Ex nihilo - Martin Burckhardt   /     Energiearmut

Shownotes

hier der Link zum Video, das auf Englisch geführt wurde
Foto: Johannes Plenio

Martin Burckhardt: Mr. Tinker, ich habe darüber nachgedacht, wie ich Sie vorstellen könnte. Vielleicht als Geologen, der an der University of Texas in Austin das Amt für Wirtschaftsgeologie innehat, als Energieaktivist, der sich für die Beseitigung der bitteren Armut in der Welt einsetzt, als Gründer der Switch Energy Alliance oder als Filmemacher, der sich mit den praktischen Möglichkeiten beschäftigt, wie der weltweite Energiebedarf gedeckt werden kann. Am interessantesten erscheint mir jedoch die Vorstellung, dass Sie so etwas wie ein Energie-Anthropologe sind - jemand, für den die Verbindung zwischen Energie und Zivilisation sinnfällig ist. Und besonders beeindruckt hat mich der Humanismus Ihres Ansatzes. Wie sind Sie in dieser Welt gelandet?

Scott Tinker: Ich bin noch nie als Anthropologe bezeichnet worden... aber Sie können sich nicht vorstellen, wie gut ich das nachvollziehen kann! Sie müssen wissen, ich bin Geologe und habe einen entsprechenden Hintergrund, und ich habe schon relativ früh mit meiner Familie angefangen zu reisen. Gleich nach dem Studium bin ich 1982 für einige Wochen in die ehemalige Sowjetunion gereist, die damals noch ganz anders aussah. Das hat mir die Augen geöffnet für die Unterschiedlichkeit der Menschen und die Bedeutung von Toleranz in der Welt. Ich denke, dass Reisen uns alle für Toleranz sensibilisiert. Und seitdem bin ich viel gereist, was wahrscheinlich die menschliche Komponente ist: zu sehen, wie die Welt wirklich ist. Nicht nur, wie sie aussieht, sondern auch, wie sie riecht.

Scott Tinker

MB: Ja, der Kohlegeruch, so wie ich ihn auch aus Ost-Berlin kenne.

ST: Richtig, und der Geruch von Armut... der Klang und der Geschmack von alledem. Und irgendwann haben ich diesen großartigen Filmemacher kennengelernt. Denn ich persönlich bin ja nur das vorzeigbare Gesicht bei all diesen Dingen, mit denen wir wir uns abmühen. Er hingegen ist das Genie hinter alledem; und wir sind seit über 15 Jahren Partner. Er macht Filme über viele Dinge, nicht bloß über Energie. Zudem hat er einen wunderbaren Kanal für geistige Gesundheit und ein klassisches Musikprogramm am Freitagabend auf PBS, und er ist sehr breit gefächert in seinem Denken. Wir haben also anderthalb Jahrzehnte lang diese Filme über Energie, Umwelt und Wirtschaft gedreht. Man kann nicht über Energie nachdenken, ohne die menschliche Komponente mit einzubeziehen, denn das menschliche Wohlbefinden ist der eigentliche Antrieb für alles. Das bleibt manchmal auf der Strecke, nicht absichtlich, sondern einfach weil es von unserem Handeln überdeckt wird.

Hopkins Stanley: Das Thema Energie scheint in diesen Tagen in aller Munde zu sein, besonders in Deutschland. Und wir finden, dass Ihre Perspektive vergleichsweise sehr ungewöhnlich ist. Sie sind in all diese Länder gereist, vor allem in den globalen Süden, und Sie haben mit eigenen Augen gesehen, wie katastrophal die Energiearmut die Bevölkerung trifft. Sie haben das ganz konkret erlebt...

ST: Ja, die Sinne werden wirklich geschärft, wenn man dort ist. Das ist etwas ganz anderes als ein Film, bei dem man zwar Bild und Ton sieht, aber den Geschmack, die Berührung und den Geruch nicht wahrnimmt. Und das ist, glaube ich tatsächlich, ein Stück Anthropologie.

HS: In Ihrem Film Switch On gibt es eine Szene, in der Sie diese junge Frau besuchen, die an ihrem Küchenkamin sitzt und ihr Kleinkind im Arm hält. Und nur weil sie mit Dung und Holz kochen muss, ist alles in diesem fensterlosen Raum schmutzig und rußig. Wenig später sehen wir Sie wieder mit dieser Mutter und ihrem hustenden Kleinkind, das jetzt von einem Arzt untersucht wird. Und wir erfahren, dass 60 % der Kinder in der Region an Atemwegserkrankungen leiden. Und diese sind auf das Einatmen der rußigen Luft zurückzuführen, die bei der Verbrennung von Dung und Holz zur Energiegewinnung entsteht. Wie erklären Sie, in Anbetracht dieser gravierenden Krankheits- und Sterblichkeitsrate, dass die meisten unserer Klima- und Energieaktivisten dem idealisierten Bild des edlen Wilden folgen, der ein gesundes Leben in der unberührten Natur führt.

Still aus dem Film Switch On

ST: Das haben Sie sehr gut beschrieben. Wissen Sie, das war ein schwieriger Teil dieses Films. Denn wir haben das in so vielen verschiedenen Teilen der Welt gesehen, wo fast drei Milliarden Menschen in ihren Häusern noch immer mit irgendeiner Art von Biomasse kochen, sei es Dung, Holz oder Heu oder andere Dinge. In der Filmpassage, in der wir Conchi und ihren Sohn gezeigt haben, befinden sich tatsächlich zwei Kühe in dem Raum, denn Kühe sind in Nepal genauso heilig wie in Indien. Der Raum war sehr klein; die Hälfte davon war für die Kühe, die andere Hälfte für die Mutter und ihre fünf Kinder, einschließlich des Aufstiegs über eine kleine Leiter zu dem kleinen Dachboden, auf dem sie schliefen und der auch als Trockenlager für ein paar Dinge diente. Das war brutal. Dann ins nahegelegene Memorial Hospital zu gehen und zu sehen, wie Kinder an Feinstaub sterben und ihre Mütter an Krebs, grauem Star und anderen Dingen erkranken, ist brutal. Und es ist so sinnlos, weil es doch sehr gut lösbar wäre. Wir müssten uns nicht einmal besonders anstrengen, um diese Probleme anzugehen, denn wir können Biomasse - die übrigens sehr teuer für die Leute dort ist, weil sie wegen der Abholzung der Wälder und anderer echter Probleme kein Feuerholz sammeln dürfen - durch etwas anderes ersetzen, sei es ein Induktionskochfeld, wenn sie Zugang zu Elektrizität haben, oder einen Flüssiggastank oder eine andere Energiequelle. Einer merkwürdigen Ironie folgend, hegen wir jedoch einen Widerstand dagegen, jemanden mit einem LPG-Gastank auszurüsten. Warum eigentlich? Warum ist das so? Nun, weil es ein fossiler Brennstoff ist. Aber Moment mal, die Emissionen sind wesentlich geringer, zudem ist diese Energieform viel billiger und zuverlässiger für diese Leute, und sie können sie transportieren. Wir müssen also anfangen, ein wenig gründlicher zu denken als in der binären Erzählung, die uns präsentiert wird und die nur eine Seite der Gleichung beherzigt. Zugegeben, das Klima ist ein wichtiger Teil unserer Umwelt, aber es muss zusammen mit Land, Luft und Wasser im Gleichgewicht sein, damit die gesamte Umwelt das menschliche Gedeihen ermöglicht. Wie bekommen wir diese Teile dazu, zusammenzuarbeiten? Das ist keine binäre Logik, kein Dialog, der zwischen Ja und Nein, sauber/schmutzig, gut oder schlecht, Glauben oder Leugnen unterscheidet. Diese Unterscheidungen bieten keinen realistischen Rahmen - aber so wird es in einigen unserer höher gebildeten, reichen Teile der Welt doch dargestellt. Dabei nehme ich es den Menschen nicht übel, wenn sie die reale Welt nicht gesehen haben, oder wenn Sie in Ermangelung unmittelbarer, sinnlicher Erfahrung keine Vorstellung davon haben – oder sich mit dem Hörensagen begnügen. Ich denke, wir müssen uns sehr viel gründlicher mit der realen Welt auseinandersetzen, denn erst dann sind wir in der Lage, uns mit ihren komplexeren Umständen auseinanderzusetzen und sie zu lösen. Junge Menschen sind durchaus intelligent und werden diese Probleme lösen, wenn sie alle Informationen und Daten zur Verfügung haben. Aber wenn ich an Universitäten Vorlesungen halte, und ich suche mir die schwierigen aus, höre ich immer wieder, dass die Studenten sagen: Die Hälfte von dem, was Sie sagen. habe ich noch nicht gehört. Warum habe ich das noch nicht gehört? Niemand hat mir davon erzählt. Das Problem ist, dass sie nur einen Teil der Informationen erhalten. Daher wachsen sie mit dem Gedanken auf: Alles ist einfach. Gebt ihnen einfach ein Solarpanel und eine Windturbine, dann ist es sauber und die Welt ist in Ordnung. Jeder, der das nicht glaubt, ist ein Leugner oder ein Lobbyist der Ölindustrie oder etwas dergleichen. Aber so funktioniert die Welt einfach nicht. Übrigens gibt es diese Art von Armut nicht nur im globalen Süden oder in den Schwellenländern. Es gibt sie überall. Wir haben sie in den USA, und jetzt protestieren die Landwirte in Europa mit ihren Traktoren, zuvor die Gelbwesten, und die Trucker in Kanada. Die Menschen, die etwas produzieren, sagen: Es reicht. Das ist regressiv. Das frisst einen immer größeren Teil meines Einkommens auf. Der Economist veröffentlichte letztes Jahr einen Artikel, in dem es hieß, dass teure Energie wahrscheinlich mehr Menschen tötete als COVID im Jahr zuvor in Europa. Es ist also nicht nur irgendwo da drüben; es ist der grundlegende Teil überall um uns herum, dass diejenigen, die weniger Einkommen haben, mehr und mehr davon verwenden müssen, um Energie und andere Dinge zu gleichen oder gerechten Preisen zu kaufen, was eine echte Auswirkung dieser Politik ist.

MB: Sowohl Hopkins als auch ich haben vernommen, wie Sie die Dreiecksbeziehung zwischen Energie, Wirtschaft und Umwelt erläutern. Das ist ein großartiger Ansatz, um den sicheren Zugang zu Energie und die Regulierung der Energienutzung durch die Entwicklung politischer Maßnahmen zu diskutieren und gleichzeitig die Fachwelt und die Öffentlichkeit über den globalen Energiebedarf aufzuklären. Haben Sie diesen Ansatz selbst entwickelt, oder ist er Teil des Fachgebiets Wirtschaftsgeologie?

ST: Nun, ich glaube nicht, dass irgendjemand von uns irgendetwas ganz allein macht; wir werden alle beeinflusst, und ich hatte bedeutende Einflüsse von Leuten wie Jesse Ossibel, der ein brillanter Kopf ist und der, wie ich glaube, viele von uns bei der Dekarbonisierung beeinflusst hat, zudem Steve Coonan und eine ganze Reihe anderer Kollegen. Aber die drei E's, über die ich seit fast 20 Jahren spreche [Economy, Environment, Energy], und das, was ich die radikale Mitte nenne, stammt aus einem kurzen Artikel, den ich vor etwa 15 Jahren über den sich überschneidenden Raum zwischen Energie, Umwelt und Wirtschaft geschrieben habe. Warum ist das so wichtig? Es ist wichtig, weil sich dort die Handlung abspielt. Es ist kompliziert, wenn man all diese Dinge in einem Raum zusammenbringt - es ist chaotisch, und man muss Kompromisse eingehen, weil man nicht alles bekommt. Aber das ist der Punkt, an dem die Dinge gelöst werden. Wenn man zu sehr in eine Richtung drängt - zu sehr in Richtung Energie, zu sehr in Richtung Wirtschaft, zu sehr in Richtung Umwelt -, lässt man alles andere zurück. Und am Ende schadet man den Dingen und stößt zu Recht auf erheblichen Widerstand aus anderen Bereichen, die sagen: Na ja, warten Sie mal. Dieser Jederzeit-Energie-Ansatz wird der Umwelt schaden. Oder: Der ganztägige Null-Emissions-Ansatz könnte der Wirtschaft und dem Energiesektor schaden, und Sie werden es nicht schaffen. So kann man das nicht erreichen.' Man muss also die Dinge zusammenbringen, was viel Arbeit erfordert. Man muss viele verschiedene Sektoren zusammenbringen, wie Nichtregierungsorganisationen, Akademiker, die Industrie und Regierungen, sowie verschiedene Disziplinen. Es macht Spaß, aber das erfordert doch eine sehr weit gefasste Definition von Spaß.

HS: Ja, das ist uns sehr vertraut...

ST: Ja. Ich habe es also nicht erfunden, aber ich spreche und schreibe schon seit langem darüber. Ich beobachte, dass jetzt weltweit ein ziemlich guter Dialog darüber stattfindet, insbesondere an Orten wie Davos und der COP, wo die Nationen, die erst am Anfang ihres Weges stehen oder vielleicht schon einen Teil ihres Weges hinter sich haben, sagen: Hey, hey, hey, Moment mal - die USA haben sich mit Kohle entwickelt. Und ihr, Großbritannien und Deutschland, habt das auch gemacht. Und jetzt ist China dran. Und Herr Modi sagt zu den U20: Haltet mir keine Vorträge über den Klimawandel. Wir werden die Kohle genauso nutzen wie ihr, weil sie erschwinglich und zuverlässig ist. Und ich habe mehrere hundert Millionen Menschen zu versorgen, die gerade erst anfangen. Das ist also der eigentliche Dialog, der über die Maßnahmen der Staats- und Regierungschefs geführt werden muss - nicht über das, was sie sagen oder versprechen, sondern über das, was sie tatsächlich tun... das ist das eigentliche Gespräch, das meiner Meinung nach so wichtig ist.

HS: Sie sprechen einen wichtigen Punkt an, nämlich dass man Energiequellen nutzen sollte, die man sich leisten kann, um wirtschaftlich gedeihen zu können. Und dies wiederum ermöglicht es einem, eine bessere Energiequelle zu entwickeln, was an Martins Bemerkung anknüpft, dass Sie ein Energieanthropologe sind - auch wenn das ein neuer Begriff für Sie ist. Wir sind beide beeindruckt von der großen Sensibilität, mit der Sie diese Dreiecksbeziehung betrachten und der lokalen Bevölkerung nahebringen, mit Rücksicht auf ihre besonderen wirtschaftlichen und kulturellen Bedürfnisse – womit Sie der Verführung entgehen, ihnen zu sagen, was sie denn brauchen. Dann haben Sie eine sehr eigene Art der Ressourcenakquise und der Kooperation, die Sie als Spaß bezeichnen. Gibt es etwas in Ihrem Hintergrund, das Sie zu dieser Arbeitsweise veranlasst hat? Ist es ein angeborener Sinn dafür, Spaß an der Welt zu haben, oder etwas anderes?

ST: Nun, Sie trauen mir mehr zu, als ich geleistet habe. Und obwohl ich es genieße, diese Dinge zu fördern, gibt es auf der ganzen Welt erstaunliche Organisationen, die in die Länder gehen und dabei helfen, verschiedene Arten von Infrastrukturen zu entwickeln. In unserem ersten Film Switch (der 2009-10 gedreht und 12 Jahre später veröffentlicht wurde) haben wir 11-12 Länder besucht, um zu sehen, wo die Energienutzung am vorbildlichsten ist: Solarenergie in Spanien, Windenergie in Kopenhagen, Kernenergie in Frankreich und Erdwärme in Island. Und wir haben uns die Vor- und Nachteile angeschaut, denn alle haben ihre Tücken. Dann, ein paar Jahre später, kamen wir wieder zusammen und sagten: Mensch, wir haben mit diesem Film mehr als die Hälfte der Welt ausgelassen. Mehr als die Hälfte der Welt verfügt nicht über diese Art von Energie. Fünf Milliarden, also 60 % des Planeten, mindestens. Bei dem nächsten Film, Switch On, haben wir gelernt, dass wir nichts vorschreiben können. Man kann zwar irgendwo hingehen und sagen: Hey, ich gebe euch dieses Ding, etwas Hilfe, und ihr werdet damit X machen, und Y wird das Ergebnis sein. Und sie lächeln und nehmen das Hilfsmittel an, und dann geht es kaputt. Das mag so etwas Einfaches sein wie eine durchgebrannte Sicherung - aber dann gehen die Leute wieder dazu über, Wasser auf dem Kopf zu transportieren oder Dung zum Kochen zu sammeln. Sehr viel besser hingegen scheint es zu funktionieren, wenn die Gemeinschaft sagt: Wir glauben, dass wir Folgendes brauchen und wollen. Wie wollen Sie mit uns zusammenarbeiten, damit wir das in unsere Gemeinschaft aufnehmen und nach und nach anpassen können, um es zu erhalten. Und so entstehen diese kleinen Mikro- und Minimärkte des Handels, die wir übrigens nie vorhersagen würden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus Gunchukwa, Kolumbien, wo wir Solarenergie zu einer Gruppe indigener Arhuaco gebracht haben. Obwohl ein Fluss an ihrem Dorf vorbeifließt und wir leicht ein Ökowasserkraftwerk hätten installieren können, wollten sie Solarenergie, weil der Fluss für sie heiliges Wasser ist.

HS: Sehen Sie, Sie sind Kulturanthropologe, nicht wahr?

ST: Wir wurden tatsächlich in diesem Fluss getauft, ein Jahr, bevor wir zurückgekommen sind und die gesamte Ausrüstung mitbringen durften. Vier oder fünf Meilen entfernt gab es Stromleitungen, aber sie wollten sie nicht anzapfen. Sie wollten Solarzellen im Dorfzentrum, nicht in den Dörfern oder auf den Bauernhöfen. Und warum? Weil die Leute nicht ins Dorf kommen würden. Sie würden sich nicht versammeln. Wie klug ist das? Oh, das war brillant und unglaublich klug von ihren Anführern, den Mamos. Auf dieser zweiten Reise verbrachten wir acht Tage ohne Strom und halfen dabei, eine Dreieinhalb-Kilowatt-Anlage, Glühbirnen in sieben Lehmhütten, Deckenventilatoren in ihrem Gemeindezentrum und einen Kühlschrank für einige Medikamente zu installieren. Und jetzt kommt der Haken. Meine Frau und ich haben die 15.000 Dollar für das Batteriepaket bezahlt. Und wir sagten: Ihr müsst sie in 10 oder 12 Jahren ersetzen. Wie wollt ihr das machen? Sie fingen an, Eis am Stiel aus der Tiefkühltruhe zu verkaufen. Sie hatten noch nie Eis am Stiel, weil sie noch nie Gefrierschränke hatten, und sie verdienen Geld, das sie für die Instandhaltung ihres Systems zurücklegen können. Hätte ich jetzt auf den Eisverkauf getippt? Nein, das wäre wahrscheinlich das Letzte gewesen, woran ich jemals gedacht hätte.

Als Bangladesch Elektrizität erhielt, bauten Frauen Friseursalons. Warum? Weil das Frisieren von Haaren zur Kultur gehört und einen sicheren Ort für Frauen darstellt, an dem sie sich treffen können. Der Handel verbesserte sich, da die Frauen tugendhaft zwei- bis dreimal mehr in ihre Gemeinschaft investierten als die Männer, die stattdessen meistens tranken - das gilt weltweit.

Und so begann der Teufelskreis... in Nepal, wo wir darüber sprachen, wie Samakanchi im Haus kochte. In den Läden am Straßenrand - das ist eine großzügige Bezeichnung für diese kleinen Hütten - werden jetzt Induktionskochherde verkauft, von denen ich im Film einen für Samakanchi gekauft habe. Sie sind sehr teuer und kosten das, was für viele Menschen dort ein ganzes Jahreseinkommen darstellt. Ich habe die genaue Zahl vergessen, die sie verkauft hat, aber 10 oder 12 in einem Monat sind eine große Sache. Das war nicht Teil des traditionellen Handels, aber das ist es, was sie jetzt tun. Ich komme also hierher, weil es wichtig ist, zuzuhören. Deshalb haben wir zwei Ohren, um zu hören, was die Gemeinschaft will und braucht - und nicht, was wir denken oder ihr sagen, was sie braucht.

MB: In meinem letzten Buch mit dem Titel Über dem Luftmeer: Unbehagen in der Moderne habe ich daran erinnert, wie Evangelista Torricelli beobachtet hat, dass die Quecksilbersäule eines Barometers am Fuß eines Berges stärker komprimiert war als auf dem Gipfel, woraus er schloss, dass Luft ein Gewicht hat und dass über diesem Luftmeer ein Vakuum herrschen muss. Es stellte sich heraus, dass diese Vorstellung eines Vakuums unserer modernen Vorstellung von Energie zugrunde liegt, die mit der Dampfmaschine und später der Elektrizität begann. Philosophisch ausgedrückt, ist die Frage der Energie eng mit der Frage der geistigen Abstraktion verknüpft. Es scheint, dass diese Fähigkeit, abstrakt zu denken, bei der Suche nach erneuerbaren Energien verloren gegangen ist; dazu kommt der primitive Glaube, dass die Erdmutter Gaia edel und gut ist und dass sie uns nie eine Rechnung schickt - was ich sehr amüsant finde. Der Stoffwechsel des Vakuums ist in unserer Zeit in Vergessenheit geraten, ebenso wie die Erkenntnis, dass alles seinen Preis hat. Können Sie das einem Laien erklären?

ST: Nun, wenn ich ein Energie-Anthropologe bin, sind Sie ein Energie-Philosoph. Und was Sie gerade gesagt haben, ist sehr weise. So habe ich das noch nie gehört, aber es ist weise, denn nichts kommt ohne Kosten. Bei jeder einzelnen Entscheidung, ob im Kleinen oder im Großen, gibt es Kompromisse. Wenn ich dies tue, werde ich jenes nicht tun. So ist das Leben nun einmal. Und bei den Menschen ist es so, dass wir die Erde mit allem, was wir tun und was wir nutzen, beeinflussen. Selbst wenn wir in größter Armut lebten, verbrauchen wir immer noch irgendeine Art Holz, und dieser Verbrauch könnte auf eine Abholzung hinauslaufen - bis hin zu dem, was wir gerade tun: nämlich in Echtzeit über einen Ozean hinweg zu kommunizieren. Das erfordert eine enorme Menge an Energie. Diese Kompromisse müssen also in Betracht gezogen werden. Als Geologe weiß und verstehe ich nur sehr wenige Dinge, aber eine Sache, die ich einigermaßen gut verstehe, sind die Bodenschätze - alle Dinge und Energiesammelsysteme in der Welt. Dies ist der Versuch, Ihre Frage auf eine einfache Weise zu beantworten. Alle Energiegewinnungssysteme der Welt benötigen materielle Ressourcen. Ob es sich um ein Solarpanel, eine Windturbine, eine Batterie zur Energiespeicherung, einen riesigen Zementdamm für die Wasserkraft, eine Pumpstation für die Ölförderung, eine Raffinerie für die Raffinierung oder eine Pipeline für die Übertragung handelt, all das kommt von der Erde – und es erfordert Geld. Ich habe nichts gegen den Bergbau, ich bin Geologe, aber der Bergbau ist nicht grün. Nur weil wir sagen, dass es grüner Bergbau ist, bedeutet das nicht, dass es grüner Bergbau ist - ich weiß nicht einmal mehr, was das Wort grün bedeutet. Es kommt also aus der Erde, und wir machen daraus Speichersysteme, ob wir nun dies aus der Sonne oder dem Wind beziehen, den sogenannten erneuerbaren Energien. Aber die Paneele und Turbinen sind keine erneuerbaren Energien; sie kommen aus der Erde. Sie werden hergestellt, und sie nutzen sich ab. Und was wir tun, ist, sie wieder auf den Planeten zu werfen, typischerweise auf Mülldeponien. Oder wir leiten die bei der Verbrennung von Öl, Gas oder Kohle entstehenden Abgase in die Atmosphäre ein - und das immer wieder. Es handelt sich also nicht um einen erneuerbaren Prozess und auch nicht um einen sauberen Prozess. Es geht also um diese Abwägungen zwischen den Ansätzen. Und Hopkins, um auf das zurückzukommen, was Sie vorhin sagten: Jeder hat andere Ressourcen. Einige haben eine großartige Topographie und Regenfälle; also nutzen sie das. Einige liegen an der Küste und haben einen guten Tidenhub oder Wellengang; dann nutzen sie diese. Einige haben wunderbare Sonneneinstrahlung, andere wiederum schreckliche Sonneneinstrahlung. Deutschland ist nicht mit viel Sonne gesegnet, genauso wenig wie Seattle, Washington. Also wird es dort viel weniger effizient sein. Deshalb muss man in Deutschland mehr Energie verbrauchen, um die gleiche Menge an Sonne zu sammeln wie in Arizona, USA. Und das ist nur die Realität der Ressourcen, eines Energiegewinnungssystems und seiner Kompromisse. Das schicke Wort dafür ist Energiedichte, und das deckt ab, wieviel Energie man für sein Geld bekommt. Wie viel Energie pro Volumen- oder Gewichtseinheit, oder um Vaclav Smils Begriff der Oberflächenleistungsdichte benutzen, der Frage wieviel Watt pro Quadratmeter ich bekommen kann. Wie auch immer Ihr Auftritt aussieht, Sie erkennen, dass bestimmte Arten von Energie einfach mehr für ihr Geld bieten als andere. Und das ist keine Meinung, das ist Physik. Die Physik triumphiert, denn je weniger Aufwand ich für die Energiegewinnung benötige, desto mehr hilft dies der Umwelt und den Menschen. Die Elektrizität ist nur ein Teil dieser Gleichung, wenn es um eine zuverlässige Energieversorgung geht. Dabei verwende ich das Wort Energie im weitesten Sinne als das, was für nützliche Arbeit verwendet wird. Ist das vernünftig?

MB: Auf jeden Fall!

HS: Wir neigen dazu, das Schrumpfung zu nennen. Die Schrumpfung von Dingen, die immer effizienter werden.

MB: Die Philosophie der Romantik sagte, dass es nicht das Plusultra ist, sondern das Plusintra, das einem eine tiefere Einsicht in die Dinge erlaubt. Und dies bedeutet, dass das Vakuum und die moderne Energiezeugung eine größere Energiemenge aus einer bestimmten Stofflichkeit herausholen.

ST: Ich werde es in ein paar realen Zahlen ausdrücken, nur für die USA, aber das trifft auf viele moderne Volkswirtschaften zu. Die USA verbrauchen, sagen wir mal, 100 Energieeinheiten pro Jahr; es stellt sich heraus, dass das ziemlich genau 100 Watt entspricht; eine Billiarde BTU entspricht etwa einem Exajoule, was etwa einem TCF (einer Trillion Quadratfuß) Gas entspricht. Einhundert Energieeinheiten gehen hinein. Von dieser Energie haben wir im vergangenen Jahr nur ein Drittel für nützliche Zwecke verwendet, und zwar sowohl bei der Stromerzeugung als auch in den vier großen Bereichen Verkehr, Gewerbe, Haushalte und Industrie. Zwei Drittel werden immer noch verschwendet, vor allem durch Abwärme aus Schornsteinen und Auspuffrohren. Das ist also eine beachtliche Menge an Spielraum, den wir für eine viel bessere Energienutzung nutzen könnten. Jetzt höre ich jemanden sagen: Oh ja, aber…, und er hätte Recht. Es gibt den typischen Rebound-Effekt: Wenn ich mir etwas Effizienteres zulege, kann ich mehr damit machen. Mein Computer ist effizienter als der, den ich vor 30 Jahren hatte, aber ich habe eine ganze Reihe von Computern, es ist also nicht eins zu eins. Abgesehen davon gibt es bei dieser Herausforderung eine Effizienzkomponente, die meiner Meinung nach nicht genügend Beachtung findet.

HS: Und noch etwas sagen Sie: Natürlich gibt es mehr Computer, natürlich gibt es viel mehr von diesem und jenem - aber das ist es, was die Qualität unseres Lebens entwickelt, während wir uns als Menschen weiterentwickeln. Martin und ich sprechen oft darüber, dass dies von den Menschen übersehen wird, was problematisch ist.

ST: Ja, vielleicht. Sie haben es wahrscheinlich auf ihrem Handy übersehen.

HS: Ganz genau! Auf Ihrer Suche nach Lösungen für den Energiebedarf der Welt haben Sie mehr als 60 Länder bereist, von denen die meisten nicht über einen Überfluss an Energie verfügen und in denen viele einen eklatanten Mangel aufweisen. Sie haben insbesondere über die Arhuaco gesprochen, die Sie in Kolumbien besucht haben, ein indigenes Volk, das massiv unter der Kolonialisierung und den örtlichen Drogenbaronen gelitten hat - und das keinen Strom besaß. Und Sie haben diese Mikro-Solaranlage mitgebracht, die sie haben wollten. Erzählen Sie uns als kultursensibler Energieanthropologe, was mit dem Stamm geschah, als er plötzlich Zugang zu Energie hatte. Wie hat sich das auf lange Sicht auf ihr Leben ausgewirkt?

ST: Ja. Das ist eine wirklich scharfsinnige Frage, und wir hatten selbst damit zu kämpfen, als wir dort waren. Ist das eine gute Sache? Ehrlich gesagt - ich habe das nicht mit zu vielen Leuten geteilt, aber Sie fragen danach - am ersten Morgen standen wir schon vor Sonnenaufgang auf und gingen auf den Berg zu einem sehr kleinen Platz im Wald mit einer kleinen Lücke im Blätterdach und einem kleinen Feuer. Dort versammelten sich etwa 60 Menschen, von kleinen Kindern bis hin zu alten Menschen, und erklärten uns mehrere Stunden lang durch eine doppelte Übersetzung vom Waco ins Spanische und ins Englische und zurück, wie wichtig die Erde für unser aller Leben ist und wie wir sie schützen müssen. Ich fasse das als sehr bedeutungsvoll und kraftvoll zusammen, und es hat mich mehrere Stunden lang bewegt, als sie mir sagten, dass noch nie ein Außenstehender dort gewesen sei. Sie überreichten mir eine Unterschrift, auf der stand: Ich verpflichte mich, der Welt mitzuteilen, dass ich mich dafür einsetze, dass jeder auf der Welt die Erde schützt. Und ich saß da, ohne darauf vorbereitet zu sein. Und ich sagte, dass ich diese Verpflichtung nicht eingehen kann. Ich kann mich nicht dazu verpflichten, die ganze Welt zu schützen. Aber ich werde mich dazu verpflichten, euch am Ende der Woche zu sagen, wozu ich mich verpflichten kann. Am Ende der Woche kehrten wir auf dieselbe Lichtung zurück, und ich sagte ihnen, dass ich diese Geschichte nach bestem Wissen und Gewissen weitergeben würde. Also ja... und es wäre wunderbar... sie wurden vor 500 Jahren von den Spaniern in diese Berge gedrängt, also wäre es in jedem Fall wunderbar, wenn ihre Welt unberührt bliebe und sie so weiterleben würden.

Was bedeutet das nun? Die Hälfte ihrer Kinder stirbt, bevor sie erwachsen werden, an einer Zahninfektion oder Durchfall oder an etwas anderem, wo wir ein Antibiotikum nehmen würden und es uns am Abend beim Essen schon wieder gut geht. Ist das also gut? Die Natur ist rau, es ist ein hartes Leben. Wir Modernen haben die Natur in vielerlei Hinsicht gezähmt, während ihnen das versagt geblieben ist. Wo ist also das Gleichgewicht? Wo ist das Gleichgewicht zwischen der Pflege des einzigen Planeten, den wir haben, und dem menschlichen Wohlergehen, so dass ein jeder Zeit hat, mit seinen Kindern zusammen zu sein oder zu lesen oder etwas zu lernen? Ich glaube, die meisten Menschen hätten diese Zeit gerne, wenn sie nicht buchstäblich vom Aufwachen bis zum Schlafengehen arbeiten müssten. Irgendwo dazwischen liegt dieses Gleichgewicht. Und ich denke, das ist es, wonach wir suchen. Aber das geschieht nicht ohne Kampf, denn selbst dort haben wir überlegt, ob dies ihr Leben verbessern würde. Und ich musste mich zurückziehen und unserer Gruppe sagen: Das ist es, worum Sie gebeten haben. Wir sind hier, um das zu tun, also werden wir es tun. Steve Carney, der Ingenieur, der uns geholfen hat, und seine Frau Ossie sind Kolumbianer, und sie verfolgen ihre Fortschritte, und sie nutzen sie sinnvoll. Es hat ihnen geholfen, denn sie können sich gegenseitig sehen und nachts in ihren Dörfern lesen. Die Küche hat Licht, damit sie abends kochen können. Durch die Nähe zum Äquator haben sie ihr Leben erweitert und können einige der Dinge tun, die wir als selbstverständlich ansehen. Aber auch hier gilt: Nichts ist perfekt. Um auf das zurückzukommen, was du gesagt hast, Martin, es gibt einfach bei allem Kompromisse.

HS: Wir haben uns heute morgen über diese Frage unterhalten und darüber nachgedacht, dass ein Kind, das in diesem Dorf mit diesem Solar-Microarray aufwächst, sehr wohl an die Universität gehen und ein Quantenphysiker werden könnte.

MB: Abstraktion ist wie ein trojanisches Pferd. Es ist unglaublich, was daraus erwachsen kann...

ST: Da haben Sie recht. In Yibra, dem großen Slum außerhalb von Nairobi, wurde ich von einem der leitenden Ingenieure von Kenia Power empfangen, der ein Kind war, das bis zur neunten oder zehnten Klasse keinen Strom in seinem Haus hatte. Und hier stand er nun, ein Elektroingenieur. Wir haben darüber gelacht. Er sagte: Es ist so sonderbar, was in einer Generation alles gelernt werden kann. Und ich denke, das ist eine sehr kluge Überlegung, wie der Junge das machen konnte. Aber was oft passiert, ist, dass sie nicht zurückkommen. Deshalb arbeite ich derzeit mit einem jungen Mann aus dem Südsudan namens Aken Tong zusammen, der einen Vortrag von mir hörte und mich daraufhin ansprach. Wir arbeiten nun schon seit drei oder vier Jahren zusammen. Er hat es aus dem Südsudan, Südafrika und der Universität von Nairobi irgendwie an die Universität von Arizona geschafft. Jetzt studiert er Chemieingenieurwesen an der Universität. Und er hat eine gemeinnützige Organisation namens Seeding Mercy gegründet. Er versucht, Solarenergie in den Südsudan zu bringen, um mit Pumpen Wasser für die Bewässerung zu erzeugen. Er hat die Regierung dazu gebracht, seiner gemeinnützigen Organisation 10.000 Hektar zur Verfügung zu stellen, die er dann an zwei bis fünf Bauern verschenkt, die sie dann bewässern können, weil sie jetzt zum ersten Mal eine Pumpe haben, die es ihnen erlaubt, mehr anzubauen, als ihre Familie verbraucht. Das ist der ideale Weg, um diesen positiven Kreislauf zu schaffen. Es geschieht also auf eine Weise, die man am wenigsten erwartet. Und jetzt kommt die Kehrseite der Medaille. Er und ich haben gerade in der letzten Woche über den Bürgerkrieg zwischen Sudan und Südsudan korrespondiert. Es ist im Moment brutal, sechshunderttausend Menschen, die auf der Flucht sind, und sterben. Er versucht also, Geld für Lebensmittel zu beschaffen, und wir hatten dieses philosophische Gespräch, in dem er sagte: "Wir werden versuchen, die Frauen und die alten Menschen zu erreichen. Und ich sagte: Wissen Sie, ich habe zwei Jahre lang eine Vorlesung über Ethik gehalten, ganz am Anfang meiner Karriere. Und es stellte sich heraus, dass die großen Philosophen der Welt, als sie mit dieser Herausforderung konfrontiert wurden, sagten, wen sollte man retten? Nicht die alten Menschen und die Kinder, sondern die Menschen im gebärfähigen Alter, weil sie nicht so bald sterben werden und noch mehr Kinder bekommen können". Und das teilte ich ihm mit. Er sagte: So habe ich noch nicht darüber nachgedacht. Aber du hast recht. Wir werden also versuchen, dafür zu sorgen, dass die Menschen in ihren 20ern bis 40ern stark bleiben und etwas bekommen, damit sie sich weiterhin um die Alten und die Jungen kümmern können. Und es ist einfach ein unglaublicher Dialog, den wir führen, wir, die wir die Sieger der Geburtshaus-Lotterie sind. Amir, du bist dort geboren, während die, die in der Lotterie gewonnen haben, diese Dinge nicht verstehen, aber es geschieht immer noch in großem Umfang in unserer Welt heute. Und das ist nicht richtig. Ich setze mich leidenschaftlich für eine Netto-Null-Armut ein.

MB: Bei der wirtschaftlichen Betrachtung von Energie, über die Sie bereits in Bezug auf die Energiedichte gesprochen haben, sind Sie auf ein Konzept wie den Energieerntefaktor gekommen. Sie haben auch erwähnt, dass die einzige Möglichkeit, die Energiefrage wirksam zu lösen, darin besteht, allen Menschen gleichen Zugang zu angemessenen Energiequellen zu verschaffen, was wiederum die Armut beseitigt und die Lebensqualität aller verbessert. Wie erklären Sie den Schülern im Grundkurs Geologie die Bedeutung dieses Konzepts?

ST: Ich glaube, es geht um Anschaulichkeit. Man versucht, sich dahin zu versetzen, dass man begreift, wie es sich anfühlt und aussieht, nichts zu haben. Und wenn man das verstanden hat, beginnt man zu erkennen: Oh, wir alle brauchen ein gewisses Maß an Wachstum, um richtig leben zu können. Und wenn du das nicht hast, dann bleibst du auf der Strecke. Und das ist die wachsende Ungleichheit in unserer Welt, von Elon, der auf dem Mars spazieren gehen will, bis hin zu den Menschen, die mit Dung kochen; und wir lassen sie immer weiter anwachsen. Und jedem ist klar, dass es scheitern wird, wenn wir das überstrapazieren. Im Laufe der Geschichte ist das immer wieder gescheitert. Die Massen erheben sich, wie sie es sollten. Und man nimmt sich das Proletariat vor und schneidet ihm den Kopf ab, sowohl physisch als auch metaphorisch. Stattdessen muss man anfangen, alle mitzunehmen. Das Geniale und Glückliche daran ist, dass es nicht nur den Menschen hilft, zu gedeihen, sondern auch der Umwelt. Sagen wir es noch einmal: Wohlstand hilft der Umwelt. Unseren Kindern wird beigebracht, dass das nicht der Fall ist. Aber schauen Sie sich an, wo die sauberste Luft der Welt ist: dort, wo Reichtum herrscht. Schauen Sie, wo die saubersten Böden und das sauberste Wasser sind. Wer könnte es sich leisten, sie zu säubern? Und wenn man es nicht tut, wird es reguliert - also geht man vor Gericht, bekommt eine Geldstrafe oder Schlimmeres aufgebrummt. Das ist also ein sehr schöner Kunstgriff. Man kann beides haben. Man kann alle gesünder machen, und das hilft der Umwelt. Ich versuche also, über Energie und Umwelt zu sprechen, nicht über Energie oder Umwelt. Und wenn ich sage, es geht um die Umwelt, und die einzige Lösung sind Solar- und Windkraftanlagen und Batterien, wie es unseren Kindern beigebracht wird - nun, wir müssen sie dazu bringen, zu verstehen, was Energie ist, woher sie kommt, wie sie sich auf die Umwelt auswirkt, und dass nichts perfekt ist, dass es Kompromisse geben muss. Wenn sie das verstanden haben, können sie anfangen, weiterzumachen. Und dann sagen sie ganz schnell zu mir: Hey, hast du dir das schon überlegt? Nein, habe ich nicht.

HS: Das bringt uns zurück zu dieser ursprünglichen Frage der Energieanthropologie. Denn es gibt diese tiefe Verbindung zwischen Energie und Zivilisation. In Sumer war Enlil die Verkörperung der Energie, und in Indien war Agni der Gott des Feuers. Und in den meisten neueren Zivilisationen gibt es diese Vergötterung des Energetischen. Ein Beispiel dafür ist Zeus mit seinem Blitz, der auf Kreta als metallischer Zeus verehrt wurde, und all die jungen griechischen Gottheiten, die eine zweite metallurgische Geburt erlebten, wie die Athene. Es ist seltsam, dass die Kulturwissenschaften diese Bezüge kaum berührt, wenn nicht sogar vergessen haben. Aber sie tauchen mit aller Macht wieder auf, vor allem in der Letzten Generation mit ihrer Hingabe an das apokalyptische Denken und den Klimawandel, ein Denken, das die Menschheit als Krebsgeschwür begreift, das die Erde, Mutter Gaia, zerfrisst - was mich glauben lässt, dass wir es mit einer Reaktion zu tun haben, die nur als etwas Religiöses verstanden werden kann. Wie würden Sie einem Klimaaktivisten erklären, dass seine Proteste einen Rückschritt in der Zivilisation bedeuten? Er will im Grunde in eine vormoderne Zeit zurück. Ich meine, er hätte dann sein Handy nicht mehr zur Hand. Wie erklären Sie das?

ST: Nun, ich hielt vor etwa 10 oder 12 Jahren einen Vortrag in Südafrika, auf einer Konferenz. Am Ende gab es eine Frage- und Antwort-Runde. Mein Sohn war dabei und hörte zu, wie jemand tatsächlich die Frage stellte: Wie wollen Sie fünf Milliarden Menschen töten? Das war die Frage. Ich war etwas verblüfft und platzte mit der Frage heraus: Wie wäre es, wenn Sie zuerst daran wären? Und mein Sohn sagte: Das kannst du nicht sagen. Ich sagte: Na ja, das ist mir halt so eingefallen. Wir denken immer, dass jemand anderes all diese Opfer bringen muss. Und so kann man es jemandem nicht gut erklären, wenn man die Frage auf einem Handy stellt, usw., usw., weil niemand diese Dinge aufgeben will und wahrscheinlich auch nicht aufgeben wird. Einige unserer eifrigsten Klimakämpfer reisen so viel wie kein anderer Mensch auf der Erde. Und wir alle wissen, was das Fliegen in einem Flugzeug anrichtet. Wir alle wissen, was es bedeutet, in Motels und Hotels zu übernachten. Nur sehr wenige Menschen sind also bereit, mit gutem Beispiel voranzugehen. Wir halten uns alle für Ausnahmen. Alle anderen sollten die Lasten auf sich nehmen. Aber das werden sie nicht tun. Ich stelle mir die Welt nicht linear vor, aber man kann sich der Einfachheit halber schon eine Glockenkurve aufstellen. Und es gibt ein Sigma hier in der Mitte, 66%. Ich kann versuchen, damit zu arbeiten. Und mit zwei Sigma komme ich ein bisschen weiter raus. Dann kommt man auf drei, vier, fünf Sigma, und es ist auf jeder Seite unlösbar, aber es geht nicht nur um die Umwelt. Es kann auch um Energie gehen. Es kann sich auch um reine Wirtschaftsfragen handeln, die nur von Adam Smiths Ökonomie angetrieben werden, was auch immer. Manche Menschen sind einfach nicht zu erreichen, die Mehrzahl hingegen schon. Und ich denke, Hopkins, ich neige dazu, nach einer Gemeinsamkeit zu suchen. In welchen Dingen sind wir uns einig? Lassen Sie uns das einrahmen und sehen, wo wir übereinstimmen. Und normalerweise gibt es da eine ganze Menge. Und jetzt lassen Sie uns ein bisschen mehr am Rande reden. Womit haben wir ein paar Probleme? Was kann ich von Ihnen lernen? Was können Sie von mir lernen? Und vielleicht werden wir anfangen, ein paar Kompromisse zu schließen und Wege zu finden, die nicht perfekt sind, aber wir können sicherlich Verbesserungen erzielen. Ich glaube, dass es nicht funktioniert, wenn man immer nur in die Extreme hinein geht. Das funktioniert einfach nicht. Wir Geologen lieben diese dreieckigen Diagramme, bei denen alles hundertprozentig stimmen muss. Und in der Lösungsphase der Geologie gibt es bestimmte Elemente in den Mineralien, die bestimmte Gesteine bilden, und das funktioniert. Aber in der Welt funktioniert das nicht so. Aber tun wir mal so, als ob es so wäre. Die Energie, die Umwelt, die Wirtschaft. Wenn ich 100 % Null-Emissionen habe, bedeutet das, dass ich 0% Energie und Wirtschaft in diesem Dreieck habe. Und das funktioniert nicht. Man muss also in den mittleren Teil kommen, wo man verschiedene Dinge mischen kann. Wenn ich Deutschland mit Solarpaneelen überwölbe, kann ich den Bedarf an zuverlässiger, bezahlbarer Elektrizität in Deutschland noch immer nicht decken. Es gibt einfach nicht genug Sonne, besonders im Winter, und man braucht das Land für andere Dinge. Zudem muss ein anderer den Bergbau für Sie übernehmen. Das kann eine gute Ergänzung sein, aber nur bis zu einem gewissen Grade. Wir sollten uns also auf die Suche nach den verschiedenen Komponenten der Lösung machen. Und hier kommen wir zu einer wirklich praktischen Wirtschaft. Märkte lieben Optionen. Die Optionalität ist entscheidend für den Markterfolg. Dabei ist es egal, ob Sie Aktien kaufen oder nicht; aber Sie kaufen nicht bloß eine Aktie und setzen alles auf Immobilien oder Energie. Wir goutieren die Energieoptionen in unserer Welt. Wenn also einige unter Druck geraten, kommen andere hinzu, füllen sie auf und ergänzen sich gegenseitig. Mandate, wie sie heutzutage von vielen politischen Entscheidungsträgern, vor allem in den USA, gerne gemacht werden, und extreme Anreize, die die Gewinner gegenüber den anderen bevorzugen, eliminieren im Grunde die Optionen – wenn man beispielsweise sagt: Wir nehmen diese und jene Option weg, weil wir die Antwort auf die Frage kennen. Nein, nein, Märkte mögen Wahlfreiheit. Märkte mögen es nicht, Optionen einzuschränken. Das ist eine schwer zu lernende Lektion, aber wir scheinen sie immer und immer wieder lernen zu müssen.

MB: Für mich ist es absolut seltsam, dass die Rolle der Digitalisierung in der aktuellen Klimadebatte nicht anerkannt wird. Ich finde es höchst merkwürdig, dass man vergisst, dass in den 1950er Jahren ein Siliziumchip gerade mal fünf oder sechs Schaltkreise hatte, während Computerchips heute Milliarden davon haben. Tatsächlich hat jeder Smartphone-Besitzer eine höhere Energiedichte in seiner Tasche, als der NASA bei ihrem Mondflug zur Verfügung stand. Betrachtet man die enormen Auswirkungen der Datenerfassung in der Landwirtschaft, insbesondere bei der Bewässerung und Düngung, ganz zu schweigen vom Vertical Farming, kann man sich auch vorstellen, welche Rolle maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz hier spielen werden. Man könnte sogar sagen, dass die Lösung der Energiefrage unmittelbar im Computerchip liegt. Erstaunlicherweise hat Deutschland das für die Energiewende unverzichtbare Smart Grid noch gar nicht in Angriff genommen – und warum? Weil es Datenschutzbedenken und eine generelle Zurückhaltung gegenüber der Digitalisierung gibt. Wie erklären Sie sich das?

ST: Ich weiß es nicht. Aber das ist wieder ein toller Rahmen. Ich habe dieser Argument so noch nicht vernommen, also versuche ich es zu verarbeiten. Zum Glück hatte die NASA, als ich zehn Jahre alt war und wir auf dem Mond landeten, kluge Köpfe. Wir waren also nicht von einem Automatismus abhängig. Das dürfen wir keinesfalls vergessen. Drei meiner vier Kinder studieren Datenwissenschaft, Ingenieurwesen und Physik, und sie sind einfach in dieser Welt, der andere ist Geologe und beschäftigt sich auch mit Big Data. Sie haben mich also alle irgendwie mitgenommen. Komm schon, Dad. Ja, ich werte hier nur meine begrenzten Daten aus. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die meisten von uns hier mit einer Blackbox konfrontiert sind. Früher zum Beispiel konnte ich meinen 78er Chevy Camaro tunen, ich konnte die Zündkerzen und das Öl wechseln, ich konnte den Kraftstofffilter wechseln, und ich wusste, was los war. Meinen aktuellen Verbrennungsmotor kann ich nicht anfassen, weil er gerade erst eine Veränderung durchlaufen hat. Es ist also eine Art Blackbox für mich. Und ich glaube, die Leute haben Angst vor Blackboxes, weil sie nicht wissen, was dort passiert. Es ist nicht greifbar. Wissen Sie, wir haben uns unterhalten, und ich habe mein Telefon hier, und ich habe es nicht auf Flugmodus gestellt oder ausgeschaltet. Ich verspreche, dass ich etwas über einige Worte, die wir in diesem Dialog gesagt haben, erfahren werde, die vielleicht überflüssig sind, aber es hat mich gehört und wird mir etwas mitteilen. Und ich glaube, die Leute sind ziemlich besorgt darüber, dass man ihnen überhaupt zuhört. In Texas ist die Losung: Wir sind ziemlich unabhängig hier. Wir mögen unsere Freiheit. Sie werden keinen intelligenten Stromzähler in mein Haus einbauen, damit Sie herausfinden können, was ich hier treibe. Für manche Leute ist das eine Frage der persönlichen Freiheit. Sie wollen nicht, dass die Regierung weiß, was sie tun, um dann zur folgenden Schlussfolgerung zu schreiten: Nun, wenn Sie Ihren Trockner automatisch um drei Uhr morgens laufen lassen würden, würden Sie Strom verbrauchen, wenn wir ihn haben. Und vielleicht können wir Ihnen weniger für dieses Elektron berechnen. Und Sie würden jede Woche Geld sparen. Wir müssen all das in praktische, nützliche und brauchbare Begriffe fassen. Denn die KI kann, wenn wir sie klug einsetzen, eine bemerkenswerte positive Wirkung entfalten. Aber sie ist auch erschreckend gefährlich. Wenn man denjenigen zuhört, die sich am besten damit auskennen und Vorträge halten, dann haben sie Angst. Und wenn sie Angst haben, bin ich auch irgendwie besorgt, Martin. Es ist also dieser Tanz, den wir mit dieser Sache vollführen, die ein ebenso großes wie zerstörerisches Potenzial besitzt. Wie gehen wir damit um?

MB: Ich habe mir stets die Frage gestellt, warum das Argument der Energiedichte nie angeführt worden ist. Der Siliziumchip zum Beispiel ist in gewisser Weise eine Antwort, aber er ist irgendwie in Vergessenheit geraten. Das finde ich überaus seltsam.

ST: Ja. Ja, absolut. Als ich vor ein paar Jahren einen TED-Vortrag hielt, sprach ich zunächst über Lebensmittel, und weil wir in Texas sind, sprach ich über Grünkohl und Kühe und Grünkohl und Kühe. Ich liebe Grünkohl. Ich mag Grünkohl wirklich sehr. Ich liebe Kühe, und ich esse auch Kühe, aber nicht mehr so oft und so viel. Aber wir brauchen halt eine gewisse Energiemenge. Der Grünkohl hat Vitamine und Mineralien, die gut für mich sind, aber ich müsste einen Haufen davon essen, um die Kalorien zu bekommen, die ich täglich benötige. Und das sind nur die Kompromisse, die man bei Lebensmitteln eingehen muss. Wir haben also nachgedacht, und dann habe ich sie auf all den Dünger hingewiesen, das Wasser dafür, die Abwässer, die verrottenden Landwirtschaft und die CO2-Emissionen. Kinder denken, wenn sie über Landwirtschaft denken, nicht über diese Dinge nach, und ich habe sie auf diese Weise mit dem Thema Energie verknüpft. Man muss die Menschen dort abholen, wo sie sind und bei dem, was sie verdauen und verstehen können. Es gibt also Analogien, die keineswegs so abwegig sind, dass sie falsch sind, sondern die eine gewisse Vernunft in sich tragen. Lassen Sie uns herausfinden, was das bedeutet.

Ich trage oft ein kleines Kügelchen mit mir herum, das ungefähr so groß und so breit ist. Es ist ein Uranpellet, das man in Brennstäbe einbaut. Es ist nicht wirklich eines, es hat nur die Größe eines solchen. Dann kann ich es aus meiner Tasche ziehen und sagen: Sehen Sie dieses kleine Ding, es ist ein Uranpellet, das in einen Brennstab passt. Die Energiedichte in diesem kleinen Pellet entspricht der Energie, die man braucht, um mit dem Auto von New York City nach Los Angeles und zurück nach Dallas zu fahren. Eine kleine Pille. Wissen Sie, wie viel Benzin dafür nötig wäre? Und das wissen sie alle. Und Benzin ist noch einer der dichteren Kraftstoffe, verglichen mit Wind oder Sonne. Es hilft uns also, das Konzept des Preis-Leistungs-Verhältnisses zu verstehen und wie gering die Umweltauswirkungen sind, wenn man das Uran zu einem Pellet verarbeitet, es in einen Brennstab steckt und damit Wärme erzeugt. Es geht um Analogien. Man muss die Menschen dort abholen, wo sie sind, und versuchen, mit ihnen zusammenzuarbeiten, ohne herablassend zu sein. Ich kann nicht herablassend sein, weil ich es einfach nicht besser weiß. Manche Leute hingegen sind beängstigend klug. Sie reden mit dir, und du denkst: Okay, ich verstehe nicht, was du sagst. Aber sie bringen es nicht auf den Punkt. Aber es muss zugänglich sein, damit wir in diese radikale Mitte kommen und gemeinsam an diesen Dingen arbeiten können. Sonst ist es nur Angst. Wissen Sie, es gibt Leute, die sehr gut mit der Angst hausieren gehen können, und Angst ist ein sehr starker Motivator. Wenn ich Angst habe, werde ich aus Angst fast alles tun, um mich und meine Familie zu schützen. Und das ist es, was unsere jungen Leute jetzt haben - Angst um die Zukunft.

MB: Und das Fehlen einer Vision, einer Zukunftsvision, ja. Es wird keine Geschichte mehr über die Zukunft erzählt, die uns wirklich dazu verleitet, vorwärts zu schreiten.

ST: Ja. Kennen Sie die ARC, die Alliance for Responsible Citizenship, die im vergangenen Oktober in London zum ersten Mal stattfand?

MB: Ja, wir sind damit vertraut.

ST: Ich würde sagen, es ist eine Art Mitte-Rechts-Konferenz, aber da waren 1500 Menschen aus 70 Ländern versammelt, Menschen aus den Bereichen Religion und Familie, Landwirtschaft und Ernährung, Bildung, Energie, Umwelt, religiöse Menschen aus dem Vatikan, Musiker und Dichter. Sie alle haben sich da zusammengefunden und dachten darüber nach, wie man eine neue hoffnungsvolle Vision vermitteln kann. Denn wenn man sich die Daten anschaut, wie sie in Hans Roslings wunderschönem Buch Factfulness aufgelistet sind, all die Dinge in der Welt, über die wir uns irren, einfach weil sie besser sind, als wir annehmen. Die Daten für die reiche Welt - und ich möchte mich hier klar ausdrücken - für die reichen Menschen sind so viel besser, als sie es jemals waren. Und trotzdem glauben wir das nicht. Warum? Wir sind deprimiert. Und dann das andere Extrem - die Schwellenländer - sie haben nichts, aber sie haben Hoffnung. Das ist das Seltsame: Es gibt diesen Optimismus und diese Hoffnung, die von Menschen ausgeht, die in bitterer Armut leben. Und warum? Weil sie eine Zukunft sehen, die heller ist als diejenige, in der sie jetzt leben. Und wo findet dieses Gleichgewicht statt? Wo ist der Kipppunkt? Wenn wir zu viel besitzen, haben wir nichts Besseres zu tun, als uns Sorgen zu machen. Und das ist ein fruchtbarer Boden für Angstmacher. Und Sie kennen die Leute da draußen, die wirklich gut darin sind, Angst zu verkaufen. Ich schätze das nicht. Ich denke, das ist falsch.

HS: Die Seltsamkeit, auf die wir immer wieder zurückkommen, ist diese romantische Vorstellung von der Erdmutter Gaia. Die Menschen vergessen, dass sie eine sehr rachsüchtige Göttin war, ganz und gar nicht gütig. Und so gibt es diese Fantasievorstellung vom edlen Wilden, der in Harmonie mit ihr lebt. Ich gehe davon aus, dass Sie die Energiesituation in Deutschland gut kennen, wo die so genannte Energiewende zu einem leuchtenden Beispiel für eine fehlgeleitete Energiepolitik geworden ist. Und das liegt daran, dass die Deutschen in der Folge der Nazizeit extrem hohe Vorstellungen von Reinheit und moralischen Standards entwickelt haben. Und so haben sie Atomkraftwerke abgeschaltet und verbieten die CO2-Abscheidung, obwohl sie die Technologie selbst entwickelt haben. Und weil sie Fracking in Deutschland nicht mögen, kaufen sie – trotz riesiger eigener Reserven in Norddeutschland - Erdgas aus armen Ländern, mit dem Effekt, dass Deutschland von Deindustrialisierung bedroht ist. Und all dies hilft, wie wir jetzt sehen, der globalen Erwärmung nicht im Geringsten. Ich bin gebürtiger Kalifornier, und ich glaube, mein Bundesstaat hat dieses Kool-Aid getrunken, oder? Wie würden Sie als Wirtschaftsgeologe, der dieses Dreieck aus Energie, Wirtschaft und Umwelt betrachtet, die Situation in Deutschland und meine zukünftigen Sorgen für Kalifornien angehen?

ST: Sie haben es sehr gut beschrieben. Es begann vor etwa 15 Jahren mit der deutschen Energiepolitik, die die Kernenergie als beängstigend ansah. Ich habe versucht zu verstehen, warum das in Westeuropa so ist, vor allem im Norden. Der Plan war also, die Reaktoren abzuschalten. Dann passierte das Unglück in Fukushima, und dies beschleunigte den Plan überaus, so dass bis vor ein paar Jahren nur noch drei Atomkraftwerke übrig waren. Und dann ist die Verbindung zu den russischen Erdgaslieferungen abgebrochen, und Deutschland hat, anders als früher, kein Gas mehr für sein Grundlaststromnetz. Also müssten sie sagen: Okay, was machen wir jetzt? Denn der Wind weht nicht immer, und die Sonne scheint auch nicht immer. Anstatt also drei Atomreaktoren am Laufen zu halten, schalten wir diese wie geplant ab und erhöhen die Kohleproduktion, die vor zwei Jahren um 13 % gestiegen ist, und das geht weiter, während wir Strom importieren, anstatt Moleküle zu verwenden. Jetzt importieren wir Elektronen, was auch ein wenig riskant ist, je nachdem, von wem man sie bekommt. Und dann habe ich erst vor ein paar Wochen gelesen, dass man wieder zu den Erdgaskraftwerken zurückkehrt. Damit schließt sich der Kreis, denn es gibt LNG, bis unser Präsident sagt: Nun, wir werden es nicht zu euch exportieren, eine Politik, die für niemanden, mit dem ich je gesprochen habe, einen Sinn ergibt, außer vielleicht für Bill McKibben, der zusammen mit John Podesta der Architekt dieser Politik war. Für sie macht es Sinn, weil sie Öl und Gas schon immer abschaffen wollten. Und der Rest der Welt, einschließlich unserer Verbündeten, ist ihnen, so fürchte ich, egal. Davon abgesehen befindet sich Deutschland in dieser Zwickmühle aus Sauberkeitsdenken, bemerkenswertem Willen und guten Absichten. Dennoch fehlt es an einem echten Dialog über die Möglichkeiten und die Physik, derer es für diese Stromerzeugung bedarf - und deswegen verlieren sie Industrien und Unternehmen. Ihre Landwirte protestieren, und Ihre Regierung wird abgewählt werden. Und Sie sind übrigens nicht allein. Deutschland ist in gewissem Sinne ein einfaches Fallbeispiel.

Übrigens ist das für mich eine Rückschau. Ich habe das vor etwa 50 Jahren in Gesprächen gesehen. Und die Leute sagten: Du kannst nicht recht haben, du liegst falsch. Ich hoffe ja, dass ich falsch liege, denn ich möchte nicht, dass das passiert. Es ist nicht mein Wunsch, recht haben zu wollen. Aber es wird so kommen, und ich bin nicht der Einzige, der so denkt. Und ich weiß, dass Justin Trudeau in Kanada dieser Meinung ist. Es gibt auch Teile des übrigen Europas. Ich weiß nicht, wie es um Macron bestellt ist, denn er kommt und geht wie ein Pendel, und ich weiß nicht mehr, auf welcher Seite er sich gerade befindet. Ursula von der Leyen, sie ist der Chefin Ihrer EU, will die Verbrennung verbieten. Es besteht also eine Diskrepanz zwischen der wirtschaftlichen Realität, dem, was man braucht, um die Maschinerie zu betreiben, und dem Klima. Das Problem ist, dass man dem Klima nicht hilft, wenn man der eigenen Wirtschaft schadet. Das ist der kontraintuitive Teil. Wenn man die Industrialisierung stoppt, bedeutet das nur, dass andere Leute diese Produkte herstellen werden. Asien stellt Ihr Zeug her. Sie stellen unsere Sachen her. Und sie verbrennen dafür Kohle. Das läuft nur auf die Auslagerung der Probleme hinaus. Sie verlagern sie in unsere Atmosphäre, die eine einzige ist. Es ist ja nicht so, dass ich etwas in den örtlichen Fluss kippe. Wir haben nur eine, eine einzige Atmosphäre. Wenn also Bangladesch, Vietnam, Indien, China und andere immer mehr Kohle verbrennen, um unsere Produkte herzustellen, mögen sie sich daran ergötzen, weil wir ihnen unsere Produktion überlassen, damit sie unsere Märkte beliefern können. Ich glaube, sie lachen nur. Xi Jin Ping, Modi und Putin gehen jeden Abend lachend ins Bett und sagen, dass wir bereit sind, uns das im Namen von irgendetwas anzutun, aber es hilft dem Klima nicht. Ich werde das immer wieder sagen. Deutschland hat Volkswagen verloren und hat in den letzten beiden Jahren jeweils sechs oder sieben Prozent der Industrieproduktion verloren. Das sind gigantische Zahlen. Es ist nicht so, dass das Zeug nicht hergestellt wird; es wird nur anderswo hergestellt. Ich kann also behaupten, dass ich umweltbewusst bin und entsprechend einkaufen werde, aber man sollte meinen, dass man die Lektion mit dem russischen Gas doch gelernt hat. Was ist, wenn sie sagen, dass wir euch euer Zeug nicht schicken werden? Was dann passiert, ist dieses wirtschaftliche Wunschdenken, das da sagt: Gut, dann erheben wir eben eine Kohlenstoffsteuer an der Grenze. Ja, genau. So werden wir es machen. Und Sie werden sagen: Wollen Sie mich verarschen? Wissen Sie, China wird sein Zeug einfach nach Indien schicken. Es gibt 1,4 Milliarden Menschen, für die es keine Grenzsteuer gibt.

Sie sind in Europa und den USA nicht mehr so relevant. Das soll nicht so klingen, wie es eben klang. Ihr seid relevant. Wir sind relevant. Aber wir werden immer weniger relevant. Wir sind 700 Millionen Menschen in den USA und Westeuropa zusammen. Vielleicht nicht einmal das. Das sind etwa 7 % der Bevölkerung. 92 % der Weltbevölkerung leben nicht in Westeuropa und den USA. Und dieser Anteil wächst. Wollen wir also Teil dieses Wachstums sein und ihnen, uns und der Umwelt helfen, oder nicht? Aus der Armut herauskommen und der Umwelt helfen. Und das alles in dieser Reihenfolge. Energie, Wirtschaft und Umwelt fließen in dieser Reihenfolge. Man kann sie nicht überspringen.

MB: Es ist eine Art Stoffwechsel, zweifellos. Wenn Sie ein Science-Fiction-Autor wären und einen Science-Fiction-Roman schreiben müssten, in dem die Gesellschaft des 22. Jahrhunderts das Energieproblem gemeistert hat, wie würde er aussehen? Welche Technologien gibt es? Und welche Frage müsste der Science-Fiction-Autor gedanklich lösen?

ST: Nun, das werde ich oft gefragt. Nicht auf diese Weise, aber die Leute fragen: Wie lautet die Antwort? Ich habe gesagt, dass die Antwort von Tag zu Tag variiert, je nachdem, wo die Ressourcen, das politische Regime, das wirtschaftliche Regime, das Bildungsniveau, bla, bla, bla, liegen. Jeder Teil der Welt durchläuft derzeit unterschiedliche Übergänge. Aber Sie haben uns ins 22. Jahrhundert versetzt, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Wir sind also, sagen wir mal, 100 Jahre in der Zukunft. Die Physik gewinnt, und die Wirtschaft gewinnt. Dichte gewinnt und erschwingliche, zuverlässige Energie wird gewinnen. Glücklicherweise haben wir das mit Uran und Thorium auf der Spaltungsseite und Wasserstoff auf der Fusionsseite. Letztendlich werden wir also ein sehr emissionsarmes System mit einer sehr hohen Elektronendichte auf kleinstem Raum haben, und wir werden einiges elektrifizieren, aber nicht alles. Für viele Dinge brauchen wir immer noch Moleküle. Diese Elektronen werden uns dabei helfen, einige dieser Moleküle zu erzeugen, indem wir Methan aufspalten, um Wasserstoff zu erzeugen, den wir verbrennen können, um genügend Wärme für die Herstellung von Zement und Stahl zu erhalten. Und die Zement- und Stahlherstellung wird sich enorm verbessern. Und wir werden Wege finden, immer mehr von diesem Zement und Stahl zu verwenden. So wird der Kreislauf ein wenig größer. Nicht vollständig, aber doch mehr im Kreislauf. Am Ende stellt man fest, dass all diese Fragen durchaus lösbar sind. Ein Jahrhundert ist viel einfacher als zehn Jahre.

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