Alles Geschichte - History von radioWissen   /     MENSCH UND MEER - Die Challenger-Expedition

Description

Es ist eine gigantische Expedition, die im Dezember 1872 in England Segel setzt. Die Challenger-Expedition soll die Tiefen der Weltmeere erkunden. Wie tief ist die tiefste Stelle im Meer? 700 Meter tief? Oder unendlich tief? Keiner weiĂź das. Stattdessen ranken sich Mythen um die Bewohner der Weltmeere. Ungeheuer, die ganze Schiffe versenken! Dreieinhalb Jahre dauerte die Reise des Schiffs. Die Ausbeute war enorm. Autorin: Yvonne Maier (BR 2018)

Subtitle
Duration
00:23:30
Publishing date
2024-01-12 12:05
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/alles-geschichte-history-von-radiowissen/mensch-und-meer-die-challenger-expedition/2088632
Contributors
  Yvonne Maier
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2088632/c/feed/mensch-und-meer-die-challenger-expedition.mp3
audio/mpeg

Shownotes

Es ist eine gigantische Expedition, die im Dezember 1872 in England Segel setzt. Die Challenger-Expedition soll die Tiefen der Weltmeere erkunden. Wie tief ist die tiefste Stelle im Meer? 700 Meter tief? Oder unendlich tief? Keiner weiĂź das. Stattdessen ranken sich Mythen um die Bewohner der Weltmeere. Ungeheuer, die ganze Schiffe versenken! Dreieinhalb Jahre dauerte die Reise des Schiffs. Die Ausbeute war enorm. Autorin: Yvonne Maier (BR 2018)

Credits
Autorin dieser Folge: Yvonne Maier
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Werner Härtl, Rainer Buck, Anna Greiter
Technik: Ursula Kirstein
Redaktion: Thomas Morawetz

Linktipps:

Planet Wissen (2020): Entdeckungsreise in die Tiefsee – Forschung am Limit
Die Tiefsee ist das größte, wichtigste, bislang aber auch am wenigsten erforschte Ökosystem der Erde. Der gewaltige Druck, die Kälte und das fehlende Licht erschweren alle Forschungsvorhaben in größeren Tiefen enorm. Doch jetzt gilt es, die Anstrengungen zu forcieren. Denn die Eisdecke in der Arktis schmilzt rasant und das könnte gravierende Folgen für die arktische Tiefsee und auch für uns Menschen haben: 
Planet Wissen: Entdeckungsreise in die Tiefsee - Forschung am Limit | ARD Mediathek

Deutschlandfunk (2020): Schätze am Meeresgrund – Ist Tiefseebergbau die Zukunft?
Weltweit bereiten sich Firmen darauf vor, in bisher unberührte Regionen der Ozeane vorzustoßen. Sie wollen in der Tiefsee Manganknollen vom Meeresgrund ernten. Doch Umweltschützer und Wissenschaftler schlagen Alarm: Der Schaden für die Ökosysteme der Meere wäre irreparabel: 
Schätze am Meeresgrund - Ist Tiefseebergbau die Zukunft? (deutschlandfunk.de)

Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:

Beckenbauer - Der letzte Kaiser von Deutschland
Franz Beckenbauer ist tot. Er war Fußballweltmeister als Spieler und Trainer, Chef-Organisator des Sommermärchens WM 2006, Werbeikone, Weltstar. Der "Kaiser" hat das Bild der Bundesrepublik Deutschland im Ausland geprägt wie sonst kaum jemand. Der Schauspieler und Fußballfan Sebastian Bezzel erzählt in vier Folgen die Geschichte einer unglaublichen Karriere. 
ZUM PODCAST

Und hier noch ein paar besondere Tipps fĂĽr Geschichts-Interessierte:

Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?

DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.

Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. 

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:

TC 00:15 - Intro

TC 01:30 – Auf zu den Mythen der Weltmeere

TC 04:09 – Eine Reise, die man sich heute kaum vorstellen kann

TC 07:37 – Ewige Zeitkapseln: Briefe und Funde der Expedition

TC 10:58 – Über Brasilien und Südafrika nach Australien

TC 14:30 – Am tiefsten Punkt im Meer

TC 17:28 – Bis zum Ende der Welt und viel weiter

TC 21:33 – Outro

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

TC 00:15 - Intro

ZITATOR 1

Liebe Mutter, heute war ich bei dem charmanten Professor Wyville Thomson, der den 1. November als Leiter einer dreijährigen Expedition um die Welt mit einem besonders hierzu ausgerüsteten Kriegsschiffe abgeht. Während ich in seinem herrlichen Salon mit ihm sprach, wurde er nachdenklich, fragte mich, ob ich oft an der See gearbeitet habe und dann: „If I should like to go round the world.“

MUSIK kurz freistehend

SPRECHERIN 

Der junge Mann, der am 10. Oktober 1872 in Edinburgh diesen Brief an seine Mutter schreibt, ist der 25-jährige Rudolf von Willemoes-Suhm. Ein Zoologe, der sich seit seiner Kindheit als Sammler und Beobachter der lokalen Flora und Fauna auszeichnet. Ob er um die Welt fahren möge? Eine dreijährige Expedition auf einem Segelschiff, zur Erforschung der Meere? Der junge Mann muss nicht lange überlegen:

ZITATOR 1

Ich antwortete natürlich, dass dies für mich ein großes Glück sei. Drei Jahre auf einem englischen Schiffe, kreuz und quer fahren, wäre ja herrlich! – morgen früh nach London.

MUSIK endet / MUSIK „Intricate motion red“

ATMO Meer/Segelschiff beginnt unter dem nachfolgenden Text

TC 01:30 – Auf zu den Mythen der Weltmeere

SPRECHERIN

Die Challenger-Expedition von 1872 bis 1876 gilt bis heute als Beginn der wissenschaftlichen Meereskunde. Die Weiten der Weltmeere sind zu dieser Zeit fast unbekannt, vor allem um die Tiefsee ranken sich Mythen. Keiner weiß zum Beispiel, wie tief die tiefste Stelle der Weltmeere ist – 700 Meter? 2.000 Meter? Und was befindet sich da unten? Gibt es dort überhaupt Leben? Ganz praktisch ist die damalige Telegrafie-Industrie an diesem Wissen interessiert. Denn wenn man Tiefseekabel verlegen will, die die Kontinente miteinander verbinden, muss man wissen, wie der Boden beschaffen ist und wo er sich genau befindet. 

Am 21. Dezember geht es los. Rudolf von Willemoes-Suhm ist mit an Bord. Er wird seine Heimat nie wieder sehen.

MUSIK/ATMO kurz freistehend

MUSIK endet unter dem nachfolgenden Text

SPRECHERIN

Die H.M.S. Challenger ist ein umgebautes Kriegsschiff, im Auftrag der Royal Society. Sie ist ein segelndes Labor, ausgestattet mit Mikroskopen, Netzen, Fallen, Aquarien und hunderte Meter langen Seilen, um die Meerestiefe zu loten und Tiere und Pflanzen aus dem Meer zu fischen. Die Expedition soll physikalische Messungen vornehmen: Wassertemperatur und Tiefe. Wie sind die Lichtverhältnisse? Die Strömungen? Wie sieht der Boden der Tiefsee aus – und: Wie ist das Leben im Meer verteilt? Darüber hinaus sollen die Flora und Fauna der angefahrenen Küsten erfasst werden. Eine gigantische Aufgabe. 216 Matrosen und wissenschaftliche Mitarbeiter legen in London ab – dreieinhalb Jahre später kehren nur 144 Mann zurück, manche gehen unterwegs freiwillig von Bord, andere sind gestorben oder krank geworden. 

ATMO kurz freistehend

SPRECHERIN

Zunächst geht es Richtung Süden entlang der spanischen Küste.

ZITATOR 1

H.M.S. Challenger, 31. Dezember 1872 – Atlantischer Ozean bei Kap Finisterre. 

ATMO endet unter dem nachfolgenden Text 

SPRECHERIN

Sofort nach Ablegen beginnt die Arbeit. Mit einer Dampf-Dredgemaschine – mit einem großen Schleppnetz – holen die Forscher die ersten Meerestiere an Bord. Der junge Zoologe ist begeistert.

ZITATOR 1

Glänzender, kleiner Fisch, von sonderbarster Form, und ein fast durchsichtiger Seestern von schönstem Roth, außerdem viele Krabben und Würmer. … Das Schiff schaukelt zwar, zittert aber selbst unter Dampf nicht, so dass ich sogar meine Zeichnungen während der Fahrt ausführen konnte. 

MUSIK „The Swede“, J. Söderqvist

TC 04:09 – Eine Reise, die man sich heute kaum vorstellen kann

SPRECHERIN

Weiter geht es Richtung Madeira und Teneriffa – dann über den Atlantik in die Karibik. Eine Reise, die man sich heute kaum noch vorstellen kann. Natürlich gibt es immer noch Forschungsschiffe, die sogar bis in die Antarktis fahren. Doch dreieinhalb Jahre am Stück ist heute keiner mehr auf Forschungsfahrt. Allein die Logistik mutet abenteuerlich an. Der Reiseplan ist im Vorhinein erstellt, doch Flauten oder Stürme bringen ihn regelmäßig durcheinander. Es ist erstaunlich, mit welcher Zuverlässigkeit die Briefe hin- und hergeschickt werden, Tiere und Pflanzen die Postämter in Deutschland und England erreichen – manchmal sogar lebende Tiere, wie Papageien. 

MUSIK endet

ZSP. 1 WEFER

„Es war ja eine britische Expedition und England war natürlich gut vernetzt.“

SPRECHERIN

Gerold Wefer ist Professor für Geologie mit dem Schwerpunkt Meeresgeologie an der Universität Bremen. 

ZSP. 2 WEFER

„Wenn das jemand machen konnte, dann könnten das die Briten und zum Beispiel Hongkong war ja damals auch ein ganz wichtiger Hafen. Und die hatten auch die Mittel. Man hat ja mal ausgerechnet, dass das ungefähr 20 Millionen Dollar oder Euro gekostet hat, also wenn man das umrechnet. Sie hatten auch Mittel, sich so etwas einzukaufen.“

SPRECHERIN

So beschreibt Rudolf von Willemoes-Suhm seinen Arbeitsplatz in einem Brief an Professor von Siebold, seinen Mentor:

MUSIK „Microelements (c)“

ZITATOR 1

Wir haben in diesem einst von Kanonen eingenommenen Raum am Fenster einen großen Arbeitstisch mit einer Reihe von Fächern in der Mitte und mit Schrauben zur Befestigung der Mikroskope, rechts und links sind an den Wänden große Schränke und Schubladen, alle mit Fächern versehen, in denen die Ihnen wohlbekannten Geräte auf das zweckmäßigste untergebracht sind. An der Wand ist ein Hahn angebracht, aus dem Spiritus ausläuft. Für die Zubereitung der höheren Thiere, sowie für das Aufsuchen von Eingeweidewürmern wird noch an Deck ein anderer Platz angewiesen werden.

MUSIK endet unter dem nachfolgenden Text 

SPRECHERIN

Es ist ein dauerndes Fischen, Loten, Vermessen, Zeichnen, Benennen und Kartografieren. Den Wissenschaftlern an Bord wird es nicht langweilig. Das war vorher nicht abzusehen – denn damals geht man davon aus, dass die Tiefsee ohne Leben ist, sagt Gerold Wefer von der Uni Bremen:

ZSP. 3 WEFER

„Diese Expedition hat dann bewiesen, dass es dort ein reichhaltiges Leben gibt, es leben da nicht so viele pro Quadratmeter, weil das Nahrungsangebot geringer ist. Aber das ist egal, ob es dort kalt oder hoher Druck, dass es keine Rolle spielt und dort sehr viele Organismen leben, das war zum Beispiel eine ganz wichtige neue Erkenntnis, die mit dieser Challenger-Expedition erzielt wurde.“

SPRECHERIN

Bis heute ist die Fahrt beispielhaft für die Meeresforschung geblieben. Denn es geht nicht nur darum, an Bord Forschung zu betreiben. In den 20 Jahren danach werden alle Daten ausgewertet, 50 Ereignisbände herausgebracht, insgesamt 29.000 Seiten lang. Das Besondere: Dabei werden Forscher eingebunden, die auf der Challenger überhaupt nicht dabei waren, zum Beispiel auch Ernst Haeckel in Jena. Er wertet die Radiolarien, Mikroorganismen mit bemerkenswerten Gehäusen aus.

ATMO Meer/Segelschiff beginnt unter dem nachfolgenden O-Ton

ZSP. 4 WEFER

„Und er hat wunderschöne Bilder gemacht und hat dann eine Arten-Bestimmung gemacht und das benutzen wir heute noch als Beispiel auch in Vorlesungen, wie man so etwas darstellt und wie so etwas entstanden ist. Es sind sehr viele Anregungen gekommen und es war eine ganz wichtige Expedition.“

TC 07:37 – Ewige Zeitkapseln: Briefe und Funde der Expedition 

SPRECHERIN

Im März 1873 ist die Challenger mitten auf dem Atlantik, auf dem Weg in die Karibik. Seit dreißig Tagen sind die Männer nun auf See.

ATMO endet unter dem nachfolgenden Zitat

MUSIK „Wiener Bonbons. Walzer“, J. Strauß (Sohn), beginnt unter dem nachfolgenden Zitat

ZITATOR 1

Bei Tische merkt man es nur wenig – wohl fehlen Blumen und frische Früchte gänzlich, auch erscheinen oft Conserven aus Blechbüchsen, aber Truthühner, Hammel und Hühner leben noch hinlänglich, sodass das Dinner in gewohnter Ausdehnung serviert wird. Nur Briefe und Zeitungen entbehren wir sehr.

SPRECHERIN

Am Abend gibt es zur Aufmunterung Musik – „God save the Queen“, Wiener Walzer und sogar ein „deutsches Potpourri“, wie Rudolf von Willemoes-Suhm beschreibt – inklusive der „Wacht am Rhein“. 

MUSIK endet

SPRECHERIN

Ein paar Tage später dann: St. Thomas ist erreicht. Hier warten auch schon Briefe aus der Heimat. Dazu Bücher und Zeitungen. An Land geht die Sammelei weiter, die Zoologen finden Kolibris, kleine Tauben, Pelikane und Fregattvögel, Tausendfüßler, Termiten und Spinnen. Die Funde der Challenger-Expedition sind heute wie eine Zeitkapsel, sagt Holly Morgenroth, Meeresbiologin an der Universität Exeter:

ZSP. 5 MORGENROTH

“So because the challenger specimens come with so much associated data, for example we know exactly what the sea temperature at the surface and at the bottom was when each specimen was collected. The challenger data set as a whole is a fantastic resource for any scientist wanting to study climate change and ocean acidification. Without these specimens and data sets such as Challenger, we don't have any kind of benchmark as to how the ocean looked and the conditions there 150 years ago. We can't go back in time and collect again.”

VO 5 Morgenroth  VOICEOVER WEIBLICH:

Die Fundstücke der Challenger kommen mit sehr vielen Daten. Wir wissen beispielsweise genau, wie warm das Wasser an der Oberfläche und in tieferen Regionen war, als sie herausgefischt wurden. Die Daten der Challenger-Expedtion sind eine fantastische Quelle für jeden Forscher, der sich mit dem Klimawandel beschäftigt oder mit der Meeresversauerung. Ohne solche historischen Ergebnisse hätten wir keine Referenzwerte darüber, wie der Ozean vor 150 Jahren ausgesehen hat. Wir können ja nicht in die Zeit zurück reisen und nochmal sammeln.

SPRECHERIN

Die Briefe von Rudolf von Willemoes-Suhm zeigen aber noch etwas anderes – sie zeigen ein britisches Empire im Zenit seiner Macht. Zwar sind in den europäischen Kolonien die ersten Sklaven bereits befreit, aber deren Situation ist größtenteils erbärmlich. Tausende entwurzelter Menschen, die sich mehr schlecht als recht durchschlagen. Auch dem deutschen Zoologen, einem typischen Adeligen seiner Zeit, fällt das auf. 

Einen direkten Zusammenhang zur europäischen Kolonialherrschaft sieht er allerdings nicht. Er beschreibt die Situation der Sklaven auf den Kapverden, portugiesischem Gebiet:

ZITATOR 1

Nach dem portugiesischen Liberationsgesetz werden sie allmählich frei – eine zweifelhafte Wohlthat – da sie sich dann völlig dem Nichtsthun hingeben.

SPRECHERIN

Nur manchmal scheint in seinen Briefen auf, dass ihm sehr wohl bewusst ist, was passiert, wenn die Europäer von einer Gegend Besitz ergreifen. So zum Beispiel als er in einem Brief an seinen Professor von einem Treffen mit einem lokalen König, König Georg auf der Insel Tonga, nahe der Fidschi-Inseln schreibt:

ZITATOR 1

Für alle Seefahrer ist Tonga ein schöner Haltepunkt; möge es noch lange so bleiben und möge König Georg einen Nachfolger finden, der die nationale Unabhängigkeit wahrt und die schwere Kunst versteht, sein Volk nicht zu schnell zu zivilisieren. Nur so wird die auf allen Inseln vor sich gehende Entvölkerung wenigstens verlangsamt werden.

MUSIK „Leaving Peru“, Eric Serra

TC 10:58 – Über Brasilien und Südafrika nach Australien 

SPRECHERIN

Nach der Karibik fährt die Challenger für einen kurzen Abstecher nach Halifax, Kanada um von dort dann über den Äquator zu segeln und Brasilien anzusteuern, beziehungsweise Bahia, heute ein Landesteil Brasiliens. Hier geht die ganze Mannschaft für einige Zeit von Bord. Rudolf von Willemoes-Suhm erkundet den Rand des Regenwaldes.

ATMO Tropen/Frösche beginnt unter dem nachfolgenden Zitat

ZITATOR 1

H.M.S. Challenger, 3. Oktober 1873. Liebe Mutter! Der Aufenthalt in Bahia war der schönste, den wir bisher gehabt. ... Bei Einbruch der Dunkelheit erhob sich ein infernalisches Concert von Fröschen und Kröten, gegen die unsere einheimischen Frösche liebliche Töne ausstossen. – Feuerkäfer, zolllange Johanniswürmchen durchschwirren die Luft, hier mit verdoppelter Macht leuchtend.

ATMO und MUSIK enden unter dem nachfolgenden Text

SPRECHERIN

In Bahia bleibt die Challenger fast einen Monat. Doch an Land ist es nicht langweilig – die Offiziere und Wissenschaftler sind regelmäßig zu Empfängen, Abendessen oder Festen eingeladen, die Funde der letzten Wochen auf See werden weiter bearbeitet, Briefe und Forschungsberichte geschrieben. 

ATMO Meer/Segelschiff

SPRECHERIN

Am 8. Oktober 1873 geht es wieder hinaus auf See. Ziel: das Kap der guten Hoffnung. Südafrika. Von dort aus geht es bis ins Polarmeer, auf der Suche nach dem großen Südkontinent, der legendären Terra australis. Seit der Antike spekulieren manche Gelehrte, dass alle Weltmeere von einer gigantischen Landmasse umgeben seien – so wie das Mittelmeer im Keinen. Die Challenger findet nichts. Immerhin: Beeindruckende Eisberge kreuzen am 1. März 1874 das Segelschiff.

MUSIK „Glassy“, Anselm Kreuzer/Andreas Suttner

ZITATOR 1

Bald gleichen sie flachen, einförmigen Eissohlen, bald herrlichen Burgen mit Thürmen und Zinnen, Erkern und Schiessscharten. In ihren Höhlen, in die die See brausend hineinfährt, spiegelt sich das herrlichste Blau, und alle Schattierungen von Grün und Blau sieht man in ihren bald grösseren, bald kleineren Rissen und Löchern. 

MUSIK endet unter dem nachfolgenden Text 

SPRECHERIN

Wochenlang fährt die Challenger von Kapstadt bis nach Melbourne in Australien. Weiterhin wird gefischt, der Meeresboden und das Wasser untersucht, je nachdem, ob die Winde günstig stehen. So langsam haben die Passagiere genug, schreibt Rudolf von Willemoes-Suhm:

ATMO endet

ZITATOR 1

14. März 1874. 41. Breitengrad. 340 Meilen südlich von Australien. Vorgestern ist unser letztes Schaf geschlachtet, Kartoffeln giebt es schon lange nicht mehr, aber das Essen ist im Ganzen nicht schlecht zu nennen, wenn ich auch gerne für einen Laib holsteinischen Schwarzbrodes 1/2 Dollar bezahlte. Wir sind nun des Lebens an Bord herzlich satt und freuen uns gewaltig auf die Veränderung der Scenerie, die wohl in drei Tagen erfolgen wird. 

MUSIK „Do you like this place“, Eric Serra beginnt unter dem nachfolg. Text

SPRECHERIN 

Und tatsächlich – drei Tage später fährt die Challenger im Hafen von Melbourne ein. Rudolf von Willemoes-Suhm genießt die Zeit in Australien, zurück in der Zivilisation. Er besucht das Museum von Sydney und staunt über Fossilien, die Ähnlichkeit mit merkwürdigen Fischen haben, die in Queensland gefunden wurden. Man darf nicht vergessen, erst gut 25 Jahre vorher hat Charles Darwin seine Evolutionstheorie veröffentlicht.

MUSIK freistehend / ATMO Meer

TC 14:30 – Am tiefsten Punkt im Meer

SPRECHERIN

Nach Australien geht es über Neuseeland, wo auch wieder die Meerestiefe für die Tiefseekabel bestimmt wird, weiter bis zu den Fidschi-Inseln. Vor allem die Erkenntnisse aus der Tiefsee waren damals sensationell, sagt Gerold Wefer von der Universität Bremen, denn von dem, was da unten leben sollte …

ATMO endet / MUSIK endet unter dem nachfolgenden O-Ton

ZSP. 6 WEFER 

„Da gab es natürlich wilde Vorstellungen. Aber diese Expedition hat ja auch sehr viele Bodenproben, unten an den Loten hatte man so eine Einrichtung, dass auch Sedimente mit hoch gebracht wurden. Und da hat man gesehen, dass sehr viele Bereiche von so einem braunem Kalkschlamm bedeckt sind. Was auch ein Hinweis darauf ist, dass es dort Sauerstoff gibt und dass man das so, nehmen mal an in 3.000, 4.000 Meter Wassertiefe, dieser braune Schlamm, das ist ein Kalkschlamm und man hat dann noch im Mikroskop gesehen, dass es da sehr viele Reste von Organismen gibt, Foraminiferen zum Beispiel, das sind so Einzeller, die ein wunderschönes Gehäuse bilden.“

SPRECHERIN

Ende des Jahres, am 17. November 1874, erreicht die H.M.S. Challenger die britische Kolonie Hongkong. 

ZITATOR 1

Wir sind in China! Was für eine tolle Scenerie! Rund um das Schiff Djunken sonder Zahl; im Schiff Chinoiserien aller Art, Waschkerle, Curiositätenhändler, Portraitmaler, Schneider etc.; alle mit langen Schwänzen. 

SPRECHERIN

Hongkong ist ein internationaler Treffpunkt, hier finden sich Europäer, Chinesen, Händler, Kriegsschiffe und Beamte. Rudolf von Willemoes-Suhm ist mittlerweile ein erfahrener Forschungsreisender, und die Arbeit wird immer anspruchsvoller, wie er am 2. Februar 1875 an seine Mutter schreibt:

ZITATOR 1

Philippinen. Liebe Mutter! Gerade jetzt sitze ich in der Entzifferung der Embryologie der Pfeilschwanzkrabbe, die zu entziffern mir schon fast gelungen ist und eine der besten Sachen ist, die mir je ĂĽbertragen wurde, vielleicht die beste.

MUSIK „Ocean drive“, Sabine Zlotos

SPRECHERIN

Kurz darauf lotet die Challenger den bis dahin tiefsten Punkt der Weltmeere, in 

8.184 Metern Tiefe – zwischen Guam und Palau. Von dort nehmen sie auch Proben. Heute weiß man, dass diese Stelle im Marianengraben liegt, er ist eine der tiefsten Stellen des Meeres. Der Schiffsingenieur W. J. J. Spry beschreibt den 23. März 1875 folgendermaßen:

ZITATOR 2

In Folge des ungeheueren Druckes, welcher in dieser bedeutenden Tiefe auf den Thermometern lastete … waren fast alle Instrumente zerbrochen; nur eines hatte den colossalen Druck überstanden … wir machten dann noch drei weitere Versuche, um die Temperatur in dieser grossen Tiefe zu bestimmen, doch holten wir die Instrumente jedes Mal in beschädigtem Zustande wieder an Bord.

MUSIK endet / MUSIK „The third dive“, Eric Serra

SPRECHERIN

Gemessen wurde am Ende: rund zwei Grad am Meeresboden, knapp 28 Grad an der Wasseroberfläche. 

MUSIK kurz freistehend

ATMO Meer beginnt unter dem Ende des nachfolgenden Textes

TC 17:28 – Bis zum Ende der Welt und viel weiter

SPRECHERIN

Nach Hongkong geht es weiter bis Japan und Hawaii. Der sonst so zähe Rudolf von Willemoes-Suhm fängt sich auf See eine Infektion ein. Geschwüre im Gesicht, im Nachhinein vermutet man, dass er eine bakterielle Streptokokken-Infektion hatte, die damals leicht tödlich ausgehen konnte, Antibiotika gab es noch nicht. Am 

13. September 1875, acht Monate vor Ende der Forschungsreise, stirbt der Zoologe an Bord der Challenger, 380 Seemeilen vor Tahiti, mitten im Pazifischen Ozean. 

MUSIK endet / ATMO Meer kurz freistehend

SPRECHERIN

Anscheinend hatte sich der deutsche Zoologe auf der langen Fahrt mit dem Chemiker Young Buchanan angefreundet. Er schreibt später einen Brief an Willemoes-Suhms Mutter:

ATMO endet

ZITATOR 2

Mit ihm habe ich meinen besten Freund hier an Bord verloren. Selbst Monate später kann der Verlust, den die Expedition damit erlitten hat, noch nicht ganz erfasst werden. 

Hätte er nur ein paar Jahre länger gelebt, er hätte zweifellos die Reihe der Deutschen, die ihr Land in der Wissenschaft berühmt gemacht haben, angeführt. Wie dem auch sei – keiner seines Alters hat so ein unauslöschliches Zeichen in der Wissenschaft der Zoologie hinterlassen. 

MUSIK „Intricate motion red“

SPRECHERIN

Die Forschungsreise wird fortgesetzt – es wird weiter das Schleppnetz ausgeworfen, der Fang dokumentiert, das Wasser untersucht. Noch ist die Heimat weit. Es geht nach Chile, dann über die Magellanstraße wieder Richtung Norden, der Schiffsingenieur W. J. J. Spry dokumentiert weiter die Reise: 

ZITATOR 2

Der 13. März 1876 hatte für uns eine besondere Bedeutung, denn an diesem Tage kreuzten wir den Kurs, welchen wir zwei und ein halbes Jahr vorher auf der Fahrt von Bahia nach dem Cap der guten Hoffnung genommen hatten. Die Umseglung der Erde war also vollendet und der grösste Theil der Reise erfolgreich zurückgelegt.

SPRECHERIN

Diesem Urteil schlieĂźt sich heute auch der Meeresgeologe Gerold Wefer an:

MUSIK endet unter dem nachfolgenden O-Ton

ZSP. 7 WEFER

„Es ging ja auch um Fragen: Wie ist das Leben auf der Erde entstanden. Was sind die Grenzen des Lebens. Und das war ja nicht nur diese Expedition, sondern die ganze Zeit war ja geprägt von so einem Aufbruch Wissenschaft zu entwickeln, mehr über die Erde und auch andere Phänomene zu erfahren und da ist das eine ganz wichtige Expedition, die Standards gesetzt hat, die Beispiele gegeben hat, wie man es machen soll und muss. Und da folgten dann andere und die haben darauf aufgebaut.“

SPRECHERIN

Zum sechsten und letzten Mal überquert die H.M.S. Challenger den Äquator, am 

16. April 1876 erreicht sie die Kapverden. Fast zu Hause. 

MUSIK „The seagull“, J. Söderqvist, beginnt unter dem nachfolgenden Zitat

ZITATOR  2

(Am Morgen des 24. Mai) sahen wir, als wir zwischen unzähligen auswärts und heimwärts bestimmten Schiffen hindurch in den Canal segelten, zum ersten Mal wieder die englische Küste durch den leichten Nebel schimmern. Noch ein paar Stunden dampften wir … dann waren wir in Portsmouth und ankerten nun, am Abend des 24. Mai, nach einer Abwesenheit von drei und einem halben Jahr wieder in englischen Gewässern. 

SPRECHERIN

Die Challenger hatte rund 130.000 Kilometer zurĂĽckgelegt, alle Weltmeere befahren und vermessen. 20 Jahre dauerte es, die Ergebnisse auszuwerten. Bis heute kann man AusstellungsstĂĽcke in Museen in ganz Europa bewundern. Ein letztes Wort des Bordingenieurs W. J. J. Spry:

ZITATOR 2

Endlich war der letzte Tag, der 12. Juni, herangekommen, wo alle unsere innigen Beziehungen zueinander getrennt wurden, wo Jeder der Mannschaft der „Challenger“ seinen Weg ging, um unter Freunden und Verwandten der trauten Heimath stilleres Glück zu finden.

MUSIK endet

TC 21:33 – OutroÂ