Alles Geschichte - History von radioWissen   /     GEFÄHRLICHE NACHBARN - Taiwan im Konflikt der MĂ€chte

Description

Der Inselstaat Taiwan gehört zu den politischen PulverfĂ€ssern der Welt. Die FĂŒhrung betont regelmĂ€ĂŸig die EigenstĂ€ndigkeit Taiwans, das offiziell Republik China heißt. Die kommunistische Volksrepublik China aber betrachtet das Land als abtrĂŒnnige Provinz und fordert den Anschluss an die Volksrepublik. Dies wollen die USA aber unbedingt verhindern, denn das SĂŒdchinesische Meer und die Taiwanstraße sind wichtige Routen fĂŒr den Welthandel. Zudem ist die hochentwickelte Halbleiterindustrie Taiwans fĂŒr zahlreiche Industriestaaten von immenser Bedeutung. Von Claudia Steiner (BR 2023)

Subtitle
Duration
00:22:52
Publishing date
2024-03-22 11:10
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/alles-geschichte-history-von-radiowissen/gefaehrliche-nachbarn-taiwan-im-konflikt-der-maechte/2091453
Contributors
  Claudia Steiner
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2091453/c/feed/gefaehrliche-nachbarn-taiwan-im-konflikt-der-maechte.mp3
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Shownotes

Der Inselstaat Taiwan gehört zu den politischen PulverfĂ€ssern der Welt. Die FĂŒhrung betont regelmĂ€ĂŸig die EigenstĂ€ndigkeit Taiwans, das offiziell Republik China heißt. Die kommunistische Volksrepublik China aber betrachtet das Land als abtrĂŒnnige Provinz und fordert den Anschluss an die Volksrepublik. Dies wollen die USA aber unbedingt verhindern, denn das SĂŒdchinesische Meer und die Taiwanstraße sind wichtige Routen fĂŒr den Welthandel. Zudem ist die hochentwickelte Halbleiterindustrie Taiwans fĂŒr zahlreiche Industriestaaten von immenser Bedeutung. Von Claudia Steiner (BR 2023)

Credits
Autorin: Claudia Steiner
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Christian Baumann, Rahel Comtesse, Andreas Dirscherl
Technik: Roland Böhm
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview: Prof. Dr. Christine Moll-Murata, Anna Marti

Linktipps:

BR (2024): Notizen aus Taiwan und China – UnabhĂ€ngigkeit oder Wiedervereinigung 

Taiwan war nie Teil der Volksrepublik und stand nie unter Kontrolle der Kommunistischen Partei Chinas. Dennoch beansprucht Peking die demokratisch regierte Insel als eigenes Territorium. Die meisten Taiwaner können sich keinen Zusammenschluss mit dem autokratisch regierten China vorstellen. Zum Beitrag geht es HIER.

Deutschlandfunk (2024): Taiwans polarisierte Medienlandschaft

Am 13. Januar wĂ€hlt Taiwan einen neuen PrĂ€sidenten. Das schwierige VerhĂ€ltnis des Inselstaats zu Festlandchina spiegelt sich auch in einer polarisierten Mediendebatte wider: pro- und anti-chinesische Medien berichten teils komplett kontrĂ€r. JETZT ANHÖREN

phoenix (2023): Taiwan – Angst vor der Invasion

Taiwan wird oft als eine der gefĂ€hrlichsten Regionen der Welt bezeichnet. Aber: Nicht das Land selbst, sondern die politischen UmstĂ€nde machen die Lage vor Ort so gefĂ€hrlich. Film von Michael MĂŒller JETZT ANSEHEN


Und hier noch ein paar besondere Tipps fĂŒr Geschichts-Interessierte:


Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt ĂŒber bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?

DAS KALENDERBLATT erzĂ€hlt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrĂŒhrend, witzig und oft ĂŒberraschend.

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Wir freuen uns ĂŒber Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Timecodes (TC) zu dieser Folge:

TC 00:15 – Intro
TC 01:54 – Der Ausgangspunkt
TC 05:01 – Von offizielle und inoffiziellen Beziehungen
TC 08:41 – Das Problem der „Wiedervereinigung“
TC 11:00 – Ein Land im Konflikt zweier AtommĂ€chte
TC 14:24 – Umbruchsdenken
TC 17:28 – Der Weiße Terror
TC 19:46 – Ein Leben mit militĂ€rischer Spannung
TC 22:10 – Outro

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

TC 00:15 – Intro

ATMO Nachrichtenticker

Einspielung 1 (COLLAGE, 09.10.2021, 05.08.2022, 27.5.2022, gerne ĂŒbereinander legen und/oder mit Ticker trennen)

MUSIK: Z8031117101 HOT NEWS 0‘45

SPRECHER 2 UND NACHRICHTENSPRECHER
Chinas PrĂ€sident Xi Jinping hat erneut die Wiedervereinigung Taiwans mit der Volksrepublik gefordert. Bei einer Feierstunde zum 110. Jahrestag der Revolution von 1911 sagte Xi, die Wiedervereinigung mĂŒsse und werde definitiv verwirklicht werden.
 /
Die Taiwan-Krise fĂŒhrt auch zu Spannungen zwischen China und Deutschland. Die chinesische Botschaft in Berlin hat nun Außenministerin Baerbock Unterstellungen und eine Einmischung in innere Angelegenheiten vorgeworfen. 

Ein chinesischer FlugzeugtrÀger ist durch die Meerenge bei Taiwan gefahren. Er wurde laut Verteidigungsministerium in Taipeh von zwei weiteren Schiffen der chinesischen Armee begleitet. Als Reaktion hÀtten Taiwans StreitkrÀfte Luftpatrouillenflugzeuge, Marineschiffe und Raketensysteme aktiviert


ATMO Nachrichtenticker (bricht ab)

MUSIK

SPRECHER
Die Nachrichten zeigen deutlich: Der Status von Taiwan ist kompliziert und konfliktbehaftet. Der Inselstaat, der offiziell Republik China heißt, liegt zwischen Japan und den Philippinen, 180 Kilometer östlich der Volksrepublik China. Die riesige, autoritĂ€r gefĂŒhrte, kommunistische Volksrepublik China betrachtet das kleine, demokratische Taiwan als abtrĂŒnnige Provinz und fordert den Anschluss an Peking. Die FĂŒhrung in der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh betont dagegen ihre EigenstĂ€ndigkeit. Aber politisch ist das Land relativ isoliert. Von den meisten LĂ€ndern wird Taiwan nicht als souverĂ€ner Staat anerkannt, auch nicht von Deutschland. Dabei war Taiwan nie Teil der 1949 von Mao Zedong gegrĂŒndeten Volksrepublik China. Und Chinesen waren auch nicht immer Bewohner der Insel. Ein RĂŒckblick:

Musik

TC 01:54 – Der Ausgangspunkt

SPRECHER
UrsprĂŒnglich war die Insel von indigenen Bevölkerungen besiedelt. Über die Jahrhunderte gab es unterschiedliche EinflĂŒsse: So kamen am Ende der chinesischen Ming-Dynastie Mitte des 17. Jahrhunderts chinesische Einwanderer nach Taiwan. Ebenfalls im 17. Jahrhundert bauten Holland und Spanien koloniale StĂŒtzpunkte auf der Insel auf. Die KolonialmĂ€chte wurden aber von chinesischen ming-loyalen Truppen vertrieben.  Von 1895 bis 1945 stand Taiwan schließlich unter japanischer Herrschaft. Doch mit der Kapitulation Japans nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Friedensvertrag von San Francisco am 28. April 1952 gab Japan alle Rechte an ehemaligen Kolonien, und damit auch an Taiwan auf. Doch der genaue Status der Insel war unklar. Christine Moll-Murata ist Professorin fĂŒr Geschichte Chinas und Leiterin der Taiwanforschungsstelle an der Ruhr-UniversitĂ€t Bochum.

O-TON 1 (Moll-Murata, 2.32)
Aufgegeben hat es das zwar, aber es ist nicht deutlich formuliert worden, an wen. Weder die ReprĂ€sentanten der Volksrepublik China, die inzwischen 1949 gegrĂŒndet worden war, noch die ReprĂ€sentanten der Republik China, die sich jetzt im Exil befanden seit 1949 auf Taiwan, also weder die einen noch die anderen waren anwesend.

MUSIK

SPRECHER
Das heißt: Keine der beiden Seiten waren in den Friedensvertrag involviert, weder die Kommunisten auf dem Festland, noch die Nationalisten im Exil. Beide Seiten war sich zuvor in einem blutigen BĂŒrgerkrieg gegenĂŒber gestanden. Die Kommunisten gingen daraus als Sieger hervor, die Nationalisten zogen sich nach Taiwan zurĂŒck – der Ausgangspunkt des heutigen Konflikts. Anna Marti, Leiterin des Taipeher BĂŒros der FDP-nahen Friedrich Naumann Stiftung.

O-TON 2 (Marti, 2.19)
Und Mao Zedong hat am 1. Oktober 1949 in Peking die Volksrepublik ausgerufen. Der vorher existierende Staat, also nach dem Ende des Kaiserreichs, vor der Volksrepublik, war aber die Republik China und die Leute, die damals in Amt und WĂŒrden waren, Macht hatten, das ganze MilitĂ€r, die gesamte Flugzeugflotte und die gesamte Marine sind geflohen vor den Kommunisten, die haben ja eben verloren. Und die haben sich nach Taiwan zurĂŒckgezogen. 

SPRECHER
Die nationalistische Regierung unter der FĂŒhrung von Chiang Kai-shek von der Kuomintang-Partei flĂŒchtete also mit ihren Truppen auf die Insel – mitsamt der GoldvorrĂ€te und wertvoller KulturschĂ€tze aus der „Verbotenen Stadt“, der Palastanlage im Zentrum Pekings. Im nationalen Palastmuseum in Taipeh sind seit 1965 Hunderttausende dieser SchĂ€tze ausgestellt und gelagert: Wertvolle StĂŒcke aus Jade, Porzellan und Vasen, GemĂ€lde und Bronzen. FĂŒr die Volksrepublik China sind es BeutestĂŒcke. Willkommen waren die Nationalisten auf der Insel erst einmal nicht: Die damalige Bevölkerung in Taiwan betrachtete die Ankunft der Soldaten vom Festland als Invasion.
 
MUSIK

TC 05:01 – Von offizielle und inoffiziellen Beziehungen

SPRECHER
International wurde die Republik China auf Taiwan zunĂ€chst als Vertreter Gesamtchinas anerkannt. So hatte das kleine Taiwan zum Beispiel einen permanenten Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – obwohl es de facto nur die Insel Taiwan und einige wenige Inseln vor dem chinesischen Festland kontrollierte. Dies Ă€nderte sich 1971. Damals wollte die US-Regierung unter PrĂ€sident Richard Nixon die Beziehungen zur Volksrepublik China neu aufstellen In der Resolution 2758 heißt es:

ZITATORIN
„Die Vollversammlung der Vereinten Nationen [
] beschließt, all die Rechte der Volksrepublik China instandzusetzen und die Vertreter ihrer Regierung als die einzigen legitimierten Vertreter Chinas in den Vereinten Nationen anzuerkennen und von nun ab die Vertreter Chiang Kai-sheks von dem Platz zu entfernen, den sie zu Unrecht in den Vereinten Nationen und all ihren Organisationen einnehmen.“

SPRECHER

Der Beschluss, der die gesamte Macht-Konstellation Ă€nderte, er gilt bis heute. Vor allem LĂ€nder des globalen SĂŒdens stimmten zu. Doch der Beschluss war nicht im Sinne aller Staaten - die USA etwa wollten, dass sowohl die Volksrepublik China als auch die Republik China im Sicherheitsrat vertreten sein sollen, konnten sich mit dieser Haltung aber nicht durchsetzen. Und so nahmen 1979 die USA diplomatische Beziehungen zur flĂ€chenmĂ€ĂŸig deutlich grĂ¶ĂŸeren Volksrepublik China auf und brachen die offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Taiwan ab. Aber eben nur die offiziellen diplomatischen Beziehungen. Zugleich verpflichtete sich Washington mit dem Taiwan Relations Act, Taiwan verteidigungsfĂ€hig zu halten. Auch viele andere Staaten haben bis heute keine offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Taiwan. Denn um mit China zusammenarbeiten zu können, mĂŒssen LĂ€nder die Ein-China-Politik anerkennen. Peking versteht sich als Rechtsnachfolger der Republik China. Anna Marti:

O-TON 3 (Marti, 7.01)
Das heißt, dass Peking darauf besteht, dass es nur ein einziges China gibt. Und in ihrer Sichtweise ist das eben die Volksrepublik. Und wer mit China, also wer mit Peking diplomatische Beziehungen unterhalten möchte, der muss das akzeptieren. Das heißt, man kann nicht gleichzeitig mit Peking und mit Taipeh diplomatische Beziehungen unterhalten.

Musik

SPRECHER
Zu den wenigen LĂ€ndern, die heute Taiwan offiziell anerkennen, gehören unter anderem Haiti, Guatemala, Paraguay und der Vatikan. Doch auch wenn es offiziell keine Anerkennung gibt, arbeiten viele LĂ€nder – auch Deutschland - eng mit Taipeh zusammen. Es ist diplomatisches FingerspitzengefĂŒhl gefragt. Anna Marti. 

O-TON 4 (Marti, 7.37 /24.21) 
Was aber wichtig ist: Nur, weil man keine Botschaft in Taipeh hat, heißt das nicht, dass es keinerlei Austausch gibt. Die heißen dann hier anders. Also die deutsche Vertretung heißt da nicht hier die deutsche Botschaft, sondern das ist das Deutsche Institut. /
Es gibt einen taiwanischen Pass, der auch anerkannt wird und der in manchen Gebieten auch wirklich sogar besser ist als der chinesische Pass. Also ganz konkret können Leute mit einem taiwanischen Pass in den Schengenraum einreisen, ohne vorher ein Visum beantragen zu mĂŒssen. Und das ist bei Menschen, die einen Pass aus der Volksrepublik haben, ist es nicht möglich. Und das ist natĂŒrlich ein gewisser Pragmatismus. Es wirkt erstmal merkwĂŒrdig, dass zum Beispiel Deutschland, das Taiwan nicht als Staat anerkennt, den Pass aber anerkennt. Aber es gibt zum Beispiel auch ein Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Taiwan und Deutschland.
 
TC 08:41 – Das Problem der „Wiedervereinigung“

SPRECHER
Die EigenstĂ€ndigkeit Taiwans wird auch in anderen Punkten deutlich: So hat das Land eine eigene WĂ€hrung, den Taiwan-Dollar, und ein eigenes MilitĂ€r. Doch zwischen der Volksrepublik China und der Republik China herrscht ein starkes MachtgefĂ€lle: Das MilitĂ€r von China zĂ€hlte 2023 rund zwei Millionen aktive Soldaten, das MilitĂ€r von Taiwan rund 170.000. China ist Taiwan in militĂ€rischer Hinsicht ĂŒber alle Waffengattungen hinweg deutlich ĂŒberlegen. 

MUSIK

SPRECHER
Der Status Taiwans ist also seit Jahrzehnten umstritten, die politische Kluft zwischen der Republik und der Volksrepublik China tief. Beide Seiten beharren auf ihren Positionen. Die FĂŒhrung in Peking betrachtet das 23 Millionen Einwohner zĂ€hlende Taiwan – welches im Vergleich zu den 1,4 Milliarden Menschen auf dem Festland winzig ist - als Teil der Volksrepublik. Peking strebt eine „Wiedervereinigung“ an und droht mit einer militĂ€rischen Eroberung der Insel, sollte sich Taiwan als unabhĂ€ngig erklĂ€ren. Immer wieder gibt es militĂ€rische Machtdemonstrationen: Chinesische Kriegsschiffe patrouillieren regelmĂ€ĂŸig in der NĂ€he der taiwanesischen KĂŒste, Flugzeuge verletzten den Luftraum. Oder es werden wie im Sommer 2022 bei Manövern Raketen abgefeuert und stĂŒrzen in der NĂ€he der Insel ins Meer – kurz zuvor hatte die damalige Vorsitzende des US-ReprĂ€sentantenhauses Nancy Pelosi Taiwan trotz Warnungen aus Peking besucht. Die Sprecherin des Außenministeriums in Taipeh erklĂ€rte damals kĂ€mpferisch: 

Einspielung 2 (China startet großangelegtes MilitĂ€rmanöver... ab 27. Sek, chin. O-Ton. Overvoice.)
Unsere Regierung ist noch entschlossener, die SouverĂ€nitĂ€t und territoriale IntegritĂ€t unserer Nation zu schĂŒtzen. Angesichts des aktuellen Szenarios wird unsere Regierung nicht nur ihre SelbstverteidigungsfĂ€higkeiten aktiv stĂ€rken, sondern auch enge Beziehungen zu gleichgesinnten LĂ€ndern wie den Vereinigten Staaten pflegen. Gemeinsam werden wir die auf Regeln basierende internationale Ordnung verteidigen, eine weitere regionale Eskalation vermeiden und gleichzeitig die Sicherheit der Straße von Taiwan sowie die Freiheit, die Offenheit, den Frieden und die StabilitĂ€t in der indopazifischen Region energisch schĂŒtzen. 

TC 11:00 – Ein Land im Konflikt zweier AtommĂ€chte

SPRECHER
Das Engagement der USA fĂŒr Taiwan hat vor allem geopolitische GrĂŒnde. Die Insel im Pazifik ist ein Land im Konflikt zweier AtommĂ€chte, China und den USA. Die USA hat zudem wichtige MilitĂ€rbasen im Pazifik. Anna Marti:

O-TON 5 (Marti, 15.18)
Die USA haben große MilitĂ€rstĂŒtzpunkte in Japan und in Guam. Und da sind auch wichtige Teile der Pazifikflotte, zum Beispiel auch der FlugzeugtrĂ€ger, die zum Teil dann hier auch durch die Taiwan-Straße fahren, in sogenannten Freedom of Navigation-Routen. Also ganz konkret bedeutet das, dass man da durch die Taiwan-Straße durchfĂ€hrt, um eben zu zeigen, dass das ein internationales GewĂ€sser ist und nicht, wie von der Volksrepublik beansprucht, ein nationales GewĂ€sser.

Musik

SPRECHER
Eine Eroberung Taiwans durch China wĂ€re ein weiterer Schritt fĂŒr die Großmacht-Ambitionen Pekings, denn dies wĂŒrde dem Land zu mehr Macht im Pazifik verhelfen. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine befĂŒrchten Beobachter, dass China auf Ă€hnliche Art und Weise versuchen könnte, Taiwan zu erobern. SpĂ€testens seit Peking die Demokratiebewegung in Hongkong niederschlagen ließ, ist klar, dass die Volksrepublik auch vor Gewalt nicht zurĂŒckschreckt. Die USA – als Schutzmacht - beliefern Taiwan deshalb mit Waffen. US-PrĂ€sident Joe Biden bezeichnete es als „Verpflichtung“, Taiwan zu verteidigen – wie dieses Engagement außer Waffenlieferungen genau aussehen könnte, ließ er offen. Die Bochumer Taiwan-Expertin Christine Moll-Murata:

O-TON 6 (Moll-Murata, 7.10)
NatĂŒrlich gibt es auch wirtschaftliche Interessen der USA, aber in erster Linie ist es eben geopolitischer Art. Und das hat, ja, eben auch mit dem VerhĂ€ltnis von USA zu China zu tun. In letzter Zeit, also seit den letzten fĂŒnf, sechs Jahren, spricht man von Decoupling, also von einer Loslösung oder von einer Entflechtung der amerikanischen Wirtschaft von der chinesischen Wirtschaft. Und da spielt eben Taiwan eine wichtige Rolle.

SPRECHER
Ein militĂ€rischer Konflikt hĂ€tte massive Auswirkungen, auch auf die Weltwirtschaft. Das kleine Taiwan - die Insel ist etwa so groß wie Baden-WĂŒrttemberg - gilt als Tigerstaat SĂŒdostasiens, also als eine besonders dynamische Wirtschaft.

MUSIK

Zwar taucht Taiwan wegen seines unklaren Status meist nicht in offiziellen Rankings auf, doch mit einem geschĂ€tzten Bruttoinlandsprodukt fĂŒr 2023 von knapp 800 Milliarden US-Dollar, liegt Taiwan weltweit etwa auf Platz 20. Besonders wichtig fĂŒr viele Branchen ist vor allem die Chip- und Halbleiterindustrie. Dort ansĂ€ssige Unternehmen wie die „Foxconn Technology Group“ oder die „Taiwan Semiconductor Manufactoring Company, Limited“ produzieren Elektronik- und Computerteile, Chips und Halbleiter unter anderem fĂŒr Marken wie Apple, Nintendo, Microsoft und Sony. Anna Marti von der Friedrich Naumann Stiftung in Taipeh.

O-TON 7 (Marti, 16.52)
Es ist ganz klar: Die Welt ist abhĂ€ngig von diesen Chips, die hier in Taiwan produziert werden. Und wenn die Lieferketten unterbrochen werden oder wenn es zu einem grĂ¶ĂŸeren Konflikt kommen sollte, dann wĂ€re die Weltwirtschaft insgesamt betroffen, nicht nur wegen den Chips, aber natĂŒrlich auch wegen den Routen, den Schiffsrouten, die hier auch in nĂ€chster NĂ€he vorbeigehen und die Falle eines Konfliktes da natĂŒrlich betroffen wĂ€ren.

TC 14:24 - Umbruchsdenken

SPRECHER
Es mag erstaunlich klingen: Trotz des politischen Konflikts mit Peking hat Taiwan enge wirtschaftliche Beziehungen mit der Volksrepublik. Die Volksrepublik China ist Taiwans grĂ¶ĂŸter Handelspartner. Im Jahr 2022 gingen rund 40 Prozent aller taiwanischen Exporte nach China, inklusive der Sonderverwaltungsregion Hongkong. Taiwanesische Firmen wie Foxconn haben zudem auch Filialen auf dem chinesischen Festland – doch das scheint sich langsam zu Ă€ndern, sagt Professor Moll-Murata.

O-TON 8 (Murata-Moll, 10.41) 
Ich habe jetzt bei einem Besuch in Taiwan vor Kurzem gehört, dass sich einfach auch in Taiwan bemerkbar macht, dass viel mehr Unternehmen, die vorher auf dem Festland ansĂ€ssig waren, eben versuchen, sich herauszuziehen und dann in SĂŒdostasien oder in Indien ihre ProduktionsstĂ€tten neu aufzubauen - wegen der Unsicherheit, die der Produktion in China und auch natĂŒrlich aus geopolitischen GrĂŒnden. Ja, und aus GrĂŒnden, dass der Standort China fĂŒr taiwanische Unternehmen eben mehr und mehr gefĂ€hrlich zu sein scheint.

MUSIK

SPRECHER
Nicht nur wirtschaftlich, auch gesellschaftlich findet ein Umdenken statt: Auch wenn die Amtssprache Mandarin, also Chinesisch ist – es werden zudem unter anderem Taiwanisch und Hakka gesprochen -, sieht sich die Mehrheit der vor allem jĂŒngeren Menschen in Taiwan inzwischen als Taiwanerinnen und Taiwaner und nicht als Chinesinnen und Chinesen. Christine Moll-Murata:

O-TON 9 (Moll-Murata, 19.47)
Die taiwanische IdentitĂ€t, also dieses IdentitĂ€tsbewusstsein Taiwaner zu sein und nicht Chinese, das hat in den vergangenen Jahren immer stĂ€rker zugenommen. Das ist ganz klar. Das heißt aber ĂŒbrigens nicht, dass nicht die Bevölkerung auch bei Wahlen durchaus zum Ausdruck bringen kann, dass sie an einer grĂ¶ĂŸeren AnnĂ€herung oder an einer Entspannung gegenĂŒber China großes Interesse hat.

SPRECHER
Dass viele Menschen in Taiwan zumindest den Status quo beibehalten möchten, liegt sicher auch am politischen System. Taiwan gilt als eine der stabilsten Demokratien Asiens mit freien Wahlen, einem funktionierenden Rechtssystem, Meinungs- und Pressefreiheit sowie einer liberalen Gesellschaft. So legalisierte der Inselstaat 2019 zum Beispiel als erstes asiatisches Land die gleichgeschlechtliche Ehe. Auf diese Errungenschaften legen die Menschen großen Wert. Zuvor hatte der Oberste Gerichtshof entschieden, dass es gegen die Verfassung verstoße, wenn nur MĂ€nner und Frauen heiraten können. Laut dem Demokratieindex – zusammenstellt von der UniversitĂ€t Göteborg -  gehört Taiwan weltweit zu den Top-20-Demokratien und liegt damit unter anderem vor Slowenien und Österreich. Anna Marti:

O-TON 10 (Marti, 11.38)
Was man aber nicht vergessen darf, ist natĂŒrlich, dass Taiwan auch immer noch eine relativ junge Demokratie ist. Das heißt auf der positiven Seite, dass es den Menschen noch oft noch sehr bewusst ist, wie es vorher war und dass sie deswegen auch sehr, sehr viel Wert darauflegen.

Musik

TC 17:28 – Der Weiße Terror

SPRECHER
Denn Taiwan war nicht von Anfang an eine Demokratie. In dem frĂŒheren Einparteiensystem herrschte jahrzehntelang Kriegsrecht und der sogenannte Weiße Terror – begrifflich eine Abgrenzung zum roten Kommunismus. Es gab unter der Herrschaft der nationalchinesischen Kuomintang willkĂŒrliche Verhaftungen. Oppositionelle wurden unterdrĂŒckt, vermeintliche Kommunisten und Spione verschwanden und wurden getötet. Anna Marti:

O-TON 11 (Marti, 9.57)
Es gab politische GefĂ€ngnisse. Es war kein Rechtsstaat, und es war ein sehr, sehr repressives System. Und dieser weiße Terror, dieses Kriegsrecht, das galt in Taiwan sehr, sehr lange. Erst 1987 wurde das beendet, und dann setzte langsam eine Demokratisierung ein, die auch von den Menschen getragen wurde und die vor allem von unten kam und die ersten wirklich freien Wahlen, die fanden (19)96 auch erst statt, das heißt es weiter Weg. Und lange Zeit war der schöne Name Republik eben nur das, ein schöner Name und aber nicht wirklich mit Leben gefĂŒllt.

Musik

SPRECHER
Offiziellen Quellen zufolge wurden 1.061 Menschen zum Tode verurteilt und bis zu 20.000 Menschen inhaftiert. Die Aufarbeitung dieser Zeit der Gewalt und WillkĂŒr ist ein langwieriger Prozess. Zwar wurden zum Beispiel ein ehemaliges FoltergefĂ€ngnis und die GefĂ€ngnisinsel LĂŒdao zu GedenkstĂ€tten umgewandelt, Literatur und Kunst setzen sich intensiv mit dem Thema auseinander, und die Opfer des Weißen Terrors wurden entschĂ€digt, die TĂ€ter aber wurden nicht juristisch zur Verantwortung gezogen. Erst 1996 wurde der erste direkte PrĂ€sident der Insel gewĂ€hlt: Lee Teng-hui. Der ehemalige BĂŒrgermeister von Taipeh war der erste PrĂ€sident, der auch auf der Insel geboren war. In den Nachrichten vom MĂ€rz 1996 hieß es:

Einspielung 3 (Taiwan hat gewÀhlt, 00.01)  
WĂ€hrend also PrĂ€sident Lee feierte und sich feiern ließ, ist fĂŒr die FĂŒhrer in Peking, die Taiwan als abtrĂŒnnige Provinz betrachten, ein Alptraum wahr geworden. Lee Teng-hui, dessen Wunsch nach mehr internationaler Anerkennung Taiwans die Krise zwischen den beiden Chinas ausgelöst hat, hat 54 Prozent der Stimmen erhalten
.  
Musik

TC 19:46 – Ein Leben mit militĂ€rischer Spannung

SPRECHER
Der Konflikt um Taiwan ist ein Dauerthema – nicht nur international, sondern auch auf der Insel selbst. Denn es kommt immer wieder zu militĂ€rischen Machtdemonstrationen, scharfen Reden und Versuchen der chinesischen Einflussnahme, sagt die Ostasienwissenschaften Moll-Murata:

O-TON 12 (Moll-Murata, 18.26)
Wobei man sagen muss, dass natĂŒrlich China auf verschiedene Weise, nicht nur mit militĂ€rischen Drohgehabe versucht, Taiwan zu beeinflussen, sondern auch massiv mit Presse, mit den Medien und mit den sozialen Medien auch.

SPRECHER
Trotz der Spannungen und militĂ€rischen Konfrontationen sei im Alltag aber keine stĂ€ndige NervositĂ€t zu spĂŒren, sagt Marti, die in Taipeh lebt.

O-TON 13 (Marti, 21.37)
Ich vergleiche es immer ein bisschen, wie wenn man in einen Raum kommt, wo es nicht gut riecht. Wenn man die TĂŒr aufmacht und reinkommt, dann merkt man das - und je lĂ€nger man in dem Raum ist, desto weniger merkt man das. Irgendwann hat sich die Nase dran gewöhnt und man riecht es nicht mehr. Und das ist so der Eindruck, den ich öfters hier in Taiwan habe. Dass die Menschen diese Gefahr kennen, es war schon immer so, und es gab immer mal Auf und Ab. Und dass man da, wie so ein bisschen abstumpft. Denn man hat ja eigentlich nur zwei Möglichkeiten, damit umzugehen. Man kann entweder sich in frenetischen Vorbereitungen stĂŒrzen oder ganz extrem in andauernde Panik verfallen. Oder man kann es so ein bisschen ignorieren und fĂŒr die allgemeine Gesundheit ist, glaube ich, das Ignorieren und sich einfach damit Arrangieren besser.

MUSIK

SPRECHER
Nichtsdestotrotz nimmt in dem jungen demokratischen Land die Diskussion ĂŒber Politik, das VerhĂ€ltnis zu China und die Zukunft des Landes einen großen Raum ein. Auch die junge Bevölkerung hat ein großes Interesse an Politik, sagt Christine Moll-Murata:

O-TON 14 (Moll-Murata, 28.22)
Ich habe viele Definitionen gehört von Taiwan
 die einen sagen, wir sind ein Staat ohne Selbstbewusstsein. Die anderen sagen, wir sind ein ganz besonderer Staat. Manche beharren darauf, dass sie sich auf dem Weg zur Nationenbildung finden.

MUSIK hoch

SPRECHER
Taiwan war, ist und bleibt wohl auf absehbare Zeit ein Land im Konflikt der MĂ€chte. Das demokratische Land steht zwischen der mĂ€chtigen kommunistischen Volksrepublik China und den USA, fĂŒr die die Insel geopolitisch, aber auch wirtschaftlich von großer Bedeutung ist. In den vergangenen Jahren nahmen die Spannungen um die Insel eher zu – es bleibt ein Balanceakt. 

MUSIK

TC 22:10 – Outro