Fast 800 Jahre lang herrschten auf der Iberischen Halbinsel arabische Fürsten, Emire, Kalifen. Diese Epoche wird Al Andalus genannt. Al Andalus war eine Glanzzeit für Kultur und Naturwissenschaften. Aber nicht nur das: Christen, Juden und Muslime lebten in dieser Epoche lange meist friedlich mit- und nebeneinander. Aber ab dem 12. Jahrhundert kam es zu immer mehr gewalttätigen Auseinandersetzungen. Von Bernd-Uwe Gutknecht (BR 2013)
Fast 800 Jahre lang herrschten auf der Iberischen Halbinsel arabische Fürsten, Emire, Kalifen. Diese Epoche wird Al Andalus genannt. Al Andalus war eine Glanzzeit für Kultur und Naturwissenschaften. Aber nicht nur das: Christen, Juden und Muslime lebten in dieser Epoche lange meist friedlich mit- und nebeneinander. Aber ab dem 12. Jahrhundert kam es zu immer mehr gewalttätigen Auseinandersetzungen. Von Bernd-Uwe Gutknecht (BR 2013)
Credits
Autor: Bernd-Uwe Gutknecht
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Alex Wostry, Friedrich Schloffer, Katja Schild
Technik: Christiane Gerheuser-Kamp, Michael Zöllner
Redaktion: Brigitte Reimer
Im Interview: Isabel MartĂnez-Richter, Prof. Juan Pedro Monferrer-Sala, Georg Bossong, Antonia Alcántara Luque, Carlos LĂłpez-Obrero, Manuel Vinuelas, Daniel Grammatico, Sebastián de la Obra
Eine besondere Link-Empfehlung der Redaktion:
SWR (2024): Geisterjäger
Gibt es das Unerklärliche wirklich? Hans Bender ist der größte Geisterjäger der deutschen Geschichte. Mehr als drei Jahrzehnte lang reist der Parapsychologe als Experte für Unerklärliches durch die Republik und untersucht ein merkwürdiges Phänomen nach dem anderen. Bender ist überzeugt: Spuk, PSI-Kräfte, Hellsehen und Telekinese sind echt. Angeblich hat er das sogar bewiesen. Aber kann das wirklich sein? Die Psychologie-Podcasterin Verena Fiebiger geht zusammen mit ihrem Team auf Spurensuche in der Welt des Paranormalen.
HIER GEHT’S ZUM PODCAST
Linktipps:
SWR Kultur (2022): Al-Andalus heute – Spanien muslimisches Erbe
Bis 1492 stand Andalusien unter muslimischem Einfluss. Heute vermarktet die Region rund um Granada und Cordoba ihr arabisches Erbe, marokkanische Einwanderer verdienen Geld mit orientalischen Souvenirs und Teestuben fĂĽr Touristen. Nicht alle finden das gut, manche sprechen von einer schleichenden erneuten Eroberung. Denn heute ist den meisten Spanierinnen und Spaniern die arabische Kultur fremd, die 800 Jahre lang auch ihre war. Immerhin: Die junge Generation hat mit der RĂĽckbesinnung auf die muslimische Vergangenheit begonnen. JETZT ANHĂ–REN
Deutschlandfunk (2022): Mit der Aufhebung des „Alhambra-Edikts“ endete offiziell die Verbannung der Juden
Am 1. April 1992 widerrief der spanische König Juan Carlos das „Edikt von Alhambra“ – mit ihm waren genau 500 Jahre zuvor im Zuge der Reconquista die sephardischen Juden aus Spanien verbannt worden. De facto galt das Edikt zwar schon seit 1869 nicht mehr, aber für die Juden war es eine historische Wiedergutmachung. Zum Beitrag geht es HIER
Und hier noch ein paar besondere Tipps fĂĽr Geschichts-Interessierte
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
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Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:
TC 00:15 – Intro
TC 02:00 – Wie eins zum anderen kam
TC 04:44 – Die Kunst der Sprache
TC 07:16 – Florierendes Handwerk
TC 11:47 – Ein tragisches Ende
TC 15:40 – Die Leidenszeit der jüdischen Gemeinde
TC 17:28 – Drei Religionen und eine Stadt
TC 21:41 - Outro
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
TC 00:15 – Intro
ATMO 1 Glocken
MUSIK
Zusp. 1 Moschee-Kathedrale:
„Es ist, denke ich, eines der faszinierendsten Bauwerke der Geschichte. So was gibt es sonst nirgends. Wir haben diesen neuen Namen Moschee-Kathedrale geprägt, der etwas verwirrend ist. Der Bischof ist damit überhaupt nicht einverstanden. 80 Prozent dieses Gebäudes sehen noch immer aus wie Moschee. 20 Prozent des Gebäudes wurden im frühen 16. Jahrhundert zerstört, um inmitten dieser Gebetshalle der Muslime eine Kirche zu verankern. Das gesamte Gebäude wurde geweiht mit dem Datum der Reconquista schon 1236 und ist entsprechend hochheiliges Gotteshaus.“
MUSIKÂ UND ATMO ENDE
ATMO 2 Kathedrale Gesang
Erzähler:
CĂłrdoba: Die Kunsthistorikerin Isabel MartĂnez-Richter steht in der Mezquita Catedral und blickt hoch zum Gewölbe. Islamische Hufeisenbögen, die auf ĂĽber 800 Säulen ruhen, unterteilen den riesigen Gebetssaal in 19 Seitenschiffe. Die Moschee-Kathedrale ist einer der größten Sakralbauten weltweit. Wie ein notgelandetes Ufo haben die christlichen Herrscher im 16. Jahrhundert ein Kirchenschiff mitten in die Moschee gepflanzt - Rache der katholischen Könige an den Muslimen, die in den vier Jahrhunderten zuvor CĂłrdoba dominiert hatten. Noch heute ist die Moschee-Kathedrale ein Symbol fĂĽr das Mit- bzw. Gegeneinander von Muslimen und Christen in Spanien.
ATMO ENDE
Erzähler:
Maurische Einwanderer hatten im Jahr 785 auf dem Fundament einer westgotischen Kapelle ihre Moschee errichtet. Der Bauherr war Abd ar-Rahman I., ein Emir, der für die erste Glanzzeit der Araber in Andalusien steht. Die Moschee von Córdoba wurde rasch zu einer der wichtigsten islamischen Gebetsstätten in der westlichen Welt.
MUSIK
TC 02:00 – Wie eins zum anderen kam
Erzähler:
74 Jahre zuvor - 711 - war ein Invasionsheer von Arabern und Berbern in der Nähe des heutigen Gibraltar gelandet, angeführt hatte es Tariq ibn Ziyad, im Auftrag des Kalifen von Damaskus. Ohne besondere Mühe besiegte es die Truppen des Westgoten-Königs Roderich. Es folgte ein siebenjähriger Feldzug, an dessen Ende die Iberische Halbinsel fast komplett arabisch besetzt war. Juan Pedro Monferrer-Sala, Professor für Arabistik und Islamwissenschaften an der Universität von Córdoba:
MUSIK ENDE
Zusp. 2 Prof. ocupacion:
VOICEOVER (männlich)
„Als die islamischen Truppen ankommen, ist die Iberische Halbinsel militärisch ziemlich desorganisiert. Es gibt keine Staatsgewalt. Als die Berber-Soldaten an Land gehen, ist der Weg frei für sie. Sie treffen auf keinerlei Hindernisse. Insofern muss man von einer Besetzung sprechen und nicht von einer militärischen Eroberung.“
Erzähler:
Eine wichtige Voraussetzung: Die vielen jüdischen Bewohner waren von den Westgoten schlecht behandelt worden. Für sie konnte die Lage nur besser werden, zumal sie in Bagdad, Damaskus oder Kairo gute Erfahrungen mit den Muslimen gemacht hatten. Also öffneten sie den Mauren Tor und Tür. So begann die fast 800 Jahre dauernde Epoche al-Andalus: 929 ernannte sich Abd ar-Rahman III. zum Kalifen und damit zum direkten Nachfolger des Propheten Mohamed. Aus dem Emirat Córdoba wurde ein Kalifat, das auf einer Stufe mit den Kalifaten in Bagdad und Kairo stand. Córdoba war auf dem Weg, die wichtigste und auch modernste Stadt Europas zu werden.
MUSIK 3 – Suhail Ensemble
Erzähler:
Der orientalische Palast des Kalifen hatte weit angelegte Säulengänge, Innenhöfe, Kuppeldächer, Gartenanlagen. Auf teuren Marmorböden lagen kostbare Seidenteppiche; Diwane und andere Möbel waren aus edelsten Hölzern, man dinierte auf kunstvoller Keramik, trank aus feinem Glas, die Luft war erfüllt von exotischen Düften. Insgesamt lebten 6000 Frauen am Hof: Haremsdamen, Dichtersklavinnen, Tänzerinnen, Köchinnen. Sie waren in eigenen Häusern für Bedienstete untergebracht. Der Hofstaat, also die Fürsten, ihre bis zu vier Ehefrauen, die Kinder, die engsten Vertrauten, Berater und Gäste bewegten sich mit handbetriebenen Aufzügen, damit die feinen Damen und Herren nicht Treppensteigen mussten. In Schreibstuben wurden wissenschaftliche, religiöse und literarische Werke aus diversen Sprachen für die Bibliothek des Kalifen übersetzt und kopiert:
MUSIK ENDE
TC 04:44 – Die Kunst der Sprache
Zusp. 3 Sprache:
„Dabei muss man sich vor Augen führen, dass das Vordringen des Islam, die Ausbreitung des Islam ganz wesentlich ein Sprachereignis war. Das heißt: Der Koran ist nicht nur etwas, das man mit dem Kopf aufnimmt als Inhalt, sondern eben auch ein gewaltiges Sprach¬kunstwerk von einem überwältigenden Klang und das hat die Menschen überall in Bann gezogen. Insofern kam es in dieser ersten Zeit zu einem Nebeneinander nicht nur der drei Religionen, sondern auch der Sprachen, der jeweiligen Sprachen, und das Arabische spielt dabei eine beherrschende Rolle.“
Erzähler:
Der Sprachwissenschaftler Georg Bossong von der Universität Zürich hat mehrere Abhandlungen über al-Andalus veröffentlicht. Besonders fasziniert ist er vom intellektuellen Austausch, der damals stattfand:
Zusp. 4 Ăśbersetzer:
„Wir haben ja heute die Tendenz, eine strikte Trennung zwischen Orient und Okzident zu ziehen. Das Mittelmeer als eine Scheidelinie. Das war ja in der Antike überhaupt nicht der Fall. Ägypten gehörte genauso zum Römischen Reich wie Tunesien. Das war das Mare Nostrum auf dem Südufer genauso wie auf dem Nordufer. Und es war eine der vornehmsten Aufgaben der frühen Kalifen, die Quellen der griechischen Weisheit ins Arabische zu übersetzen. Diese Fülle der antiken Wissenschaft und Philosophie ist dann via al-Andalus nach Europa weitergegeben worden.“
Erzähler:
Historische Quellen sprechen von 400.000 Büchern in der Bibliothek von Córdoba - es war vermutlich die umfangreichste Sammlung der Zeit. Die Stadt am Guadalquivir war Europas Kultur-Hauptstadt. Sogar bürokratische Mitteilungen oder buchhalterische Aufstellungen aus dem neunten und zehnten Jahrhundert waren hin und wieder in Versform geschrieben. Beamte mussten zum Teil in Reimen Bericht erstatten. Talentierte Poeten wurden mit Minister-Ämtern belohnt. Einer der berühmtesten Hof-Poeten, Ibn al-Chatib, dichtete so blumig, dass er seinen Zuhörern ein Wörterbuch mitbrachte, damit sie ihn verstanden.
Zusp. 5 Sprachkunst:
„Man kann sich das eigentlich in unseren Breiten kaum vorstellen, wie sprach-begeistert, ja, ich möchte sagen sprachverrückt die Araber sind oder sein können oder in der Vergangenheit immer waren. Sprachliche Schönheit ist etwas, was die Menschen so verzückt hat, dass es Anekdoten gibt, dass sie vor lauter Begeisterung über diese Schönheit einfach gestorben sind. Sie hat quasi der Schlag getroffen.“
MUSIK
TC 07:16 – Florierendes Handwerk
ATMO 4 StraĂźe
Erzähler:
Die Bewohner sprachen Arabisch, Hebräisch, Koptisch, Aramäisch, Persisch, Romanisch-Spanisch, Latein. In einer Zeit, in der London oder Paris noch Dörfer waren, wohnten in Córdoba 200.000 Menschen. Als erste europäische Stadt hatte es gepflasterte Straßen mit Laternen, 300 Moscheen sind bekannt, 50 Krankenhäuser, Hunderte öffentlicher Bäder. Neben Hygiene und Poesie brachten die Araber Vieles auf die Iberische Halbinsel, was den Lebensstil der Einheimischen deutlich verfeinerte: Papier, Seide, Keramik, Schmiede- und Glaskunst sowie eine spezielle Lederwarenherstellung. Der Lederhandwerker Carlos López-Obrero aus Cordoba:
Zusp. 7 Leder:
VOICEOVER (männlich)
„In Córdoba geht die Lederverarbeitung auf die arabische Zeit zurück: Truhen, Koffer, Schatullen, Wandbehänge, alles aus Pferde-Leder. Der Córdoba-Stil ist wegen seiner einzigartigen Gerb-Technik berühmt geworden. Nur hier wurde das Leder mit dem Sumach-Pflanzensaft gegerbt. Das macht das Leder besonders weich. So entstand der Begriff „cordovan-Leder“!“
MUSIK
ATMO 8 Alhambra Springbrunnen
Erzähler:
Die Mauren brachten ausgeklügelte Bewässerungssysteme ins trockene Andalusien und ließen die Liebe zur Gartenkunst aufblühen. Granada entwickelte sich zu einer Gartenstadt, deren eindringlichster Ort die Alhambra mit ihren weiten Parkanlagen ist. Die Burg erstreckt sich über eine Bergkette, umfasst Dutzende von kunstvoll verzierten Gebäuden. Zur Hochzeit der Sultane von Granada galt die Alhambra als „Irdisches Paradies“. Ein Traum aus 1001 Nacht - aus Marmor, Alabaster, aus Zedern- und Ebenholz, vor der imposanten Kulisse der schneebedeckten Gipfel der Sierra Nevada. Daniel Grammatico schreibt als Architektur-Journalist viel über die Bauwerke aus der al-Andalus-Zeit. Er deutet auf gut erhaltene arabische Schriftzüge an der Wand in einem der Alhambra-Säle:
MUSIK
Zusp. 9 Alhambra Sternenhimmel:
VOICEOVER (männlich)
„Für mich ist das die luxuriöseste Poesie, die jemals veröffentlicht wurde … (rezitiert auf Arabisch) … das hier bedeutet: Besucher, bewundert diesen Palast, schaut diese Kuppel über euch an, in diesem Thronsaal, der in einem Turm untergebracht ist! Jedes Stück Holz bildet einen Stern und alle zusammen das Firmament. Und wir sind die Töchter, die kleinen Kuppeln!“
Erzähler:
Tausende von blauen Mosaiksteinchen und vergoldeten Holzplättchen zierten einst die Decken der Alhambra. Viele sind wunderbar erhalten bzw. restauriert. Ibn Zamrak, ein Hofdichter, schwärmte im 14. Jahrhundert: „Die Sterne selbst sehnen sich danach, in ihr zu verweilen, anstatt am Himmel endlos zu kreisen!“
MUSIK ZU ENDE
ATMO 8 Alhambra Springbrunnen
Zusp. 10 Alhambra naturalezza:
VOICEOVER (männlich)
„Diese Architektur manifestiert sich mit drei Stoffen: nicht mit den wertvollen Keramiken, nicht mit dem teuren Marmor, nicht mit den edlen Hölzern, sondern mit: Licht, Wasser und Natürlichkeit. Die Natur und die Natürlichkeit sind existentiell für alle Häuser und die Innenhöfe in al-Andalus. Das Haus verwandelt sich quasi in einen Garten.“
MUSIK
Erzähler:
Lustgärten mit Pavillons, Terrassen mit Blick auf die Stadt und die Berge, Bassins, kleine Kanäle, Springbrunnen umschmeicheln die Alhambra. Das Wasser wird aus den umliegenden Bergen zur Burg und weiter in die Wohnviertel geleitet. Trotz der langen trockenen Sommer blüht es überall:
MUSIK
Zusp. 11 Alhambra Wasser:
VOICEOVER (männlich)
„Wasser ist Leben, Wasser schläft nie. Die Araber kamen mit hochentwickelter Hydraulik; was sie hier gemacht haben ist eine grüne Revolution. Mit Hilfe von Bewässerungssystemen und Kanälen. Sie nutzten das Wasser für das Hamam, für die Hygiene, aber auch für die berühmten Gärten, die sie hier zu Füßen des Alhambra-Hügels kultiviert haben.“
TC 11:47 – Ein tragisches Ende
ATMO 10 Trompeten
Erzähler:
Die Alhambra war auch der Ort, an dem die Epoche al-Andalus theatralisch zu Ende ging: Der letzte arabische Herrscher Boabdil musste 1492 mit seinem Tross die Burg verlassen, da christliche Truppen in Überzahl vor den Toren standen. Nachdem Boabdil mit den Seinen die Alhambra verlassen hatte, soll seine Mutter gesagt haben: „Weine nicht wie ein Weib, da du als Mann die Burg nicht verteidigen konntest!“ Boabdils Seufzer auf dem letzten Hügel, von dem aus die Alhambra zu sehen ist, gab dieser Stelle den bis heute gebräuchlichen Namen „El suspiro del moro“, der Seufzer des Mauren.
MUSIK
Erzähler:
Wie war es dazu gekommen? Das Reich der Mauren auf der Iberischen Halbinsel war nie vereint. Es bestand all die Jahrhunderte aus Emiraten, Fürstentümern sowie dem großen Kalifat Córdoba. Waren unfähige arabische Herrscher an der Macht, zerfielen die Reiche. Außerdem versuchten christliche Heere immer wieder, Territorien zurückzugewinnen. Im 11. Jahrhundert war Andalusien in Dutzende Taifas - autonome Fürstentümer - zerstückelt. Womöglich lenkte ihre Prunk- und Genusssucht die muslimischen Herrscher vom Regieren ab.
MUSIK & ATMO 11 Trommeln
Erzähler:
Der katholische König Ferdinand I. entwickelte besonders viel Energie im Kampf gegen die Mauren: 1064 eroberte er mit Unterstützung der päpstlichen Heere die symbolträchtige Festung Barbastro zurück. Tausende arabische Soldaten wurden getötet, 1500 junge Frauen versklavt.
Erzähler:
Mittelalter bedeutete für al-Andalus: Raubzüge, Hinrichtungen, Vergewaltigungen, Entführungen. Soldaten wurden zu Legenden, wie der „Cid“, eigentlich Rodrigo Diaz de Vivar, berühmtester Ritter und erfolgreichster Feldheer der Epoche. Immer wieder wechselte er die Seiten, verdingte sich als Söldner mal für christliche Könige, mal für muslimische Fürsten:
MUSIK & ATMO 11 Trommeln
Zusp. 12 Prof. cid:
VOICEOVER (männlich)
„This is business würde man heute sagen: Der Cid muss wirtschaftlich überleben, er muss sein Geschäft vorantreiben. Er wird immer wieder an und über die Grenzen seines Landes gedrängt, was typisch ist für diese Zeit: Die Menschen wechseln ihre Kultur, ihre Zugehörigkeit, je nachdem, wo sie gerade am besten ihr Auskommen finden. So war auch der Cid mal auf der einen, mal auf der anderen Seite.“
Erzähler:
Christliche Heere aus den nördlichen Provinzen Galizien, Asturien und Kantabrien, aus dem Baskenland und aus Portugal rückten im 11. Jahrhundert nach Süden vor. Die muslimischen Taifa-Könige, wie der Dichterkönig Al Mutamid von Sevilla, konnten ihre Provinzreiche nicht alleine verteidigen und riefen strenggläubige Berber-Krieger aus Nordafrika zu Hilfe: die berüchtigten Almoraviden, denen später die ebenso orthodoxen Almohaden folgten. Diese Kriegermönche besiegten die katholischen Armeen, wandten sich aber danach gegen die maurischen Klein-Könige selbst, deren dekadenten Lebensstil sie verabscheuten. Der Sprachwissenschaftler Georg Bossong von der Universität Zürich:
Zusp. 13 Lotterleben:
„Es ist allerdings so, dass dieses „Lotterleben“ in al-Andalus, dieses schöne Leben ein jähes Ende fand, als Ende des elften Jahrhunderts auf der einen Seite die Christen Toledo erobert haben, denn die hatten für dieses Lotterleben im Süden auch nichts übrig, und auf der anderen Seite dann eben die Taifa-Könige, diese kleinen Königreiche, die kampferprobten und rauen Krieger aus Afrika, die Almoraviden, um Hilfe gebeten haben. Und diese Almoraviden, die kamen dann, aber die Geister, die man rief, wurde man dann nicht mehr los.“
TC 15:40 – Die Leidenszeit der jüdischen Gemeinde
Erzähler:
Die Dekadenz hatte ein Ende, der Glanz an den Höfen, aber auch die Toleranz zwischen den unterschiedlichen Konfessionen. 1128 erließen die Almoraviden eine Fatwa: Die Juden wurden ausgewiesen! Es begann die lange Leidenszeit der großen jüdischen Gemeinde in Andalusien. Sebastián de la Obra ist der Direktor des Sephardischen Hauses, eines jüdischen Museums in Córdoba:
Zusp. 14 persecuciones:
VOICEOVER (männlich)
„Judenverfolgungen gab es in der Römischen Zeit, unter den Westgoten, während der Herrschaft der Almoraviden und Almohaden, aber vor allem mit dem Beginn der spanischen Inquisition. Dieser spezielle spanische Anti-Judaismus dauert bis zum 19. Jahrhundert und wird dann zu einem Teil des europäischen Antisemitismus.“
Erzähler:
Synagogen wurden zerstört, Tribunale eingerichtet, Scheiterhaufen angezündet. Hunderttausende flohen. Von denen, die blieben, wurden viele ermordet. Für die grausame Inquisition entschuldigte sich erst Papst Johannes Paul II. 500 Jahre später in seiner Ansprache „Mea culpa“:
Zusp. 15 judio memoria:
VOICEOVER (männlich)
„Das christliche Erbe in Südspanien ist immens. Das maurische Erbe ist wunderschön und einzigartig. Das jüdische Erbe dagegen ist unsichtbar. Das Erbe der jüdischen Diaspora steckt in den Köpfen der Menschen, in ihrer kulturellen Entwicklung. Wenn die Leute fragen: Was ist denn von den Juden noch zu sehen, muss man antworten: Die Kultur der Juden findet sich nicht in Bauwerken und Steinen, sondern in Erinnerungen.“
MUSIK
TC 17:28 – Drei Religionen und eine Stadt
Erzähler:
Ab dem 13. Jahrhundert ging al-Andalus seinem Ende entgegen. Den Berberkriegern fehlten das bürokratische und das diplomatische Geschick, um ein europäisches Reich zu beherrschen, aber auch die Unterstützung im Volk. Die christlichen Heere rückten immer weiter vor, gewannen eine Schlacht nach der anderen. Am 2. Januar 1492 wurde auf der Alhambra der Halbmond durch ein großes silbernes Kreuz ersetzt. Die letzte arabische Bastion auf spanischem Boden war gefallen. Die Eroberer, die so genannten „Katholischen Könige“, ließen sich als Befreier Europas feiern:
Zusp. 16 Granada capilla terminar:
VOICEOVER (männlich)
„Das war eine dynastische Hochzeit zwischen Isabella, der Königin von Kastilien, die sie auch Isabella die Katholische nannten, und Ferdinand, dem König von Aragon. Sie vereinten ihre Kräfte und beschlossen, die Präsenz der Muslime hier zu beenden. Sie besiegelten das Ende der knapp 800 Jahre al-Andalus in Granada.
Wir sind jetzt in der Königlichen Kapelle, wo die „Reyes católicos“ beerdigt sind. Zehn Jahre lang dauerte ihr Kampf, oder besser ihr Kreuzzug gegen die Araber. Granada war die letzte muslimische Bastion. Der letzte arabische Herrscher, der berühmte Boabdil, wurde aus der Stadt vertrieben und übergab symbolisch beim Hinausreiten aus dem Haupttor den Schlüssel zur Stadt.“
Erzähler:
1492 ist auch das Jahr, in dem der genueser Seemann in spanischen Diensten Christoph Kolumbus nach Amerika segelte. Spanien war auf dem Weg zur Weltmacht. Über die „reconquista“, die Rückeroberung durch die Christen, streiten spanische Historiker noch heute:
Zusp. 17 Identität: (Bossong)
„Es gab und es gibt in Spanien eine Auseinandersetzung über die historische Bedeutung dieser muslimischen Geschichts-Epoche. Es gibt auf der einen Seite ein Lager von Konservativen, die der Auffassung sind, das war ein fremdes Element, das von außen gekommen ist und das nie in Spanien heimisch wurde; und die eigentliche Essenz des Spaniertums ist römisch, katholisch, christlich. Auf der anderen Seite gibt es Historiker, die der Auffassung sind, dass das semitische Element, und zwar sowohl das arabischsprachige als auch das hebräischsprachige jüdische Element, zum spanischen Nationalcharakter unauflöslich dazugehören.“
Erzähler:
Nirgendwo sonst lebten Muslime, Christen und Juden so eng zusammen, hatten so intensive Beziehungen. Nicht ohne Probleme, nicht ohne Gewalt, dennoch einigermaßen gleichberechtigt. Das lange Zeit friedliche Zusammenleben, die „convivencia“ war keine Utopie, sondern vorübergehende Realität.
Zusp. 18 Prof. tolerancia:
VOICEOVER (männlich)
„Sie leben gemeinsam, aber jeder in seinem Viertel. Wir wissen von jüdischen, christlichen und muslimischen Stadtteilen. Kontakte bestehen durchaus: auf dem Markt oder auf dem Stadtplatz. Man trifft sich, aber bei der Religionsausübung bleibt man unter sich, die Andersgläubigen müssen draußen bleiben! Toleranz ist deshalb der falsche Ausdruck, denn Toleranz bedeutet auch religiöse Freiheit und die existiert hier erst im 19. Jahrhundert.“
MUSIK
Erzähler:
Auch wenn al-Andalus kein Paradies auf Erden war, die Epoche brachte weitreichende Veränderungen in Politik, Kultur, Wissenschaft und Religion mit sich. Für viele Historiker wie Professor Bossong bleibt die maurische Ära im westlichen Europa ein Vorbild:
Zusp. 19 Konflikt:
„Natürlich bin ich auch fasziniert von der aufscheinenden Möglichkeit, der aufscheinenden Chance eines friedlichen Zusammenlebens der drei monotheistischen Religionen, die sich leider meistens unversöhnlich gegenüberstehen. Das Zusammenleben von Muslimen und Juden kann Wunder hervorbringen, ihre Konfrontation führt zu den Konflikten, die wir alle kennen!“
MUSIK ENDE
TC 21:41 - Outro