Gianna Zocco und Sandra Folie (beide ZfL) sprechen über den Band »Sketches of Black Europe in African and African Diasporic Narratives« (2024), der sich mit Imaginationen Europas in afrikanischer und afrodiasporischer Literatur und Kunst beschäftigt. ———————— Die Beiträge eint das Interesse an den Erzählperspektiven Schwarzer Künstler:innen und ihren Überlegungen darüber, was es heißt, europäisch zu sein. Untersucht werden literarische und filmische Werke von Künstler:innen, die auf geteilte Erfahrungen in und mit Europa verweisen. Der transnationale Charakter der Romane und Filme äußert sich dabei nicht nur in den Biographien ihrer Produzent:innen, sondern auch in den wiederkehrenden intertextuellen Bezügen auf kanonische Texte (von Toni Morrison über Frantz Fanon bis May Ayim) sowie einem gemeinsamen Repertoire von Themen, Metaphern und Motiven. Mittels einer dezidiert komparatistischen Betrachtung wird dabei sowohl die Beschränkung auf einzelne Nationalphilologien überwunden als auch die vorherrschende biographisch-soziologische Betrachtung der Werke vermieden. Vielmehr werden gemeinsame Darstellungsverfahren in den Vordergrund gestellt oder literaturgeschichtliche Bezüge sichtbar gemacht, wie es Mahamadou Famanta beispielsweise für Sharon Dodua Otoos Roman »Adas Raum« tut. Der Rede von Europa liegt häufig die implizite Annahme eines ›weißen Kontinents‹ zugrunde. Die Perspektivierung ›Black Europe‹ hingegen erlaubt es den Beiträger:innen, Europa transkultureller und hybrider zu beschreiben und dabei etablierte Vorstellungen und Selbstbilder von Europa und seinem ›Anderen‹ infrage zu stellen. So beispielsweise Dobrota Pucherová, die autobiographische Texte von Tomáš Zmeškal und Obonete S. Ubam daraufhin untersucht, wie sie das im Kalten Krieg vorherrschende Narrativ der tschechischen Gesellschaft als frei von Rassismus erschüttern. Margriet van der Waal konzentriert sich stärker auf genuin sprachliche Fragen, indem sie sich mit der Hybridisierung des als ›europäisch‹ geltenden Afrikaans beschäftigt. Zum Anspruch des Bandes gehört es außerdem, Perspektiven von den europäischen ›Rändern‹ und aus den Provinzen des Kontinents zu berücksichtigen. So untersucht Gianna Zocco, wie es James Baldwin und Vincent O. Carter mittels der literarischen Strategie der Blickumkehr gelingt, die Schweiz zu provinzialisieren. Sandra Folie wiederum analysiert, wie westafrikanische Juju-Rituale und die alpenländische Krampus-Tradition in Sudabeh Mortezais Film »Joy« durch den strategischen Einsatz exotisierender Darstellungsverfahren parallelisiert werden und somit letztlich an der vermeintlich festen Grenze zwischen Europäischem und Nichteuropäischem gerüttelt wird. ———————— Die Komparatistin Gianna Zocco leitet das ERC-Projekt »Schwarze Narrative transkultureller Aneignung: Literarische Akte des Konstruierens afro-europäischer Welten und der Infragestellung europäischer Grundlagen«. Von 2019 bis 2023 war sie mit dem Projekt »Deutschland und seine Geschichte in afroamerikanischer Literatur« Marie-Skłodowska-Curie Fellow am ZfL. Sandra Folie ist ebenfalls Komparatistin. Sie hat zu Labelingpraktiken neuer Welt-Frauen-Literaturen im transkontinentalen Vergleich promoviert und ist seit 2023 Mitarbeiterin im ERC-Projekt. www.zfl-berlin.org
Gianna Zocco und Sandra Folie (beide ZfL) sprechen über den Band Sketches of Black Europe in African and African Diasporic Narratives (2024), der sich mit Imaginationen Europas in afrikanischer und afrodiasporischer Literatur und Kunst beschäftigt.
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Die Beiträge eint das Interesse an den Erzählperspektiven Schwarzer Künstler:innen und ihren Überlegungen darüber, was es heißt, europäisch zu sein. Untersucht werden literarische und filmische Werke von Künstler:innen, die auf geteilte Erfahrungen in und mit Europa verweisen. Der transnationale Charakter der Romane und Filme äußert sich dabei nicht nur in den Biographien ihrer Produzent:innen, sondern auch in den wiederkehrenden intertextuellen Bezügen auf kanonische Texte (von Toni Morrison über Frantz Fanon bis May Ayim) sowie einem gemeinsamen Repertoire von Themen, Metaphern und Motiven. Mittels einer dezidiert komparatistischen Betrachtung wird dabei sowohl die Beschränkung auf einzelne Nationalphilologien überwunden als auch die vorherrschende biographisch-soziologische Betrachtung der Werke vermieden. Vielmehr werden gemeinsame Darstellungsverfahren in den Vordergrund gestellt oder literaturgeschichtliche Bezüge sichtbar gemacht, wie es Mahamadou Famanta beispielsweise für Sharon Dodua Otoos Roman »Adas Raum« tut.
Der Rede von Europa liegt häufig die implizite Annahme eines ›weißen Kontinents‹ zugrunde. Die Perspektivierung ›Black Europe‹ hingegen erlaubt es den Beiträger:innen, Europa transkultureller und hybrider zu beschreiben und dabei etablierte Vorstellungen und Selbstbilder von Europa und seinem ›Anderen‹ infrage zu stellen. So beispielsweise Dobrota Pucherová, die autobiographische Texte von Tomáš Zmeškal und Obonete S. Ubam daraufhin untersucht, wie sie das im Kalten Krieg vorherrschende Narrativ der tschechischen Gesellschaft als frei von Rassismus erschüttern. Margriet van der Waal konzentriert sich stärker auf genuin sprachliche Fragen, indem sie sich mit der Hybridisierung des als ›europäisch‹ geltenden Afrikaans beschäftigt.
Zum Anspruch des Bandes gehört es außerdem, Perspektiven von den europäischen ›Rändern‹ und aus den Provinzen des Kontinents zu berücksichtigen. So untersucht Gianna Zocco, wie es James Baldwin und Vincent O. Carter mittels der literarischen Strategie der Blickumkehr gelingt, die Schweiz zu provinzialisieren. Sandra Folie wiederum analysiert, wie westafrikanische Juju-Rituale und die alpenländische Krampus-Tradition in Sudabeh Mortezais Film »Joy« durch den strategischen Einsatz exotisierender Darstellungsverfahren parallelisiert werden und somit letztlich an der vermeintlich festen Grenze zwischen Europäischem und Nichteuropäischem gerüttelt wird.
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Die Komparatistin Gianna Zocco leitet das ERC-Projekt Schwarze Narrative transkultureller Aneignung: Literarische Akte des Konstruierens afro-europäischer Welten und der Infragestellung europäischer Grundlagen. Von 2019 bis 2023 war sie mit dem Projekt Deutschland und seine Geschichte in afroamerikanischer Literatur Marie-Skłodowska-Curie Fellow am ZfL. Sandra Folie ist ebenfalls Komparatistin. Sie hat zu Labelingpraktiken neuer Welt-Frauen*-Literaturen im transkontinentalen Vergleich promoviert und ist seit 2023 Mitarbeiterin im ERC-Projekt.
www.zfl-berlin.org
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Der Band:
WeiterfĂĽhrende Literatur:
Sabrina Brancato: »Afro-European Literature(s): A New Discursive Category?«, in: Research in African Literature 39.3 (2008), 1–13
Darlene Clark Hine/Trica Danielle Keaton/Stephen Small (Hg.): Black Europe and the African Diaspora. Urbana: University of Illinois Press 2009
Katharina Edtstadler/Sandra Folie/Gianna Zocco (Hg.): New Perspectives on Imagology. Paderborn: Brill | Fink 2022
Sandra Folie: »Aspekte Schwarzer Geschichte(n) in ›Berlin Global‹. Eine Führungs- und Ausstellungsreflexion«, in: ZfL Blog, 15.2.2024
bell hooks: »The Oppositional Gaze«, in: dies.: Black Looks: Race and Representation. Boston: South End Press 1992, 115–131
Natasha A. Kelly/Olive Vassell (Hg.): Mapping Black Europe. Monuments, Markers, Memories. Bielefeld: transcript 2023
Christel N. Temple: Literary Spaces: Introduction to Comparative Black Literature. Durham: Carolina Academic Press 2007
Olivette Otele: African Europeans. An Untold History. London: Hurst & Company 2020
Gianna Zocco: »Black Transatlantic Literary Studies and the Case of James Baldwin«, in: Kai Sina/Tanita Kraaz (Hg.): Transatlantic Literary History: Notes | Essays | Documents, 12.1.2021