Ihr Leben liest sich wie die Vorlage fĂŒr einen Kinofilm: Die Deutsch-Argentinierin Tamara Bunke lebt zunĂ€chst in der DDR als systemtreue und sozialistisch geprĂ€gte junge Frau. Doch als ihr 1960 der Job als Dolmetscherin fĂŒr den kubanischen Revolutionshelden Che Guevara zufĂ€llt, beginnt sie sich immer mehr fĂŒr die VorgĂ€nge in Kuba zu interessieren. Es beginnt ein Leben als Geheimagentin im Kugelhagel. Am 8.3. ist Internationaler #frauentag 2024.
Ihr Leben liest sich wie die Vorlage fĂŒr einen Kinofilm: Die Deutsch-Argentinierin Tamara Bunke lebt zunĂ€chst in der DDR als systemtreue und sozialistisch geprĂ€gte junge Frau. Doch als ihr 1960 der Job als Dolmetscherin fĂŒr den kubanischen Revolutionshelden Che Guevara zufĂ€llt, beginnt sie sich immer mehr fĂŒr die VorgĂ€nge in Kuba zu interessieren. Es beginnt ein Leben als Geheimagentin im Kugelhagel. Am 8.3. ist Internationaler #frauentag 2024.
Credits
Autorin: Gerda Kuhn
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Thomas Loibl, Hemma Michel
Technik: Fabian Zweck
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Prof. Oliver Rump, Dr. Gerd Koenen
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:
TC 00:15 â Intro
TC 04:06 â Die Vorzeige-Genossin
TC 06:16 â Eine schicksalhafte Begegnung
TC 09:47 â Agentenleben
TC 12:43 â Alleinsein, Angst und Auflösung
TC 18:38 â Der Anfang vom Ende
TC 22:21 â Outro
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
TC 00:15 â Intro
MUSIK
ERZĂHLERIN:
Was treibt jemanden dazu an, alles aufs Spiel zu setzen? Persönliche Sicherheit, Freunde, Heimat, vielleicht sogar die Zukunft mit einem geliebten Menschen? FĂŒr Tamara Bunke, geboren 1937 in Argentinien, gestorben 1967 im bolivianischen Dschungel, war vermutlich die stĂ€rkste Triebfeder fĂŒr alles, was sie auf sich nahm, eine romantische Vorstellung vom Wesen der Revolution.
ERZĂHLER:
Tamara Bunke, die spĂ€ter unter dem Namen âTania la Guerilleraâ einen Ehrenplatz im Helden-Olymp der internationalen Linken erhalten sollte, trĂ€umte wie Kubas Revolutionsheld Che Guevara den Traum von der Befreiung Lateinamerikas. Wie Domino-Steine sollten rechte Diktaturen nacheinander stĂŒrzen und freie, gerechte Gesellschaften entstehen, geprĂ€gt vom Typus eines neuen, solidarischen Menschen. Kuba, so die Vision der beiden RevolutionĂ€re, sollte dabei als FackeltrĂ€gerin der ĂŒbrigen Welt vorangehen.
1. O-Ton Rump
Tamara Bunke war eine sehr starke Persönlichkeit, sehr lustig, freundlich, aufgeschlossen; hat durch den ersten Eindruck ĂŒberzeugt und Leute gewonnen; hatte eindeutig eine eigene Meinung⊠das heiĂt, es war ihre Meinung, dass sie fĂŒr den Sozialismus, fĂŒr die Freiheit, fĂŒr die Gerechtigkeit ⊠eingestanden hat und gekĂ€mpft hat âŠ
ERZĂHLERIN
Professor Oliver Rump von der Hochschule fĂŒr Technik und Wirtschaft Berlin. Der Historiker mit dem Fachbereich Museumsmanagement kam auf ganz besondere Weise mit dem Fall Tamara Bunke in BerĂŒhrung:
2. O-Ton Rump
Ich habe ein Kuba-Projekt an der HTW Berlin, das heiĂt Mugoku, da geht es um die Erhaltung von historischem Kulturgut auf Kuba, besonders Archivgut, und in dem Zusammenhang haben wir einen Logistik-Partner, das ist Cuba Si; eine Arbeitsgruppe bei der Partei Die Linke, und darĂŒber habe ich erfahren, dass der Nachlass von Tamara Bunke in dem GebĂ€ude der Partei âDie Linkeâ sich im Keller befindet.
ERZĂHLER
GroĂe Weltgeschichte â am Ende verwahrt in einem Berliner Keller. Doch dort sollte der Nachlass der deutsch-argentinischen RevolutionĂ€rin nicht bleiben:
3. O-Ton Rump
Dann wurde ich eben daraufhin sehr neugierig, was da so liegt. Dann habe ich noch erfahren, dass Hans Modrow, der Ehrenvorsitzende der PDS, bei der Buchmesse in Havanna dieses Material, diesen Nachlass von Tamara Bunke, ĂŒbergeben sollte; und ich als Historiker habe dann gesagt: So schnell kann das eigentlich nicht gehen, wir mĂŒssten uns eigentlich das Material noch einmal vornehmen, sichten und aufarbeiten, um daraus vielleicht noch neue SchlĂŒsse zu ziehen. Und dem wurde dann auch stattgegeben und so ist der Nachlass in mein BĂŒro gekommen.
ERZĂHLERIN
Genau genommen war es der Nachlass von Tamaras Mutter, Nadja Bunke; sie war 2003 verstorben und hatte âCuba Siâ die persönlichen GegenstĂ€nde aus dem Besitz ihrer Tochter ĂŒbergeben.
ERZĂHLER
Was der deutsche Historiker Oliver Rump auch im Rahmen eines Studenten-Projektes erarbeitete, ist heute in Kuba zu sehen - in der revolutionsgeschichtlich wichtigen Stadt Santa Clara. Dort war fĂŒr Che Guevara eine GedenkstĂ€tte errichtet worden. Sie wurde spĂ€ter um ein Mausoleum ergĂ€nzt â als die zunĂ€chst anonym verscharrten Leichen des Revolutionshelden und seiner MitkĂ€mpfer zwei Jahrzehnte nach ihrem Tod doch noch in Bolivien entdeckt wurden. Hans Modrow, der letzte MinisterprĂ€sident der DDR, war 2014 zur Ăbergabe von Tamaras Hinterlassenschaften nach Kuba gereist. Ihre Uniform, NotizbĂŒcher, Schulhefte, Zeugnisse und weitere Dokumente sind heute in der GedenkstĂ€tte âComandante Ernesto Che Guevaraâ ausgestellt.
MUSIK
TC 04:06 â Die Vorzeige-Genossin
ERZĂHLERIN
Doch noch einmal zurĂŒck, in die Zeit, als Tamara Bunke noch nicht wusste, dass sie einmal als âTania la Guerilleraâ weltweit zu einer Ikone der revolutionsbewegten Linken aufsteigen wĂŒrde. Sie wĂ€chst in ihrem Geburtsort Buenos Aires auf. Dorthin waren ihre Eltern, ĂŒberzeugte Kommunisten, vor den Nationalsozialisten geflohen. 1952 zieht die Familie zurĂŒck nach Deutschland, genauer gesagt in die Deutsche Demokratische Republik, und wohnt unter anderem in EisenhĂŒttenstadt, der ehemaligen DDR-Vorzeigesiedlung Stalinstadt.
5. O-Ton Gerd Koenen
Und da kommen sie ja nun im heikelsten MomentâŠalso 1952, da lĂ€uft in der DDR eine ganz finstere Kampagne ⊠genau gegen die West-Emigranten, zu denen sie dazu gehörten âŠauch noch jĂŒdisch, die Mutter jedenfalls ... also das war ja eine ganz dĂŒstere Stalinzeit ... mit Kosmopoliten-Verfolgung ⊠wo dort auch ein Schauprozess fĂŒr 1953 vorbereitet wird ⊠und darauf reagieren sie - und das tut Tamara aber auch - mit einer Art Ăberanpassung ⊠also sie sind 150 prozentig ⊠sie stellen sich total zur VerfĂŒgung ...
ERZĂHLER:
Der Marxismus-Kenner und Historiker Dr. Gerd Koenen. In seinem Buch âTraumpfade der Weltrevolution. Das Projekt Guevaraâ spĂŒrt er auch dem Leben von Tamara Bunke nach, das ab einem bestimmten Zeitpunkt auf tragische Weise mit Guevaras letzter revolutionĂ€rer Mission verknĂŒpft war.
Musik
ERZĂHLERIN:
Die junge Tamara - sie ist bei der RĂŒckkehr 14 Jahre alt - wird in ihrer neuen Heimat rasch zur Vorzeige-Genossin. Sie arbeitet aktiv in der Freien Deutschen Jugend FDJ und wird Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, SED. Als Tochter eines Turnlehrers ist sie einerseits eine vielseitige Sportlerin und lernt auch SchieĂen, andrerseits hat sie auch musische Interessen, spielt Akkordeon und Gitarre und sammelt lateinamerikanische Folkloremusik. Nach dem Abitur immatrikuliert sie sich am Romanistischen Institut der Berliner Humboldt-UniversitĂ€t.
TC 06:16 â Eine schicksalhafte Begegnung
ERZĂHLER:
Tamara ist bereit, mit aller Kraft am Aufbau des ostdeutschen Arbeiter- und Bauernstaats mitzuhelfen. Trotzdem bleibt ein StĂŒck Fremdheit. Sie vermisst im grauen DDR-Alltag die lateinamerikanische Lebensfreude, vieles erscheint ihr steif und verknöchert. Irgendwann wird es der jungen Frau zu eng und zu stickig. Sie will zurĂŒck in ihre argentinische Heimat, aber ihr Ausreiseantrag wird zunĂ€chst abgelehnt. Doch eine schicksalhafte Begegnung steht ihr bevor:
6. O-Ton Gerd Koenen:
âŠda kommt eben dieser Besuch von Guevara, damals noch als Industrieminister im Jahr 1960 in der DDR, und da ist sie seine Ăbersetzerin âŠbegibt sich in das Gefolge von ihm âŠer nahm sie ernst und sagte â als er hörte, wo sie herkam â du kommst aus Argentinien? Willst du dich nicht unserer kontinentalen Revolution anschlieĂen? Das hat sie dann wirklich elektrisiert.
ERZĂHLERIN
Jetzt steht fĂŒr Tamara endgĂŒltig fest: Sie wird nicht lĂ€nger in der DDR bleiben. Doch sie kann nicht einfach das Land verlassen. Trotzdem schafft sie es ĂŒber eher dubiose Umwege, an Bord eines Flugzeuges nach Havanna zu gelangen â und dort den Platz einzunehmen, der eigentlich fĂŒr ein Mitglied des kubanischen Nationalballetts bestimmt war, das zu diesem Zeitpunkt in der DDR gastierte.
7.O-Ton Gerd Koenen
Ich glaube, da war ein gutes StĂŒck EigenmĂ€chtigkeit bei ihr dabei âŠ. ich habe ja auch mit Mischa Wolf, dem Chef des DDR-Auslandsgeheimdienstes, noch sprechen können âŠund es war ja Tatsache, dass der DDR-Geheimdienst schon versucht hatte, sie fĂŒr eine Agentenkarriere in Lateinamerika zu gewinnen, mit falschen Papieren, und sie dann â das war der Plan â sie in die USA einzuschleusen, in die exilkubanischen communities dortâŠ.
Musik
ERZĂHLER
Mit ihrer Ausreise schafft Tamara Fakten. Die 23-jĂ€hrige trifft im Mai 1961 auf der Karibikinsel ein und stĂŒrzt sich kopfĂŒber in ihr neues revolutionĂ€res Leben. Erst rund zwei Jahre zuvor hat Fidel Castro die Macht ĂŒbernommen, vieles ist noch im Auf- und Umbruch. Tamara engagiert sich bei der Zuckerrohrernte, bei der Arbeit in den Parteikomitees, beim Internationalen Studentenbund und als Dolmetscherin. NĂ€chtelang diskutiert sie mit ihren neuen Bekannten:
8. O-Ton Koenen
Ich hab ja auch eine ihrer kubanischen Freundinnen sprechen können, die sagte, die hat uns ĂŒberhaupt erst den Marxismus-Leninismus beigebracht, wir hatten doch davon gar keine AhnungâŠ
ERZĂHLERIN
SchlieĂlich wird sie in die RevolutionĂ€re Miliz Kubas aufgenommen â und trĂ€gt von nun an stolz Uniform. Ihren in der DDR zurĂŒckgebliebenen Eltern schreibt sie mitten in der Kubakrise 1962 voller Begeisterung, es gebe nichts Schöneres, als sich dort zu befinden, wo der revolutionĂ€re Kampf am hĂ€rtesten sei.
ERZĂHLER
Tamara nimmt ihr Sprachenstudium wieder auf, macht erste journalistische Erfahrungen und steht ĂŒberall dort zur VerfĂŒgung, wo Organisationstalent und Entschlossenheit gebraucht werden. Diese QualitĂ€ten sind auch beim kubanischen Geheimdienst gefragt:
9. O-Ton Koenen (Che hatte Idee, sie zu rekrutieren)
 ⊠dann kam sie dort wieder in das Umfeld von Guevara âŠĂŒber Feste der argentinischen Landsmannschaft ⊠er hat wohl auch von sich aus die Idee gehabt, sie zu rekrutieren, denn Che war seinerseits auf dem Absprung.
TC 09:47 â Agentenleben
ERZĂHLERIN
Der Argentinier Che Guevara, der Seite an Seite mit Fidel Castro gekÀmpft hat, nimmt bereits Kurs auf das nÀchste Etappenziel des Projekts Weltrevolution. Es liegt im Herzen von Afrika, im Kongo. Doch hier wird er scheitern, und dann seinen alten Traum von der Befreiung ganz Lateinamerikas wiederaufleben lassen:
10. O-Ton Gerd Koenen
FĂŒr Guevara gab es dieses romantische Projekt: Er selbst wird sozusagen das Feuer einer Weltrevolution anstecken und wenn nicht in Afrika, dann eben im Herzen von Lateinamerika. Das war ein Projekt, fĂŒr das meines Erachtens Tamara Feuer und Flamme war.
ERZĂHLER
Tamara soll helfen, Guevaras nĂ€chstes groĂes revolutionĂ€res Projekt mitvorzubereiten. Als kĂŒnftige Agentin durchlĂ€uft sie zunĂ€chst eine umfassende Grundausbildung. Sie ĂŒbt den Umgang mit FunkgerĂ€ten, mit toten BriefkĂ€sten, das AbschĂŒtteln von Verfolgern. Schnell wird klar, Tamara ist fĂŒr hohe Aufgaben geeignet. FĂŒr allerhöchste sogar.
MUSIKAKZENT
ERZĂHLERIN
Ausgebildet wird sie von dem afro-kubanischen Geheimdienst-Offizier Ulises
Estrada. Er ist der Grund dafĂŒr, dass die sonst so disziplinierte junge Frau ausnahmsweise gegen einen Befehl verstöĂt: Sie und der verheirate Familienvater Estrada werden ein Liebespaar. Doch intime Beziehungen sind im Geheimdienst untersagt. Die AffĂ€re hat Konsequenzen: Estrada muss Tamaras weitere Ausbildung an einen anderen Offizier abgeben. Er darf sie weder zur Schulung nach Prag noch nach Bolivien begleiten, wo Guevara nun die nĂ€chste Revolution starten will. Die Trennung ist offenbar fĂŒr beide hart.
ERZĂHLER
Tamara soll unter falscher IdentitĂ€t in Bolivien ein konspiratives Netzwerk aufbauen. Von Prag aus reist sie in mehrere europĂ€ische StĂ€dte, um verschiedene IdentitĂ€ten auszuprobieren. SchlieĂlich wird aus HaydĂ©e Tamara Bunke Bider â so ihr vollstĂ€ndiger Name - die deutsch-argentinische Musik-Ethnologin Laura GutiĂ©rrez Bauer. Ihr revolutionĂ€rer Deckname ist kĂŒnftig âTaniaâ â sie wĂ€hlt ihn im Gedenken an eine ermordete sowjetische Partisanin.
ERZĂHLERIN
Tamara alias Tania alias Laura macht ihre Sache gut. Nach ihrer Ankunft in Bolivien im November `64 lebt sie sich rasch ein. Sie findet Zugang zur Oberschicht und gibt Deutschunterricht â unter anderem den Kindern des PrĂ€sidenten. Ihre Tarnung als Musikethnologin verschafft ihr die Möglichkeit, unauffĂ€llig durch Bolivien zu reisen und das Land zu erkunden. Um ihre EinbĂŒrgerung zu erleichtern, heiratet sie einen bolivianischen Studenten, dem sie kurz darauf ein Stipendium in Bulgarien besorgt, um sich spĂ€ter wieder von ihm scheiden zu lassen.
TC 12:43 â Alleinsein, Angst und Auflösung
ERZĂHLER
So routiniert und versiert ihr Agentenleben im Nachhinein auch wirkt â die beiden Jahre undercover in Bolivien sind gleichzeitig auch Jahre der Einsamkeit und der stĂ€ndigen Angst vor Entdeckung. Fast ein Jahr lang hat sie keinen Kontakt zu Kuba. Endlich, im Jahr 1966, ist die Zeit der Isolation vorbei. Che Guevara gibt grĂŒnes Licht â und Tania beginnt mit der unmittelbaren Vorbereitung des Guerilla-Kampfes. Sie mietet HĂ€user als LagerrĂ€ume und Ăbernachtungsmöglichkeit an, kauft Waffen und Proviant ein und empfĂ€ngt die ersten freiwilligen KĂ€mpfer.
ERZĂHLERIN
Im November trifft dann auch Che Guevara ein, der mit Hilfe kubanischer Geheimdienst-Experten sein Ă€uĂeres Erscheinungsbild völlig verĂ€ndert hat. Doch Bolivien ist nicht Kuba. Es gibt keine Landbevölkerung, die nur darauf gewartet hat, von dem berĂŒhmten Revolutionshelden befreit zu werden. Und: Der moskaukritische Guevara hat auch nicht die UnterstĂŒtzung der linientreuen bolivianischen Kommunisten:
12 O-Ton Gerd Koenen:
Das hat ja mit zum Scheitern der Guevara-Operation beigetragen, dass auch die eingesessene bolivianische KP mit absolutem Misstrauen betrachtet hat, was dort der Che fĂŒr Leute zusammenholt, sie wussten ja gar nichts darĂŒber.
ERZĂHLERIN
Tania bringt auch Besucher ins Dschungel-Lager; sie sollen fĂŒr Guevara in Europa SolidaritĂ€ts-Kampagnen organisieren. Einer von ihnen ist der kommunistische Philosophie-Student RĂ©gis Debray. Als er mit Tania und einem weiteren Gast im Lager ankommt, ist Guevara unterwegs zu einer mehrwöchigen Erkundungstour. Tania beschlieĂt, zu bleiben und auf seine RĂŒckkehr zu warten - eine Entscheidung, die Guevara spĂ€ter scharf kritisiert. Denn nun sind die Rebellen ohne jeden Kontakt nach auĂen.
MUSIK
ERZĂHLER
Inzwischen gibt es Auflösungs-Tendenzen: Deserteure setzen sich ab und verraten dem bolivianischen MilitĂ€r wichtige Details. Immer enger wird die schrumpfende Truppe eingekreist. Was der Commandante erst jetzt erfĂ€hrt: Tania hat vor der letzten Fahrt ins Rebellen-Camp in der Kleinstadt Camiri ihren Jeep zurĂŒckgelassen â und in ihm wichtige Unterlagen und Adressen. Als das bolivianische MilitĂ€r das Fahrzeug entdeckt, dauert es nicht lange, und Tania ist enttarnt. In seinem berĂŒhmten âBolivianischen Tagebuchâ hĂ€lt Che resigniert fest: Zwei Jahre Vorbereitungsarbeit waren nun letztlich umsonst.
ERZĂHLERIN:
Doch wie ist es zu erklĂ€ren, dass Tania offenbar alle Sicherheitsvorschriften missachtet hat? Ist es wirklich vorstellbar, dass eine Top-Agentin in ihrem Auto ĂŒberlebenswichtige Informationen einfach vergisst? Wild wuchernde Spekulationen ranken sich um diese Frage. Sie sei in Wirklichkeit eine Mehrfachagentin gewesen, lautet eine davon, und der sowjetische KGB habe sie gezwungen, Cheâs Projekt scheitern zu lassen; sie sei todkrank gewesen, so eine weitere These, und habe deshalb bewusst oder unbewusst ihren Tod herbeigesehnt. Der Historiker Gerd Koenen glaubt an eine andere Version:
14 O-Ton Koenen
Sie hielt die ganze Rolle in La Paz, wo sie immer in der Maske eines Society girls auftreten musste, das hielt sie meines Erachtens nicht aus. Sie hat im Grund diese Doppelrolle, in die sie da gedrĂ€ngt werden sollte, nicht ertragen und insofern glaube ich, dass das eine befehlswidrige, spontane Tat war, dass sie da runtergefahren ist und versucht hat, selber zur Guerilla hinzukommen. âŠ
ERZĂHLER
Trotzdem halten sich â befeuert durch Filme und BĂŒcher â bis heute hartnĂ€ckig GerĂŒchte, Tania und Che seien auch privat ein Paar gewesen. Gestreut wurden sie vermutlich auch von der CIA. FĂŒr Gerd Koenen eine abwegige Spekulation:
15 O-Ton Koenen
Nein, im GegenteilâŠ. Che lebte sowieso in der schweiĂigen Welt seiner MĂ€nner⊠er hatte dann noch in Kuba seine Kinder und seine Frau âŠaber das war nur so ein AuĂenpunkt âŠer war absolut jemand, der im Feldlager unter MĂ€nnern lebte, und da störte sie doch einfach âŠsie brachte die innere StabilitĂ€t der Truppe durcheinander.
16 O-Ton Koenen
⊠aber das ist dann eben die melancholische Seite der Sache, dass sie da gar nicht reinpasste.
ERZĂHLERIN:
Seit der Entdeckung von Tanias Jeep gibt es fĂŒr sie kein ZurĂŒck: sie muss mit der Truppe weiterziehen. Die tagelangen MĂ€rsche erschöpfen sie, ihre AusrĂŒstung ist unzulĂ€nglich, in den zu groĂen Stiefeln lĂ€uft sie sich die FĂŒĂe blutig:
17 O-Ton Koenen
âŠsie wollte selber dabei sein und konnte dann auch nicht mehr raus. Und Che hat sie dann auch ⊠indem er sie zur Nachhut, zur Gruppe der UnzuverlĂ€ssigen einteilte, und weil sie ja auch schon sehr schnell bei diesen GewaltmĂ€rschen nicht mithalten konnte âŠ. er hat sie im Grunde degradiert ⊠das muss man sehenâŠ.
ERZĂHLER:
Vermutlich wissen sowohl Che als auch Tania, dass das Unternehmen gescheitert ist:
18 O-Ton Koenen
Und insofern gleicht das Ganze einem Todesmarsch in das sichere Verderben, und das macht fĂŒr mich auch das Pathos dieser ganzen Geschichte aus, warum es so ein lateinamerikanisches Epos ist. Es gibt so eine Art der heroischen Vergeblichkeit, man schaut dem Tod ins Auge und setzt irgendwie darauf, dass man Anschluss findet, an irgendwelche anderen KrĂ€fte, aber die gab es da ja gar nicht.
MUSIK
TC 18:38 â Der Anfang vom Ende
ERZĂHLERIN:
Das Ende kommt in Etappen: Ein Bauer verrÀt die Nachhut an das bolivianische MilitÀr. Am 31. August 1967 ist es soweit: Als die Rebellen den Rio Grande durchwaten, werden sie von Kugeln durchsiebt. Einige der Guerilleros sind sofort tot, andere verwundet. Auch Tania wird tödlich getroffen; ihr Körper wird vom Fluss davongetrieben und Tage spÀter gefunden.
ERZĂHLER
Es gibt Berichte, wonach sich in ihrem Rucksack auch ein wasserdicht verpackter Brief an ihre Eltern befunden hat, in dem Tania GefĂŒhle der Ausweglosigkeit und Sinnlosigkeit schildern soll. Ob das Schreiben tatsĂ€chlich existiert hat, bleibt offen.
ERZĂHLERIN
Tamara Bunke wusste womöglich am Ende nicht mehr, wofĂŒr sie eigentlich kĂ€mpfte:
20 O-Ton Koenen
Sie verlor sich selbst.
ERZĂHLER
Che Guevara stirbt wenige Wochen spÀter. Auch seine Einheit muss sich Anfang Oktober dem bolivianischen MilitÀr ergeben. Der einstige Revolutionsheld wird wenige Stunden spÀter exekutiert. Warum hatte Kubas Staatschef Castro nicht wenigstens versucht, seinen ehemaligen Waffenbruder in Sicherheit zu bringen?
21 O-Ton Koenen
Ich glaube, er wollte nicht wieder raus. Guevara war der Typ, der sein Leben auf eine Karte setzte. Das Ganze hatte auch ein poetisches Flair. Guevara lebte im Grund auch in einer Welt der Literatur. Als Don Quichote der Weltrevolution hat er sich ja selbst stilisiert und er wollte dort zeigen, dass es geht.
ERZĂHLERIN:
In der DDR wird die Nachricht von Tanias Tod erst einmal verschwiegen. Doch ihre Mutter Nadja Bunke kĂ€mpft unermĂŒdlich fĂŒr das Gedenken an ihre Tochter. Sie erreicht, dass eine Todesanzeige erscheint und eine Trauerfeier stattfindet. Und sie schreibt ein Buch - zusammen mit Tanias ehemaligem Freund, Ulises Estrada.
Irgendwann muss Ostberlin nachgeben und die Tote zumindest posthum zur Heldin aufwerten, wenn auch zu einer ungeliebten und schwierigen.
ERZĂHLER
Ganz anders auf Kuba. Je lÀnger Che tot ist, desto mehr wird er glorifiziert, und mit ihm auch Tania.
22 O-Ton Koenen
Es war Castro dann, der dieses Erbe aufgenommen hat, und 1968 verkĂŒndete, nach Ches Tod, zu den jungen Menschen auf Kuba: Wenn ihr wissen wollt, wie der neue Mensch aussieht, dann schaut auf Guevara, und in dieses Gruppenbild der Guerilleros, das dann heroisch aufgemacht wurde, da passte sie dann natĂŒrlich ganz perfekt hinein, ein weibliches Gesicht, Tania la Guerillera, die sozusagen zur Rechten des Che in Santa Clara im Mausoleum liegt ⊠also Gruppenbild mit Dame.
MUSIK hoch und darunter
ERZĂHLERIN:
Die Geschichte der Dame ist aber in Wirklichkeit wohl eher die tragische Geschichte einer jungen FrauâŠ
23 Koenen
âŠ. die aus dieser Enge der DDR rauswollte, und die zurĂŒck zu ihren lateinamerikanischen Wurzeln wollte, die ganz von dieser Romantik dieser kubanischen Revolution und der weltrevolutionĂ€ren Mission, die man da nochmal hatte, angesprochen war und dann aber eben in diesem ganzen Projekt, diesem Guevara-Projekt, eben nur eine ziemlich dienende Rolle und letztlich fĂŒr sie selbst bittere Rolle gespielt hat. (Stimme oben)
ERZĂHLERIN:
Die Rolle einer Guerillera, die einen hohen Preis fĂŒr ihren Traum von Freiheit und von einer gerechten Welt bezahlte.
TC 22:21 â Outro
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