Alles Geschichte - History von radioWissen   /     VERSUNKENE ORTE - Uruk und wie alles begann

Description

Eine City der Superlative: Uruk. Die Stadt war die erste Stadt der Welt - eine Megapolis mit bis zu 50 000 Menschen. Sie entstand im 5. Jahrtausend v.Chr. im SĂŒden des heutigen Irak mit HĂ€usern aus Lehmziegeln, TĂŒrmen und PalĂ€sten. KanĂ€le leiteten frisches Wasser aus dem Euphrat in die Stadt und das Abwasser wieder hinaus. Das kreative Potential war groß. Von Christine Hamel (BR 2023)

Subtitle
Duration
00:23:06
Publishing date
2024-03-15 10:00
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/alles-geschichte-history-von-radiowissen/versunkene-orte-uruk-und-wie-alles-begann/2091145
Contributors
  Christine Hamel
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2091145/c/feed/versunkene-orte-uruk-und-wie-alles-begann.mp3
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Shownotes

Eine City der Superlative: Uruk. Die Stadt war die erste Stadt der Welt - eine Megapolis mit bis zu 50 000 Menschen. Sie entstand im 5. Jahrtausend v.Chr. im SĂŒden des heutigen Irak mit HĂ€usern aus Lehmziegeln, TĂŒrmen und PalĂ€sten. KanĂ€le leiteten frisches Wasser aus dem Euphrat in die Stadt und das Abwasser wieder hinaus. Das kreative Potential war groß. Von Christine Hamel (BR 2023)

Credits
Autorin: Christine Hamel
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Berenike Beschle, Christian Baumann, Friedrich Schloffer, Katja Amberger
Technik: Wolfgang Lösch
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview: Margarete van Ess

Linktipps:

Alles Geschichte (2022): ANFÄNGE der Kultur – Die Erfindung der Schrift

Schrift ist eine ziemlich neue Erfindung innerhalb der Menschheitsgeschichte. Vor rund 5.200 Jahren tauchen im heutigen Irak erste Tontafeln auf, in die strukturierte Zeichen eingeritzt wurden. Doch es waren keine Texte im heutigen Sinn. Und im Gegensatz zu heute gab es einen eigenen Beruf des "Schreibers": Schon fĂŒnfjĂ€hrige Kinder wurden dafĂŒr ausgewĂ€hlt und ĂŒber viele Jahre hinweg ausgebildet. JETZT ANHÖREN


rbbKultur (2023): Margarete van Ess – ArchĂ€ologin

Als Margarete van Ess 1982, damals Studentin, das erste Mal auf archĂ€ologische Grabungsreise in den Irak fuhr, hatte sie ihre Blockflöte mit im GepĂ€ck. An die Übungsstunden inmitten der Ruinen erinnert sie sich noch heute. Der antiken Stadt Uruk, zwischen Euphrat und Tigris, ist sie treu geblieben. Seit 1999 leitet sie die Ausgrabungen dort, seit 2020 als Direktorin der Orient Abteilung des Deutschen ArchĂ€ologischen Instituts. Die Liebe zum Orient ist ihr durch ihre Eltern, beide studierte Orientalisten, vermittelt worden.
Zur Podcast-Folge geht es HIER.

Und hier noch ein paar besondere Tipps fĂŒr Geschichts-Interessierte:


Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt ĂŒber bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?

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Wir freuen uns ĂŒber Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:

TC 00:15 – Intro

TC 01:47 – Sesshaft im Sumpfland

TC 04:02 – Eine Metropole aus Macht und Reichtum

TC 05:58 – Die Ausgrabung einer Stadt

TC 08:27 – Die Herrin des Himmels

TC 11:34 – Von Magie und Kassenzetteln

TC 21:48 – Die erste Metropole der Menschheit

TC 22:25 – Outro

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

TC 00:15 – Intro

Musik 1
"Atmosphere in B Minor" - Komponist: Nicholas Britell - Album: Succession: Season 2 (Music from the HBO Series) - LĂ€nge: 1'37

ErzÀhlerin:
Bescheidenheit war nicht gerade eine Tugend in Uruk. Man gab sich prahlerisch und pompös, alle Tempel und PalĂ€ste fielen XXL aus. GrĂ¶ĂŸe muss nach altorientalischer Sitte Schönheit bedeutet haben, sie ist ja auch nĂ€her dran am Ganzen, am Universum. Überragt wurde alle stĂ€dtebauliche Schönheit in Uruk von dem Ishtar-Tempel, einem Stufenturm auf einem 12 Meter hohen Sockel, der die Stadtmitte bildete. Geradezu hymnisch wird er im Gilgamesch-Epos besungen:

Zitator:
Sieh an dessen Mauer, die wie Kupfer glÀnzt!
Besieh ihre Brustwehr, die niemand nachzubilden weiß!
Nimm doch die Treppe, die dort seit ewigen Zeiten!

ErzÀhler:
Außerirdische gigantische Architektur. Der Sinn fĂŒr Einzigartigkeit und Extravaganz begleitet die Entwicklung von Uruk – die Menschen hatten sichtbar Freude an den Wundern, die sie selbst erschufen. In Uruk entstanden aber nicht nur atemraubende GebĂ€ude, sondern auch Arbeitsteilung, BĂŒrokratie, die Schrift oder die Großplastik. Ob Fluch oder Segen sei dahingestellt - man darf aber getrost von einer Urukisierung der Welt sprechen. Uruk war urban branding
.NĂ€hrboden fĂŒr lauter zivilisatorische Entwicklungen.
Es sollte noch drei Jahrtausende dauern, bis grĂ¶ĂŸere StĂ€dte entstanden. Babylon baut spĂ€ter auf den Kulturleistungen von Uruk auf.

TC 01:47 – Sesshaft im Sumpfland

ErzÀhlerin:
Begonnen hatte alles Ende des 5. Jtd. vor Chr. im SĂŒden Mesopotamiens. Sowohl am linken als auch am rechten Ufer des Euphrat waren kleine Ansiedlungen entstanden.

1. Zsp.: (Margarete van Ess)
Sie haben sich in einer Region befunden, wo sehr viele SĂŒmpfe waren, an einer Grenze zwischen einem großen Sumpfland, das es heute im Irak tendenziell immer noch gibt, und den Flusslandschaften. Also in einer Region, wo wahrscheinlich der Euphrat, vielleicht aber auch der Tigris, auf dieses Sumpfland gestoßen ist.

ErzÀhlerin:
Die ArchÀologin Margarete van Ess. Sie ist Direktorin der Orient-Abteilung des Deutschen ArchÀologischen Instituts. Seit 1999 leitet sie die Ausgrabungen in Uruk, die archÀologischen Forschungen sowie die Konservierung der Ruinen.

2. Zsp.: (Margarete van Ess)
Und so hatten sie zwei Grundlagen: nĂ€mlich einmal die Wasserwirtschaft, also Fischerei und das Nutzen von Pflanzen aus dem Sumpfland und auf der anderen Seite alles das, was mit der Flusslandschaft zu tun hat, also frĂŒhe Landwirtschaft, aber auch Bewegung auf den FlĂŒssen. Und wir gehen davon aus, dass es genau diese Situation, also das Aufeinandertreffen von zwei verschiedenen Lebensumfeldern gewesen ist, was die Siedlung befördert hat.

ErzÀhlerin:
Land- und Wasserwirtschaft boten eine FĂŒlle von Produkten und Erzeugnissen, mit denen man sich kommerziell gut aufstellen und ausrichten konnte. Das hob das frĂŒhe Uruk von anderen Siedlungen ab, die entweder das eine oder das andere hatten. In der ganzen Region gab es ja tatsĂ€chlich bereits eine große Zahl von Dörfern und Siedlungen. Das Ende des ungebundenen Wanderlebens war schon etwa 10 000 vor Christus eingelĂ€utet worden.

ErzÀhler:
Im SĂŒdosten der TĂŒrkei hatten Menschen ihre freie Wildbeuterei und das Nomadentum aufgegeben, um stattdessen Land zu beackern. Warum sich plötzlich Sesshaftigkeit und Vorratshaltung durchsetzten, ist bis heute mehr oder weniger ein RĂ€tsel. Religion mag eine Rolle gespielt haben, der harte, von immer neuen Risiken bedrohte Alltag auch. Zur Entstehungszeit von Uruk Mitte des 5. Jahrtausends jedenfalls steckte Mesopotamien schon mitten drin in zivilisatorischen Entwicklungen.

TC 04:02 – Eine Metropole aus Macht und Reichtum

3. Zsp.: (Margarete van Ess)
Es waren wohl vergleichsweise egalitĂ€re Gesellschaften, also alle sind gleichberechtigt, alle machen Ă€hnliche Dinge, sorgen halt fĂŒr ihren Lebensunterhalt und so weiter. So wie es aber dazu kommt, dass man stĂ€rker organisieren muss, also zum Beispiel den Übergang von einem Fluss in einem Sumpfland oder dann im Verlauf des 4. Jahrtausends fertig werden muss mit KlimaverĂ€nderungen, dann ergibt sich das eben: Jemand organisiert, oder eine Gruppe von Menschen organisiert und andere weniger. Das heißt, da bilden sich dann Hierarchien heraus, und es bilden sich auch verschiedene Handwerke heraus, unterschiedliche Arbeitsbereiche, die dann auch unterschiedlich bewertet werden. Also eine Gesellschaft entwickelt sich, wie wir sie heute ganz gut kennen.

ErzÀhlerin:
Macht und Reichtum sind der Grundstein fĂŒr die Ă€lteste Metropole der Welt. Mit der Gleichheit ist es dann auch schnell vorbei. Wenige herrschen ĂŒber die vielen.

Musik 2
"Atum 3" - Album: Ankh The Sound Of Ancient Egypt - Komponist: Michael Atherton - LĂ€nge: 0'52

ErzÀhler:
Bis 3200 vor Christus steigt Uruk zur ersten und grĂ¶ĂŸten Stadt der Welt auf. 50 000 Menschen lebten hier, nicht alle freiwillig. Die EroberungszĂŒge jener Zeit richteten sich weniger auf Landgewinn. Vielmehr ging es darum, ArbeitskrĂ€fte heranzuschaffen. Man brauchte Sklaven fĂŒr den Bau von Tempeln, HĂ€usern, Stadtmauern und BewĂ€sserungskanĂ€len. Sklaven bildeten einen festen Bestandteil der Gesellschaft, eine in Uruk gefundene Schrifttafel gibt Aufschluss ĂŒber VerĂ€rgerung nach dem Kauf einer Zwangsarbeiterin.

ErzÀhlerin:
Der bereits dritte KĂ€ufer einer Sklavin eschauffiert sich darĂŒber, dass sie lauter Götternamen trĂ€gt. Sie stĂŒnden ihr ja doch wahrscheinlich nicht zu. Das Gericht rĂ€t ihm daraufhin, sich bei VerkĂ€ufer eins und zwei zu beschweren. 

TC 05:58 – Die Ausgrabung einer Stadt

ErzÀhler:
Anfangs hieß Uruk eigentlich Unuk – auch das weiß man dank einer sumerischen Schrifttafel. 

4. Zsp.: (Margarete van Ess)
SpĂ€ter erst unter den Akkadan heißt es Uruk. Akkada und Sumer sind zwei komplett verschiedene Sprachen. SpĂ€testens im Verlauf des 3. Jahrtausends existiert neben Unuk auch das Uruk. Und dieser Name hĂ€lt sich bis heute.

ErzÀhlerin:
Magarete van Ess hat 1982 das erste Mal in Uruk gegraben. Seitdem lĂ€sst sie die Stadt nicht mehr los. Durch verschiedene Kriege musste die ArchĂ€ologin ihre Arbeit immer wieder unterbrechen, Uruk liegt im kriegsgebeutelten und krisengeschĂŒttelten Irak.

ErzÀhler: 
1849 wurden die Ruinen Uruks durch den britischen Geologen und Naturforscher William Kenneth Loftus wiederentdeckt. Systematische Ausgrabungen begannen aber erst unter deutscher FederfĂŒhrung im Winter 1912/13. Inzwischen gibt es 49 000 inventarisierte Funde, darunter 13 800 Tontafeln und Tausende von Keramikscherben aus fast 5000 Jahren.

ErzÀhlerin:
Die aus Lehmziegeln errichteten Bauten zeichneten sich durch aufwendig gegliederte Außenfassaden aus, sie wurden gleichsam durch Nischen rhythmisiert und waren mit geometrischen Mosaiken aus farbigen Ton- und Steinstiften geschmĂŒckt.

Musik 3
"Wave" - Komponist: Tod Dockstader - Album: Aerial 3 - LĂ€nge: 0'22

ErzÀhlerin:
Uruk machte einen festlichen, absolut instagramtauglichen Eindruck: Schon von weitem nahmen und nehmen die Monumentalbauten und Dattelpalmen Ankömmlinge in Empfang.

Musik 4
"Atmosphere in B Minor" - Komponist: Nicholas Britell - Album: Succession: Season 2 (Music from the HBO Series) - LĂ€nge: 1'04

5. Zsp.: (Margarete van Ess)
Man muss wissen, dass wir uns da in dem sehr langgestreckten Delta der FlĂŒsse Euphrat und Tigris befinden, von Bagdad bis Basra, dem heutigen Hafenort, sind es etwa 600 Kilometer. Uruk liegt auf der HĂ€lfte der Strecke, und das gesamte GefĂ€lle von Bagdad bis Basra betrĂ€gt nur 40 Meter. Das heißt, das gesamte Land ist topfeben, alles was rausguckt, ist in irgendeiner Form von Menschen gemacht. Und Uruk gehört eben zu einer der grĂ¶ĂŸten archĂ€ologischen StĂ€tten. Das heißt, wenn ich mich Uruk nĂ€here, sehe ich eigentlich schon 10 Kilometer vorher, dass da ein großes HĂŒgelgebirge aufragt, der Tempel in der Mitte der Stadt ragt noch immer besonders hervor und ich weiß also, ah, jetzt komme ich auf Inanna, auf das Heiligtum zu und werde demnĂ€chst in der Stadt sein.

Musik 5
"Ice Glass" - Album: Nanga Parbat (Original Soundtrack) - Komponist: Gustavo Santaolalla - LĂ€nge: 1'05

TC 08:27 – Die Herrin des Himmels

ErzÀhler:
Inanna ist die Stadt- und Schutzgöttin von Uruk, Königin der Liebe und des Krieges. Ihr Name bedeutet „Herrin des Himmels“.

ErzÀhlerin:
Sie ist denn auch die wichtigste Göttin der Sumerer: schön, liebestoll, kriegerisch und eroberungssĂŒchtig, meist unberechenbar. Zahlreiche Mythen berichten von ihren Taten. Als sie in die Unterwelt abtaucht, zu ihrer Schwester, versiegt auf Erden die Lust und infolgedessen alles Leben. In der ErzĂ€hlung „Ishtars Höllenfahrt“ heißt es:

Zitator
Kein Stier bestieg mehr eine Kuh, kein Esel eine Eselin, kein JĂŒngling schwĂ€ngerte ein MĂ€dchen auf der Straße. Der junge Mann schlief in seinem Zimmer, das MĂ€dchen in der Gesellschaft seiner Freunde.

ErzÀhlerin:
Ohne Inanna keine Zukunft der Menschen.

ErzÀhlerin:
Der sexuelle Umgang miteinander war freizĂŒgig. Kaum Tabus. Uruk galt im 3. Jahrtausend als Stadt der „Dirnen, Kurtisanen und Edelnutten“ – auch das trug sicherlich zur Attraktion bei. ArchĂ€ologen fanden in Uruk eine Tontafel mit einem nackten Paar beim Geschlechtsverkehr. Der Mann steht hinter der Frau, die sich nach vorne beugt, um mit einem Strohhalm einen Rauschtrank aus einem GefĂ€ĂŸ zu trinken.

ErzÀhler:
Eine Darstellung, die möglicherweise eine Bordellszene zeigt oder dem Kult der Liebesgöttin zugerechnet werden kann.

Musik 6
"Ice Glass" - Album: Nanga Parbat (Original Soundtrack) - Komponist: Gustavo Santaolalla - LĂ€nge: 0'21

ErzÀhler:
Inanna sagt in einer ErzÀhlung selbstbewusst:

Zitatorin:
Ich bin die Königin aller Sterne. Die Weisheit des Lebens kommt aus meinem Schoß, der wunderbar ist.

ErzÀhler:
Nach und nach entstanden KulthĂ€user, Rundpfeilerhallen, Badeanlagen und ein sogenannter Empfangspalast. Dazwischen ein großer Hof mit Terrassen, der der kultischen Verehrung diente.

Musik 7
"Wave" - Komponist: Tod Dockstader - Album: Aerial 3 - LĂ€nge: 0'42
Im Jahr 2100 vor Chr. – in Uruk herrschte die 3. Dynastie von Ur – wurde ein neuer Tempel gebaut: der sogenannte Zikkurrat, ein Stufenturm.

6. Zsp.: (Margarete van Ess)
Der Tempel stand auf zwei ĂŒbereinander gestellten Terrassen. Die untere war vermutlich um das Jahr 2000 herum etwa 11’20 Meter, die darĂŒber könnte halb so groß gewesen sein, etwa 5‘ 60 Meter und dann kam noch der Tempel obendrauf, das waren schon ĂŒber 20 Meter hohe Gebilde.

ErzÀhlerin:
Nicht ganz so steil wie die Mayapyramiden, aber eine in jeder Hinsicht herausragende Monumentalarchitektur. Als Personal dienten Priesterinnen und Priester, unter ihnen Schwule, Transsexuelle und Prostituierte. 

7. Zsp. (Margarte van Ess)
Tempel waren nicht einfach ein Gotteshaus, in das man ging zum Beten, sondern es waren wirtschaftliche Einheiten, so ein bisschen so wie Klöster im Mittelalter Europas.

ErzÀhler:
Neben dem Hauptheiligtum gruppierten sich von Anfang an weitere Lehmbauten: WohnhĂ€user, PalĂ€ste und VerwaltungsgebĂ€ude. Sie waren meist um einen kleinen Innenhof angelegt, in dem Dattelpalmen Schatten spendeten. Straßen wurden streng im rechten Winkel wie in einer Garnisonstadt angelegt, KanĂ€le fĂŒhrten Frischwasser in die Stadt - die Menschen schöpften es mit KrĂŒgen ab- und leiteten AbwĂ€sser wieder hinaus.
 
TC 11:34 – Von Magie und Kassenzetteln

ErzÀhlerin:
Im dichten Zusammenleben von Mensch und Tier nah an SĂŒmpfen und am Wasser bei großer Hitze brachen sehr wahrscheinlich oft Krankheiten und Seuchen aus. Die Stadt hatte von Anfang an nicht nur Vorteile.

ErzÀhler:
Magierinnen und Beschwörer waren daher viel gefragt. Nicht nur bei Krankheiten, sondern bei allen Risiken des Lebens. Man schrieb ihnen Wissen ĂŒber die Kraft von Steinen und Mineralien zu. Auf Tontafeln hielten sie fest, wie Frauen fĂŒr ihre MĂ€nner GlĂŒcksamulette herzustellen hatten:

Musik 8
"Part 6 - 4 Resonating Stones, Voice" - Komponist: Stephan Micus - Album: Music of Stones - LĂ€nge: 0'33

Zitatorin:
Die 15 Steine fĂ€delst Du auf ein Band aus Leinen, einen roten Wollfaden und einen blauen Wollfaden
.Beiderseits der Steine knöpfst Du ein StĂŒck Tamariskenholz ein. Ein RĂ€uchergefĂ€ĂŸ mit Wacholder stellst Du hin. Du opferst Bier und rezitierst die folgenden Beschwörungsformeln: Ich bin erhört. Das Gebet nimm an von mir. Du hĂ€ngst die Kette um seinen Hals.

ErzÀhler:
Die Handelswege waren weit und gefĂ€hrlich. GeschĂ€fte wurden mit Gewichtsteinen in Stab- oder Entenform abgewickelt, Gerste, Wolle und Öl wurden damit abgewogen.

ErzÀhlerin:
Handel war DER Innovationsmotor – er gibt schließlich auch den Anstoß zur Schrift. Sie wurde in Uruk erfunden.

ErzÀhler:
ZunĂ€chst dienten kleine Tonobjekte, sogenannte ZĂ€hlmarken - Kugeln, Scheiben oder KrĂŒge - dazu, um etwas zu prĂŒfen und beim Handel die Übersicht zu bewahren.

ErzÀhlerin:
Ich habe Dir 15 Schafe zum Scheren gebracht, also packe ich 15 Kugeln in einen versiegelten Lederbeutel oder in ein versiegeltes TongefĂ€ĂŸ. Wenn ich die Schafe nach drei Wochen abhole, weiß ich genau, dass es 15 Schafe waren – und nicht 14 oder 12. 

ErzÀhler:
Doch irgendwann waren die Anwendungsbereiche so vielfÀltig, dass die ZÀhlmarken nicht mehr der KomplexitÀt entsprachen. Neue Notierungshilfen mussten her. Dazu wurden erstmals Tafeln aus Ton geformt, in die man mit Schilfrohr Notizen geritzt hat.

8. Zsp.: (Margarete van Ess)
Das sind im Anfang nur so etwas wie unsere Kassenzettel, da ist dann das Symbol fĂŒr Schaf oder fĂŒr eine Flasche drauf und dann ein Zahlzeichen, dann hĂ€ufig auch noch eine Summe, so dass also klar wird: Da hat jemand Schafe gezĂ€hlt, Flaschen gezĂ€hlt und dann festgestellt, wie viel das insgesamt ist, vielleicht noch auf einen Monat bezogen und so weiter. Und das ist der Beginn der Schrift. Es ist im Prinzip ein Wirtschaftsnotierungssystem.

ErzÀhler:
Die Schriftzeichen waren sowohl abstrakt als auch bildhaft.

9. Zsp.: (Margarete van Ess)
Es gibt Listen, auf denen dann die Objekte verzeichnet sind. Also dann gibt es da das Zeichen fĂŒr Schaf mit ganz vielen unterschiedlichen Zeichen daneben, das ist einfach ein runder Kreis mit einem Kreuz drin. Das Interessante ist, dass diese Listen immer wieder abgeschrieben wurden ĂŒber Jahrhunderte hinweg, und dabei verĂ€ndern sich die Zeichen, werden zu richtiger Keilschrift. Und irgendwann, so in der Mitte des 3. Jahrtausends, kann man das dann wiederum lesen, weil diese Zeichen in der richtig entwickelten Schrift eben auch verwendet werden.

ErzÀhler:
Rund um die Stadt dehnten sich Obstplantagen und Felder aus. Angebaut wurden Wein, Äpfel, Quitten, Birnen und GranatĂ€pfel, vor allem aber Getreide - in den Ruinen von Uruk fanden sich Tausende standardisierte TongefĂ€ĂŸe, mit denen den Menschen Gerste oder Weizen zugeteilt wurde. Eine Art der Ausbezahlung. Mit Getreide trieb die Obrigkeit in der frĂŒhdynastischen Zeit um 3000 bis 2340 v. Chr. schließlich auch die Steuern ein. Das Gemeinwesen gestaltet sich bereits etwas bĂŒrokratisch aufgeblasen. Und die Staatsdiener ließen es sich sehr wahrscheinlich gut gehen.
 
10. Zsp.: (Margarete van Ess)
Da gibt es einen König, da gibt es eine Beamtenschaft, die dafĂŒr zustĂ€ndig ist, die Verwaltung einer Stadt oder auch eines Staates zu organisieren, und zwar eine ziemlich umfangreiche Beamtenschaft. Und es gibt spezialisierte Personen, die eben das Gerichtswesen kennen, es gibt HĂ€ndler, die zwischen den StĂ€dten agieren, aber auch HĂ€ndler, die bis in das Indusgebiet oder in die heutige TĂŒrkei hoch Handel betreiben. Und es gibt natĂŒrlich die Menschen, die vor Ort arbeiten, die Schafzucht ĂŒbernehmen, die Landwirtschaft, das Fischen oder auch den Bootsbau, also alles das, was wir uns im Prinzip unter Handwerk vorstellen wĂŒrden ist dann auch da.

Musik 9
"Ice Glass" - Album: Nanga Parbat (Original Soundtrack) - Komponist: Gustavo Santaolalla - LĂ€nge: 0'54

ErzÀhler:
Frauen waren Ende des 3. Jahrtausends, Anfang des 2. Jahrtausends vor Chr. in der mesopotamischen Gesellschaft vergleichsweise gleichberechtigt, sie konnten handeln oder auch erben.

11. Zsp.: (Margarete van Ess)
Sie sind dennoch etwas zweitrangig, das sieht man gerne mal an Lohnlisten, da verdienen Frauen einfach weniger als MĂ€nner, das kennen wir ja auch. Aber sie sind nicht inexistent. Sie sind durchaus ganz normal auf den Feldern, in der Produktion tĂ€tig, sie spielen auch durchaus eine Rolle als Priesterinnen, manchmal auch in sehr hoher Funktion. Und sie können auch am Königshof eine große Rolle spielen, allerdings Königinnen gibt es in dieser Zeit eigentlich nicht.

Musik 10
"Wave" - Komponist: Tod Dockstader - Album: Aerial 3 - LĂ€nge: 1'08

ErzÀhler:
Zentrale Aufgabe altmesopotamischer Herrscher war die Vermittlung zwischen Menschen und Göttern. Der König erhĂ€lt seine Befehle laut StaatsverstĂ€ndnis von den Göttern. Aber die legendĂ€ren Herrscher von Uruk wie Emmerkar, Lugalbanda und Gilgamesch wurden auch wie Götter verehrt. Bis heute berĂŒhmt ist vor allem der sagenhafte König Gilgamesch, dessen Heldentaten im gleichnamigen Epos verewigt sind, im Ă€ltesten literarischen Text der Weltgeschichte.

ErzÀhlerin:
Ob es sich bei Gilgamesch um eine reale oder doch eher literarische Figur handelt, ist nicht gesichert.
 
12. Zsp.: (Margarte van Ess)
Er vollbringt dann alle möglichen heroischen Taten, also zum Beispiel holt er Zedernholz aus dem Libanon-Gebirge, er kĂ€mpft gegen den Himmelsstier, alles Mögliche und er sucht zum Schluss nach dem ewigen Leben, nachdem sein Kompagnon Enkidu verstorben ist. Und stellt dann fest, das gibt es fĂŒr ihn als menschliches Leben nicht, aber was bleiben wird, sind seine Taten und seine Bauwerke, die er geschaffen hat.

Musik 11
"North of the Wall" - Album: Game of Thrones (Music from the HBO Series) - Komponist: Ramin Djawadi - LĂ€nge: 0'45

ErzÀhler:
Die Mauer von Uruk etwa, die ihm zugeschrieben wird. Ein gigantisches Bauwerk, errichtet um das Jahr 2900 vor Chr. Die Mauer ist 9,3 Kilometer lang, bis zu acht Meter breit, an der engsten Stelle etwa fĂŒnf Meter. Sie muss etwa acht Meter hoch gewesen sein, und wurde von Bastionen verstĂ€rkt.

ErzÀhlerin:
Ein Bauwerk der Superlative, Fortifikationsanlage und Ausdruck des Selbstbewusstseins von Uruk.

13. Zsp.: (Margarete van Ess)
Wir haben einmal ausgerechnet, dass es um die 300 Millionen Ziegel gewesen sein mĂŒssen – mindestens. Soweit wir das im Moment erkennen können, ist das vermutlich relativ schnell auch fertig gewesen und dann Mitte des 3. Jtd. vor Chr. immer wieder erweitert worden. Es mag sein, dass das von einer Person in die Wege geleitet und auch umgesetzt worden ist, 300 Millionen Ziegel in die Wege zu leiten, ist so fĂŒrchterlich aufwendig nicht. Also das ist keine Arbeit, fĂŒr die man Jahrzehnte braucht, schon ein paar Jahre, immer in den Sommermonaten, wenn man die Bevölkerung dazu anhalten kann, an einem Gemeinschaftswerk mitzuarbeiten. Und vor allem, wenn man organisieren kann, wo man welche Menschengruppen denn einsetzt, also es ist vor allem ein gigantisches logistisches Problem, so etwas zu machen. 

ErzÀhlerin:
Insofern ist die Geschichte von Gilgamesch, der als Erbauer der Mauer von Uruk gilt, durchaus verstÀndlich. Das Bauwerk schien in seiner Imposanz eher in den Tatbereich der Götter zu fallen als in den der Menschen.

ErzÀhler:
Anfang des 3. Jtd. werden auch andere StĂ€dte groß in Mesopotamien. Aus frĂŒheren Partner entwicklen sich konkurrierende Gegner;- eine schĂŒtzende Mauer scheint daher durchaus sinnvoll gewesen zu sein. Aus Epen und spĂ€teren Texten weiß man, dass es zu Kriegen zwischen den StĂ€dten gekommen war.

14. Zsp.: (Margarete van Ess)
Eine Stadtmauer ist aber tatsĂ€chlich auch dafĂŒr da, die Potenz derjenigen anzuzeigen, die sie gebaut haben, also den König oder auch die Menschen, die es getan haben. Sie ist auch ein Schutz gegen wilde Tiere oder eine Zollgrenze, sie ist alles Mögliche. Und als solche hat sie auch bis zum Ende gedient, also sie ist nicht irgendwann kaputt gegangen, wir finden sie in den Keilschrifttexten bis in die Suleukidenzeit, das ist bis in das 3. und 2. Jahrhundert vor Christus. Und meine archĂ€ologischen Reste zeigen mir, dass sie auch spĂ€ter noch existiert hat. Das heißt, sie war immer da, man sah sie, man wusste, wo sie ist, man wusste, wo die Stadt anfĂ€ngt, wo sie aufhört, es gibt ein draußen und drinnen, insofern hat sie immer Bedeutung gehabt und schon im alten Mesopotamien haben sich die Menschen immer daran erinnert, dass dieses gewaltige Bauwerk eben die Großtat von Uruk war.

Musik 12
"Atmosphere in B Minor" - Komponist: Nicholas Britell - Album: Succession: Season 2 (Music from the HBO Series) - LĂ€nge: 1'18

TC 21:48 – Die erste Metropole der Menschheit

ErzÀhler:
Uruk war die erste Metropole der Menschheit. Ein verdichteter Kulturraum, in dem Menschen erstmals urbanes Zusammenleben erprobten. Sie waren angewiesen auf Kooperationen und pragmatische Lösungen, beides unabdingbare Voraussetzungen fĂŒr ein Miteinander. 

ErzÀhlerin:
Zusammenhalt unter den Menschen stifteten zu Beginn Religion und intensive wirtschaftliche Beziehungen. SpĂ€ter kam viel Stadtstolz auf Uruk hinzu und eine FĂŒlle an kulturellen Wechselbeziehungen – bis heute der NĂ€hrboden fĂŒr Innovationen, Dynamik, Lebendigkeit.
All das hatte aber auch seine Schattenseiten, das Leben in der Stadt fĂŒhrte zu Krankheiten und Seuchen, Versklavung, GĂ€ngelung, Konkurrenz und Kriegen.

ErzÀhler:
Die letzte BlĂŒtezeit in 5000 Jahren Urbanismus erlebte Uruk unter den Seleukiden zwischen 200 und 44 vor Christus. Sie ging einher mit der Errichtung neuer Monumentalbauten fĂŒr die altorientalischen Götter. An wegweisender Bedeutung verlor Uruk erst, als die Handelswege andere Routen einschlugen. 

Musik 13
"Bach/Caine: Goldberg Variations - The Eternal Variation" - Komponist: Uri Caine - Album: Bach: Goldberg Variations [Disc 2] - KĂŒnstler: Uri Caine Ensemble - LĂ€nge: 0'43

ErzÀhlerin:
Bis in das 4. Jahrhundert nach Christus war die erste Metropole der Menschheit belebt. Dann verlandete das fruchtbare Sumpfland infolge weitreichender klimatischer VerĂ€nderungen. Die Menschen fanden kein Auskommen mehr und zogen weg. Auch heute noch ist Warka staubig und trocken. Eine WĂŒste. Aber zugleich einer der genialsten und fruchtbarsten Orte der Menschheit: Die Erfindungen in Uruk prĂ€gen schließlich bis heute unser Leben.

TC 22:25 – Outro