diesem SchlĂŒsseldatum um, um den Menschen irgendetwas vorzugaukeln, ĂŒber die GrĂ¶ĂŸe, ĂŒber die Bedeutung der Bewegung

Atmo „Helden“gedenken: 
dass ich fĂŒr meine Heimat tapfer kĂ€mpfen und lieber sterben werde

MUSIK: Z8003086 (00‘29‘‘)

ErzÀhler:

Der Putsch und seine Folgen werfen zentrale Fragen im Umgang mit dem Nationalsozialismus auf: HĂ€tte man damals nicht schon erkennen können, welch tödliche BrutalitĂ€t spĂ€ter kommen wĂŒrde? In seinem Zeitungsartikel ĂŒber die Stimmung in MĂŒnchen am Tag des Putsches schreibt Carl Christian Bry:

MUSIK ENDE

Zitator:

Ein junger jĂŒdischer Gehilfe, also einer der von Hitler unmittelbar Bedrohten, treibt den Scherz soweit, fĂŒr den Nachmittag um Urlaub zu bitten: Er mĂŒsse sich doch noch Kochgeschirr und Proviant fĂŒr das Konzentrationslager kaufen, das Hitler und seine Leute seit langem allen „jĂŒdischen Blutsaugern“ verheißen haben.

MUSIK: Z8003086 (00‘53‘‘

ErzÀhler:

Allerdings glaubte der junge Journalist Bry, dass Hitler nach dem Putsch erledigt sei. Eine fatale FehleinschĂ€tzung. Noch einmal Andreas Heusler vom Stadtarchiv MĂŒnchen:

O-Ton Andreas Heusler:

Der Prozess stellt sicher im negativen Sinne ne ZÀsur dar in der Geschichte der ersten HÀlfte des Zwanzigsten Jahrhunderts. Wenn dieser Prozess anders gelaufen wÀre, wenn man diesem Hauptangeklagten Hitler nicht so viel Raum gegeben hÀtte, dann hÀtte die deutsche, die europÀische und die Weltgeschichte sicher einen anderen Verlauf genommen.

ErzÀhler:

Der Putsch vor der Feldherrnhalle war also der Anfang vom Ende der Demokratie. 

TC 22:13 - Outro