Alles Geschichte - History von radioWissen   /     BLACK HISTORY - Afrikas Ausverkauf auf der Berliner Konferenz

Description

Wer sich die Staatsgrenzen afrikanischer Staaten auf der Landkarte anschaut, sieht, dass manche von ihnen wie mit dem Lineal gezogen wirken. - Und genauso war es auch. Auf der sogenannten Berliner Konferenz oder Kongo-Konferenz von 1884/85 fand der koloniale Ausverkauf Afrikas statt. Februar ist "Black History Month". Von Gerda Kuhn (BR 2009)

Subtitle
Duration
00:23:40
Publishing date
2024-02-16 11:05
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/alles-geschichte-history-von-radiowissen/black-history-afrikas-ausverkauf-auf-der-berliner-konferenz/2090088
Contributors
  Gerda Kuhn
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2090088/c/feed/black-history-afrikas-ausverkauf-auf-der-berliner-konferenz.mp3
audio/mpeg

Shownotes

Wer sich die Staatsgrenzen afrikanischer Staaten auf der Landkarte anschaut, sieht, dass manche von ihnen wie mit dem Lineal gezogen wirken. - Und genauso war es auch. Auf der sogenannten Berliner Konferenz oder Kongo-Konferenz von 1884/85 fand der koloniale Ausverkauf Afrikas statt. Februar ist "Black History Month". Von Gerda Kuhn (BR 2009)

Credits
Autorin: Gerda Kuhn
Regie: Dorit Kreissl
Es sprachen: Christiane RoĂźbach, Rainer Buck
Technik: Lydia Schön
Redaktion: Brigitte Reimer
Im Interview: Dr. Thomas Reinhardt

Linktipps:

Deutschlandfunk Kultur (2020): Europas koloniales Erbe in Afrika

Europas Kolonialismus hat den afrikanischen Kontinent geprägt und tut das bis heute. Höchste Zeit, dass Europa sich dekolonisiert, sagen Experten. Dabei geht es um Wirtschaftsbeziehungen ebenso wie um Kultur. JETZT ANHÖREN


ARD alpha (2024): Die Erfindung des Rassismus in Farbe

Eine Pioniertat prägt in jahrzehntelang das Bild von Afrika und den Afrikanern und legt ab dem Jahr 1907 die fotografischen Grundlagen des Rassismus: die Reise des jungen Fotografen Robert Lohmeyer (1879-1959) aus dem westfälischen Gütersloh in die deutschen Kolonien Togo, Kamerun, Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) und Deutsch-Ostafrika (heute Tansania). Er soll die Kolonien auf dem Höhepunkt des Imperialismus in Farbe fotografieren, um die Begeisterung der Bevölkerung für die fernen Besitzungen anzuregen. Es handelt sich um eine akribisch geplante PR-Aktion des Kaiserreichs. Es ist auch die "Erfindung" Afrikas und des Rassismus in Farbe, dessen Auswirkungen bis heute spürbar sind. JETZT ANSEHEN



Und hier noch ein paar besondere Tipps fĂĽr Geschichts-Interessierte:

Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?

DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.

Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. 

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.


Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:

TC 00:15 – Intro
TC 03:06 - Geiz und Prestige der europäischen Herrscher
TC 05:05 - Mit Stift und Lineal
TC 12:26 - Über alle Köpfe hinweg
TC 15:35 - Die Flagge folgt dem Handel: Das deutsche Kolonialvorgehen
TC 18:53 - Plünderung, Sklaverei und Gräueltaten
TC 23:03 – Outro

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:


00:15 – Intro

Musik    (Pathetisch, patriotisch, getragen)

ZITATOR

[„Im Namen des Allmächtigen Gottes (…)“]

ERZĂ„HLERIN

„Artikel 6: Bestimmungen hinsichtlich des Schutzes der Eingeborenen, der Missionare und Reisenden, sowie hinsichtlich der religiösen Freiheit“:

ZITATOR

„Alle Mächte, welche in den gedachten Gebieten Souveränitätsrechte oder einen Einfluß ausüben, verpflichten sich, die Erhaltung der eingeborenen Bevölkerung und die Verbesserung ihrer sittlichen und materiellen Lebenslage zu überwachen und an der Unterdrückung der Sklaverei mitzuwirken.”

ERZĂ„HLER:

So pompös und vermeintlich nächstenliebend gibt sich die Präambel im Schlussdokument der Berliner Afrika-Konferenz 1885 - einer Zusammenkunft, die über das Schicksal von Millionen Menschen gleichsam am Pokertisch entscheidet. Mit dabei sind Deutschland, die USA, das Osmanische Reich sowie Österreich-Ungarn, Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Portugal, Russland, Spanien und Schweden-Norwegen. Sie alle wollen den Eindruck erwecken, in göttlichem oder doch zumindest in christlichem Auftrag zu handeln. Tatsächlich aber verfolgen sie ausschließlich strategische und wirtschaftliche Eigeninteressen. So ist das eben im ausgehenden 19. Jahrhundert: den Mächtigen dieser Welt fällt es relativ leicht, sich und ihre Staaten als das Zentrum von Kultur und Zivilisation zu sehen, von dem aus der Rest der Welt huldvoll zu beglücken ist – notfalls auch mit Gewalt. Und natürlich im Namen Gottes.

MUSIKAKZENT schrill, schräg, anklagend

ERZĂ„HLERIN:

Äußerer Anstoß für die Berliner Afrika-Konferenz – oder Kongo-Konferenz - ist die Frage, wer das Kongo-Becken ausbeuten darf: ein riesiges Gebiet entlang des zweitlängsten und wasserreichsten Flusses in Afrika. Europäer halten sich zu diesem Zeitpunkt allenfalls in den afrikanischen Küstenregionen auf; ins Landesinnere stoßen die wenigsten vor. Der Ethnologe Thomas Reinhardt von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität:

O-Ton Reinhardt:

„Die Kolonisierung hat begonnen kurz nach der Entdeckung des Chinins und der Malaria hemmenden Wirkung des Chinins. Davor war Afrika einfach dieses „Grab des weißen Mannes“.“

TC 03:06 – Geiz und Prestige der europäischen Herrscher

ERZĂ„HLER:

Das Interesse am Kongo wird durch den britischen Journalisten und Abenteurer Henry Morton Stanley geweckt. Als Reporter erhält er den Auftrag, den verschollenen Missionar und Afrika-Forscher David Livingstone zu finden. Er entdeckt ihn schließlich halbverhungert am Tanganijka-See. In den folgenden Jahren durchquert Stanley Afrika von Osten nach Westen. Er wird zum selbsternannten Kongoforscher; braucht dafür aber Geldgeber.

MUSIK afrikanisch, rhythmisch

ERZĂ„HLERIN:

Als sein Heimatland England kein Interesse zeigt, schafft Stanley es, Leopold II. für seine Idee zu begeistern. Der belgische Monarch aus dem deutschen Adelsgeschlecht Sachsen-Coburg und Gotha ist seit langem auf der Suche nach Möglichkeiten, sein Selbstwertgefühl und seine finanziellen Mittel zu vergrößern. Das Kongogebiet, reich an Bodenschätzen, Anbauflächen und wilden Tieren, verspricht ansehnlichen Profit. Doch Leopold ist clever genug, seine kolonialen Gelüste zunächst hinter vermeintlich noblen Zielen zu verstecken. Er wolle zur Erforschung Afrikas und zum Kampf gegen die Sklaverei beitragen, lässt er erklären.

ZITATOR:

„Es geht darum, den einzigen Teil des Globus, den die Zivilisation noch nicht durchdringen konnte, für sie zu öffnen und die Finsternis zu durchbrechen, die noch ganze Völkerschaften umgibt. Man muss einen Kreuzzug führen, der diesem Jahrhundert des Fortschritts würdig ist.“

ERZĂ„HLER:

Im „Namen des Fortschritts“ wird die Unterjochung der Völker Afrikas vorbereitet. Dem schwarzen, dunklen – sprich: unzivilisierten – Kontinent soll das Licht des aufgeklärten Europa gebracht werden. Soweit die offizielle Lesart. Doch wie so oft in der Geschichte sind Lippenbekenntnisse das eine, Realpolitik das andere. Beim großen Run auf Kolonien geht es vor allem um das Machtgleichgewicht in Europa. Als man in Deutschland beginnt, an ein Kolonialreich zu denken, ist die Welt eigentlich schon vergeben. Engländer, Spanier, Portugiesen und Franzosen haben in Afrika, Asien, Australien und Amerika bereits riesige Gebiete unter ihr Protektorat gestellt. Deutschland, die „späte Nation“, schafft erst 1871 die Reichsgründung, jetzt erst beginnt man in Berlin darüber nachzudenken, wie auch die Deutschen „einen Platz an der Sonne“ – sprich: ein Kolonialreich - ergattern könnten.

ERZĂ„HLERIN:

Dabei ist Bismarck, der große Jongleur der Macht, zunächst nicht an Kolonien interessiert. Er zweifelt an ihrer Wirtschaftlichkeit und ihrem strategischen Wert. Aber die weltweite britische Kolonial-Vorherrschaft verfolgt auch er mit Unbehagen. Die alte Seemacht England hat schon früh ihre Einfluss-Zonen gesichert. Vor allem das britische Kolonialreich in Indien weckt den Neid der europäischen Konkurrenten. Der indische Subkontinent gilt als das „schönste Juwel in der britischen Krone“. Kein Wunder, dass sich auch in anderen Ländern gekrönte und ungekrönte Häupter mit derartigen Juwelen schmücken wollen.

ERZĂ„HLER:

Über Bismarcks wahre Motive bei der Kongo-Konferenz ist viel spekuliert worden. Immerhin schreibt er in verblüffender Ehrlichkeit an den Rand einer Passage in der Konferenzvorlage das Wort „Schwindel“. Doch 1884 stehen Wahlen vor der Tür und Bismarck muss Rücksicht nehmen auf die mit ihm verbündete Nationalliberale Partei, die bereits deutlich vom „Kolonialfieber“ infiziert ist. Immerhin ist der Besitz von Kolonien inzwischen in ganz Europa zu einer Frage des nationalen Prestiges geworden.

TC 06:50 – Mit Stift und Lineal

ERZĂ„HLERIN:

Am 15. November 1884 ist es dann soweit: Die Herren treffen erstmals im Reichskanzlerpalais in der Berliner Wilhelmstraße 77 zusammen. Leopold II. hat die Konferenz eingefädelt, bleibt aber selbst im Hintergrund. Der Monarch schickt seinen Vertrauten vor, Baron Gerson Bleichröder, der auch für Bismarck als Bankier und Berater in internationalen Finanzfragen tätig ist. Leopold will den Reichtum des Kongo für sich, sozusagen als private Schatztruhe. Der Ethnologe Thomas Reinhardt:

O-Ton Reinhardt:

„Leopold II., König von Belgien, ist eine der zentralen Figuren bei dieser Konferenz, obwohl er selbst überhaupt nicht da war. Leopold hat in den 1870er Jahren eng zusammengearbeitet mit Henry Morten Stanley, der den Kongo überhaupt erst einmal kartographiert hatte; es war ja lange Zeit völlig unbekannt, wo der Kongo entspringt, und Leopold hatte vor, so eine Art Privatreich einzurichten im Kongobecken, und das war einer der Punkte, der verhandelt werden sollte: Wie soll mit diesem Riesengebiet umgegangen werden? Soll es in eine Freihandelszone umgewandelt werden? Stanley hat tatsächlich im Auftrag Leopolds an dieser Konferenz teilgenommen.“

ERZĂ„HLER:

Als eher unbedeutender Staat braucht Belgien für seine Kongo-Pläne die Zustimmung oder zumindest die Duldung der großen europäischen Mächte. Immerhin erhebt inzwischen Portugal Anspruch auf die Kongo-Mündung. Dem deutschen Reichskanzler wird die Afrika-Konferenz durch das Versprechen schmackhaft gemacht, er könne sich als „ehrlicher Makler“ profilieren. Welcher Politiker verzichtet schon gerne auf die Chance, das eigene Image kräftig aufzupolieren?

Musikakzent: Afrikanische Trommeln

ERZĂ„HLERIN:

Die „Kongo-Konferenz“ wird in Berlin wochenlang angekündigt. An vielen Plätzen der Stadt hängen Plakate, die für „Völkerschauen“ mit afrikanischen Tänzern im Berliner Zoo werben. Kitschige Postkarten mit kolonialen Motiven sind in Mode. Auch ideologisch wird in der Presse und in öffentlichen Diskussionen das Terrain bereitet. Die Propaganda behauptet, in Afrika gäbe es noch „Niemandsland“ zu verteilen, sogenannte „weiße Flecken“. Diese müssten vermessen und besiedelt werden. Die einheimische afrikanische Bevölkerung gehört dieser Logik zufolge zur Kategorie „niemand“.

ERZĂ„HLER:

Die Delegierten, die drei Monate lang in Berlin konferieren werden, haben wenig Ahnung von Afrika, dafĂĽr aber relativ genaue Vorstellungen, welchen Gewinn sie sich fĂĽr ihr eigenes Land erhoffen. Allerdings macht sich kein Staatsoberhaupt die MĂĽhe, extra zu der Konferenz nach Berlin zu reisen. Thomas Reinhardt:

O-Ton Reinhardt:

„Es lief wohl so ab, dass das Botschaftspersonal, das in Berlin ohnehin versammelt war, an dieser Konferenz teilnahm. Das war also keineswegs die erste Garde der jeweiligen Diplomatie, sondern es waren die Vertreter der einzelnen Nationen in Deutschland, zum Teil auch durchaus untergeordnetes Botschaftspersonal.“

ERZĂ„HLERIN:

Der Konferenzsaal wird von einer fünf Meter hohen Afrika-Karte dominiert. Zwar fehlt darauf das eine oder andere geographische Detail, doch allzu sehr wollen sich die Versammelten ohnehin nicht in Einzelheiten verlieren. Lord Salisbury, der britische Delegationsleiter, gibt später in einem Interview mit der London Times zu:

ZITATOR:

„Wir haben Linien auf Karten eingetragen, in Gegenden, die noch nie ein Weißer betreten hat; wir haben uns gegenseitig Berge und Flüsse und Seen zugesprochen, mit dem einzigen kleinen Schönheitsfehler, dass wir niemals genau wussten, wo diese Berge und Flüsse und Seen lagen.“

ERZĂ„HLERIN:

Es kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, …

O-TON Thomas Reinhardt:

… dass die meisten Delegierten der Konferenz von Afrika nicht mehr wussten als auf den Servietten abgedruckt war – nämlich eine Umrisskarte des Kontinents.

ERZĂ„HLER:

Doch solche „Schönheitsfehler“ halten die Europäer nicht auf. Vom großen Kuchen Afrika wollen sich alle ein Stück abschneiden. Zwar fallen auf der Konferenz noch keine Entscheidungen über den Verlauf der künftigen Grenzen, aber die Modalitäten für den Ausverkauf Afrikas werden festgelegt. Später wird es auf der Landkarte aussehen, als seien in Afrika manche Ländergrenzen schnurgerade wie mit dem Lineal gezogen worden - quer zu den Lebensräumen der afrikanischen Bevölkerungsgruppen. Zusammengehörende Völker werden auseinandergerissen, verfeindete Gruppen in einem neuen Kunststaat zusammengepfercht. Die Grundlage vieler ethnischer Konflikte, die den afrikanischen Kontinent bis heute erschüttern, ist gelegt.

O-TON Thomas Reinhardt:

„Es gibt bestimmt Fälle, in denen eine dieser kerzengeraden Grenzen mitten durch das Siedlungsgebiet einer Ethnie verläuft. Ich glaube aber, das viel, viel größere Problem ist, welche Gesellschaften wurden gezwungen, innerhalb von Staatsgrenzen zusammen zu leben. Nehmen wir ein Land wie Nigeria, ein Land, in dem 250 radikal verschiedene Sprachen gesprochen werden, wo es traditionell eine Reihe größerer Staatsgebiete gab, die durch die koloniale Grenzziehung plötzlich gezwungen waren, so etwas wie eine nationale Identität aufzubauen, und das hat ja in den wenigsten Fällen geklappt.“

TC 12:26 – Über alle Köpfe hinweg

ERZĂ„HLERIN:

Welche hehren Worte die Vertreter der 14 Konferenz-Teilnehmerstaaten auch offiziell für ihr Vorhaben finden – besonders beliebt ist das Argument, man wolle die Sklaverei bekämpfen – eine Tatsache ist nicht zu übersehen: Kein einziger Afrikaner sitzt am Berliner Konferenztisch. Die, über deren Schicksal entschieden wird, sind nicht präsent. Der britische Botschafter, Sir Edward Malet, in seiner Eröffnungsrede:

ZITATOR:

„Ich kann nicht darüber hinwegsehen, dass in unserem Kreis keine Eingeborenen vertreten sind, und dass die Beschlüsse der Konferenz dennoch von größter Wichtigkeit für sie sein werden."

MUSIK afrikanisch, rhythmisch

ERZĂ„HLER:

Von größter Bedeutung werden die Entscheidungen für die afrikanische Bevölkerung in der Tat sein. Sie sind der Startschuss für die rasche und umfassende Kolonialisierung Afrikas.

O-Ton Thomas Reinhardt:

„Mitte der 1870er Jahre waren etwa zehn Prozent Afrikas von Europäern offiziell in Besitz genommen, 25 Jahre später war es praktisch der gesamte Kontinent.“

ERZĂ„HLER:

Mit den Kolonialherren kommen die Kolonialsprachen. Ihre Beherrschung ist Voraussetzung für alle, die in Staat und Verwaltung arbeiten wollen. Und natürlich dominieren sie auch an den Schulen – an denen vor allem Geschichte und Kultur der jeweiligen Kolonialmacht vermittelt werden. So lernen Generationen von jungen Afrikanern alles über Shakespeare, ohne jemals auch nur eine einzige Zeile eines einheimischen Schriftstellers gelesen zu haben. Ähnliches gilt für den französischsprachigen Raum:

O-Ton Thomas Reinhardt

„Aus den französischen Kolonien kennen wir diese Geschichten von den Schulbüchern, den Lesefibeln, die beginnen mit Ausführungen über „Unsere Vorfahren, die Gallier“ – was natürlich absurd ist, wenn man es im Senegal liest oder in Kamerun.“

MUSIK afrikanisch, rhythmisch

ERZĂ„HLERIN:

Lange Zeit überlässt die deutsche Politik in Sachen Kolonialismus den Kaufleuten das Feld – auch wenn sich beide Seiten insgeheim die Bälle zuspielen. Reisende und Abenteurer machen die deutsche Regierung auf vermeintlich „herrenlose“ afrikanische Gebiete aufmerksam. Wo immer ein Stück Land entdeckt wird, auf das keine andere Kolonialmacht Anspruch erhebt, wird die eigene Fahne gehisst.

ERZĂ„HLER:

Ein auch bei den Deutschen beliebtes Verfahren ist es, mit afrikanischen Stammesführern sogenannte „Schutzverträge“ abzuschließen. Die einheimischen Clanchefs, die meist weder lesen noch schreiben können, wissen in der Regel gar nicht, was sie unterschreiben. Was es beispielsweise bedeutet, sich „unter den Schutz des deutschen Reiches“ zu stellen. Eine der folgenreichsten Klauseln lautet:

ZITATOR:

"… dass alle Arbeiten, Verbesserungen oder Expeditionen, welche die genannte Association zu irgendwelcher Zeit in irgendeinem Teil dieser Gebiete veranlassen wird, durch Arbeitskräfte oder auf andere Weise unterstützt werden."

ERZĂ„HLERIN:

Den Kolonialmächten dienen derartige Formulierungen später als Rechtfertigung, die afrikanische Bevölkerung zur Zwangsarbeit zu verpflichten.

TC 15:35 – Die Flagge folgt dem Handel: Das deutsche Kolonialvorgehen

ERZĂ„HLER:

Auch der berĂĽchtigte Abenteurer Carl Peters schlieĂźt nach diesem Muster einen angeblichen "Vertrag", der ihm weite Gebiete Ostafrikas zugesteht - "fĂĽr ein paar Flinten", wie Otto von Bismarck spottet. Peters tut sich besonders als Propagandist fĂĽr ein deutsches Kolonialreich hervor:

ZITATOR:

„Genau wie Deutschland nach der aktiven, so ist Ostafrika kolonisationsbedürftig nach der passiven Seite hin. Die üppigen Landschaften, verödet durch jahrhundertelange Sklavenjagden, liegen da wie die Obstbäume der Frau Holle und harren der Hand, die bereit ist, den reichen Segen zu ernten. Selbst in den Schwarzen dämmert die Erkenntnis auf, dass es besser mit ihnen werden wird, wenn Weiße als Herren des Landes unter ihnen wohnen.“ (….)

MUSIK

ERZĂ„HLERIN:

Peters erwirbt in Ostafrika Gebiete ohne offizielle Genehmigung der deutschen Regierung. Für 2000 Reichsmark kauft er ein Gebiet so groß wie ganz Süddeutschland. 1884 gründet er die „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“, die deutsche Siedler zur Auswanderung nach Afrika ermuntern soll. In Berlin verhält man sich zunächst abwartend. Doch als Peters droht, mit dem belgischen König Leopold II. zu verhandeln, gerät man unter Druck.

O-Ton Reinhardt:

„Meine Vermutung wäre, dass doch die Initiative zunächst von privaten Kaufleuten ausging. Also die Gesellschaft für deutsche Kolonien etwa, die relativ große Landgebiete in Afrika schon erworben hatte und die einfach auch geschützt wissen wollte, in militärischer Weise, durch eine offizielle Kolonisierungspolitik.“

MUSIK   preußisch, militärisch

ERZĂ„HLER:

Aus Berlin gibt es nun "kaiserliche Schutzbriefe" für die okkupierten Gebiete. Mit Bismarcks berühmtem Telegramm an den deutschen Generalkonsul in Kapstadt am 24. April 1884 beginnt die deutsche Kolonialgeschichte. Er stellt darin die Erwerbungen von Adolf Lüderitz in Angra Pequena, dem heutigen Lüderitzbucht in Namibia, unter den Schutz des Deutschen Reiches. Das Gebiet umfasst 580 000 Quadratkilometer mit rund 200 000 Einwohnern. Die deutsche Herrschaft in der späteren Kolonie Deutsch-Südwestafrika wird zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch den Massenmord an den Herero und Nama zu trauriger Berühmtheit gelangen.

ERZĂ„HLERIN:

Peters wird übrigens auch später noch Schlagzeilen machen: So erschließt er den Kilimandscharo mit Waffengewalt für Deutschland und empfiehlt dem Auswärtigen Amt, die dort ansässigen Warombo …

ZITATOR:

… „auszurotten wie die Rothäute Amerikas, um ihr breites und fruchtbares Gebiet der deutschen Kultivation zu gewinnen“.

Musikakzent bitter, anklagend

ERZĂ„HLERIN:

Bismarck, der an der Kongo-Konferenz lediglich zu Beginn und zum Abschluss teilnimmt, tritt dafür ein, dass Afrika zur Freihandelszone wird. Im Klartext bedeutet das: Es soll keine Hindernisse geben für die Ausbeutung von Rohstoffen und Bodenschätzen. Der Hunger nach diesen Gütern ist durch die Industrialisierung in Europa immens gewachsen.

TC 18:53 – Plünderung, Sklaverei und Gräueltaten 

ERZĂ„HLER:

Am Ende der Konferenz - man schreibt inzwischen den 26. Februar 1885 – haben sich die 14 Teilnehmerstaaten weitgehend geeinigt:

O-Ton Thomas Reinhardt

„In politischer Hinsicht das wichtigste Ergebnis war, das wirklich festgelegt wurde, auf welche Weise kann, darf, soll die Kolonisierung Afrikas künftig erfolgen? Das war durchaus ein dringendes Bedürfnis, denn in den späten 1870er, frühen 1880er Jahren begann die Kolonisierung im großen Stil. Hier war es einfach nötig – um Konflikte in Europa zu vermeiden - sich zu überlegen: welche Kriterien sind nötig, um ein britisches Kolonialreich zu etablieren, was gehört zum französischen Kolonialismus dazu, wie können wir das schaffen, dass dieser Wettlauf um Afrika vonstatten gehen kann, ohne dass es in Europa zu einem Krieg zwischen den beteiligten Nationen kommt.“

ERZĂ„HLER:

DarĂĽber hinaus wird vereinbart:

O-Ton Thomas Reinhardt

„Handelsfreiheit war das zweite, große Ergebnis. Man hat sich darauf verständigt, zwischen dem 5. Breitengrad nördlich und dem Sambesi ein riesiges Freihandelsgebiet einzurichten, in dem prinzipiell natürlich die Vertreter aller Nationen Handel betreiben durften.“

ERZĂ„HLERIN:

Zudem wird Afrika fĂĽr die christliche Mission freigegeben. Auch wenn sich nicht wenige Geistliche aus Idealismus zu ihrem Einsatz entschlieĂźen, so ist ihre Anwesenheit doch auch eine Demonstration des kolonialen Machtanspruchs der WeiĂźen.

ERZĂ„HLER:

Großbritannien erhält in der Folge die wichtigsten Teile Ost- und Südafrikas sowie Ghana und vor allem das bedeutende Nigeria. Frankreich kann künftig über einen nahezu geschlossenen Raum verfügen, der die Sahara, die Sahelzone und Teile des Kongos umfasst. Deutschland wird Kolonialmacht und bekommt Togo und Kamerun, Südwestafrika, Tanganjika und die Insel Sansibar. Letztere tauscht es später gegen Helgoland ein. Auch Gebiete in Asien und Ozeanien werden den Deutschen zugesprochen.

ERZĂ„HLERIN:

Vor allem aber wird der Kongo-Freistaat, die private Kolonie des belgischen Königs Leopold II., von den europäischen Mächten anerkannt. Der Ethnologe Thomas Reinhardt:

O-Ton Reinhardt

„Der Kongo war reich, unglaublich reich an Bodenschätzen, das gilt ja heute nach wie vor, und es war offenbar ein Gebiet, auf das niemand Anspruch erhob. Das Erstaunliche ist ja auch, dass die Besitzansprüche Leopolds im Rahmen dieser Konferenz weitgehend anerkannt wurden. Man verständigte sich zwar darauf, dass der Kongo eine Freihandelszone sein solle, dass also Angehörige anderer Nationen ebenfalls den Fluss dort befahren dürfen, und Handel betreiben dürfen, aber letztendlich hat man Leopold dieses riesige Gebiet – vermutlich in Unkenntnis dessen, was für ein enormer Reichtum dort zu finden ist - einfach überlassen.“

MUSIK   düster, moll

ERZĂ„HLER:

Der Monarch hat damit sein ursprüngliches Ziel erreicht. Er hat nun freie Hand, um durch den Verkauf von Elfenbein, Palmöl und Kautschuk den größtmöglichen Profit herauszuschlagen, ein Handel, der auf Blut gegründet ist. Denn Leopold wird in seiner Privatkolonie ein Regiment führen, das an Grausamkeit kaum zu überbieten ist. Die Einheimischen werden versklavt, um Kautschuk im Urwald zu zapfen. Ist die Ausbeute der Arbeiter zu gering, werden ihnen die Hände abgeschlagen. Männer, Frauen, Kinder, werden verschleppt, verstümmelt, ermordet. Unter Leopold II. wird der Kongo zum Schlachthaus. Historiker schätzen, dass während der belgischen Kolonialherrschaft rund zehn Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner gewaltsam den Tod finden.

Musikakzent moll

ERZĂ„HLERIN:

Die Kongo-Konferenz macht den Weg frei für die ungehemmte Plünderung Afrikas. Was die Europäer als vermeintlich selbstlose Mission im Namen von Fortschritt und Humanität ausgeben, wird sich in den kommenden Jahrzehnten als Albtraum für den gesamten Kontinent erweisen.

TC 23:03 - Outro