Sie spionierten im besetzten Frankreich, dechiffrierten deutschen Funkverkehr und nieteten Bomber zusammen. Sie schweißten in Schiffswerften, standen "ihre Frau" an der "Homefront", und: sie leisteten einen entscheidenden Beitrag zur Befreiung Europas von der Naziherrschaft: Frauen im Einsatz für Militär und Kriegswirtschaft der Aliierten. Von Michael Zametzer (BR 2024)
Sie spionierten im besetzten Frankreich, dechiffrierten deutschen Funkverkehr und nieteten Bomber zusammen. Sie schweißten in Schiffswerften, standen "ihre Frau" an der "Homefront", und: sie leisteten einen entscheidenden Beitrag zur Befreiung Europas von der Naziherrschaft: Frauen im Einsatz für Militär und Kriegswirtschaft der Aliierten. Von Michael Zametzer (BR 2024)
Credits
Autor: Michael Zametzer
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Christian Baumann, Caroline Ebner, Florian Schwarz
Technik: Monika Gsaenger
Redaktion: Andrea Bräu
Im Interview: Michaela Hampf, Corinna von List
Ein besonderer Linktipp der Redaktion:
ARD History (2024): 24 h D-Day
Der D-Day markiert den Startschuss zur Befreiung Westeuropas aus dem Griff der Naziherrschaft. Am 6. Juni 1944 greifen alliierte Soldaten deutsche Stellungen an gleich fünf Strandabschnitten in der Normandie an. Der Angriff erfolgt von See aus und gilt als das größte amphibische Ladungsunternehmen der Geschichte . Dieses Ereignis jährt sich nun zum 80. Mal. Doch so nah, so authentisch wurde diese Schlacht noch nie gezeigt. Amerikanische und britische Kameraleute sind in Landungsbooten, bei Beschuss am Strand und bei der Rettung Verletzter dabei. Ihr Originalmaterial, gedreht in schwarz-weiß, wurde für diese Dokumentation aufwendig bearbeitet und koloriert. Die historisch einzigartigen Aufnahmen erscheinen in Spielfilmqualität. Der Krieg bekommt Farbe. Und damit eine andere Wirkung. Wir schauen direkt in die Gesichter derer, Amerikaner, Kanadier, Briten und Deutsche, die meisten nicht viel älter als 20 Jahre. In „ 24 h D-Day“ erzählen sie ihren D-Day, den Tag den sie nie vergessen konnten. JETZT ANSEHEN
Linktipp:
arte (2023): Normandie – Die vergessenen Opfer des D-Day
Aus der ganzen Welt strömen Menschen in die Normandie, um der Opferbereitschaft der hier gefallenen britischen, amerikanischen und kanadischen Soldaten zu gedenken. Die Landung der Alliierten am 6. Juni 1944 ging als „D-Day“ in die Geschichte ein; und die einstigen Landungsstrände wurden zum Symbol des Freiheitskampfes. Die zivilen Opfer fanden hingegen lange Zeit keine Erwähnung, sie blieben Märtyrer ohne Medaillen. JETZT ANSEHEN
Und hier noch ein paar besondere Tipps fĂĽr Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.Â
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ATMO/MUSIK Flugzeug innen, surren, darĂĽber
ZITATORIN (Cormeau):
Wir hoben bei einem wundervollen Sonnenuntergang in England ab, und der Flug dauerte viel länger, als er heute dauern würde. Aber dann bekam ich einen warmen Drink von meinem Flugbegleiter, und dann sah ich, wie er die Luke öffnete und mir sagte, ich solle mich bereit machen…
SPRECHER:
Am 22. August 1943 sitzt die 34jährige Yvonne Cormeau in einer britischen Militärmaschine. Ihr Ziel: Die Gironde, im Südwesten Frankreichs. Im von den Deutschen besetzten Frankreich.
ZITATORINÂ (Cormeau):
Dann sah ich das Rote Licht an meiner Seite leuchten, und wusste, wenn es grün würde, müsste ich durch die Luke springen. Das ging sehr gut, der Sog der Flugzeugpropeller trug mich fort, als säße ich in einem Lehnstuhl, es war sehr angenehm…
SPRECHER:
Was sich so angenehm anhört, ist ein hochriskantes, lebensgefährliches Unternehmen für die junge Frau. Denn als britische Agentin soll Yvonne Cormeau die Widerstandsgruppen der Résistance untersützen, Waffen schmuggeln, Landeplätze auskundschaften und codierte Funksprüche nach England absetzen.
ZITATORIN (Cormeau):
Mein Fallschirm war weiĂź, schmutzigweiĂź, ich habe immer noch ein StĂĽck von ihm.
ATMO weg
SPRECHER:
Yvonne Cormeau ermöglichte mit ihren Funksprüchen über 140 Waffenlieferungen ins besetzte Frankreich, die von britischen Flugzeugen an vereinbarten Stellen abgeworfen wurden. Sie war eine von 600 britischen Agentinnen, die auch die größte amphibische Militäroperation der Weltgeschichte unterstützten: Die Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944. D-Day!
1Â ZSP BBC London
Dum dum dum dummm…
SPRECHER:
Die Herausforderung fĂĽr die Aliierten könnte nicht größer sein. Um erfolgreich zehntausende Soldaten, Fahrzeuge, Material an der KĂĽste der Normandie anlanden zu können, mĂĽssen nicht nur Britische, Kanadische, Französische und US-Truppenteile perfekt zusammenarbeiten. Auch die Koordination der Teilstreitkräfte, die Verarbeitung der Geheimdienstinformationen, die Planung von Täuschungsmanövern erfordert ungeheuer viel Planung schon Jahre vor dem eigentlichen Tag der Landung.Â
MUSIK
SPRECHER:
Zwar ist die deutsche Wehrmacht 1944, nach fast fünf Jahren Krieg, ausgebrannt und an allen Fronten auf dem Rückzug. Die Amerikaner sind in Sizilien gelandet und kämpfen sich nun durch Italien. An der Ostfront dringt die Rote Armee immer weiter Richtung Reichsgrenze vor – unter enormen Verlusten. Die westlichen Alliierten aber haben aber ein gravierendes Problem: mit jedem Kriegstag, mit jedem Mann an den Fronten in Europa und im Pazifik steigt der Bedarf an Arbeitskräften für die „Homefront“.
2Â ZSP Michaela Hampf:
… und vor allem auch der Bedarf an administrativen Kräften und an Menschen, die mit Logistik usw befasst waren, im Gegensatz zur tatsächlich kämpfenden Truppe…
SPRECHER:
Michaela Hampf ist Professorin für nordamerikanische Geschichte an der Universität Hamburg.
3Â ZSP Michaela Hampf:
…und in diesem Moment wurden eben Frauen sowohl in der Zivilwirtschaft als auch in den Streitkräften enorm wichtig und man legte da besonderen Wert darauf, jetzt auch Frauen zu rekrutieren für die Armee, auch die anderen Teilstreitkräfte und die zivile Rüstungswirtschaft.
SPRECHER:
Dass Frauen an der Seite von Männern mit der Waffe in der Hand kämpfen, wie es zum Beispiel in der russischen Roten Armee der Fall ist, das ist in Washington und London unvorstellbar. Allerdings hat es schon im ersten Weltkrieg Frauenverbände zur Unterstützung der kämpfenden Truppen gegeben. Diese „auxiliaries“ sollen nun auch im Zweiten Weltkrieg aufgebaut werden. Ein Spagat, sagt Michaela Hampf:
4Â ZSP Michaela Hampf
Dieser Spagat einerseits des Arbeitskräftebedarfs vor allem an Unterstützenden und Bürotätigkeiten und andererseits eben der Geschlechterrollen, die man jetzt auch im Krieg, wo alles über den Haufen geworfen wurde, möglichst bewahren wollte.
SPRECHER:
Wie stark die Vorbehalte gegen Frauen im Militärdienst noch 1944, wenige Monate vor der Landung in der Normandie, sind, zeigt ein Werbefilm der US-Regierung zur Rekrutierung von Soldatinnen im „Womens Army Corps“, kurz „WACs“:
5Â ZSP Archiv: WAC Werbespot 1944
Hey, there goes one of those Petticoat-Soldiers. My sister wants to join the WACs – what do you think of that? – She’s crazy! What the devil a woman whants to be a soldier for? Waste of time! This is a mans war!
ZITATOR OV: Hey, da ist einer von diesen Petticoat-Soldaten. Meine Schwester möchte den WACs beitreten – was hältst Du davon? – Sie ist verrückt! Wofür zum Teufel soll eine Frau Soldatin werden? Zeitverschwendung! Das ist ein Männerkrieg!
SPRECHER:
1942, kurz nach dem Kriegseintritt der USA gegen Japan, hat der US-Kongress ein Gesetz zur Schaffung weiblicher Unterstützungsverbände für die US-Army verabschiedet. Die Frauen, die dafür rekrutiert wurden, hatten aber keinen militärischen Status. Das änderte sich schon ein Jahr später: Weil sich weit mehr Frauen zum Dienst meldeten als erwartet, wurden sie offiziell Teil der Armee: das „Women’s Army Corps“.
6Â ZSP Archiv: WAC Werbespot 1944
This is a mans war! What sort of Jobs may they do? – What sort of Jobs can we do? Take a look, mister! X-Ray-technicians, inspectors of army meat, teachers schooling ous soldiers…
SPRECHER:
Diese sogenannten „WACs“ arbeiten in hunderten unterschiedlicher Jobs: In Lazaretten und Sanitätseinheiten, in Verwaltung, Logistik und Stabsbüros des Militärs, aber auch als Kraftfahrerinnen und Mechanikerinnen, für balistische Berechnungen von Artilleriegeschossen, Wetterbeobachtung oder die Auswertung von Luftbildern.
7Â ZSP Michaela Hampf:
Und man dachte sogar, dass Frauen dafür qualifizierter seien als Männer. Aber natürlich ging es um das Prinzip: „Free a man for Fight“ oder „Free man for the Fleet“, dass man eben Männer freisetzen konnte für Kampfverwendungen.
SPRECHER:
Angelehnt an die „WACs“ bauen auch andere Truppenteile Frauenverbände auf: Die US-Navy, das Marine-Corps und die Küstenwache rekrutieren Frauen für ehemals männliche Aufgabenbereiche. Als Pilotinnen der Air Force fliegen sie auch Militärmaschinen unterschiedlichen Typs kreuz und quer durch das Land oder testen reparierte Maschinen. Das bedeutet für diese etwa 350.000 Frauen: Kasernierung, Ausbildung, Uniformierung. Die Infrastruktur dafür müssen aber erst noch geschaffen werden.
8Â ZSP Michaela Hampf:
Man musste sozusagen ein ganz neues Kontingent neu aufbauen, angefangen vom Design der Uniformknöpfe bis hin zu denen, also jeden einzelnen Bereich neu planen. Die Frauen waren getrennt, sie wurden von Männern Kommandiert. Es gab aber umgekehrt natürlich keine Kommandeurinnen von männlichen Einheiten und schwarze und weiße Frauen waren ebenso wie schwarze und weiße Soldaten vollkommen voneinander getrennt.
SPRECHER:
Ab 1943 werden die WACs auch auf dem Europäischen Kriegsschauplatz eingesetzt, zur Vorbereitung der alliierten Landung: Sie übersetzen Funksprüche der französischen Résistance, werten Luftbilder aus, fahren Jeeps und Lastwagen im Motorpool. Die Britischen Inseln gleichen in dieser Zeit einem riesigen Heerlager – zur Vorbereitung auf die Landung.
9Â ZSP Archiv: First WACs arrive in England 1943
And here ist the first Contigent to arrive in England, the largest unit of women ever to be sent overseas, here they will staff training centres, man Airports and controll stations, and – like all women – their first job is to make themselves a home…!
ZITATOR OV: „Und hier ist das erste Kontingent, das in England ankommt, die größte Gruppe von Frauen, die jemals ins Ausland geschickt wurde. Hier werden sie Schulungszentren betreuen, Flughäfen und Kontrollstationen bemannen, und – wie alle Frauen – besteht ihre erste Aufgabe darin, sich ein Zuhause zu schaffen!“
MUSIK
SPRECHER:
Aber auch in der Kriegsindustrie der USA fehlen Arbeitskräfte.
1941, nach dem Ăśberfall der Japaner auf Pearl Harbour und dem Kriegseintritt der USA, hat die Regierung in Washington Frauen im ganzen Land dazu aufgerufen, in die Fabriken zu gehen – um die Stellen der Männer zu besetzen, die an die Front gezogen sind. Ein Propagandafilm der US-Regierung sieht ein riesiges Arbeitskräftereservoir unter den Frauen Amerikas.Â
10Â ZSP Archiv: Werbefilm US-Frauen in der Industrie 1943
In Towns all over the united states, women are called to leave their homes and take jobs. Among our young, unmarried women, and among older women, who’s children are grown, we have a large reserve. They discover that factory work is usualy not more complicated than housework. How do you like it? I love it!
ZITATOR OV: In Städten überall in den Vereinigten Staaten werden Frauen dazu aufgerufen, ihre Häuser zu verlassen und eine Arbeit anzunehmen. Bei unseren jungen ledigen Frauen und bei älteren Frauen mit erwachsenen Kindern haben wir eine große Reserve. Sie entdecken, dass Fabrikarbeit normalerweise nicht komplizierter ist als Hausarbeit. Wie gefällt es Ihnen?
ZITATORIN: Ich liebe es!
MUSIK, darĂĽber
SPRECHER:
Für diese Arbeiterinnen in der US-Rüstungsindustrie steht bis heute ein Name: „Rosie the Riveter“ – „Rosie, die Nieterin“. Eine Kunstfigur, berühmt geworden durch einen Schlager und ein Plakat.
MUSIK - kurz hoch
11Â ZSP Michaela Hampf
Bei Rosie the Riveter denkt man wahrscheinlich eher noch an dieses ikonische Bild „We can do it“...
SPRECHER:
„We can do it!“ steht in der Sprechblase, die aus Rosies Mund kommt. Ein rotes, weiß gepunktetes Kopftuch hält die Haare zusammen, die Ärmel der blauen Arbeiterbluse sind hochgekrempelt, den Betrachtern streckt Sie ihren kräftigen Bizeps entgegen. Das Bild stammt von einer Werbekampagne des Westinghouse-Konzerns und wird vor allem nach dem Krieg als Motiv der Frauenbewegung der 1970er Jahre weltbekannt werden. Michaela Hampf:
12Â ZSP Michaela Hampf
Es gibt aber ein etwas älteres von Norman Rockwell aus dem Jahr 43, und da sieht man eben eine gar nicht so feminine Rosie, die mit einer Nietpistole Mittagspause macht, mit einer Brotdose und ihre Füße auf einer Ausgabe von „Mein Kampf“. Norman Rockwell hat eigentlich die realistischere Darstellung gewählt. Und ich glaube, so ging es vielen Frauen, dass sie durchaus die Erweiterung dieser Handlungsspielräume, die die Rüstungsindustrien boten, zu schätzen wussten.
SPRECHER:
Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs wächst die Zahl der Frauen in US-Rüstungsbetrieben auf über 19 Millionen an. In den Flugzeugwerken von Boing, Lockheed und Douglas schweißen, nieten und dengeln sie an jenen Bombern und Jagdmaschinen, die für den europäischen Kriegsschauplatz bestimmt sind – und damit auch zur Vorbereitung der Landung in der Normandie. Aber auch auf Schiffswerften arbeiten Frauen, wie in der Higgins-Werft in New Orleans, Seite an Seite mit den Männern:
ZITATORIN (Velma Plaisance):
Du bist vorsichtig bei der Arbeit, du weiĂźt, dass du verletzt werden kannst. Du kannst anderen SchweiĂźern nicht beim schweiĂźen zusehen, ohne Helm, weil du sonst geblendet wirst. Ich war einmal geblendet und hatte Gurkenscheiben auf den Augen zum KĂĽhlen.
13Â ZSP Michaela Hampf
Und natĂĽrlich gehen die Geschlechterrollen nicht einfach weg, weil man sich im Krieg befindet. Und wenn man jetzt Arbeitsklamotten tragen musste oder Uniform, dann hieĂź es so was wie femininity suspended for the duration. Also man musste nur fĂĽr die Dauer des Krieges jetzt diesen anderen Dresscode beachten.
SPRECHER:
Noch in späten 1930er Jahren waren Frauen in der Industrie vielen Unternehmern ein Graus: Einer Frau das Schweißen beizubringen, schien eine völlig abwegige Vorstellung. Man fürchtete zusätzliche Investitionen. Hinzu kam die Befürchtung, dass die Amerikanische Öffentlichkeit eine derartige Abweichung vom traditionellen Rollenbild der amerikanischen Frau nicht tolerieren würde. Michaela Hampf:
14Â ZSP Michaela Hampf:
Dazu kommt: Die Konstruktion der männlichen Soldaten basiert natĂĽrlich sehr stark auf dem Gegensatz oder auf der Konstruktion von Frauen als Zivilistinnen. „The girl back home“, die man beschĂĽtzt und zu der man zurĂĽckkehrt. Und wenn jetzt dieses Rollenbild sich so stark geändert hätte, wäre das in der Tat zum Problem geworden. Und dann wurde die Homefront als erweiterter Haushalt sozusagen konstruiert..Â
MUSIK
SPRECHER:
Was im US-Militär die WACs sind, das entspricht beim britischen Militär den „WRENS“ des „Womens Royal Navy Service“, den Frauenverbänden der Königlichen Britischen Marine.
MUSIK
SPRECHER:
Im unscheinbaren, streng geheimen Anwesen von Bletchley Park nahe London arbeiten Ende 1944 7.500 dieser „Wrens“ als Kryptographinnen, Codeknackerinnen und Analytikerinnen. Berühmtheit erlangt Bletchley Park durch die Entschlüsselungstechniken von Mathematikern wie Alan Turing. Seine Maschinen, die sogenannte „Turing-Bombe“ und der raumgroße Colossus-Computer, werden hauptsächlich von Frauen bedient – in der „Hut 6“, einem kargen Decodierraum mit funzeligem Licht, wo die Frauen unter großem Stress stundenlang Nachrichten entschlüsseln.
ZITATORIN (Eleonore Ireland):
Es war eine riesige Maschine. An einem Ende befand sich dieser große Schalterblock, das meiste davon, und dahinter ein weiteres großes Metallgitter, gefüllt mit Ventilen und Drähten. Und man musste den Code auf der Rückseite eingeben.
SPRECHER:
Eleonore Ireland, Jahrgang 1926, arbeitet als Codebrecherin in Bletchley Park, entschlĂĽsselt die FunksprĂĽche der Deutschen in den Monaten vor der Landung. Von den Erfolgen ihrer Arbeit bekomt sie allerdings nichts mit. Ăśberhaupt: Die Arbeit in Bletchley Park bleibt auch nach dem Krieg offiziell streng geheim -bis 1974.
ZITATORIN (Eleonore Ireland):
Es hätte uns ein wenig Auftrieb gegeben, wenn wir gewusst hätten, was wir erreicht haben. Und natürlich war es am D-Day, als wir nach Frankreich fuhren, von entscheidender Bedeutung. Was wir getan haben, war absolut lebenswichtig.
SPRECHER:
Unter den Frauen von Bletchley Park sind auch einige „höhere Töchter“ aus der aristokratischen Oberschicht, deren Familien das Projekt finanziell unterstützen: Sie sind gut ausgebildet, sprechen oft mehrere Fremdsprachen und – sie gelten als „respektabel“.
15Â ZSP Michaela Hampf
Und da war zumindest in GroĂźbritannien bei diesen ganz enorm kriegswichtigen Bereich auch ein Augenmerk darauf, dass man da jetzt nicht ins Gerede kam, sondern, ähm, respektable Frauen, wie es zeitgenössisch hieĂź, beschäftigte.Â
MUSIKÂ
SPRECHER:
Respektabel, Gut ausgebildet, feminin, und – selbstbewusst. So sollen auch die Frauen sein, die nicht nur in Amts- und Schreibstuben, an Werkbänken und Decodiermaschinen gegen die Nazis kämpfen, sondern im Feindgebiet selbst, hinter den Linien. Als Agentinnen des britischen Geheimdienstes.
16Â ZSP Corinna von List
Also da gibt es sicherlich dann zwei Jobs, die besonders wichtig werden.
SPRECHER:
Corinna von List ist Historikerin und hat die Biographien von Agentinnen und Widerstandskämpferinnen im besetzten Frankreich erforscht…
17Â ZSP Corinna von List
Das ist einmal der Einsatz als Funkerin und dann auch die Frauen, die im Kurierdienst eingesetzt werden. Man setzt Kuriere ein, die eben dann diese Nachricht zwischen der Person, die etwas ausspioniert hat, die bringt die Nachricht so zur Funkerin und die Funkgerät sendet dann in der Regel auch codiert, dann rĂĽber nach England.Â
SPRECHER:
Zum Einsatz kommen zum Einen Französinnen, die in den unterschiedlichsten Wiederstandsnetzwerken der Résistance kämpfen. Es gibt aber auch Frauen, die von England aus ins Land geschleust werden – als Mitglieder des Special Operations Executive, kurz SOE.
Diese Organisation soll die „Ungentlemanly warfare“ auf das europäische Festland tragen – also Kriegführung mit allen, auch subversiven, Mitteln: Sabotage, Spionage, Attentate im besetzten Frankreich.
18Â ZSP Corinna von List:
Man sucht da Leute für bestimmte Einsätze im Ausland und dann war bei Frauen sicherlich ein ganz starkes Kriterium waren die Sprachkenntnisse. Und viele dieser Agentinnen haben auch, sage ich mal, Elternteile aus zwei Ländern. Also britisch- französisch oder belgisch-britisch. Und dann auch noch die Fähigkeit zum Beispiel: Ich meine, man muss ja mit einer falschen Identität leben können, das muss man ja auch lernen. Ein Großteil , ob sie dann Funker sind oder Agentinnen, die als Kuriere arbeiten, werden auch per Fallschirm bei Nacht abgesetzt. Und auch das muss trainiert werden.
SPRECHER:
Im Fall einer Verhaftung sind die Frauen auf sich allein gestellt. Zwar haben sie in ihrer Ausbildung gelernt, einem Verhör eine gewisse Zeit zu widerstehen, um anderen RĂ©sistance-Kämpfern Zeit verschaffen. Die Realität sieht aber oft anders aus, sagt die Historikerin Corinna von List.Â
19Â ZSP Corinna von List:
Ich meine, allein schon der Schreck, ĂĽberhaupt verhaftet zu werden, wenn man nie irgendwas mit der Polizei zu tun hatte, ist glaube ich schon psychologisch nicht unerheblich. Und dann ging es ja nicht nur um die Polizei, denn sowohl die deutsche Abwehr als auch die Gestapo haben, wenn sie Informationen haben wollten, auch gefoltert. Und auch gegenĂĽber Frauen.
SPRECHER:
Im Zweifel bleibe Frauen bei der Gefangennahme oft die Möglichkeit, das eigene Rollenklischee zu bedienen, sagt Corinna von List…
20Â ZSP Corinna von List:
Frauen hatten zwar einen gewissen Schutz und konnten sich ein bisschen schĂĽtzen, wenn sie auf sehr weiblich machten, oder: Ich verstehe ja von Politik gar nichts und ich weiĂź das nicht so genau. Das konnte gelingen.
SPRECHER:
Ist die Agentin aber einmal enttarnt, kann sich ihr feminines Rollenbild schnell gegen sie selbst richten:
21Â ZSP Corinna von List:
Das galt immer irgendwie als nicht weiblich und als Verrat. Und nur andere sagte ich auch. Man kann natĂĽrlich schlecht behaupten, man weiĂź von nichts und ist politisch inaktiv und tut nix. Wenn sich dann plötzlich der geladene Revolver in der KĂĽchenschublade findet.Â
SPRECHER:
Von den 600 Frauen, die fĂĽr die SOE rekrutiert werden, sind 39 fĂĽr den Einsatz im besetzten Frankreich vorgesehen. 13 von Ihnen kommen dabei ums Leben: Von der Gestapo verhaftet, gefoltert, erschossen, oder in ein Konzentrationslager deportiert und ermordet.
22Â ZSP Archiv: D-Day
Deutsche Rundfunkmeldung
SPRECHER:
Mit der erfolgreichen Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 gelangen Soldatinnen, WACs und Wrens auch auf das französische Festland, zur unterstützung der Kampfverbände in der Schlacht um Frankreich.
23Â ZSP Archiv: De Gaulle zu Befreiung von Paris
Paris! Paris outragé! Paris brisé! Paris martyrisé! Mais Paris libéré! Liberé par loui-meme…
Â
darĂĽber
SPRECHER:
Am 25. August 1944 wird Paris befreit. Charles de Gaulle, den Anführer der freien französischen Kräfte, reklamiert in seiner Befreiungsrede den Sieg über die Besatzer für die französischen Truppen und den Zivilen Widerstand. Der Grundstein für den „Résistance-Mythos“, wie die Historikerin Corinna von List veststellt. Ein Mythos, in dem die Frauen lange Zeit kaum Platz finden…
24Â ZSP Corinna von List:
Die haben insofern einen relativ schlechten Platz eingenommen, weil sie ja an der unmittelbaren militärischen Befreiung dann nicht mehr beteiligt waren. Und es bleiben dann eigentlich nur so zwei, drei Frauen übrig, die dann als Märtyrerin gefeiert werden, weil sie eben in der Regel auf sehr tragische Weise zu Tode kommen.
MUSIK
SPRECHER:
Nach dem Ende des Kriegs 1945 kommt auch fĂĽr die USA und GroĂźbritannien die Demobilisierung, und die langsame RĂĽckkehr zur normalen Zivilwirtschaft. Und - die Frauen in Uniform oder im Blaumann?
25Â ZSP Michaela Hampf:
Die Frauen im Militär wurden früher demobilisiert als die Männer in der Vorstellung, dass sie nach Hause zuerst zu Hause sein würden und das wieder alles vorbereiten für die Heimkunft der Männer. Und genauso erwartete man na
türlich auch, dass sie die Jobs, die zivilen Jobs dann wieder räumen.
SPRECHER:
Und in der öffentlichen Meinung ist die Vorstellung verbreitet, dass man nun wieder zur Vorkriegsgesellschaft zurückkehren könne, und den Rollenbildern, dennoch, sagt die Historikerin Michaela Hampf…
26Â ZSP Michaela Hampf
..hat die Beschäftigung von Frauen in der Rüstungsindustrie eine enorme Bewegung in die Gesellschaft gebracht und auch auf dem Arbeitsmarkt durchaus nachhaltig etwas verändert.