Ex nihilo - Martin Burckhardt   /     Im Darkroom des Monsieur Foucault

Shownotes

©non cubic

Es gibt Denker, deren Philosophie eine faszinierend-dunkle Aura versprüht – und zweifellos gehört Michel Foucault in dieses Register. Wenn Foucault zum meistzitierten Intellektuellen des Abendlands avanciert ist, vergisst man leicht, dass er zu seiner Zeit eine Außenseiterposition innehatte, die so randständig war, dass mein Professor, der gute K.O. Conrady, sich bemüßigt sah, ein Foucault-Zitat mit einem großen Fragezeichen zu versehen und der Bemerkung, dass dieser Herr in einem wissenschaftlichen Kontext doch nicht zitierwürdig sei – ein Knockout-Versuch, welcher der Wucht des Foucault’schen Denkgebäudes nicht einmal im Ansätzen beikommen konnte (und mir eher als heilloses Gefuchtel in Erinnerung blieb). Worin also bestand die Anziehungskraft, die mich, den jungen Literaturstudenten, in Foucaults Bann gezogen hatte? Das erste Buch von ihm, das mir in die Hände geraten war, war Die Ordnung der Dinge – und es war auf mehreren Ebenen eine ebenso verwirrende wie faszinierende Lektüre. Nicht bloß, dass sich diese historische Studie wie eine Vermessung des geistigen Feldes anfühlte, das man die episteme nennt, darüberhinaus machte dieses Werk am Beispiel des Zeitrisses, der sich zwischen Mittelalter und Neuzeit aufgetan hatte, klar, dass eine Gesellschaft sich durchaus nicht über ihre eigenen Fundamente im Klaren sein muss. Mehr noch: Weil man im Gegenteil von einem kollektiven Unbewussten ausgehen muss, war die klare Scheidung zwischen Weltbild und Wahnsystem verunklart. Folglich war es, als ich mich tiefer in das Foucault’sche Œuvre versenkte, keine Überraschung mehr, dass er seiner Ordnung der Dinge ein Buch über den Wahnsinn vorausgeschickt hatte. Und so lernte ich, dass die Neuzeit ihr eigenes Nichtwahrhabenwollen dem Wahnsinnigen aufgebürdet hatte, dass er derjenige war, der die abgespaltene, dunkle Seite der Aufklärung aushandeln musste. Und weil mir dieser Gedanke plausibel erschien, war ich gewillt, dies am eigenen Leib zu überprüfen – wandelte sich diese Einsicht zur Dramaturgie eines Radiostücks. In der Folge kam ich über ein gutes halbes Jahr mit einem Schizophrenen zusammen, der mir (und dem mitlaufenden Bandgerät) seine Weltsicht mitteilte. Diese Gespräche waren insofern bemerkenswert, als die Gedankenfiguren des Herr L., so wahnsinnig sie mir erschienen, von einer zwingenden Logik waren. So überraschte er mich eines Tages mit der Frage, ob ich Steuern zahlte – und als ich bejahte, folgte, wie aus der Pistole geschossen, die Frage, ob ich Schweinefleisch esse. Ja, sagte ich, etwas verständnislos. Und er nickte so wissend, dass ich nachfragte, worin denn genau der Zusammenhang zwischen Steuerpflicht und Schweinefleisch-Konsum bestünde. Ob ich schon einmal gesehen hätte, wie Schweine reagierten, wenn sie in die Nähe eines Schlachthauses gerieten? Und als ich meine Ahnungslosigkeit kundgetan hatte, legte er mir in allen Einzelheiten auseinander, dass die Schweine, wenn sie in die Nähe des Schlachthauses gerieten, den Geruch des Blutes mitbekämen und von Todesangst übermannt wurden – weswegen die Transporteure, um einer allgemeinen Panik unter ihrer Schweinefracht vorzubeugen, dazu übergegangen seien, die Schweine mit Beta-Blockern zu sedieren. Und so würden sie denn, halb betäubt, zur Schlachtbank geführt – und landeten von hier aus: auf meinen Teller. Und weil ich auf diese Weise nicht nur das Schwein, sondern auch den Betablocker zu mir nähme, wäre ich gefügig gemacht; ein williger Steuerzahler, wie jedermann sonst. Und damit erschloss sich mir der Sinn des dahinterliegenden Gesellschaftsporträts, begriff ich, dass, der Logik des Herrn L. gemäß, die Massentierhaltung und -schlachtung nur zu dem Zweck geschah, den wilden, ungebärdigen Einzelnen zu einen servilen und gefügigen Steuerzahler zu machen. War es, dieser zwingenden Logik folgend, geboten, fortan auf Schweinefleisch und Beta-Blocker zu verzichten, so war dies eine Entscheidung, zu dem ich mich gleichwohl nicht durchringen konnte.

Es war eine ähnliche Zurückhaltung, die mich auch in der Folgezeit davor bewahrte, mich im Darkroom des Michel Foucault zu verlieren. Anfänglich jedoch war die Lektüre reine Faszination, als ob in der Schwärze ringsum immer wieder Lichtblitze aufzuckten. Merkwürdig war bloß, dass sich die Faszination just in dem Maße verflüchtigte, in dem ich meinerseits jene Gefilde betrat, die er in seiner Ordnung der Dinge so klar und überzeugend geordnet hatte. Dabei war sein Grundgedanke keinesfalls abwegig. Wenn es eine Weltsicht gab, welche das Denken der Neuzeit charakterisierte, so war es die Logik der Repräsentation. Die Spiegelkabinette, die Kunst des Trompe-l’œil, der französische Park: all dies waren Kunstgriffe, mit denen sich die abendländische Kultur bis dato unerreichte Denkmäler errichtet hatte. Und weil es nicht abwegig, darin so etwas wie eine Apotheose der Macht, hatte Foucault seinen ›Code der Repräsentation‹, über eine Bildanalyse von Velázquez Las Meninas, im Spiegelkabinett des spanischen Kaiserhofes angesiedelt, im Zentrum der Macht.

Der Preis dieser Verherrlichungslogik jedoch war, dass die Macht darüber zu einer Blackbox wurde. Mochte diese Machtbatterie der Foucault’schen Rhetorik dienen, so nur um den Preis einer gewissen Unlesbarkeit. Da ich meinerseits, beim Schreiben der Metamorphosen von Raum und Zeit, entschieden war, der Genealogie dieses Denkens nachzugehen, kamen lauter Dinge in den Blick, die damit nicht zusammengehen wollten, ja, die letztlich im diametralen Gegensatz zur Foucault’schen Erzählung standen. Denn während Foucault seine Geschichte im 17. Jahrhundert angesetzt hatte, war evident, dass der Begriff der Repräsentation bereits im 13. Jahrhundert eine auratische Aufladung erfahren hatte. Hatte man die repraesentatio zu Anfang, der scholastisch-religiösen Lesart folgend, als das Verzeichnis der geretteten Seelen im Buch des Lebens im Himmel aufgefasst, verblasste die religiöse Aura just in dem Maße, in dem sich irdische Instanzen an ihre Stelle setzten. War dieses Privileg am Anfang den mittelalterlichen Königen vorbehalten, so wurde mit der Geldtheorie des Nicole Oresme sichtbar, dass die Repräsentation auf die Stiftung eines allgemein verlässlichen Geldsystems, oder allgemeiner: einer monetären res publica hinauslief – oder dem, was man heute gern, abermals im Rückgriff auf die Malerei, einen Ordnungsrahmen nennt. Zwar versagten die mittelalterlichen Gemeinwesen, ihrer feudalen Ordnung wegen, darin, so ließ sich doch im Fortgang der Geschichte, in Jahresringen gleichsam, verfolgen, wie die Idee der Repräsentation im Privaten eine übermächtige Bedeutung annahm. Und genau dies war der Grund, warum ich in meinen Metamorphosen von Raum und Zeit eine präzise Analyse von Jan van Eycks Arnolfini-Hochzeit eingebaut hatte.

Nicht bloß, dass hier das erste Mal der Spiegel (der im Falle Foucaults der Hauptagent war) zum Gegenstand der Malerei wurde, zudem war bemerkenswert, dass man es hier mit dem ersten Bild in der Kunstgeschichte zu tun hatte, bei dem ein Maler sich selbst im Spiegel platziert, seine Unterschrift und ein Datum angebracht hatte: Johannes de Eyck fuit hic, 1432. Und weil auch der porträtierte Ehemann, Giovanni Arnolfini, seines Zeichen ein Geldwechsler war, war das ganze Setting zutiefst mit der symbolischen Ordnung des Geldes verwoben. Dass all dies bei Foucault nicht zur Sprache kam, sondern kategorisch der Macht subsumiert worden war, machte deutlich, dass er die dunkle Aura der Macht an die Stelle eines sich entwickelnden Gedankengebäudes gesetzt hatte – eine Logik, die mehr mit der Verschwörungstheorie des Herrn L. als mit der Geschichte der Repräsentation zu tun hatte. Dabei war der Sinn dieser intellektuellen Unterschlagung mit den Händen zu greifen. Auf diese Weise nämlich hatte sich Foucault all der Misslichkeiten entledigt, mit denen er sich ansonsten hätte herumschlagen müssen: der Frage der Religion, des Begehrens, der historischen Komplexität, die einen ursprünglich tabuisierten Gedankenkomplex zu einer Universalsprache hatte werden lassen. Wie hatte sich das Verzeichnis der geretteten Seelen im Buch des Lebens im Himmel zu einer irdischen Machtbatterie wandeln können? - das war die Frage, deren Beantwortung das Foucault’sche Werk schuldig blieb. Was mich jedoch am meisten irritierte, war der Umstand, dass sich Foucaults Ordnung der Dinge keinerlei Bezug auf jenen Text fand, dem sich sein ganzes Buch doch verdankte – und auf den ich beim Nachdenken über die Geschichte der Repräsentation gestoßen war. Es handelte sich dabei um einen kurzen Aufsatz von Ernst Cassirer, der Substanzbegriff und Funktionsbegriff betitelt war – und der den Ausgang zu seiner Philosophie der symbolischen Formen darstellte (welche wiederum Kunsthistoriker wie Ernst Panofsky in den Stand gesetzt hatten, die Logik der Zentralperspektive zu verstehen). In diesem Aufsatz war der von Foucault beschriebene Geisteswandel beschrieben: weg vom Substanzdenken der Antike und des Mittelalters, hin zum Funktionsbegriff der Neuzeit. Dass Foucault diesen Text, den er doch genau rezipiert hatte, einfach so unter den Tisch hatte fallen lassen, ließ einen leisen Zweifel an seiner Integrität aufkommen. Andererseits machte diese Unterschlagung deutlich, dass Foucault bei der Wahl zwischen Redlichkeit und Macht letzterer den Vorzug gegeben hatte. Und genau dies war es, woran sein Denken krankte: dass er in der Fixierung auf die dunkle Seite der Macht den Leser in einen gedanklichen Darkroom hinein führte, mit der Folge, dass das, was sein Denken aufzuklären verhieß, nicht erhellt wurde, sondern, im Gegenteil, zu einem Darkroom mutierte. Und dass hier, wie man weiß, vor allem der Fetischismus regiert.

Weil im Foucault’schen Denken die Macht das Alpha und Omega ist, der Anfang und das Ende, ist es kein Wunder, dass diese Philosophie ihre Apotheose in Benthams Panoptikum findet, diesem Turm, der unbemannt und herrenlos über der Gesellschaft thront. Und weil dies letztlich auf eine Form der Dystopie hinausläuft, einen Televisor Orwellscher Provenienz, begreift Foucault die Aufgabe des Theoretikers darin, die verborgene Logik dieses überwältigenden Machtpols zu dekonstruieren – auf eine ähnlich kühl und sezierende Art, wie sein verhasster Chirurgenvater seinen Geschäften nachzugehen pflegte. Wenn Foucault diesen intellektuelle Stil zur Meisterschaft gebracht hat, so ließ er Noam Chomsky, der mit ihm in ein Streitgespräch eingestiegen war, fassungslos zurück – und entlockte ihm das Geständnis, er habe noch niemals einen so amoralischen Menschen wie Foucault getroffen. Mag diese an den Tag gelegte Coolness als eine Maske intellektueller Unangreifbarkeit gewirkt haben, so verrät Foucaults Ausflug in das revolutionäre Iran des Ayatollah Khomeini, dass diese Form der intellektuellen Subversion mehr mit dem Unbehagen an der Moderne zu tun hat als an einer nüchternen Vivisektion. Denn Foucault, der sich urplötzlich in der Situation eines Journalisten, ja, eines Zeitzeugen wiederfand, wurde ganz offenkundig von den Geschehnissen selbst mitgerissen, in einem solchen Maße, dass er enthusiasmiert von einer spirituellen Revolution sprechen konnte. Denn das, was sich dort abspielte, richtete sich gegen eine Moderne, die, wie Foucault selbst anmerkte, für jedermann zu einer Last geworden war. Hat man diesen zutiefst antimodernen Grundzug vor Augen, wird verständlich, warum Foucault sich wenig später – mit einiger Sympathie – dem Neoliberalismus zuwenden konnte. Und dies nicht, weil er plötzlich sein Herz für die Ökonomie entdeckt hatte, sondern weil er die Privatisierungslogik (das unfriedly takeover) als eine Form des ökonomischen Vatermords begriff, eine Bewegung, mit der sich das Individuum aus dem Korsett der Repräsentation befreien konnte. Mit diesem Zug ist der Schritt zu seinem Spätwerk vorgeprägt. Tatsächlich muss Foucault seiner Fixierung auf die Macht und ihre Fetische überdrüssig geworden sein – gibt es jene sonderbare Hinwendung zu den Technologien des Selbst, die er in seinem Spätwerk „Sexualität und Wahrheit“ verhandelt. Aber auch hier steht, auf sonderbare Weise, die Fixierung auf die Macht der Erkenntnis im Weg. Folglich konnte Foucault, bereits AIDS-infiziert, die Geschichte der griechischen Pädophilie nicht als eine Form des Begehrens lesen, sondern nun als Machtspiel und Disziplinierung – womit er seiner Thematik, dem Überwachen und Strafen treu bleibt. Nun wäre dies eine Thematik, die man getrost einem Biographen überlassen könnte – wenn, ja, wenn nicht das Foucault’sche Gedankengebäude die Köpfe aller erdenklichen Zeitgenossen erobert hätte. Dass dies geschehen ist und nun neben Benthams Panoptikum die Gedankenfigur eines gleichsam kopflosen wie perversen Machtdispositivs die Köpfe beherrscht (das, was man heutzutage unter dem Rubrum der Toxizität zu inkriminieren sich angewöhnt hat), ist eine Merkwürdigkeit ersten Ranges. Folglich hat man es nicht mehr mit der persönlichen Idiosynkrasie, dem Vaterhass und der Coolness eines singulären Denkers zu tun, sondern mit einem Darkroom im Kingsize-Format. Aus diesem Grunde ist die Frage, worin denn die Stärken, aber auch die Grundfehler des Foucault’schen Denkens liegen, von höchster, auch politischer Dringlichkeit – umso mehr, als die zeitgenössischen Theoretiker, die sich des Foucault’schen Dispositivs bedienen, sich nur auf höchst oberflächliche Weise mit ihrem Stichwortgeber auseinandergesetzt haben. Dabei läge mir nichts ferner als jene Verteufelung, die Foucault als Kulturmarxisten brandmarkt und für die Exzesse des woken Zeitgeistes verantwortlich macht. Denn wenn Foucault ein Verdienst hat, so liegt es darin, dass er, vielleicht stärker noch als Cassirer, deutlich gemacht hat, dass es symbolische Formen sind, die unser Weltverständnis prägen – und dass ihre Selbstevidenz ein dunkles Geheimnis birgt. Was ihm anzulasten ist, ist, dass er diesen tiefen Gedanken nicht zu Ende gedacht hat – und damit seinen selbstgewählten Anspruch, eine Archäologie des Wissens vorzulegen, verraten hat. In diesem Sinn sind es die Foucault’schen Unterlassungssünden, die sich fatal auf seine intellektuelle Nachhut auswirken: dass er die Macht als Fetisch und Ready made begreift, aber es peinlichst vermeidet, ihre Genealogie in Augenschein zu nehmen. Und so wandelt sich, was eine Form der Aufklärung über das kollektive Unbewusste hätte sein können, zu einer Form des Obskurantismus: zum Darkroom des Monsieur Foucault. Mag davon eine gewisse Faszination ausgehen, so hält diese nur solange an, als man diesen Raum nicht betritt – und? Naja, was soll man schon tun? Man schaltet das Licht ein – und landet in einer Welt, die ganz anders ausschaut: voilà!

©ex nihilo, exc. 2024

Postscriptum

Gelegentlich, wenn ich ein Schnitzel auf meinem Teller habe, denke ich an Herrn L. - und wie er mir den Zusammenhang von Wahnsinn und Gesellschaft auseinandergelegt hat. Und wer weiĂź: Vielleicht es vor langer, langer Zeit, als man den catasto und die Steuerpflicht in die Welt gesetzt hat, einen Weltgeist gegeben, der die perfide Logik von Schlachthaus und Betablocker ersonnen hat. Na denn. Guten Appetit!

Share


Themenverwandt

Subscribe now