Gertraud Seidl aus der NĂ€he von Augsburg ist stolz: Sie ist vier Jahre alt und darf nun endlich auch mit auf die Weide und ihren Schwestern beim HĂŒten der KĂŒhe helfen. Es bleibt aber nicht bei dieser Aufgabe. Auf dem Bauernhof ihrer Eltern ist in den 1950er Jahren so viel zu tun, dass sie nur wenig Zeit zum Spielen und fĂŒr die Schule ĂŒbrig hat. Dabei macht ihr nichts so viel SpaĂ wie zu lesen und zu lernen. Als sie in der achten Klasse ist, treffen ihre Eltern hinter ihrem RĂŒcken eine folgenschwere Entscheidung. Kinderarbeit war in Deutschland lĂ€nger ein Thema, als die meisten denken: Bis in die 1980er Jahre mussten viele Kinder auch hierzulande hart arbeiten, sogar noch dann, als es schon lĂ€ngst Gesetze dagegen gab.
Gertraud Seidl aus der NĂ€he von Augsburg ist stolz: Sie ist vier Jahre alt und darf nun endlich auch mit auf die Weide und ihren Schwestern beim HĂŒten der KĂŒhe helfen. Es bleibt aber nicht bei dieser Aufgabe. Auf dem Bauernhof ihrer Eltern ist in den 1950er Jahren so viel zu tun, dass sie nur wenig Zeit zum Spielen und fĂŒr die Schule ĂŒbrig hat. Dabei macht ihr nichts so viel SpaĂ wie zu lesen und zu lernen. Als sie in der achten Klasse ist, treffen ihre Eltern hinter ihrem RĂŒcken eine folgenschwere Entscheidung. Kinderarbeit war in Deutschland lĂ€nger ein Thema, als die meisten denken: Bis in die 1980er Jahre mussten viele Kinder auch hierzulande hart arbeiten, sogar noch dann, als es schon lĂ€ngst Gesetze dagegen gab.
Credits
Autorin: Paula Lochte
Regie: Rainer Schaller
Es sprachen: Paula Lochte, Enrico Spohn, Edith Saldanha Â
Redaktion: Andrea BrÀu & Yvonne Maier
Im Interview: Gertraud Seidl, Ines KĂ€mpfer, Arne Bartram
Ein besonderer Linktipp der Redaktion:
ARD (2024): Kein Spiel â Kinderarbeit in Deutschland nach 1945
Puppen â fĂŒr die einen Kinder ein hĂŒbsches Spielzeug, fĂŒr Erika Roth vor allem Arbeit. Schon mit sechs Jahren musste sie nach der Schule der Mutter beim NĂ€hen von Puppenkleidern helfen. Heimarbeit von Kindern war bis in die spĂ€ten 1970er-Jahre im frĂ€nkischen Mönchröden NormalitĂ€t. Jeden Mittag gingen im Dorf die Fenster auf, die MĂŒtter riefen ihre Kinder heim, zur Arbeit. Als ihre kleine Schwester geboren wurde, musste sich Erika zusĂ€tzlich um diese kĂŒmmern. Ein Dokumentarfilm von Kirsten Esch erzĂ€hlt aus der Perspektive von Betroffenen die Geschichte der Kinderarbeit in Deutschland, die schlieĂlich erst in den 1980er Jahren ein Ende fand. Hier gehtâs zum FILM.
Literaturtipps:
Anna Wimschneider (1985): Herbstmilch â Lebenserinnerungen einer BĂ€uerin
âHerbstmilchâ ist die Lebensgeschichte der BĂ€uerin Anna Wimschneider â ein Dokument des 20. Jahrhunderts, das vom Schicksal der kleinen Leute handelt, von Menschen, die im SchweiĂe ihres Angesichts ihr Brot verdienen und ihr Leben bewĂ€ltigen, aufrecht und unerschĂŒtterlich. Anna Wimschneiders Erinnerungen beginnen mit dem frĂŒhen Tod der Mutter, die eine neunköpfige Familie hinterlĂ€sst und deren Pflichten ganz selbstverstĂ€ndlich die achtjĂ€hrige Tochter Anna ĂŒbernehmen muss. Hier gehtâs zum BUCH.
Heinrich von der Haar (2020): Kinderarbeit in Deutschland
Ăber 500.000 Kinder arbeiten fĂŒr Lohn, die HĂ€lfte verbotenerweise â bei einem unzureichenden Kinderarbeitsschutz. Die familiĂ€ren Notlagen sind weitgehend unsichtbar und scheinen unerheblich. Die Scham der aus Not arbeitenden Kinder und ihrer Familien verstĂ€rkt das Tabu und den Eindruck geldgieriger Kinder, sodass die SchutzbedĂŒrftigkeit unwesentlich zu sein scheint. Erschreckend wenig wissen wir ĂŒber die Lage arbeitender Kinder. GleichgĂŒltig stehen viele der VernachlĂ€ssigung der Schule und den gesundheitlichen SchĂ€den durch Kinderarbeit gegenĂŒber. Hier gehtâs zum BUCH.
Und hier noch ein paar besondere Tipps fĂŒr Geschichts-Interessierte:
Im Podcast âTATORT GESCHICHTEâ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt ĂŒber bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime â und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzĂ€hlt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrĂŒhrend, witzig und oft ĂŒberraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.Â
Wir freuen uns ĂŒber Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:
TC 00:15 â Intro
TC 04:06 â Eine Reise in Gertrauds Vergangenheit
TC 09:14 â Tag ein, Tag aus
TC 11:47 â Was dich nicht umbringt, macht dich stĂ€rker?
TC 13:41 â RĂŒbenzeit statt Schule
TC 21:07 â âSchade, Gertraudâ
TC 25:09 â Kampf gegen Armut
TC 26:11 â Outro
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Â
TC 00:15 â IntroÂ
MUSIKÂ
AutorinÂ
Sie weiĂ noch, dass sie geweint hat. Vielleicht in ihrem Zimmer. Wenn es so war, dann musste sie die Treppe hoch, bis unters Dach. Weil sie sich den Raum mit ihren Geschwistern teilt, geht sie wahrscheinlich direkt zu ihrem Bett und zieht sich die Decke ĂŒber den Kopf. Gertraud ist 13 Jahre alt. Das Bett ist ihr Versteck. Der einzige Ort, der nur ihr gehört. Irgendetwas drĂŒckt ihr schmerzhaft in die Rippen. Sie tastet nach der Ursache: ein Buch. Sie hat es im Bett versteckt, damit ihre Eltern es nicht bemerken. Abends, wenn sie eigentlich schlafen soll, liest das MĂ€dchen. Mit Taschenlampe unter der Bettdecke. Die meisten BĂŒcher aus der BĂŒcherei hat sie schon zweimal gelesen. Sie trĂ€umt sich so weg: zu den Abenteuern von Winnetou und Old Shatterhand, nach Amerika. Dort will sie hin â obwohl sie kein Wort Englisch kann. Das Schulfach hatte sie nĂ€mlich noch nicht. Und das wird auch so bleiben. Gertraud wird nie Englisch lernen. Nie raus in die Welt, wie sie es sich ertrĂ€umt hat. Denn ihre Eltern haben eine Entscheidung getroffen â gegen ihren Willen.
MUSIK
AutorinÂ
Hallo! Mein Name ist Paula Lochte. Ich bin Reporterin fĂŒr Radiowissen beim Bayerischen Rundfunk und das hier ist der dreiteilige Podcast: KINDERARBEIT: BEI UNS DOCH NICHT!
Ich wollte rausfinden, wie verbreitet Kinderarbeit in Deutschland und anderen IndustrielĂ€ndern war. Und wie wir sie ĂŒberwunden haben. Im Laufe der Recherche habe ich aber gemerkt: Es ist noch nicht vorbei. Weil es Kinderarbeit bei uns viel lĂ€nger gab, als die meisten denken. Weil die Folgen bis heute spĂŒrbar sind. Und weil Kinderarbeit zurĂŒckkehrt. Auch in LĂ€ndern, die uns ganz nah sind. Kinderarbeit â von wegen âalles Geschichteâ.
ZSP 01 Collage
Ines KĂ€mpfer:
Die Zahlen haben sich in den letzten paar Jahren wieder verschlechtert, das ist eine Entwicklung, die wir ganz klar in den USA sehen können, aber auch in europĂ€ischen LĂ€ndern.Â
Cinzia: OV SPR 4 weiblich, jugendlich
Zum ersten Mal gearbeitet habe ich mit zwölf oder 13. Körperlich war ich am Ende: Ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten.Â
Ausschnitt Reportage USA overvoiced:
Gegen Kinderarbeit haben Gewerkschaften schon vor 150 Jahren gekÀmpft und wir dachten, wir hÀtten gewonnen.
Gertraud Seidl:
Ich habe geheult, weil ich nicht mehr in die Schule hab gehen dĂŒrfen. Weil ich habe gerne gelernt.
Arne Bartram:
Der Trend aktuell ist, dass Gesetze aufgelockert werden und dass man das Risiko eingeht, dass man junge Menschen verheizt.Â
Ines KĂ€mpfer:
Dass diese Kinder dann hÀufig in sehr gefÀhrliche Arbeit eingegliedert werden.
Gertraud Seidl:
Ich habe vier Wochen im Krankenhaus liegen mĂŒssen und habe nicht aufstehen dĂŒrfen.Â
Ines KĂ€mpfer:
Es ist wirklich ein Teufelskreis. Und Deshalb ist es so wichtig, den zu unterbrechen.Â
Autorin Das ist Folge 1: Gertraud und der Bauernhof.â
ATMO DorfÂ
AutorinÂ
Bei âKinderarbeitâ, da denke ich als Erstes an LĂ€nder wie Bangladesch. Oder ans 19. Jahrhundert. Ganz lang her, ganz weit weg. Das geht nicht nur mir so. Unter den hĂ€ufigsten Google-Suchanfragen zu Kinderarbeit sind: âKinderarbeit Industrialisierungâ und âKinderarbeit in Indienâ.
Aber ich musste ĂŒberhaupt nicht weit reisen, um hier und jetzt eine Person zu treffen, die als Kind schwer gearbeitet hat. Und die damit wohl fĂŒr eine ganze Generation steht, vor allem auf dem Land.Â
ATMO StraĂe/ Dorf/ Wind
Autorin
25 Kilometer von Augsburg entfernt liegt das kleine Motzenhofen. Ich gehe jetzt hier an Feldern vorbei. Also da, wo der Ort beginnt, und da wo er aufhört, sind jeweils Felder. Und es ist eine ganz kleine Ortschaft: Die HĂ€user sind dicht an dicht, eine StraĂe fĂŒhrt durch den Ort und die ist schon ganz schön befahren.Â
ATMO Auto fĂ€hrt vorbeiÂ
Hier treffe ich gleich Gertraud Seidl. Die ist hier geboren, aufgewachsen, jetzt fast 80, lebt hier immer noch und ich bin schon ganz gespannt, wie sie ihre Kindheit hier erlebt hat an diesem Ort, und wie er sich vielleicht auch verÀndert hat seitdem.
TC 04:06 â Eine Reise in Gertrauds VergangenheitÂ
ATMO Schritte
AutorinÂ
Ich biege auf einen Hof ein. Vorne ein kleiner GemĂŒsegarten, hinten eine Scheune und ein weiĂ verputzter Stall mit Platz fĂŒr mehrere Dutzend KĂŒhe. Wo frĂŒher ein altes Bauernhaus war, steht jetzt ein Neubau.
ATMO Klingel, TĂŒr geht auf
- Sohn: Hallo?
- Autorin: Hallo, ich bin Paula Lochte vom BR, ich bin verabredet mit Ihrer âŠ
- Sohn: Mutter!
- Gertraud: Huch, ich habe Sie gar nicht gehört! GrĂŒĂ Gott. Oh, haben Sie kalte HĂ€nde!
- Autorin: Ist ein bisschen kalt drauĂen.
- Gertraud: Ich habe selbst immer warme. Ich schaue mal, ob ich Pantoffeln fĂŒr Sie habe. Â
AutorinÂ
Gertraud fĂŒhrt mich zu einer Eckbank in einer groĂen WohnkĂŒche. Am Esstisch malen ihre zwei Enkelinnen mit Buntstiften Ausmalbilder aus. Ein Mehrgenerationenhaus: Unten wohnt Gertraud, oben ihr Sohn mit seiner Frau und den Zwillingstöchtern.
- Gertraud: So, geht ihr hoch jetzt zum Papa, oder?
- Enkelin: Ich bleib da!
- Gertraud: Ja, bleibsch da.
- Enkelin: kichert
- Gertraud: Habt ihr ĂŒberhaupt gesagt, wie alt ihr seid?
- Enkelinnen: Vier!
- Autorin: Vier!Â
Atmo (unter Text)
Autorin Â
Gertraud nimmt gegenĂŒber von ihren Enkelinnen Platz.
- Gertraud: âDann schauen wir mal: Oma hat Schulstunde.
- Enkelin: Nur anschauen
â Gertraud: Ja, nur mit den Augen anschauen, ein Mikrofon ist das, was die Frau da hat, siehst du.
â Enkelin: Ja. (Lachen)
MUSIK
AutorinÂ
Auf einmal ist es wie bei diesen Postkarten mit den Wackelbildern: Ich sehe die Frau, die fast 80 ist. Aber wenn ich zu ihren Enkelinnen blicke, mit ihren zerzausten weiĂblonden Haaren und dem schelmischen Grinsen, dann ist es, als wĂŒrde ich Gertraud als kleines MĂ€dchen sehen.Â
MUSIK hoch
Als sie vier Jahre alt wird, 1948, da ist Gertraud richtig stolz. Denn sie ist endlich alt genug:
 Â
ZSP Gertraud KĂŒhe hĂŒten
(enthusiastisch) Zuerst ist man mitgelaufen und dann hat man, wenn die GroĂen das können, dann muss der Kleine hinten nach auch können. Man hat ja immer wollen!
AutorinÂ
âDie GroĂenâ, das sind ihre drei Ă€lteren Schwestern. Gertraud reicht ihnen zwar gerade mal bis zur HĂŒfte âŠ
ZSP 05b Gertraud Wusch
âI war ja so a kleina Wusch.â (lacht)
AutorinÂ
⊠aber sie darf nun mit. Zum KĂŒhe hĂŒten! Gut, ein vierjĂ€hriger Fratz neben einer Kuh: Wer passt da eigentlich auf wen auf?Â
ZSP 05c Gertraud KĂŒhe hĂŒten
KĂŒhe hĂŒten, das war eigentlich, wenn schönes Wetter war, die tollste Arbeit. Da war man halt viel drauĂen. Da war nebendran ein Wald. Und da haben wir viel im Wald gespielt! Und einen Bach gab es da. Ja, das war schön! Da haben wir uns immer gestritten, wer da mitdarf. Meistens ein GröĂeres und ein Kleines dazu und so.Â
MUSIK
Autorin Â
KĂŒhe, GĂ€nse und Schweine zu hĂŒten war eine Aufgabe, die in Deutschland lang vor allem Kinder ĂŒbernommen haben. Seien es die eigenen oder die sogenannten âHĂŒtekinderâ oder âSchwabenkinderâ. Das waren Kinder aus armen Bauernfamilien im Alpenraum, zwischen sechs und elf Jahre alt. Zigtausende von ihnen sind jedes Jahr ohne ihre Eltern nach Oberschwaben, also in den SĂŒden von Bayern und Baden-WĂŒrttemberg, gekommen. Um sich dort auf den Höfen anderer Familien zu verdingen: als saisonale ArbeitskrĂ€fte. Ihr Arbeitstag begann um vier, fĂŒnf Uhr morgens und endete, zumindest in der Erntezeit im Sommer, erst gegen 22:00 Uhr.
Was mich besonders erschreckt, denn das ist ja immer ein Warnsignal, dass es Kindern nicht gut geht: BettnĂ€ssen war bei HĂŒtekindern ein verbreitetes Problem. Das habe ich in der Recherche immer wieder gelesen. Denn die Kinder standen unter einem enormen Druck, dazu kamen der Schlafmangel und das Heimweh. Nicht allen HĂŒtekindern ging es schlecht. In Ăberlieferungen von ihnen lese ich, dass manche genau wie Gertraud das Tiere hĂŒten mochten. Dass sie auch âstolzâ waren auf ihre Arbeit. Oder es ihnen in der Fremde zumindest besser ging als zuhause, immerhin gab es genug zu essen. Aber es gibt auch Berichte von Misshandlungen und sexuellen Ăbergriffen durch die âDienstherrenâ. HĂŒtekinder gab es bis in die Nachkriegszeit. Sie haben schwer gearbeitet, aber zum Bruchteil des Lohns eines Erwachsenen. Manche der Kinder waren so arm, dass sie nicht mal Schuhe hatten. Und so sind ihnen, wenn es auf der Weide besonders kalt war, Zehen abgefroren. Eine Strategie dagegen war: die FĂŒĂe in die warmen Kuhfladen zu stecken. Gertraud, die Bauerntochter aus dem schwĂ€bischen Motzenhofen, hatte, als sie klein war, in den 50er Jahren, zum GlĂŒck immer Schuhe. Und Arbeitskleidung, wenn auch nur die abgetragenen Sachen ihrer Schwestern. Das âArbeitsgewandâ, wie sie es nennt, sah ungefĂ€hr so aus wie ein Dirndl:Â
ZSP 06a Gertraud Arbeitsgewand
Da waren da meistens PuffĂ€rmel dran. Im Winter dann natĂŒrlich lange Ărmel. Da vorne Knöpfe und ein Rock und darĂŒber dann eine SchĂŒrze. So wie die, die da an der TĂŒr hĂ€ngt.Â
AutorinÂ
Wie eine KĂŒchenschĂŒrze also. Mit Taschen innen und auĂen. Praktisch, denn wenn die eine Seite schmutzig ist, kann man die SchĂŒrze einfach umdrehen. Und am Samstagnachmittag, wenn die Arbeit auf dem Feld getan ist âŠ
 ZSP 06b Getraud Arbeitsgewand
Da hat man dann das Arbeitsgewand gewaschen, mit der BĂŒrste. Wenn man da flott war, hat man dann mehr Freizeit gehabt.
TC 09:14 â Tag ein, Tag ausÂ
MUSIK
AutorinÂ
Mir fĂ€llt auf, dass Gertraud kein einziges Mal jammert, als sie mir von ihrer Kindheit erzĂ€hlt. Selbst wennâs um harte Arbeit geht, die erst am Samstagabend endet. Oder um Situationen, in denen ihre Eltern sie seelisch verletzt haben (dazu kommen wir noch). Sie hat das alles stoisch ertragen. VerklĂ€rt vielleicht auch manches in der RĂŒckschau, das machen wir ja alle. Aber wenn wir zu Erinnerungen kommen, die schön waren, dann merke ich schon einen Unterschied in ihrer Stimme. Da schwingt dann auf einmal Freude mit:Â
ZSP 6c Interview Spiele
- Gertraud: Wenn der Mais schön drauĂen gestanden ist und die Kolben angesetzt hat, dann haben wir die Maiskolben rausgerissen und Pferdl gespielt.
- Autorin: Der Mais war dann das Pferd?
- Gertraud: Ja, das Gelbe vom Mais ist das Pferd gewesen, weil die haben ja dahinten den Schwanz dran gehabt die Maiskolben, die haben doch da die Haare dran.Â
AutorinÂ
Die Momente, in denen Gertraud und ihre Geschwister einfach nur spielen sind kostbar â auch weil sie so selten sind. Die meisten Tage sehen ganz anders aus:
ZSP 07a Gertraud Tagesablauf
Um sechse hat die Mama geweckt. âŠ
AutorinÂ
Eins der fĂŒnf Kinder muss aber immer schon eine Stunde frĂŒher aufstehen, um gemeinsam mit den Eltern auf dem Acker oder der Wiese das Futter fĂŒr die Tiere zu holen. Einer ĂŒbernimmt das MĂ€hen, der andere lĂ€dt auf â zusammen geht es schneller.
ZSP 07b Interview Tagesablauf Â
- Gertraud: So um Dreiviertelsieben haben wir fertig sein mĂŒssen, da sind wir nach Hollenbach gegangen eine gute Viertelstunde zu FuĂ in die Kirche: Da war um sieben Uhr jeden Tag eine Messe. Und nach der Kirche, um acht, ist dann die Schule angegangen. Die war gleich zwei HĂ€usl weiter ungefĂ€hr.
- Autorin: Und dann, nach der Schule?
- Gertraud: Je nachdem, was fĂŒr eine Arbeit angefallen ist. Erst war bei uns immer angestanden, Hausaufgaben machen.Â
AutorinÂ
Also den Eltern ist, zumindest in den ersten Schuljahren, schon wichtig, dass sich die Kinder erst um die Schule kĂŒmmern, und dann um die Arbeit. Von der gibt es mehr als genug:
ZSP 07c  Gertraud Tagesablauf  Â
Unsere Eltern haben am Vormittag meistens eine Fuhre FutterrĂŒben aufgeladen und die haben wir dann in den Keller schmeiĂen mĂŒssen. Und da war so eine Holzrutsche in den Keller, da sind sie dann runtergerollt.Â
AutorinÂ
Und danach? Je nach Jahreszeit und Wetter âŠÂ
ZSP 08Â Gertraud Aufgaben
Den Hof zusammenkehren, RĂŒben und Kartoffeln am Acker das Unkraut raushacken, Disteln, da hat man die Wurzeln abgestochen im Getreidefeld. Holz reinholen, Holz nachfĂŒllen, Reisig hacken, beim Kartoffelklauben haben wir natĂŒrlich auch geholfen, klar: Meine zweite Schwester, die war sehr krĂ€ftig, die hat dann immer die Körbe ausgeleert. Oder das GrĂŒnfutter gemĂ€ht, Klee, das haben wir alles gelernt: Getreide mĂ€hen mit der Sense und so. Das ist nicht so einfach. Das ist schon klar.
MUSIK
TC 11:47 â Was dich nicht umbringt, macht dich stĂ€rker?
AutorinÂ
Das Gewicht von einem vollen Kartoffelkorb tragen, mit der Sense mĂ€hen, Stunden auf dem Feld ackern: Das sind Schwerstarbeiten. Was Gertraud und ihre Geschwister als Kinder leisten mĂŒssen, ist eine ganz andere Nummer als hier mal ein bisschen im Haushalt zu helfen oder dort mal ein wenig mitanzupacken â das wĂŒrde auch nicht unter âKinderarbeitâ fallen. Die UN-Kinderrechtskonvention verbietet seit 1989 Arbeit, die fĂŒr Kinder gefĂ€hrlich oder schĂ€dlich ist und dadurch deren Rechte verletzt. Wie das Recht auf Bildung, auf Sicherheit oder Gesundheit. Gemeint sind mit dem Begriff âKinderarbeitâ also Aufgaben, fĂŒr die Kinder eigentlich zu jung sind. Wer arbeitet, muss mindestens 15 sein, auf dieses Mindestalter haben sich Staaten mittlerweile in internationalen Abkommen geeinigt.Â
ZSP 09a  Gertraud
Da gibt es ein Sprichwort, das heiĂt: Was dich nicht umbringt, macht dich stĂ€rker.Â
AutorinÂ
Das sagt Gertraud in unserem GesprĂ€ch immer wiederÂ
ZSP 09b  Gertraud
Was dich nicht umbringt, macht dich stĂ€rker â heiĂt es. Mich hat es stark gemacht.
 Â
AutorinÂ
Vielleicht ist das eine typische Haltung fĂŒr ihre Generation. Und es stimmt: Gertraud wirkt total fit, viel jĂŒnger als 80. Sie ist eher klein, aber bis heute ganz drahtig und hat kurze braune Haare.Â
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