Alles Geschichte - History von radioWissen   /     MENSCH UND MEER - Geschichte der Hochseefischerei

Description

Sie sind auf riesenhaften Fabrikschiffen auf allen Weltmeeren unterwegs: Hochseefischer, die in großem Stil Meerestiere auf offener See fangen. Mit der Dampfschifffahrt und der modernen Kühltechnik begann der Aufstieg dieses Metiers, das Fisch zum günstigen und stets verfügbaren Grundnahrungsmittel machte. Inzwischen ist es mitverantwortlich für die Überfischung der Meere. Autor: Lukas Grasberger (BR 2022)

Subtitle
Duration
00:23:38
Publishing date
2024-01-12 12:10
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/alles-geschichte-history-von-radiowissen/mensch-und-meer-geschichte-der-hochseefischerei-1/2088634
Contributors
  Lukas Grasberger
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2088634/c/feed/mensch-und-meer-geschichte-der-hochseefischerei-1.mp3
audio/mpeg

Shownotes

Sie sind auf riesenhaften Fabrikschiffen auf allen Weltmeeren unterwegs: Hochseefischer, die in großem Stil Meerestiere auf offener See fangen. Mit der Dampfschifffahrt und der modernen Kühltechnik begann der Aufstieg dieses Metiers, das Fisch zum günstigen und stets verfügbaren Grundnahrungsmittel machte. Inzwischen ist es mitverantwortlich für die Überfischung der Meere. Autor: Lukas Grasberger (BR 2022)

Credits
Autor dieser Folge: Lukas Grasberger
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Peter Vet, Karin Schumacher
Technik: Wolfgang Lösch
Redaktion: Nicole Ruchlak

Im Interview:
Ingo Heidbrink (Professor für Maritime History, Old Dominion University, Norfolk);
Ole Sparenberg (Forscher am Karlsruher Institut für Technologie);
Johanna Sackel (Forscherin an der Uni Paderborn);
Celia Ojeda (Meeresbiologin bei Greenpeace)

Linktipps:

Deutschlandfunk Kultur (2023): Schutz der Hochsee – Kein Erfolg in Sicht
Es ist bereits das sechste Mal, dass die Vereinten Nationen versuchen, für die Hohe See eine Art Verfassung zu erarbeiten. Doch die Verhandlungen über das Meer außerhalb nationaler Gebiete drohen wieder zu scheitern:
Schutz der Hochsee - Kein Erfolg in Sicht (deutschlandfunk.de)

BR (2022): Was das Angeln über die Nachhaltigkeit lehrt
Angeln hat Einfluss auf Gewässer und ihre Fischbestände. Wie weit Angler:innen tatsächlich nachhaltig in die Gewässerbewirtschaftung eingreifen, das erklärt der Fischereiwissenschaftler Prof. Dr. Robert Arlinghaus von der HU Berlin: 
Prof. Dr. Robert Arlinghaus, Fischereiwissenschaftler: Was das Angeln über die Nachhaltigkeit lehrt | Campus | ARD alpha | Fernsehen | BR.de

Deutschlandfunk (2018): Ausbildung in der Fischerei – Knochenjob auf hoher See
Die Zahl der Schiffe und Meeresfischer ist in den letzten Jahrzehnten stark gesunken: Schwankende Fangquoten und strenge Auflagen machen den Fischern das Leben schwer. Trotz der schwierigen Bedingungen entscheiden sich jedes Jahr junge Menschen für den Beruf auf hoher See: 
Ausbildung in der Fischerei - Knochenjob auf hoher See (deutschlandfunk.de)


Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:

Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?

DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.

Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:

TC 00:15 – Intro

TC 01:22 – Hunger treibt auf die See

TC 03:31 – Wie Dampfmaschine und Urbanisierung die Fischerei beeinflussten

TC 05:29 – Die Fisch Propaganda

TC 09:12 – Deutschland wird wieder ‚Klar Schiff‘

TC 10:51 – Das Ende der Freiheit der Meere

TC 14:56 – Spanische Fischergeschichte(n)

TC 17:34 – Was der globale Heißhunger auf Fisch anrichtet

TC 21:42 - Outro

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

TC 00:15 – Intro 

Beginn mit

MUSIK 1: Kat’s gut - C1537750103 – 50 Sek

ATMO Fischerboot fährt ein, legt an

SPRECHER

Bedächtig schiebt sich die „Juanito Uno“ an die Mole im Hafen von Agaete auf Gran Canaria. Während seine Kollegen den Fischkutter vertäuen, schlingt Estebán ein Kunststoffseil um die meterbreite Schwanzflosse eines Thunfischs im Heck des blau-weißen Bootes. 

ATMO Thunfisch wird an Seilwinde hochgezogen

Alleine schafft es der schlaksige Fischer nicht, den silbriggrau glänzenden Raubfisch aus dem Boot zu hieven. Am Ende ziehen drei Männer in gelbem Ölzeug an der Seilwinde. Zentimeter für Zentimeter bewegt sich der mehrere hundert Kilo schwere Blauflossenthun nach oben, nach und nach offenbart sich das ganze Ausmaß des Fangs.

O-TON 1 Estebán, Fischer im Hafen von Agete, span, 

OVERVOICE männlich

„Wir wissen mittlerweile, wo wir sie finden: Dazu brauchst du Erfahrung – und Gespür. Und du musst auch schon mal Seemeilen machen - weit raus auf hohe See. Manchmal fahren wir rüber bis nach La Gomera - oder wir fischen vor Fuerteventura.“ 

ATMO Schiff auf See

TC 01:22 – Hunger treibt auf die See

SPRECHER

Seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden wagen sich Menschen wie Estebán hinaus auf die hohe See, auf der Jagd nach nahrhaftem Meerestier wie Thunfisch, Wal oder Kabeljau. Bereits vor 42.000 Jahren hätten sich die Bewohner von Timor zu Hochseefischern entwickelt, erklärt die australische Archäologin Sue O´Connor, die in einer Höhle von Ureinwohnern Thunfisch-Gräten entdeckte, in einer 2011 veröffentlichten Studie. Da es auf der Insel im indischen Ozean außer Ratten und Fledermäusen kein essbares Tier gegeben habe, seien sie gezwungenermaßen hinaus aufs offene Meer gefahren, um dort Thunfisch zu angeln. 

MUSIK 2: THE DECISION TO TURN AROUND - C1108980 005 – 59 SEK

SPRECHER

Hochseefischerei als organisiertes Unterfangen und betrieben in großem Maßstab – die gibt es seit dem 15. Jahrhundert. Als erste stellten damals die Niederländer Fangflotten zusammen, die wochenlang auf See bleiben konnten. Versorgt wurden diese Fangboote von so genannten „Ventjagers“ - Frachtschiffen, die den Fisch übernahmen und in die Häfen transportierten. Die Fische und andere Meerestiere sammelten die niederländischen Fischfangflotten mit Hilfe langer Schleppnetze ein. Dieses Schleppnetzfischen gelangte aber erst im 19. Jahrhundert zu großer Blüte. Zusammen mit vor allem einer technischen Neuerung brachte der Fang mit Hilfe von Schleppnetzen die Entwicklung einer Hochseefischerei auf breiter Front voran, erklärt der Historiker Ole Sparenberg. 

O-TON 2 Ole Sparenberg, Forscher am Karlsruher Institut für Technologie

„Also es muss eine Reihe von technischen und anderen Innovationen zusammenkommen, erst mal natürlich der Einsatz der Dampfmaschine. Die ist natürlich schon länger bekannt, aber in der Fischerei begann der Einsatz von Dampfmaschinen tatsächlich erst in den 1880er Jahren.Eine andere technische Innovation, die auch schon ab den späten 1860 er Jahren so langsam begann, war die Lagerung von Fisch auf Eis. Dann das Grundschleppnetz: Das wurde vorher schon eine Zeit lang für Segelfahrzeuge eingesetzt, aber mit einem Dampfer-Fahrzeug kann mit viel mehr Geschwindigkeit und damit effizienter und auch wetterunabhängiger ein Netz über dem Boden schleppen und damit effizienter fischen. […]. Eine andere technische Innovation, die auch schon ab dem späten 1860er Jahren so langsam begann, war die Lagerung von Fisch auf Eis “

TC 03:31 – Wie Dampfmaschine und Urbanisierung die Fischerei beeinflussten

SPRECHER

Dampfantrieb und Eis-Kühlung in Kombination machten die Fischer also unabhängig von Zeit und Raum. Darin sieht Ingo Heidbrink, Professor für Maritime Geschichte, den eigentlichen Beginn der modernen Hochseefischerei. 

O-TON 3 Ingo Heidbrink, Prof für Maritime History, Old Dominion University in Norfolk

„In dem Moment, wenn Sie den Fisch bereits an Bord schlachten und auf Eis lagern, haben Sie natürlich eine größere See-Ausdauer. Sie können ungefähr Fahrzeiten bis zu drei Wochen nach dem ersten Fangtag damit erzielen und damit erhalten sie die Möglichkeit, auch einmal die Küstengewässer zu verlassen und weiter entfernte Fanggründe anzulaufen.“ 

ATMO Raddampfer-Fahrt

SPRECHER

Der Fischfang, sagt die Paderborner Geschichtswissenschaftlerin Johanna Sackel, wurde zudem von der Dynamik der Industrialisierung erfasst – und in diese eingebunden. Die Möglichkeit, große Mengen an Waren schnell über weite Strecken zu transportieren, veränderte die Fischerei grundlegend.

O-TON 4 Johanna Sackel, Forscherin an der Uni Paderborn + Autorin „Wem gehört das Meer?“

„Durch die die Etablierung und den Ausbau der Eisenbahn wurde es letztlich möglich, den Seefisch dann eben auch im Binnenland zu vermarkten. Das heißt, die verderbliche Ware konnte nun schneller zu den Verbrauchern transportiert werden und war das dann einmal etabliert, mussten natürlich diese neue geschaffenen Absatzmärkte auch bedient werden.“

O-TON 5 Sparenberg Teil 1 

 „...da spielt natürlich das Bevölkerungswachstum im 19. Jahrhundert eine große Rolle, und vor allem auch die Urbanisierung.“

SPRECHER

ergänzt Ole Sparenberg. Die Arbeiterschaft in den wachsenden Industriestädten hungerte nach proteinreicher Nahrung.

O-TON 5 Sparenberg Teil 2

„Aber eben dieser Massenmarkt in den Städten musste dazu kommen, um überhaupt wie die Nachfrage nach so einer Hochseefischerei im großen Stil zu schaffen.“

SPRECHER

Es waren die ersten und wichtigsten Industrienationen Großbritannien und Deutschland, die auch den industriellen Fischfang vorantrieben. Ole Sparenberg, der am Karlsruher Institut für Technologie zur Umwelt- und Wirtschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts forscht, skizziert die Anfänge einer jahrzehntelangen Erfolgsgeschichte.

TC 05:29 – Die Fisch Propaganda 

O-TON 6 Sparenberg

„Der Durchbruch, was man so als Beginn der deutschen Hochseefischerei bezeichnet, war dann 1885, als der Fischhändler Friedrich Busse aus Geestemünde - das ist heute Bremerhaven - den ersten deutschen Fischdampfer, die Sagitta gebaut hat, das folgte britischen Vorbildern...  Das ging dann relativ schnell, also in Deutschland gab es dann um 1900 bereits über 100 Fischdampfer, und die wesentlichen Standorte, der diese Industrie waren, was heute Bremerhaven ist: also Geestemünde und dann Hamburg-Altona, und auch Cuxhaven.“

SPRECHER

Der deutsche Verbraucher fremdelte anfangs mit dem auf hoher See gefangenen Kabeljau, Rotbarsch oder Seelachs. Zum einen hätten sowohl Fischhändler wie ihre Ware anfangs noch penetrant gestunken, weiß Sparenberg. Zum anderen waren viele nicht mit der Zubereitung, vor allem dem Ausnehmen der noch samt Innereien verkauften Meerestiers vertraut.

O-TON 7 Sparenberg

„Insofern gab sehr früh dann schon, ab den 1880er, 90er-Jahren, Werbemaßnahmen, Absatzförderung, sogenannte Seefisch-Propaganda: Man ist gezielt auf Großabnehmer wie Gefängnisse, Kasernen, Bergwerke und so weiter herangetreten, um damit den Absatz für den Fisch zu schaffen. Also, das war immer der wunde Punkt der deutschen Fischwirtschaft, dass es da Absatzprobleme gab, und das Ganze stark auf staatliche Förderung angewiesen war. Das hat dann im Kaiserreich auch natürlich damit zu tun, dass es vor dem Hintergrund stand von Marine-Begeisterung und Flottenrüstung. Die Fischerei war Teil der deutschen Seeinteressen, wie das hieß. Man sah auch immer die Hochseefischerei so als Rekrutierungsbüro für die deutsche Marine, deshalb genoss das eben auch eine staatliche Förderung.“

ATMO Kanonendonner, Schiffskrieg WW1

+ MUSIK 3: The organ grinder – M0084185144 - 58 Sek

SPRECHER

Im Ersten Weltkrieg wurde in den Weiten der Nord- und Ostsee kaum gefischt. Vielmehr waren die Meere Schauplatz erbitterter kriegerischer Auseinandersetzungen, etwa zwischen den führenden Fischerei-Nationen Deutschland und Großbritannien. 

Mit der kriegsbedingten, marinen Hochrüstung erfuhren viele Schiffe indes eine Modernisierung. Nach Ende des Ersten Weltkriegs verdoppelte sich die Zahl der Boote der deutschen Hochseeflotte nahezu – auf gut 400. Weiter befeuert wurde dieser Boom ab 1933 durch die Nationalsozialisten. Die NS-Diktatur, die unter einem Mangel an Devisen litt und einen Krieg vorbereitete, wollte möglichst unabhängig werden von Importen aus anderen Ländern, erklärt Ole Spargenberg. Der Historiker hat zu „Hochsee-Fischerei und Walfang im Rahmen der nationalsozialistischen Autarkiepolitik“ promoviert.

O-TON 8 Sparenberg 

„Schlagwörter der damaligen Zeit waren die Fett- und Eiweiß-Lücke: Fett- und Eiweißversorgung konnte die Landwirtschaft trotz politischer Förderung, trotz der sogenannten Erzeugungsschlacht... konnten die das nicht decken. Man konnte einfach keine Autarkie, keine Selbstversorgung bei Fett und Eiweiß herstellen. Spätestens ab 1936 bewarben Staat und Wirtschaft Fisch als ideale devisenfreie Ernährung“

SPRECHER

Die Nationalsozialisten beschlagnahmten den überwiegenden Teil der deutschen Fischdampferflotte für den Dienst im Zweiten Weltkrieg. Etliche hochseetaugliche, zu Kriegsschiffen umgerüstete Fischereiboote wurden versenkt, nach Ende des Krieges standen nur noch 58 Schiffe für den Fischfang zur Verfügung. Die Auflagen der alliierten Besatzer für den Bau neuer Boote waren streng, bis 1949 war dieser ganz verboten. Doch danach konnte die deutsche Hochsee-Fischerei relativ nahtlos an die technischen Errungenschaften der Zwischenkriegszeit anknüpfen. 

TC 09:12 – Deutschland wird wieder ‚Klar Schiff‘ 

O-TON 9 Heidbrink

„Nach dem Zweiten Weltkrieg sehen wir wahrscheinlich die größten Veränderungen in der Hochseefischerei überhaupt“

SPRECHER

...betont Ingo Heidbrink. Die einstigen Fischdampfer fuhren nun mit Dieselmotoren. Dazu betrieben die Boote ihre Fischerei als Heckfänger: Das Netz wurde nun nicht mehr über die Seite, sondern über das Heck eingeholt. Damit konnte man bei schlechterem Wetter und mit weniger Personal fischen. So genannte Fang-Fabrikschiffe entstanden, die den Fisch an Bord schlachteten, verarbeiteten und kühlten – und damit theoretisch unbegrenzte Zeit auf offener See zubringen konnten, ohne dass der Fang verdarb.

MUSIK Doku NWDR: 1955 Heringsfischerei in D (ca. 30 Sek) 

Mit einer der modernsten Flotten Europas gingen die deutschen Hochseefischer so ab den 1950er-Jahren wieder auf große Fahrt – auch fern der Heimat.

ZSP 1 aus Doku NWDR: 1955 Heringsfischerei in Deutschland (18 sek) 

„In den ersten Maitagen heißt es wieder „Klar Schiff!“ Schließlich wollen wir Ende des Monats mit diesen Schiffen bis an die Shetlands, wo sich dann der Matjes aufhält. Da gibt’s noch ne Menge Arbeit! Wir deutschen Logger fischen da oben nicht allein: Beim Heringsfang trifft sich so ziemlich die gesamte seefahrende Bevölkerung Europas.“ 

SPRECHER

Auch die DDR etablierte ab Ende der 1940er-Jahre eine eigene Hochseefischerei. Deren Boote gingen zunächst in der Ostsee, bald darauf aber wie ihre westdeutschen Konkurrenten in der ganzen Welt bis vor Argentinien oder im indischen Ozean auf Fangtour. Doch die „Freiheit der Meere“ sollte bald der Vergangenheit angehören, sagt der Meeresforscher Ingo Heidbrink. Dies liege in einer „völligen Umgestaltung der politischen Landkarte“ nach dem Zweiten Weltkrieg begründet.

TC 10:51 – Das Ende der Freiheit der Meere

O-TON 10 Heidbrink

„Das heißt Island wird eine eigene, voll souveräne Nation. Grönland bleibt bei Dänemark oder geht zurück zu Dänemark, verlangt aber eine größere Autonomie in mehreren Schritten. Und als dritten Schritt Kanada - beziehungsweise vor allen Dingen Neufundland - ist nicht mehr ein britisches dominion, sondern wird Bestandteil von Kanada. Und damit haben wir innerhalb kürzester Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg im Nordatlantik nicht mehr eine Gruppe von Kolonien beziehungsweise teilweise kolonial abhängigen Staaten, sondern souveräne Staaten, die agieren.“ 

SPRECHER

Denn es ist keineswegs so, dass die so genannte Hochseefischerei vorwiegend in den Weiten internationaler Gewässer stattfindet, wo sich die Fangschiffe nicht ins Gehege kommen, betont Ingo Heidbrink. Das Gros der globalen Fischbestände befinde sich innerhalb von 200 Meilen vor der Küste von Staaten – die diese Gebiete als „ausschließliche Wirtschaftszone“ nutzen dürfen.

O-TON 11 Heidbrink

„Hochseefischerei ist Küstenfischerei an fernen Küsten, eigentlich oder nicht an fernen Küsten, sondern vor fernen Küsten. Und damit haben sie natürlich eine Konkurrenzsituation zur lokalen Küstenfischerei.“

SPRECHER

Ab Ende der 1950er-Jahre führte dies zu Konflikten zwischen den führenden Hochseefischerei-Nationen Großbritannien und Deutschland – und dem „Newcomer“ Island, der plötzlich eine Zone von mehreren Meilen vor seiner Küste ausschließlich für die eigenen Fischer beanspruchte. 

ATMO Schiffssirene aus Doku „Cod Wars“ + ATMO Wellen

SPRECHER

Island schaffte es bis Mitte der Siebziger Jahre, seine Fischereigrenzen von vier auf zwölf, dann auf 50 und zuletzt auf 200 Seemeilen auszuweiten. Damit schuf der junge Inselstaat im Nordatlantik einen Präzedenzfall. Die Karten im Konkurrenzkampf um die ertragreichsten Fischereigründe wurden neu gemischt. 

O-TON 12 Sparenberg

„Und das hat natürlich für diese traditionellen Hochseefischereinationen wie Deutschland und Großbritannien ernste Auswirkungen gehabt, der deutschen Hochseefischerei brachen insofern ihre Fanggründe weg. Das hatte dann schwere wirtschaftliche soziale Auswirkungen an den Standorten der Hochseefischerei, also vor allem Bremerhaven und Cuxhaven, zumal die sonstiger wirtschaftliche Entwicklung Werften, Hafen und so weiter auch nicht gut lief.“

MUSIK 4: „Titelfolge“ aus „Der Seewolf“- C1164320 132 – 27 Sek

SPRECHER

Bestand die deutsche Hochseefisch-Flotte Mitte der 1970er-Jahre noch aus 66 Schiffen, so waren es zehn Jahre später nur noch 15. Die Politik konnte den Niedergang nicht stoppen: Sie setzte auf Hilfen, um ihn zumindest abzufedern – und auf viel Pathos, weiß Johanna Sackel, die schwerpunktmäßig zu maritimer Geschichte forscht. 

O-TON 13 Sackel

„Da hat man auch dieses Bild(...) kreiert, wo der Hochseefischer so als einen heroischer, blonder Mann dargestellt ist, der in die Ferne blickt und dem man ansieht, dass er einfach mit allen Wassern gewaschen, gewaschen ist. Der Hochseefischer wurde verbunden mit den Eigenschaften Tapferkeit und natürlich auch Heldenmut also, das waren so die beiden ja, Eigenschaften, die den die man dann auch in der Öffentlichkeit versucht hat bekannt zu machen und vor allen Dingen dann eben auch seitens der Politik das stark zu machen und somit auch zu rechtfertigen, warum diese Branche Unterstützung erfahren sollte.“

SPRECHER

Tatsächlich schien und scheint der Beruf des Hochseefischers Mut zu erfordern: Er zählt laut einer 2016 veröffentlichten Auswertung des US-amerikanischen Amts für Arbeitsstatistik zu den gefährlichsten Berufen der Welt. Besonders der Thunfischfang führt zu etlichen, auch tödlichen Arbeitsunfällen auf hoher See: Immer wieder werden Fischer ins Meer oder auf die Planken geschleudert, wenn der mehrere hundert Kilo schwere Raubfisch im Todeskampf um sich schlägt. 

MUSIK 5: „Kat’s gut“ – siehe Musik 1 – 19 Sek + 

ATMO Hafen von Agaete

Auch Estebán, der gerade vom Thunfischfang auf dem Atlantik ins kanarische Fischerdorf Agaete zurückgekehrt ist, kann dazu Geschichten erzählen.   

TC 14:56 – Spanische Fischergeschichte(n)

O-TON 14 Estebán OV

OVERVOICE männlich

„Es ist eine gefährliche Arbeit. Wir kämpfen ja mit dem Thunfisch quasi Mann gegen Mann, das kann Stunden dauern. Er hat scharfe Zähne und Flossen, über die du dir allerlei Verletzungen zuziehen kannst. Spannt sich die Fangleine, ist das wie ein Messer, durch das du Finger oder auch mal einen ganzen Arm verlierst.“

SPRECHER

Der Rentner Yano, der das Gespräch auf seinem Plastikstuhl mit anhört, nickt versonnen. Der 89-jährige fischte seinerzeit selbst auf einem kleinen Fischkutter auf dem Atlantik. Als dann gegen Ende der 1960er-Jahre immer mehr Hochsee-Schiffe großer Unternehmen in den Hafen von las Palmas kamen, heuerte Yano an.

O-TON 15 Yano, span. dt. OV

„Wir haben vor allem vor der afrikanischen Küste gefischt, haben dort Thunfisch, aber auch andere Arten gefangen. Wir waren zwei Dutzend Seeleute, und 25 Tage auf See unterwegs!... es war eine harte, aber schöne Zeit.“

SPRECHER

Während in den 60er und 70er-Jahren die deutsche Fischereiflotte schrumpfte, begann der unaufhaltsamer Aufstieg Spaniens zur wichtigsten europäischen Hochseefischerei-Nation. Diktator Francisco 

Franco verfolgte das Ziel, sein Land zu einer globalen Fischerei-Macht zu machen – und steckte viel Geld in den Ausbau der heimischen Hochseefischerei. Spanien kam dabei lange zugute, dass es sich nicht mit souveränen Staaten herumschlagen musste, die auf ihre Fischerei-Zonen pochten – sondern mit der West-Sahara eine Kolonie besaß, vor deren Küste man reichhaltige Fischgründe ausbeuten konnte. Und nach Ende der Franco-Diktatur und dem Eintritt in die Europäische Union waren es vor allem spanische Hochseefischer, die von Fischerei-Abkommen profitierten, die die EU mit afrikanischen Küstenstaaten schloss.

O-TON 16 Sackel

„In Westafrika zum Beispiel sind das vor allem die EU-Staaten, die dort Lizenzen erworben haben. Was eben diese Lizenzvereinbarung vorsieht: Also wir bauen euren Fischereisektor mit auf und leisten Entwicklungshilfe und dafür dürfen wir eben in euren Gewässern fischen. (...) wie dann zum Beispiel die Spanier, die halt im Rahmen von diesem EU Abkommen dort fischen konnten und die dann auch maßgeblich dazu beigetragen haben, leider diese Bestände zu überfischen, weswegen dann letztlich die kleinen Fischer, die dort lebten, das Nachsehen hatten. Meistens waren das ja schon fast Raubzüge, könnte man sagen, die dort stattgefunden haben, die dann natürlich auch sehr viel weiter draußen stattfanden, wohin die kleinen Fischer mit ihren Booten überhaupt nicht konkurrieren konnten.“

MUSIK 6: „Sonar 1“ – M0007520 052 – 34 Sek 

TC 17:34 – Was der globale Heißhunger auf Fisch anrichtet

SPRECHER

Dass vor allem die industriell betriebene Fischerei die Ressourcen der Meere massiv dezimierte – das wurde in den letzten Jahrzehnten deutlich. Zwei Drittel der globalen Bestände sind mittlerweile überfischt, oder gar in ihrer Existenz bedroht. Es sei nicht nur die schiere Masse an Meerestieren, die die Trawler mit modernen Ortungssystemen wie Sonar punktgenau finden und mit riesigen Schleppnetzen aus dem Ozean holen, sagt der Meeresforscher Ingo Heidbrink.

O-TON 17 Heidbrink

„... sondern das Problem ist vor allen Dingen, dass die Fernfischerei agieren kann in dem Moment, wenn die lokale Fischerei nicht agieren kann. Heißt: Wenn wir durch Wetter oder See-Situation Bedingungen haben, dass die lokale Fischerei nicht agieren kann oder nur sehr küstennah agieren kann, dann kann etwas weiter draußen auf dem Fangplatz das Fabrikschiff völlig problemlos arbeiten.“

SPRECHER

Wissenschaftlern und Umweltschützern zufolge sind nicht nur die hochtechnisierten Fangflotten für die Überfischung verantwortlich. Auch Akteure wie die EU sorgten mit ihrem laxen System der Fischerei-Quoten dafür, dass die industrielle Hochsee-Fischerei die Meere regelrecht ausplündere, sagt Celia Ojeda von der Umweltorganisation Greenpeace. Der Thunfisch stehe beispielhaft für das strukturelle Versagen des Instruments der Fischerei-Quoten.

O-TON 18 Celia Ojeda. Meeresbiologin, Greenpeace span, dt. OV

OVERVOICE weiblich

„Der Thunfisch ist zwar die Fischart, bei der am genauesten kontrolliert wird, welche Menge welches Boot fangen darf. Die Internationale Kommission für die Erhaltung der Thunfischbestände im Atlantik, an deren Beschlüsse die EU gebunden ist, erlaubt aber stets deutlich höhere Fangmengen, als die Wissenschaft für notwendig hält. Noch gar nicht in diese Quoten eingerechnet ist dabei die beträchtliche Zahl an Thunfischen, die illegal gefangen werden.“

SPRECHER 

Dies habe nicht nur ökologisch, sondern auch sozial gravierende Folgen, warnt die promovierte Meeresbiologin Ojeda.

O-TON 19 Ojeda OV

OVERVOICE weiblich

“Die Wildwest-Methoden dieser industriellen Fischerei führen neben offensichtlicher Nahrungsknappheit in den Küstenregionen auch zu schweren sozialen Verwerfungen. Etliche Fischer sehen daher keine andere Möglichkeit, mit ihren Booten übers Meer nach Spanien, nach Europa zu flüchten“  

SPRECHER 

Paradoxerweise fördere die Politik global weiter solche Fischerei in großem Stil, um die wachsende Nachfrage der Weltbevölkerung nach Meerestieren zu stillen, klagt die Greenpeace-Aktivistin. 

MUSIK 7: „DESOLATION B“ – C1609470 127 – 47 SEK

Den globalen Heißhunger auf Fisch decken zunehmend Fabrikschiffe wie die Annelies: Der mit 144 Metern Länge und einer Verarbeitungskapazität von 350 Tonnen pro Tag größte Trawler der Welt ist indes durch illegale Fischerei vor der irischen Küste aufgefallen. Auch die derzeit wichtigste Hochseefischereination China macht regelmäßig durch Piratenfischerei Negativschlagzeilen. 

Der Meereswissenschaftler Ingo Heidbrink ist angesichts solcher Entwicklungen pessimistisch, was den Willen und die Fähigkeit der Küstenstaaten sowie internationaler Organisationen angeht, legaler wie illegaler Überfischung Einhalt zu gebieten.

O-TON 20 Heidbrink

„Ich sehe keinerlei Anzeichen, dass diese Prozesse....dass wir auf der einen Seite eine Modernisierung der Fischerei haben, dass wir auf der anderen Seite steigende Nachfragen haben, irgendwo zum Ende kommen, in globaler Hinsicht.“

MUSIK 8: „Sonar 1 – siehe vorn – 47 Sek

SPRECHER

„There is always another fish available“, „Es gibt immer einen anderen Fisch“ lautet der Titel einer Studie von Ingo Heidbrink, in der dieser untersucht hat, wie deutsche Hochseefischer die Quoten zur Fischfang-Beschränkung übergingen. Heidbrinks Kollege Ole Sparenberg kann diese Erkenntnis aus historischer Erfahrung bestätigen. 

O-TON 21 Sparenberg

„Wenn man sich die Geschichte der deutschen Hochseefischerei anguckt, ist es oft die Geschichte von Expansion, also:  Man fängt ein Gebiet leer - und geht dann zum nächsten.“

TC 21:42 - Outro