Ex nihilo - Martin Burckhardt   /     Das Delirium der Bilder

Shownotes

Es mag ungewöhnlich sein, dass sich ein schlichter Programmierer zu Wort meldet. Wir sind doch eine eher selbstgenügsame Spezies. Und weil man im Code ertrinkt, gibt es wenig Anlass, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren, noch dazu, wenn es sich um ein solch intellektuelles Umfeld handelt wie dieses. Dass ich es dennoch tue, hat schlicht damit zu tun, dass mich Martin Burckhardt dazu ermutigt hat. Ganz abgesehen davon haben mich unsere Gespräche davon überzeugt, meine Zurückhaltung zumindest zeitweise abzulegen. Was also ist der Anlass? Ein Bild wie dieses zum Beispiel:

Zweifellos eine ungewöhnliche Komposition. Und sie erscheint noch ungewöhnlicher, wenn einen Moment später das folgende Bild auf dem Schirm erscheint:

Setzen wir dies in eine Reihe, sieht man sogleich, dass es hier einen thematischen Zusammengang gibt, irgendetwas, das mit dem Schreiben und mit der Schrift zu tun haben muss.

Das Rätsel ist schnell aufgelöst: Denn all diese Bilder entspringen keiner visuellen Phantasie. Vielmehr handelt es sich um Hervorbringungen, die auf einen Text von Martin Burckhardt zurückgehen, einen Vortrag, den er zu einer Zeit gehalten hat, da die Medientheorie der 90er Jahre sich auf einen neuartigen Hype eingeschossen hatte: den visual turn. Martins Text hingegen beschäftigt sich mit dem Einbruch der Elektrizität in die Domäne der Schrift – und begreift selbige als das Grundmaterial, aus dem die Digitalisierung hervorgeht.

Genau an diesem Punkt findet sich der Schwerpunkt des Programms, das ich in den letzten Wochen verfasst habe. All die Bilder dieses Textes sind daraus hervorgegangen. Ausgangspunkt war, wie gesagt, nicht die visuelle Phantasie, sondern das gesprochene Wort. Folglich beginnt das Programm damit, dass es die im Text enthaltenen Ideen in die visuelle Sphäre überträgt. Diese Metaphern wiederum werden in einem weiteren Arbeitsschritt zu komplexen Bild-Ideen ausgearbeitet. Dieser Prozess ist nicht ganz unkompliziert. Man muss der Künstlichen Intelligenz beibringen, dass die Visualisierung auf eine Rückübersetzung in die Körperlichkeit hinausläuft, eine Reduktion, die nicht selten mit einer Verschiebung des Sinns einhergeht. Im Grunde ist dies eine vollständige Umkehrung des vertrauten Prozesses. Denn hier geht man nicht vom Augenfälligen aus, sondern vom Unsichtbaren. Und diese Umkehrung ist zutiefst mit dem verknüpft, was Martin Burckhardt mir in vielen Gesprächen als das Kennzeichen des mittelalterlichen Zeichenbegriffs dargestellt hat.

Hier stellte keineswegs, wie es seit der Renaissance der Fall ist, das visuelle Zeichen das höchste der Gefühle dar, sondern der Gedanke. Erst danach kam das gesprochene, dann das geschriebene Wort, und darauf folgte das gezeichnete oder auf eine Leinwand aufgemalte Wort. Am geringsten galt, was wir als Realität bezeichnen, also die Materialisierung eines Gedankens. Diese Reihenfolge ist eine präzise Beschreibung meiner Programmarchitektur. Vom Text ausgehend ging es darum, die Kerngedanken in Metaphern zu übersetzen; diese wiederum stellten den Rohstoff dar, aus dem die Bildanweisungen hervorgingen. Wenn dieser Schaffensprozess ein Charakteristikum aufweist, so liegt es, könnte man sagen, in der vollständigen Abwesenheit des Künstlers. Zu Anfang war dies durchaus noch sichtbar. Denn die Bilder hatten, der mangelnden geistigen Beweglichkeit der OpenAI-Programmierer wegen, allesamt eine gewisse Ähnlichkeit. Den Bildern diese Formatierung auszutreiben (wenn man so will: ihre Klischeehaftigkeit), war die größte Aufgabe - und sie hat mich an die Grenzen meiner Programmierfähigkeiten geführt.

Umso befriedigender jedoch das Ergebnis. Denn was hier entstanden ist, ist nichts anderes als eine Traumfabrik. Diese bringt jedoch keine beliebigen Bilder hervor, sondern Gebilde, die, weil sie sich auf komplexe Gedankengänge beziehen, eine innere Konsistenz besitzen. Legt man sie nebeneinander, wird der Zusammenhang noch sehr viel deutlicher. Wie der Titel von Martins Vortrag lautet: Porträt des Autors, elektrisiert.

Dass das Programm überraschende Bildideen freisetzt und dabei nicht selten ein Detail ins Überlebensgroße aufbläst, ist alles andere als ein Nachteil. Im Gegenteil. Das war der Funke, der meine Einbildungskraft (oder besser gesagt: meinen Mangel daran) erst wirklich auf Trab gebracht hat. Nicht zu wissen, was am Ende herauskommt - das war es, was mich beim Programmieren voran getrieben hat.

Weil die Maschine jeden beliebigen Text, ja auch die Transkripte der ex nihilo Gespräche in Bilder übersetzen kann, haben wir eine Pinterest-Seite aufgesetzt, die als Chronik, ja als Stream of Consciousness dessen firmiert, was auf ex nihilo stattfindet. Aber schauen Sie selbst …

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