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Der PalÀstina-Kongress, der vom 12. bis 14. April 2024 mit hochrangigen Experten in Berlin stattfinden sollte und nach nur 90 Minuten verboten wurde, scheint im Ausland mehr Aufmerksamkeit erhalten zu haben als in Deutschland. In vielen StÀdten gab es Proteste, so auch vor der deutschen Botschaft in Athen, da der ehemalige griechische Finanzminister Yanis VaroufakisWeiterlesen

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Der PalÀstina-Kongress, der vom 12. bis 14. April 2024 mit hochrangigen Experten in Berlin stattfinden sollte und nach nur 90 Minuten verboten wurde, scheint im Ausland mehr Aufmerksamkeit erhalten zu haben als in Deutschland. In vielen StÀdten gab es Proteste, so auch vor der deutschen Botschaft in Athen, da der ehemalige griechische Finanzminister Yanis VaroufakisWeiterlesen

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Der PalÀstina-Kongress, der vom 12. bis 14. April 2024 mit hochrangigen Experten in Berlin stattfinden sollte und nach nur 90 Minuten verboten wurde, scheint im Ausland mehr Aufmerksamkeit erhalten zu haben als in Deutschland.
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22:26
Publishing date
2024-05-02 08:27
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https://www.nachdenkseiten.de/?p=114635
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  Redaktion NachDenkSeiten
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Shownotes

Der PalĂ€stina-Kongress, der vom 12. bis 14. April 2024 mit hochrangigen Experten in Berlin stattfinden sollte und nach nur 90 Minuten verboten wurde, scheint im Ausland mehr Aufmerksamkeit erhalten zu haben als in Deutschland. In vielen StĂ€dten gab es Proteste, so auch vor der deutschen Botschaft in Athen, da der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis mit einem Einreise- und Redeverbot belegt worden war. Damit ist er der einzige bekannte Grieche und aktive Politiker eines EU-Landes, dem je die Einreise in die Bundesrepublik verwehrt wurde. Ein einmaliger Vorgang. Selbst die griechischen Junta-Politiker blieben wĂ€hrend der MilitĂ€rdiktatur (1967 bis 1974) unbehelligt. Der Umgang mit Varoufakis ist dabei nur ein Beispiel von vielen fĂŒr die zunehmende UnterdrĂŒckung von kritischen Stimmen in Form von Einreise- und Redeverboten in Deutschland. Ein Meinungsbeitrag von Annette Groth.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfĂŒgbar.

Schon im Vorfeld gab es eifrige Hetze gegen den „umstrittenen“ Kongress, er wurde als Treffen von „Israelhassern“, Antisemiten und Islamisten bezeichnet. Auch ein Verbot wurde erwogen, was vermutlich juristisch nicht durchsetzbar war. Dem Unternehmen, das den Saal zur VerfĂŒgung stellte, der erst am 12. April bekannt gemacht wurde, flatterten unflĂ€tige Drohungen ins Haus. Der Berliner Senat wollte den Kongress mit allen Mitteln verhindern. Der Gipfel war die KĂŒndigung und Sperrung des Kontos der JĂŒdischen Stimme fĂŒr einen gerechten Frieden in Nahost, dem Hauptorganisator des Kongresses, durch die Berliner Sparkasse. Die gezahlten Eintrittsgelder und Spenden waren blockiert, sodass die JĂŒdische Stimme kurzfristig auf private Gelder zurĂŒckgreifen musste. Ein großer Protest und Aufschrei ĂŒber die KontenkĂŒndigung eines jĂŒdischen Vereins durch die Sparkasse blieb aus. Ich stelle mir 1933 vor, als viele jĂŒdische GeschĂ€ftsleute und ganz normale jĂŒdische BĂŒrger und BĂŒrgerinnen plötzlich nicht mehr an Gelder auf ihren Konten kamen.

Die Kontensperrung halte ich fĂŒr antisemitisch, genauso wie die polizeiliche AbfĂŒhrung jĂŒdischer Friedensaktivisten, die ein Schild „Juden gegen Genozid“ trugen. Und ist das Verbot der hebrĂ€ischen Sprache auf dem Protestcamp der PalĂ€stina-SolidaritĂ€tsbewegung in der NĂ€he des Bundestags nicht auch antisemitisch? Die BegrĂŒndung fĂŒr dieses unsĂ€gliche Sprachverbot: „Wir mĂŒssen verstehen, was dort gesagt wird, es könnte ja zu Straftaten oder ‚Gewaltaufrufen‘ kommen.“ Allerdings wurde das HebrĂ€isch-Verbot zumindest fĂŒr den religiösen Gebrauch gekippt. Eine Schabbatfeier hĂ€tte sonst nicht stattfinden können. Auch die irische Sprache GĂ€lisch ist von dem Sprachverbot betroffen. Gegen mehrere Iren, die SolidaritĂ€tslieder in der gĂ€lischen Amtssprache der irischen Republik sangen, wurden Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Als Letztes ist noch das Verbot der arabischen Sprache zu nennen. Arabisch darf im Camp erst nach 18:00 Uhr gesprochen werden, denn erst dann hat der Polizeidolmetscher Zeit. Man denkt an Satire oder an Kabarett, wenn man das liest, aber es ist RealitĂ€t in Deutschland im Jahre 2024! [1]

Es ist zu hoffen, dass das Verbot des PalĂ€stina-Kongresses auch Menschen zum Nachdenken bringt, die bisher mit dem Thema nichts zu tun haben wollen, aber durch die stĂ€ndig zunehmenden EinschrĂ€nkungen der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit und Cancel-Culture-VerfĂŒgungen aufgeschreckt werden. Namhafte Wissenschaftler, Kulturschaffende und Schriftsteller haben in den letzten Monaten Auftrittsverbote erhalten, weil sie irgendwo etwas Israel-Kritisches gelikt oder etwas PropalĂ€stinensisches unterschrieben haben.

Im Ausland haben die Absage des Kongresses, die Einreise- und Redeverbote sowie die Diffamierung jĂŒdischer Friedensaktivisten als „Antisemiten“ große Verwunderung, aber auch große Besorgnis ausgelöst.

Jetzt erscheinen zumindest einige kritische Artikel in deutschen Zeitungen, die sich mit der deutschen Politik im „McCarthy-Stil“ auseinandersetzen. Der Publizist Fabian Scheidler warnt in der Berliner Zeitung vor einem „gefĂ€hrlichen Konfrontationskurs im VerhĂ€ltnis zur Meinungsfreiheit“ und begrĂŒndet das mit der deutschen Israel-Politik.

„Wenn man mir vor einigen Jahren vorausgesagt hĂ€tte, was sich heute zum Thema Israel und Gaza in Deutschland abspielt, hĂ€tte ich das fĂŒr eine dystopische Fantasie gehalten. Eine deutsche Regierung aus Sozialdemokraten, GrĂŒnen und Liberalen sichert einem Staat bedingungslose militĂ€rische und diplomatische UnterstĂŒtzung zu, der sich gerade vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen des Verdachts auf Völkermord verantworten muss – ein Verdacht, den das Gericht selbst als ‚plausibel‘ einstuft. International renommierte Intellektuelle und KĂŒnstler – darunter auch jĂŒdische Stimmen –, die sich fĂŒr Menschenrechte und VölkerverstĂ€ndigung einsetzen, werden aus Deutschland ausgeladen, ihre Gastprofessuren abgesagt, ihre Preisverleihungen gecancelt, darunter Nancy Fraser, Laurie Anderson und Masha Gessen.“ [2]

In einem Interview kommentiert die UN-Sonderberichterstatterin fĂŒr die besetzten palĂ€stinensischen Gebiete Francesca Albanese die besondere Beziehung Deutschlands zu Israel und betont:

„Deutschland ist eins der LĂ€nder, die Israel vor und nach dem 7. Oktober politisch und materiell am stĂ€rksten unterstĂŒtzt haben. Ich verstehe die historische deutsche Verantwortung und die moralische Verpflichtung nach dem Holocaust. Ich glaube, als europĂ€ische Gesellschaften haben wir den Holocaust noch lange nicht vollstĂ€ndig aufgearbeitet. Aber Völkermord beginnt nicht mit Massenmord. Es ist ein Prozess, der mit Entmenschlichung beginnt, die Massenmord normal, akzeptabel und rechtlich vertretbar macht. HĂ€tte Deutschland das, was es dem jĂŒdischen Volk angetan hat, verinnerlicht, wĂŒrde ‚Nie wieder‘ bedeuten: ‚Nie wieder Völkermord‘.

Auf die Frage, ob sie die aktuellen Debatten in Deutschland ĂŒber die Grenzen der Meinungsfreiheit mit Blick auf Israel-PalĂ€stina verfolgt, antwortet Albanese:

„Durchaus, ja. Es scheint in Deutschland eine Art Paranoia zu geben, was kritische Auseinandersetzung betrifft mit dem, was Israel tut. Viele JĂŒdinnen und Juden auf der ganzen Welt sprechen sich dagegen aus, was in ihrem Namen geschieht. Aber Deutschland bringt selbst Israelis und jĂŒdische Menschen zum Schweigen, die sich öffentlich gegen Israels Politik positionieren. Anstatt Israel mit den gleichen MaßstĂ€ben zu messen wie andere LĂ€nder, lĂ€sst man die Regierung ungestraft weitermachen.“ [3]

„PalĂ€stina ist der Lackmustest fĂŒr die bĂŒrgerlichen Freiheiten“ ist der Titel eines sehr lesenswerten Interviews in der Jungen Welt mit Nadija Samour, einer AnwĂ€ltin, die die JĂŒdische Stimme berĂ€t. Im Kontext der zunehmenden Repression gegen PalĂ€stina-Demonstrationen und Polizeigewalt erinnert sie an die Coronazeit, als viele Demonstrationen verboten waren und gegen Demonstranten unverhĂ€ltnismĂ€ĂŸige Gewalt ausgeĂŒbt wurde. Samour betont, dass mit den Corona-Maßnahmen der Grundstein fĂŒr die EinschrĂ€nkungen der Grundrechte gelegt wurde, die jetzt insbesondere bei den PalĂ€stina-Demonstrationen angewendet werden. [4]

Es muss allerdings daran erinnert werden, dass die Diffamierungen und Hetze gegen Veranstaltungen ĂŒber PalĂ€stina/Israel nicht neu sind. Bereits 2017 hat die Autorin zusammen mit GĂŒnter Rath eine BroschĂŒre „Meinungsfreiheit bedroht? Die GefĂ€hrdung der Meinungsfreiheit in Deutschland durch die Kampagnen der sogenannten ‚Freunde Israels‘“ veröffentlicht, in der 71 Veranstaltungen in den Jahren 2012 bis 2017 aufgelistet sind, die behindert, verschoben oder abgesagt werden mussten. [5]

Die derzeitige deutsche Politik ist höchst besorgniserregend und gefĂ€hrlich. Warum unterstĂŒtzt die Ampelkoalition zwei rechte Regierungen – die israelische und die ukrainische – mit allen Mitteln und Waffen, obwohl sie sich der Beihilfe zum Völkermord schuldig macht und in der Ukraine zur FortfĂŒhrung des nicht gewinnbaren Krieges beitrĂ€gt? Und sehen diejenigen, die noch immer auf der Seite der israelischen rechtsextremen Regierung stehen, nicht deren GefĂ€hrlichkeit, auch fĂŒr die jĂŒdische Bevölkerung?

Am Rande der Demonstration, die am 13. April in Berlin statt des Kongresses stattfand, gab es auch eine kleine Gruppe mit Israel-Fahnen. Dabei waren einige Frauen, die sich mit einem Schild als „Omas gegen rechts“ auswiesen. Ist ihnen klar, mit wem sie da gemeinsam stehen?

Warum merkt die Mehrheit der Deutschen nicht, dass die Rechtsentwicklung nicht nur von der AfD ausgeht, sondern auch von der jetzigen Regierung? Die Ampelkoalition gibt Milliarden fĂŒr AufrĂŒstung und Vernichtungswaffen aus, will alles „kriegstĂŒchtig“ machen und kĂŒrzt dafĂŒr bei den Sozialausgaben. Angeblich ist kein Geld da fĂŒr KrankenhĂ€user, Pflegeheime, Schulen, UniversitĂ€ten, fĂŒr die Sanierung der Infrastruktur, fĂŒr die Kindersicherung, fĂŒr arme Rentner und Rentnerinnen. Von der AufrĂŒstung profitieren nur die RĂŒstungsunternehmen, deren Gewinne noch nie so hoch wie heute waren! Diese zutiefst unsoziale und gefĂ€hrliche Politik muss unbedingt gestoppt werden.

Geht die Regierung so gewalttĂ€tig gegen Protestierende vor, weil sie andere einschĂŒchtern und sie vom Protest auf der Straße abhalten will? Ist das das Ziel, wenn protestierenden Studierenden mit der Exmatrikulation gedroht wird und wenn Nicht-Bio-Deutschen mit Entzug der Aufenthaltsgenehmigungen oder sogar mit Passentzug gedroht wird, falls sie sich „unbotmĂ€ĂŸig“ verhalten oder Slogans rufen, die als „antisemitisch“ oder „islamistisch“ diffamiert werden? Viele PalĂ€stinenser sind höchst verunsichert und trauen sich nicht, in der Öffentlichkeit gegen deutsche Waffen-lieferungen zu protestieren und einen sofortigen Waffenstillstand zu fordern.

Einreise- und Redeverbot fĂŒr Dr. Ghassan Abu Sitta

Neben Yanis Varoufakis wurde auch ein Einreiseverbot fĂŒr den weltweit renommierten britisch-palĂ€stinensischen Chirurg und Rektor der UniversitĂ€t Glasgow Dr. Ghassan Abu-Sitta ausgesprochen. Er hat seit dem 10. Oktober 2023 43 Tage im Shifa-Krankenhaus in Gaza Stadt und im Ahli-Krankenhaus gearbeitet. Das Ahli-Krankenhaus ist das Ă€lteste Krankenhaus im Gazastreifen, das heute vom Ökumenischen Rat der Kirchen zusammen mit der Anglikanischen Kirche in Großbritannien geleitet wird.

In einem Interview mit der Journalistin Karin Leukefeld schildert Dr. Abu Sitta seine Erlebnisse:

„Bei meiner Ankunft wurde ich an der Passkontrolle gestoppt. Dann hat man mich in den Keller des Flughafens gebracht, wo ich 3,5 Stunden befragt wurde. Am Ende dieser 3,5 Stunden sagte man mir, ich dĂŒrfe deutschen Boden nicht betreten. Dieses Verbot gelte fĂŒr den gesamten April. Aber nicht nur das. Sollte ich versuchen, mich per Zoom oder FaceTime mit der Konferenz in Verbindung zu setzen, selbst wenn ich außerhalb von Deutschland sei, oder sollte ich ein Video mit meinem Vortrag an die Berliner Konferenz senden, sei das ein Vergehen gegen deutsches Recht. Ich liefe Gefahr, eine Geldstrafe zu erhalten oder bis zu einem Jahr im GefĂ€ngnis zu landen. Dann sagte man mir, ich solle einen RĂŒckflug nach England buchen. Mein Pass wurde mir abgenommen und ich erhielt ihn erst zurĂŒck, als ich das Flugzeug bestieg.“

Dr. Ghassan sollte auf dem PalĂ€stina-Kongress ĂŒber seine Erfahrungen ĂŒber das Töten in Gaza berichten. Das haben die deutschen Behörden verhindert, denn sie wollen keine Zeugenaussagen, die belegen, dass in Gaza ein Völkermord stattfindet. Dr. Abu Sitta kommentiert das so:

„Sie begraben die Beweise und sie bringen die Zeugen zum Schweigen, verfolgen sie oder schĂŒchtern sie ein.“ Dann verweist er auf Hannah Arendt, die 1958 in ihrem ersten Vortrag, den sie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gehalten habe, sagte, man vermenschliche das Geschehen in der Welt und das, was in den Menschen selbst vor sich gehe, indem man darĂŒber spreche. „Und indem wir darĂŒber sprechen, lernen wir, menschlich zu sein.“

„Wir sehen, wie sich der erste Völkermord im 21. Jahrhundert entfaltet. Dass Deutschland Zeugen dieses Völkermordes zum Schweigen bringt, verheißt fĂŒr das vor uns liegende Jahrhundert nichts Gutes.“

FĂŒr Dr. Abu Sitta ist es klar, dass das Ahli-Krankenhaus absichtlich angegriffen wurde und ein Lackmustest gewesen sei. „Die Israelis wollten sehen, welche Reaktion es geben wĂŒrde, wenn dieses hochrangige Krankenhaus angegriffen wĂŒrde. Da die Reaktion der internationalen Gemeinschaft so schwach war, begannen sie innerhalb von einigen Tagen, das Gesundheitssystem im Norden von Gaza zu zerstören.“ HĂ€tten die USA und Deutschland sofort ihre Waffenlieferungen und andere UnterstĂŒtzung gestoppt, wĂ€re die Zerstörung weiterer KrankenhĂ€user vermutlich nicht passiert, in denen Hunderte PalĂ€stinenser den Tod fanden. [6]

Einen höchst eindringlichen und schockierenden Bericht seiner Erfahrungen in den 43 Tagen in Gaza hat Dr. Abu Sitta in einem Artikel auf Mondoweiss, einem jĂŒdischen elektronischen US-Nachrichten-Portal, veröffentlicht. [7]

Vertreibung in der Westbank

Im Schatten des Gaza-Krieges spitzt sich auch die Situation in der Westbank immer mehr zu. Seit dem 7. Oktober attackieren militante Siedler, flankiert und oft unterstĂŒtzt von israelischen Soldaten, die palĂ€stinensische Bevölkerung. In mindestens 20 Gemeinden gibt es keine PalĂ€stinenser mehr. In den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden Tausende Hektar Land als staatseigenes israelisches Eigentum ausgewiesen, was den Weg fĂŒr den Bau neuer Siedlungen freimacht, die der rechtsextreme Finanzminister Smotrich bereits ankĂŒndigte. Noch nie wurde so viel Land im Westjordanland zum Staatseigentum erklĂ€rt, so Haaretz am 11. April. 2024; man könnte auch sagen, das ist der grĂ¶ĂŸte Raub von palĂ€stinensischem Land seit Jahrzehnten. [8]

Tausende PalĂ€stinenser wurden verhaftet, fast 500 wurden ermordet – an den Folterungen, die sie in den israelischen MilitĂ€rgefĂ€ngnissen erlitten, starben mindestens ein Dutzend Menschen.

Angesichts dieser zweiten Nakba [9], deren Zeugen wir aktuell sind, haben am 7. April 2024 600 Bundesbeamte einen Aufruf lanciert, in dem sie die Bundesregierung auffordern, die Waffenlieferungen an Israel umgehend einzustellen! Aus Angst vor beruflichen Nachteilen bleiben sie anonym. Ein leitender Angestellter spricht von einem „Klima der Angst“ innerhalb der Behörden und Ministerien, wie er es „in 15 Jahren noch nie erlebt“ habe. Israel begehe in Gaza „Verbrechen, die in klarem Widerspruch zum Völkerrecht und damit zum Grundgesetz stehen, an das wir als Bundesbeamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes gebunden sind“.

Es sei „unsere Pflicht als BeschĂ€ftigte des Bundes“, heißt es in der ErklĂ€rung, „daran zu erinnern, dass die Bundesregierung strikt die Verfassung und das Völkerrecht zu beachten hat“. Darin wird die Bundesregierung auch aufgefordert, die Zahlungen an das Hilfswerk der Vereinten Nationen fĂŒr PalĂ€stinaflĂŒchtlinge (UNRWA) zu verlĂ€ngern und sich „aktiv und entschlossen fĂŒr die Anerkennung eines palĂ€stinensischen Staates“ in den international anerkannten Grenzen von 1967 einzusetzen. Zu den Unterzeichnern sollen Beamte aus verschiedenen Ministerien gehören, darunter viele Menschen mit internationalen Biografien und Auslandserfahrung. Vor allem Diplomaten machen sich Sorgen, dass Deutschlands Ruf in der Welt und seine internationalen Beziehungen nachhaltigen Schaden nehmen könnten. [10]

Bislang ist dieser bemerkenswerte Aufruf kaum in der Öffentlichkeit debattiert worden. Die Zitate israelischer Politiker und MilitĂ€rs, an die die Beamten erinnern, lassen einen geplanten Völkermord erahnen:

„Wir kĂ€mpfen gegen menschliche Tiere, und wir handeln entsprechend.“
Yoav Gallant, israelischer Verteidigungsminister

„Das Einzige, was in den Gazastreifen gelangen sollte, solange die Hamas die von ihr festgehaltenen Geiseln nicht freilĂ€sst, ist nicht ein Gramm humanitĂ€re Hilfe, sondern Hunderte von Tonnen Sprengstoff der Luftwaffe.“
Itmas Ben-Gvir, Minister fĂŒr öffentliche Sicherheit in Israel

„Menschliche Tiere mĂŒssen als solche behandelt werden. Ihr wolltet die Hölle, ihr werdet die Hölle bekommen.“
Ghassan Alian, Leiter der MilitÀrkoordination Israel

Befeuert von diesen menschenverachtenden Aussagen begehen israelische Soldaten und Soldatinnen tagtĂ€glich Kriegsverbrechen ungeheuerlichen Ausmaßes, die gefilmt und online von ihnen geteilt werden, auch weil sie keinerlei Sanktionierung zu befĂŒrchten haben. James Elder, UNICEF-Sprecher, sagte am 22. MĂ€rz 2024:

„Die Tiefe des Grauens ĂŒbersteigt unsere FĂ€higkeit, es zu beschreiben. (
) Es ist eine vollstĂ€ndige Vernichtung.“

Die Unterzeichner weisen ebenso auf die vorsĂ€tzliche Missachtung internationalen Völkerrechts hin, die „mit Ansage durch dessen Premierminister Benjamin Netanjahu“ am 14. Januar 2024 erfolgte: „Niemand wird uns aufhalten – nicht Den Haag, nicht die Achse des Bösen und auch sonst niemand.“

Trotz dieser AbsichtserklĂ€rungen liefert die Bundesregierung weiterhin Kriegswaffen nach Israel, verletzt damit eigene Vergaberichtlinien und verstĂ¶ĂŸt eklatant gegen internationales Völkerrecht. Der 7. Oktober 2023 wird als isoliertes Ereignis gesehen und daraus ein Selbstverteidigungsrecht Israels abgeleitet, ohne die ĂŒber 75 Jahre andauernde israelische Besatzung, Ausbeutung und UnterdrĂŒckung der palĂ€stinensischen Zivilbevölkerung anzuerkennen und zu kontextualisieren.

„Unsere Pflicht, der völkerrechtswidrigen Politik der Bundesregierung entschieden zu widersprechen, leitet sich nicht zuletzt auch aus § 60 Bundesbeamtengesetz in Verbindung mit Art. 25 GG sowie der Konvention ĂŒber die VerhĂŒtung und Bestrafung des Völkermordes und der Eilrechtsschutzentscheidung des IGH vom 26. Januar 2024 ab.“

Die Beamten beziehen sich auch auf die „ErklĂ€rung der transatlantischen Beamtinnen zu Gaza: Es ist unsere Pflicht, uns zu Ă€ußern, wenn die Politik unserer Regierungen falsch ist”, veröffentlicht am 2. Februar 2024, welche allerdings in Deutschland kaum Beachtung fand. [11]

Mehr als 800 Regierungsbeamte in den Vereinigten Staaten und Europa kritisieren die „FĂŒhrer ihrer LĂ€nder“ fĂŒr die bedingungslose militĂ€rische und politische UnterstĂŒtzung Israels. Die Autoren des Briefes, die ebenso wie die deutschen Beamten anonym unterschrieben, „schrieben, dass ihre Versuche, intern Bedenken hinsichtlich der UnterstĂŒtzung ihrer Regierungen fĂŒr Israels Angriff auf Gaza zu Ă€ußern, „durch politische und ideologische ErwĂ€gungen außer Kraft gesetzt wurden“.

„Wir sind verpflichtet, im Namen unserer LĂ€nder und uns selbst alles in unserer Macht Stehende zu tun, um nicht an einer der schlimmsten menschlichen Katastrophen dieses Jahrhunderts beteiligt zu werden. Wir sind verpflichtet, die Öffentlichkeit unserer LĂ€nder, denen wir dienen, zu warnen und gemeinsam mit transnationalen Kollegen zu handeln. 
 Israel hat bei seinen MilitĂ€reinsĂ€tzen in Gaza keine Grenzen gesetzt, was zu Zehntausenden vermeidbaren zivilen TodesfĂ€llen gefĂŒhrt hat. Es besteht ein plausibles Risiko, dass die Politik unserer Regierungen zu schweren VerstĂ¶ĂŸen gegen das humanitĂ€re Völkerrecht, Kriegsverbrechen und sogar ethnischen SĂ€uberungen oder Völkermord beitrĂ€gt.“

Beide dringende Aufrufe haben leider bislang kaum Resonanz hervorgerufen, aber man sollte sie immer wieder zitieren.

Fazit: Solange die USA und Deutschland Israel weiterhin unterstĂŒtzen, wird es keinen Frieden geben. Das wurde nach der Bewilligung des 26-Milliarden-US-Dollar-Pakets von den USA sehr deutlich. Kurz darauf wurde Rafah bombardiert, 18 Kinder und vier Erwachsene kamen dabei ums Leben. [12] Man könnte denken, dass die Botschaft an die Israelis lautete: Macht ruhig weiter, wir unterstĂŒtzen euch auch weiterhin. Eine moralische und politische BankrotterklĂ€rung!

Titelbild: Shutterstock / Jorm Sangsorn

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[«1] Junge Welt, 23. April 2024 / Sprachverbot des Tages: HebrÀisch, Nick Brauns jungewelt.de/artikel/473956.sprachverbot-des-tages-hebrÀisch.html

[«2] Fabian Scheidler: „Deutsche Israel-Politik: Die falschen Lehren aus der Vergangenheit – Wie Deutschland auf einen gefĂ€hrlichen Konfrontationskurs mit der Meinungsfreiheit und internationalem Recht geraten ist, Berliner Zeitung 22. April 2024, berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/deutsche-israel-politik-die-falschen-lehren-aus-der-vergangenheit-li.2206324

[«3] Interview: Hanno Hauenstein 23. April 2024, Neues Deutschland, UN-Sonderberichterstatterin: „Schwelle zum Völkermord erreicht“, Francesca Albanese ĂŒber Israels Vorgehen in Gaza, Deutschlands Verantwortung und die VorwĂŒrfe gegen ihre Person, .nd-aktuell.de/artikel/1181657.gaza-krieg-un-sonderberichterstatterin-schwelle-zum-voelkermord-erreicht.html
Ende MĂ€rz veröffentlichte Francesca Albanese den Bericht „Anatomie eines Völkermords“, in dem sie Israel vorwirft, einen Genozid an den PalĂ€stinensern in Gaza zu begehen.

[«4] Junge Welt 20. April 2024, Über die staatliche Repression gegen den PalĂ€stina-Kongress in Berlin und die autoritĂ€re Wende in der Bundesrepublik, jungewelt.de/artikel/473789.autoritĂ€rer-staatsumbau-palĂ€stina-ist-der-lackmustest-fĂŒr-die-bĂŒrgerlichen-freiheiten.html

[«5] Die BroschĂŒre kann hier heruntergeladen werden, allerdings ohne die acht Seiten umfassende Tabelle mit den 71 Veranstaltungen. senderfreiespalaestina.de/pdfs/meinungsfreiheit_bedroht_version_ohne_tabelle.pdf

[«6] „Beweise begraben, Zeugen zum Schweigen bringen“, Karin Leukefeld, NachDenkSeiten 15. April 2024

[«7] mondoweiss.net/2024/04/dr-ghassan-abu-sittah-tomorrow-is-a-palestinian-day/

[«8] haaretz.com/israel-news/2024-04-11/ty-article/.premium/israel-has-declared-record-amount-of-west-bank-land-as-state-owned-in-2024/0000018e-c7a2-dd23-a3cf-e7a713c90000, auch auf der Webseite von Peace Now: peacenow.org.il/en

[«9] Nakba ist das arabische Wort fĂŒr Katastrophe und bezeichnet die gewaltsame Vertreibung der palĂ€stinensischen Bevölkerung im Jahr 1948

[«10] „Deutsche Waffen fĂŒr Israel: Beamte kritisieren Nahost-Politik“, taz.de/Deutsche-Waffen-fuer-Israel/!6002931/), diefreiheitsliebe.de/politik/600-bundesbeamte-fordern-von-bundesregierung-waffenlieferungen-an-israel-umgehend-einzustellen/

[«11] consortiumnews.com/de/Etikett/Erkl%C3%A4rung-der-transatlantischen-Beamten-zum-Gazastreifen/

[«12] scheerpost.com/2024/04/22/massive-israeli-airstrike-against-rafah-in-the-southern-part-of-the-gaza-strip/