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In der aktuellen Debatte um mutmaßliche China-Spionage durch AfD-Personal ist eine weitere Verrohung zu beobachten. Politische Konkurrenten als „VerrĂ€ter“ zu bezeichnen, ist abzulehnen. Es kann außerdem als Ablenkungsversuch vom eigenen „Verrat“ an den Interessen der BĂŒrger bezeichnet werden. Die nun praktizierte Verrohung kann sich auch irgendwann gegen die Initiatoren der sprachlichen TabubrĂŒche wenden. Ein KommentarWeiterlesen

Summary

In der aktuellen Debatte um mutmaßliche China-Spionage durch AfD-Personal ist eine weitere Verrohung zu beobachten. Politische Konkurrenten als „VerrĂ€ter“ zu bezeichnen, ist abzulehnen. Es kann außerdem als Ablenkungsversuch vom eigenen „Verrat“ an den Interessen der BĂŒrger bezeichnet werden. Die nun praktizierte Verrohung kann sich auch irgendwann gegen die Initiatoren der sprachlichen TabubrĂŒche wenden. Ein KommentarWeiterlesen

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In der aktuellen Debatte um mutmaßliche China-Spionage durch AfD-Personal ist eine weitere Verrohung zu beobachten. Politische Konkurrenten als „VerrĂ€ter“ zu bezeichnen, ist abzulehnen. Es kann außerdem als Ablenkungsversuch vom eigenen „Verrat
Duration
7:30
Publishing date
2024-04-30 09:02
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https://www.nachdenkseiten.de/?p=114587
Contributors
  Redaktion NachDenkSeiten
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Enclosures
https://www.nachdenkseiten.de/upload/podcast/240430_Landesverraeter_rufen_Haltet_den_Dieb_NDS.mp3
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Shownotes

In der aktuellen Debatte um mutmaßliche China-Spionage durch AfD-Personal ist eine weitere Verrohung zu beobachten. Politische Konkurrenten als „VerrĂ€ter“ zu bezeichnen, ist abzulehnen. Es kann außerdem als Ablenkungsversuch vom eigenen „Verrat“ an den Interessen der BĂŒrger bezeichnet werden. Die nun praktizierte Verrohung kann sich auch irgendwann gegen die Initiatoren der sprachlichen TabubrĂŒche wenden. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfĂŒgbar.

Wie manche Begriffe umgedeutet werden, kann aktuell angesichts der Debatte um mutmaßliche Spionage fĂŒr China durch AfD-Personal beobachtet werden: Wer Vokabeln wie „VolksverrĂ€ter“ benutzt, um den politischen Gegner zu beschĂ€digen, der wurde frĂŒher eher einem rechtsextremen Lager zugeordnet, das Gleiche gilt fĂŒr Wörter wie „KriegstĂŒchtigkeit“ oder „VerĂ€chter des Staates“. Auch wer forderte, dass Russland niedergerungen gehöre, wurde frĂŒher eher als rechtsradikal denn als staatstragend betrachtet. Heute gehört all das zum Vokabular sogar von UnterstĂŒtzern der Bundesregierung.

Ich lehne die Nutzung des Begriffs „VerrĂ€ter“ im politischen Zusammenhang als polarisierend und verrohend ab – aber da er nun fast schon als „offiziell“ eingefĂŒhrt wird, komme ich in diesem Text nicht darum herum. Auf die konkreten FĂ€lle mutmaßlicher Spionage etwa fĂŒr China soll hier nicht eingegangen werden: FĂŒr eine sinnvolle Beurteilung der FĂ€lle bleibt noch abzuwarten, wie gravierend das Ganze ist. Hier geht es nur um die sprachliche Ebene der Reaktionen.

Der Nazi-Paragraph „Volksverrat durch LĂŒgenhetze“

Telepolis beschreibt einige Beispiele fĂŒr die aktuelle Nutzung der Begriffe in diesem Artikel und erinnert daran, dass „Volksverrat durch LĂŒgenhetze“ von den Nazis als Straftatbestand eingefĂŒhrt worden sei. Im Artikel heißt es zum aktuellen Gebrauch:

„Die Junge Union und andere, die sich zum demokratischen Spektrum zĂ€hlen, nutzen das Wort ‚VolksverrĂ€ter‘ jetzt fĂŒr AfD-Politiker – mal mit, mal ohne Fragezeichen auf der Plattform X, wo von der AfD auch als ‚Alternative fĂŒr Russland und China‘ die Rede ist und ihr KĂŒrzel in kyrillischen Buchstaben auftaucht. ‘FĂŒr wen arbeitet die AfD?’, fragt dort die Junge Union Deutschland, ihr Bundesvorsitzender Johannes Winkel nutzt in diesem Kontext den Hashtag #VolksverrĂ€ter – und der GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Deutschen Umwelthilfe Ă€ußerte bereits den Verdacht, ‚dass die VaterlandsverrĂ€ter von der AfD direkt vom Kreml bezahlt werden‘.“

Der Spiegel titelt aktuell zur AfD (ein Ausschnitt ist auch das Titelbild dieses Artikels): „Die LandesverrĂ€ter – Moskaus Marionetten“. Die Nutzung solcher Kampfbegriffe ist nicht ganz neu – bereits vergangenen Sommer hatten die NachDenkSeiten im Artikel „Die GrĂŒnen und die LandesverrĂ€ter“ geschrieben:

„Die Wortwahl Hofreiters und die Gedankenspiele um Parteiverbote stellen eine weitere verbale Eskalation dar, dieser Eskalation haftet aber auch etwas Verzweifeltes an: Dem Erkenntnisprozess vieler BĂŒrger bezĂŒglich der realen Auswirkungen grĂŒner Politik (jenseits der Phrasen) mĂŒssen immer stĂ€rkere sprachliche GeschĂŒtze entgegengestellt werden.“

Und weiter:

„Der Gebrauch des Begriffs ‚LandesverrĂ€ter‘ könnte fĂŒr die GrĂŒnen auch gefĂ€hrlich werden: Wenn sie den Begriff durch die eigene Nutzung selber auf die Stufe eines ‚legitimen Ausdrucks‘ im Meinungskampf einfĂŒhren, dann kann das Wort auch an den GrĂŒnen hĂ€ngenbleiben: Vielleicht haben manche Kritiker der GrĂŒnen bisher gezögert, den harten Ausdruck vom ‚LandesverrĂ€ter‘ gegen den politischen Gegner zu nutzen – nun gibt ihnen Hofreiter indirekt die ‚Erlaubnis‘.”

Diese Warnung gilt noch immer: Begriffe wie „Volks-, Vaterlands- oder LandesverrĂ€ter“ bedeuten fĂŒr mich „Hasssprache von oben“. Ihre Nutzung kann auch nicht durch den Verweis auf den (ebenso abzulehnenden) Gebrauch durch andere (rechte) Gruppen gerechtfertigt werden – schließlich zĂ€hlt man sich doch zu den Guten. Aber die Begriffe sind nicht nur polarisierend und verrohend, sie können auch gefĂ€hrlich fĂŒr jene Politiker und Journalisten werden, die sie nun nutzen. Denn die teils radikale Politik der Bundesregierung bezĂŒglich Ukrainekrieg, russischer Energie, AufrĂŒstung und daraus folgender Kriegsgefahr und Verarmung kann durchaus als ein „Verrat“ an den Interessen der BĂŒrger hierzulande zugunsten von US-Interessen interpretiert werden, wenn man sich schon eines solchen Vokabulars bedienen möchte.

Außenministerin Baerbock hat diese Haltung schön offen illustriert, als sie sagte: „Egal, was meine deutschen WĂ€hler denken: Wir stehen zur Ukraine“. Da ist es eine provokante Flucht nach vorne, wenn Wirtschaftsminister Habeck die fĂŒr alle Seiten zerstörerische „Hilfe“ fĂŒr die Ukraine laut Medien auch noch mit seinem Amtseid begrĂŒndet, der ihn verpflichte, Schaden abzuwenden.

„Haltet den Dieb!“

Wir erleben momentan den Versuch einiger politischer Akteure, den Begriff „VerrĂ€ter“ zu kapern und gegen jene zu wenden, die ihn potenziell nutzen wĂŒrden (der AfD „wegnehmen“). ZusĂ€tzlich wird mit der Nutzung „Haltet den Dieb!“ gerufen und vom eigenen „Verrat“ abgelenkt. Das ist – wie gesagt – nicht ohne Risiko, denn wenn man mit Kampfbegriffen wie „VolksverrĂ€ter“ selber die Kommunikation verroht, dann kann man auch Opfer dieser Verrohung werden.

Die Methode „Haltet den Dieb“ hat momentan auch auf anderen Ebenen Konjunktur: Vor allem Wirtschafts- und Außenministerium beklagen regelmĂ€ĂŸig Entwicklungen, die sie selber forciert haben, und stellen sie als „höhere Gewalten“ dar, denen sie sich tapfer entgegenstellen mĂŒssen.

Dass die AfD fĂŒr mich keine politische Alternative darstellt, habe ich oft geschrieben. Der Vorgang um die mutmaßlichen SpionagefĂ€lle und der große mediale Aufwand können aber doch den Eindruck einer Kampagne gegen einen politischen Konkurrenten erwecken, das wĂ€re prinzipiell abzulehnen. Ich wage zu bezweifeln, dass die mutmaßlichen SpionagefĂ€lle solche Aufmerksamkeit erfahren wĂŒrden, wenn wir uns nicht kurz vor einigen Wahlen befinden wĂŒrden.

Es schwingt noch eine weitere Ablenkung in der politischen Nutzung des Begriffs „VerrĂ€ter“ und der Darstellung der AfD als von auslĂ€ndischen MĂ€chten gesteuert mit: Durch diesen Kunstgriff kann das Symptom AfD von ihrer Ursache getrennt werden. Denn der Erfolg der AfD liegt selbstverstĂ€ndlich zuerst in der Politik der letzten Regierungen begrĂŒndet und nicht in Geldzahlungen aus Peking. Doch Symptom und Ursache werden in der AfD-Debatte ja von jeher möglichst scharf getrennt.

Die Debatte um Einmischung steht auf dem Kopf

Dass Deutschland sich vor auslĂ€ndischer Einmischung schĂŒtzen sollte, finde ich selbstverstĂ€ndlich. Allerdings ist die Gewichtung in der Debatte darĂŒber auf den Kopf gestellt: WĂ€hrend wir tĂ€glich vor den Gefahren der Desinformation durch „autokratische Systeme“ gewarnt werden, fĂ€llt die mutmaßlich massive Spionage und die politische Einmischung durch private und staatliche US-Interessen, die die BĂŒrger hierzulande weit mehr betreffen, weitgehend unter den Tisch.

Titelbild: Screenshot/Spiegel

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