"Der Sozialismus ... hat unwiderruflich gesiegt", sagte die 61jährige Margot Honecker noch im Juni 1989 im Palast der Republik. Wenige Wochen später begann die Massenflucht vor allem junger Menschen aus der DDR. Die Ära Honecker ging zu Ende und mit ihr der erste sozialistische Staat auf deutschem Boden. Mehr als zwei Jahrzehnte prägten die Honeckers den sogenannten Staatssozialismus der DDR. Dabei verloren sie zunehmend den Kontakt zum Volk und verweigerten sich der Reformpolitik von Michail Gorbatschow. Im Winter 1989 wurden sie zum Rücktritt gezwungen. Von Renate Eichmeier (BR 2019)
"Der Sozialismus ... hat unwiderruflich gesiegt", sagte die 61jährige Margot Honecker noch im Juni 1989 im Palast der Republik. Wenige Wochen später begann die Massenflucht vor allem junger Menschen aus der DDR. Die Ära Honecker ging zu Ende und mit ihr der erste sozialistische Staat auf deutschem Boden. Mehr als zwei Jahrzehnte prägten die Honeckers den sogenannten Staatssozialismus der DDR. Dabei verloren sie zunehmend den Kontakt zum Volk und verweigerten sich der Reformpolitik von Michail Gorbatschow. Im Winter 1989 wurden sie zum Rücktritt gezwungen. Von Renate Eichmeier (BR 2019)
Credits
Autorin: Renate Eichmeier
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Katja Amberger, Rahel Comtesse, Peter Lersch
Technik: Lydia Schön-Krimmer
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Dr. Stefan Wolle
Anmerkung der Redaktion:
Bis heute gibt es keine exakte Zahl der Todesopfer an der innerdeutschen Grenze bzw. der Berliner Mauer. Nähere Informationen und Angaben zu den Zahlen erhalten Sie HIER.
Ein besonderer Linktipp der Redaktion:
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Deutschlandfunk Kultur: Die Geschichte geht weiter - Victor Klemperers TagebĂĽcher 1918 - 1959
Victor Klemperer hat in seinen Tagebüchern die großen Umbrüche notiert – von der Weimarer Republik über die Nazi-Zeit bis zum ersten Jahrzehnt der DDR. Host und Historikerin Leonie Schöler nimmt uns in diesem Podcast mit in die Welt eines deutschen Zeitzeugen. ZUM PODCAST
Linktipps:
ARD History (2009): Besuch bei Margot Honecker
Spurensuche in Chile: Seit 1992 lebt hier Margot Honecker im Exil. Die Frau des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker war einst die mächtigste Politikerin der DDR - heute wohnt sie zurückgezogen in einem Haus im noblen Vorort von Santiago, verschanzt hinter hohen Mauern. Was denkt die heute 82-Jährige über die DDR und den Fall der Mauer? NDR-Autorin Christine Adelhardt hat Freunde und Weggefährten besucht und versucht, mit Margot Honecker ins Gespräch zu kommen. Ihre Erkenntnis: Auch Jahrzehnte nach dem Ende der DDR findet sich bei ihr keine Einsicht. JETZT ANSEHEN
Deutschlandfunk Kultur (2017): Wo die DDR-Elite wohnte
In der DDR-Siedlung Wandlitz lebte die politische DDR-Elite, abgeschottet vom Rest des Volkes. Kaum einer durfte hier rein – und so hielten sich beständig Gerüchte von Luxuspalästen und goldenen Wasserhähnen. Nun ist die DDR-Elitesiedlung unter Denkmalschutz gestellt worden. Zum Beitrag geht es HIER.
Und hier noch ein paar besondere Tipps fĂĽr Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.Â
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:
TC 00:15 - Intro
TC 06:04 - Erich
TC 09:14 - Margot
TC 11:06 – Außereheliche Pfade
TC 14:03 -Â Kronprinz der DDR
TC 18:04 – Die Honecker-Ära
TC 23:20 – Outro
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
TC 00:15 - Intro
MUSIK
SPRECHER:Â
Margot habe ihn fasziniert, weil sie ein hübsches junges Mädel war, sagte Erich Honecker einmal in einem Interview. Und weil sie sehr aktiv war in der kommunistischen Bewegung.
SPRECHERIN:
Und Margot Honecker meinte rĂĽckblickend, Erich habe ihr gefallen, weil er ein guter Kamerad war, er sei sehr spontan und liebevoll gewesen.
ERZĂ„HLERIN:
Erich und Margot Honecker lernten sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Halle an der Saale kennen. Der Faschismus war besiegt. Europa lag in Trümmern. Erich und Margot stürzten sich euphorisch in die kommunistische Jugendarbeit, wollten dabei sein beim Aufbau einer neuen sozialistischen Gesellschaft unter der Direktive der mächtigen Sowjetunion und ihres "großen Führers" Stalin. Über ihre politische Arbeit kamen sich die beiden näher. Erich Honecker war Vorsitzender der FDJ, der Freien Deutschen Jugend. Margot war dort ebenfalls Funktionärin und trat bei der Gründung der DDR im Oktober 1949 zum ersten Mal ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Fotos zeigen die 22-Jährige glücklich strahlend neben dem Spitzenkommunisten Wilhelm Pieck, den sie im Namen der Jugend einen Blumenstrauß überreichte und ihm zu seiner Wahl zum ersten Präsidenten der Deutschen Demokratischen Republik gratulierte.
MUSIK
Vier Jahrzehnte später hatte sich das Szenario grundlegend geändert. Erich und Margot Honecker, mittlerweile ins Machtzentrum der sozialistischen DDR aufgestiegen, standen an ihrem politischen Ende. Der Historiker und wissenschaftliche Leiter des DDR-Museums in Berlin Dr. Stefan Wolle:
O1 WOLLE 14''
Insgesamt war ja das gesamte kommunistische Lager, das Herrschaftssystem der Sowjetunion war ja vollkommen brĂĽchig geworden, und es war bloĂź die Frage eigentlich, kann man im Nachhinein sagen, in welcher Form es zusammenbricht.
MUSIK
ERZĂ„HLERIN:
6. und 7. Oktober 1989: Die Führungselite der DDR feierte den 40. Jahrestag der sozialistischen Staatsgründung. Auf dem Alexanderplatz riefen tausende Demonstranten: "Gorbi! Gorbi, hilf uns! Gorbi, hilf uns!" Gemeint war damit der sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow, der als Ehrengast zu den Feierlichkeiten in Ostberlin eingeladen war. Die innenpolitische Lage der DDR war angespannt. Das sozialistische Machtsystem unter dem 77-jährigen Erich Honecker wankte. Seit Wochen flohen DDR-Bürger und Bürgerinnen über Ungarn und die Tschechoslowakei in den Westen. Nicht nur in Ostberlin, auch in Leipzig, Halle und anderen ostdeutschen Städten kam es zu Protesten.
Zusp.: O-Ton Erich Honecker - W0328587
Den Sozialismus – so sagt man bei uns immer – in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.
ERZĂ„HLERIN:
Hatte Erich Honecker noch im August 1989 gesagt.
SPRECHERIN:
Und Margot hatte verkündet, dass der Sozialismus (…) unwiderruflich gesiegt habe und es niemandem gelingen werde, das Rad der Geschichte zurückzudrehen.
ERZĂ„HLERIN:
Das war Mitte Juni 1989, als unter ihrer Leitung im Palast der Republik der IX. Pädagogische Kongress der DDR stattfand. Als Ministerin für Volksbildung hatte sie ihn von langer Hand vorbereiten lassen – mit dem Ziel, öffentlich die Errungenschaften der sozialistischen Bildungspolitik zu demonstrieren. Fast zeitgleich war der sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow auf Staatsbesuch in Westdeutschland. "Gorbi! Gorbi! Gorbi!" skandierten auch dort Tausende.
Die Reformpolitik von Gorbatschow nährte die Hoffnung auf eine Öffnung des sozialistischen Ostblockes, auf ein Ende des jahrzehntealten Ost-West-Konfliktes
MUSIK
…In Westdeutschland als Politstar gefeiert, von der ostdeutschen Bevölkerung als Reformer begrüßt, begegnete ihm die sozialistische Führungsriege der DDR unter Erich Honecker mit Ablehnung. Mit starrem Gesicht hatte Margot Honecker auf dem Pädagogischen Kongress im Palast der Republik verkündet, dass –
SPRECHERIN:
mancher, der das weit von sich weisen würde, sich mit den Gegnern des Sozialismus zusammengetan habe. Und sie verstieg sich zu der Forderung, dass unsere Zeit eine Jugend brauche, die kämpfen könne, die den Sozialismus stärken helfe, die für ihn eintrete und ihn verteidige mit Wort und Tat und, wenn nötig, mit der Waffe in der Hand.
ERZĂ„HLERIN:
Wenige Wochen nach der skurrilen Rede von Margot Honecker begann die Massenflucht vor allem junger Menschen aus der DDR und leitete das Ende der Ära Honecker und das Ende des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden ein. Lange Jahre hatten Erich und Margot Honecker den sogenannten Staatssozialismus der DDR geprägt: mit zunehmender Härte und wachsendem politischem Starrsinn. Erich Honecker war als Staats- und Parteichef zum mächtigsten Mann des DDR-Regimes aufgestiegen. Die 15 Jahre jüngere Margot setzte ab 1963 als Ministerin für Volksbildung innovative Konzepte wie polytechnische Bildung und Ganztagsbetreuung durch, aber auch umstrittene Maßnahmen wie den Wehrkundeunterricht.
MUSIK
SPRECHERIN
Der beste Freund des deutschen Volkes solle leben, der Freund aller jungen Menschen, der groĂźe Stalin.
TC 06:04 - Erich
ERZĂ„HLERIN
Aufnahmen Anfang der 1950er Jahre zeigen die junge Margot Feist bei FDJ-Veranstaltungen: Sie ist Anfang 20, ein hĂĽbscher Lockenkopf in blauer FDJ-Uniform, eine strahlende Sozialistin, eine mitreiĂźende Rednerin, eine, der man glaubt, was sie sagt. Nicht selten ist neben ihr Erich Honecker zu sehen, ein gutaussehender Mann, Mitte 30, ebenfalls in FDJ Uniform, ebenfalls einer, der Begeisterung fĂĽr den Sozialismus ausstrahlt.
MUSIK
Erich und Margot stammten aus Arbeiterfamilien, waren in kommunistischen Elternhäusern groß geworden und hatten den Terror der NS-Zeit am eigenen Leib erfahren. Margots Vater war jahrelang in Gefängnissen und Konzentrationslagern eingesperrt. Erich Honecker schmuggelte kommunistisches Propagandamaterial nach Nazideutschland, bis er 1935 von der Gestapo verhaftet wurde. Er war 23 Jahre alt und verbrachte 10 Jahre im Gefängnis, die meiste Zeit davon im Zuchthaus Brandenburg. 1945 war der Krieg zu Ende, die Nazis besiegt, viele Städte zerstört, Millionen Menschen ermordet ... Erich Honecker war 32 Jahre alt, als russische Soldaten der Roten Armee ihn befreiten.
O2 Wolle 19''
Er hat sich dann nach Berlin begeben, wo die ersten kommunistischen Emissäre aus Moskau angekommen waren und hat sich denen zur Verfügung gestellt. Und die waren da sehr glücklich, da einen relativ jungen Mann zu bekommen mit Erfahrung in der Jugendarbeit. Und er hat dann sehr schnell die Leitung der Freien Deutschen Jugend übernommen.
ERZĂ„HLERIN
So der Historiker und DDR Spezialist Stefan Wolle. Trotz der langen Jahre im Gefängnis konnte Erich Honecker Erfahrungen in der kommunistischen Funktionärsarbeit vorweisen. 1912 im Saarland geboren, war er bereits als Kind in einer kommunistische Kindergruppe, wechselte später in die Jugendorganisation der kommunistischen Partei KPD, übernahm organisatorische Aufgaben und stieg schnell in Funktionen von überregionaler Bedeutung auf. Er fing zwar eine Dachdeckerlehre an, brach diese aber ab, als er 1930 als vielversprechender Nachwuchskader auf die Lenin-Schule der Kommunistischen Internationale in Moskau geschickt wurde. Erich Honecker war also bestens geeignet für den Posten der FDJ Leitung.
O3 Wolle 42''
Die Freie Deutsche Jugend war nicht von Anfang an eine kommunistische Organisation, sondern sie legte großen Wert auf ihre angebliche – muss man jetzt mal sagen – angebliche Überparteilichkeit, das heißt, in dem Leitungsgremium der FDJ, dem Zentralvorstand, waren auch Sozialdemokraten anfangs und einige bürgerliche und christliche Politiker. Aber die Kommunisten hatten natürlich alles in der Hand. Und da war Erich Honecker von Anfang an ein getreuer Erfüllungsgehilfe der Weisungen der Partei, und hat das auch von Anfang an alles da durchgepeitscht, was die SED, also erst die Kommunistische Partei, dann die zur SED zusammengeschlossene Führungspartei, angeordnet hat.
TC 09:14 - Margot
MUSIK
SPRECHERIN:
Ihre Mutter habe immer gesagt, Kommunisten seien die besseren Menschen, erzählte Margot Honecker später.
ERZĂ„HLERIN:
Als Hitler 1933 an die Macht kam, war Margot vier Jahre alt. Ihre Kindheit und Jugend waren geprägt von Armut und Angst: Hausdurchsuchungen durch die Gestapo, Verhaftungen des Vaters, Druck auf die Mutter.
SPRECHERIN:
Zu einer Überzeugung, zu einer Sache müsse man stehen, ob das zur Familie sei, ob das zu unserer, der kommunistischen Sache sei, das habe ihre Mutter gesagt –
so Margot Honecker später in einem Interview. Vor allen Dingen dürfe man sich nicht kleinkriegen lassen.
MUSIK
ERZĂ„HLERIN:
Als ihre Mutter an einer versuchten Abtreibung starb, war Margot 13. Sie übernahm den Haushalt, kümmerte sich um ihren jüngeren Bruder und unterstützte trotz ihrer Jugend die illegale Arbeit der KPD. Mit dem Ende von Naziterror und Krieg begann für die 18-jährige Margot 1945 eine Zeit der euphorischen politischen Arbeit. Ihren Wunsch, Lehrerin zu werden, gab sie auf Drängen der Partei auf. Sie konzentrierte sich auf ihre Funktionärskarriere und stieg in der FDJ zielstrebig zur Vorsitzenden der Kinderorganisation "Junge Pioniere" auf. Die Genossen beschrieben Margot als lebendig, freundlich, kameradschaftlich, als ein attraktives Mädchen mit großer Ausstrahlung – das auch dem gutaussehenden FDJ-Vorsitzenden Erich Honecker auffiel, der in der Aufbruchsstimmung jener Jahre durchaus charmant und eloquent sein konnte. Im Dezember 1949 reisten Erich und Margot als FDJ-Repräsentanten gemeinsam mit einer Delegation nach Moskau zur Feier von Stalins 70. Geburtstag.
TC 11:06 – Außereheliche Pfade
MUSIK
SPRECHER:
Das sei natürlich für sie beide ein großes Erlebnis gewesen, erinnerte sich Erich Honecker später: Festveranstaltung im Bolschoitheater, Stalin und Mao Tse Tung auf der Bühne, später dann die Geburtstagsfeier im Kreml. Eine große Gemeinschaft sei das gewesen. Alle hätten auf das Wohl Stalins getrunken, auf weitere Erfolge der kommunistischen Weltbewegung.
MUSIK
ERZĂ„HLERIN:
Irgendwann in dieser Zeit kamen sich Margot Feist und Erich Honecker näher: begeistert von Stalin, gehorsam gegenüber der Partei, klassen- und karrierebewusst. Doch als Erich die Affäre mit Margot begann, war er bereits verheiratet: mit Edith Baumann, seiner Stellvertreterin im FDJ Vorstand.
O4 WOLLE 39''
Das war das große Problem, denn das war nicht üblich in den Führungszirkeln der SED, dass man da irgendwie auf außerehelichen Pfaden wandelte. Das war strengstens untersagt. Die Partei war damals noch sehr puritanisch und sehr auf – ja, was sie selbst Moral, Sitte und Anstand nannten – ausgerichtet und es bedurfte dann einer speziellen, ja fast, Erlaubnis von Walter Ulbricht, dass sich hat Erich Honecker scheiden lassen und hat dann eben Margot Honecker geheiratet. Da gab es auch schon ein Baby.
ERZĂ„HLERIN:
Walter Ulbricht war Chef der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, bei der alle Macht in der DDR lag. Unter dem Druck der Sowjets war er dafür verantwortlich, Partei und Gesellschaft der neu gegründeten DDR auf stalinistischen Kurs zu bringen und weltanschauliche Abweichungen in allen Lebensbereichen auszuschalten. Für die Affäre seines FDJ-Vorsitzenden Erich Honecker zeigte er wenig Verständnis. Er stellte sich auf die Seite von Erichs Frau Edith Baumann, die sich hilfesuchend an ihn gewandt hatte. Mitglieder der FDJ schilderten, wie Erich Honeckers Führungsstil sich in dieser Zeit veränderte: Er wurde zunehmend verschlossen und autoritär, ließ sich auf keine Diskussionen mehr ein und berief sich im Zweifelsfall auf Walter Ulbricht und das Politbüro. Im privaten Bereich wagte er aber, sich gegen die Partei zu stellen, und entschied sich für Margot. Bis die beiden heiraten konnten, sollten allerdings einige Jahre vergehen.
O5 WOLLE 32''
Das Pärchen Margot und Erich haben das dann auch gegen alle Widerstände durchgesetzt, und er wäre wohl auch bereit gewesen, zugunsten seiner geliebten Margot auf seine politische Karriere zu verzichten. Das war wirklich was Besonderes: Er hat es riskiert. Andere sind über solche Sachen wirklich gestolpert und von der Karriereleiter runtergefallen. Honecker nicht so.
TC 14:03 -Â Kronprinz der DDR
ERZĂ„HLERIN:
Als überzeugter Stalinist wurde er 1950 Mitglied im Zentralkomitee, dem obersten Gremium der SED. Der Kreml drängte auf eine Umsetzung von Stalins Richtlinien: Enteignung und Kollektivierung sollten forciert werden, ebenso der Aufbau von Produktionsgenossenschaften, die Ausschaltung politischer Gegner … Gemeinsam mit Margot verstärkte Erich Honecker den Kampf der FDJ gegen kirchliche Jugendgruppen. Die Unruhe in der Bevölkerung nahm zu. Es kam zu Versorgungsengpässen. Viele flüchteten in den Westen. Am 17. Juni 1953 kam es in Ostberlin und anderen Städten der DDR zu Protesten, die von sowjetischen Panzern niedergeschlagen wurden. Da tausende FDJ-Mitglieder die Demonstrationen unterstützt hatten, gerieten Erich Honecker und Margot Feist als führende FDJ-Funktionäre in die Kritik. Beide waren auf einem Tiefpunkt ihrer Karriere. Obwohl Erich immer noch nicht geschieden war, lebten sie bereits zusammen. 1952 hatte Margot die gemeinsame Tochter Sonja bekommen. Politisch geschwächt und mit einem immer noch ungeordneten Privatleben mussten die beiden sich die Maßregelungen der Partei gefallen lassen. Margot musste eine einjährige Trennung von ihrer kleinen Tochter in Kauf nehmen.
SPRECHER:
Aufgrund von Intrigen, die er nicht habe verhindern können, so Erich Honecker, sei Margot per Parteibeschluss 1953 für ein Jahr auf die Jugendhochschule in Moskau geschickt worden.
ERZĂ„HLERIN
Es sollte einige Jahre dauern, bis die Karriere der Honeckers wieder ins Laufen kam. Nach Erichs Scheidung konnten die beiden endlich heiraten.
Und als Margot 1954 aus Moskau zurückkam, durfte sie ihre Tätigkeit bei der FDJ zwar nicht mehr aufnehmen. Nach einigem Hin und Her bekam sie aber die Leitung der Lehrerbildung im Ministerium für Volksbildung übertragen – und nutzte die Chance: Sie arbeitete sich schnell ein, suchte sich politisch verlässliche Mitarbeiter und baute ihre Macht aus. 1958 wurde sie stellvertretende Ministerin für Volksbildung – und Erich Honecker der verantwortliche Sekretär für Sicherheit.
O6 WOLLE 45''
Das ist eine ganz wichtige und zentrale Position gewesen, etwas im Hintergrund. Er war nicht mehr so exponiert wie als FDJ-Chef und war dann eben auch wirklich im Politbüro, das heißt im Kreis der ganz mächtigen Leute, als so eine Art Schildknappe von Walter Ulbricht – muss man schon sagen. Er hat auch Walter Ulbricht die Treue gehalten, als die Position des Generalsekretärs zur Disposition stand zweimal 1953 und 1956. Da wäre Ulbricht also fast gestürzt worden, aber Erich Honecker hat ihm bis dahin immer treu zur Seite gestanden, ist dafür gewissermaßen auch belohnt worden und hat dann die folgenden Jahre als eine Art Kronprinz im Hintergrund agiert.
MUSIK
ERZĂ„HLERIN:
Anfangs lebten die Honeckers noch in Berlin Pankow, umgeben von Nachbarn und Freunden, mit denen sie mal Skat spielen oder ein Bier trinken konnten. 1960 mussten sie wie alle Mitglieder des Politbüros in die neu gebaute Siedlung Wandlitz umziehen. Das Gelände lag in der Nähe von Bernau etwa 40 Fahrminuten nördlich von Berlin, umgeben von einer Mauer, bewacht vom Ministerium für Staatssicherheit, ausgestattet mit einigem Komfort: Klubhaus, Schwimmbad, Hauspersonal, einem Laden mit hochwertigen Westprodukten und Waren, an denen es in der DDR mangelte wie frisches Obst und Gemüse.
Wandlitz sollte der Sicherheit des sozialistischen FĂĽhrungskaders dienen, bedeutete aber auch eine Ăśberwachung des Privatlebens, jedes Kommen und Verlassen der Siedlung, jeder Besuch wurde registriert.Â
TC 18:04 – Die Honecker-Ära
Die Proteste von 1953, die Unruhen in Ungarn 1956, die anhaltenden wirtschaftlichen Probleme der DDR, die weiterhin massenhafte Abwanderung nach Westdeutschland … 1961 fiel der Beschluss, die Grenzen nach Westen zu schließen – mit einem sogenannten "antifaschistischen Schutzwall", der Berliner Mauer. Als Sicherheitssekretär konnte Erich Honecker sich nun als politischer Hardliner profilieren: Er plante und organisierte den Mauerbau und befürwortete den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze. Die Karriere der Honeckers ging steil nach oben. Beide wussten sich in den Machtkämpfen innerhalb der SED durchzusetzen. 1963 wurde Margot "Genossin Minister für Volksbildung" – wie es im DDR Jargon hieß.
O7 WOLLE 33''
Das war also nicht unbedingt jetzt eine Folge der hohen Positionen, die ihr Mann hatte. Das war durchaus eine eigenständige politische Karriere, die sie da eingenommen hat seit 1963, war ein Teil einer sehr entschiedenen Modernisierung der Volksbildung, hatte zwar formal nicht die entsprechende Qualifikation: Sie hatte ja bloß die Volksschule besucht. Aber das machte in der DDR nichts. Wenn man die rechte politische Einstellung hatte, da konnte man über formale Qualifikationen sich hinwegsetzen.
ERZĂ„HLERIN:
Als Margot Honecker das Ministeramt übernahm, war sie Mitte 30 und brachte mit ihrem lockeren und angenehmen Führungsstil aus der Jugendarbeit frischen Wind ins Ministerium. Sie arbeitete intensiv und war kompetent. Unter ihrer Leitung wurde das Konzept der polytechnischen Bildung umgesetzt, ausgerichtet auf naturwissenschaftliche und technische Fächer, kombiniert mit einer Ausbildung. Währenddessen baute Erich Honecker seine Machtbasis aus und putschte sich mit sowjetischer Unterstützung 1971 an die Macht. Er zwang Walter Ulbricht zum Rücktritt, übernahm selbst zuerst die Funktion des Parteichefs, später dann auch die des Staatschefs.
O8 WOLLE 41''
Er hatte also alle Zügel der Macht in der Hand. Und die Jahre von 71 bis 89, die kann man mit Fug und Recht sozusagen als die Honecker-Ära bezeichnen, die bestimmte Charakteristika aufweist. Da ist zunächst zu nennen, eine noch engere Anschließung an die Sowjetunion, eine Wirtschaftspolitik, die sehr regressiv war. In dem Sinne, dass die mittelständischen Unternehmen, die es noch gegeben hat in der DDR und die auch noch eine große Rolle gespielt haben, eine positive Rolle. Die wurden ohne Not verstaatlicht, ziemlich gewaltsam, und mit sehr negativen Folgen für die ökonomische Situation der DDR.
ERZĂ„HLERIN:
Warum Erich Honecker das getan hat, ist umstritten. Er wollte wohl die Reste des kapitalistischen Systems beseitigen, während er gleichzeitig für soziale Verbesserungen sorgte, die allerdings nicht gegenfinanziert waren: höhere Löhne, höhere Renten, kürzere Arbeitszeiten. Ein kleiner kulturpolitischer Frühling endete 1976 mit der Ausweisung des Liedermachers Wolf Biermann und zerschlug die Hoffnungen auf eine gesellschaftliche Öffnung der DDR. Während in allen Bereichen Mangelwirtschaft herrschte, lebte die Führungselite abgeschottet in Wandlitz, politisch starrsinnig, misstrauisch gegenüber der eigenen Bevölkerung, misstrauisch auch einander gegenüber. Private Kontakte zwischen den Politbüromitgliedern gab es kaum. Die Staatssicherheit überwachte zeitweise sogar Margot Honecker. Es gab Gerüchte über Affären. Die Ehe der Honeckers kriselte, aber politisch waren sie sich immer einig. Die Reformpolitik von Michail Gorbatschow, der seit 1985 sowjetischer Parteichef war, lehnten beide ab, politisch und emotional immer noch Stalin verbunden, blind für dessen Verbrechen, blind auch für die Realität im eigenen Land. Margots Ministerium für Volksbildung entwickelte sich zu einer Hochburg der Reformverweigerer, während die Bevölkerung der DDR mit zunehmender Lautstärke protestierte. Der Historiker Stefan Wolle:
O9 WOLLE 21''
1989, als dann Gorbatschow hier in Berlin auftauchte und die sinnreichen Worte sprach: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben – hat er so nicht gesagt, aber es ist so sprichwörtlich geworden in der falschen Übersetzung, die dann verbreitet wurde. Das war sozusagen das Todesurteil für das Honecker-System.
MUSIK
ERZĂ„HLERIN:
Am 17. Oktober 1989 trat Erich Honecker zurück, einige Tage später seine Frau Margot. Die beiden verbrachten ihr Lebensende in Santiago de Chile. Erich Honecker starb 1994, seine Frau Margot 2016.
(Version mit Zusp.:) O-Ton Margot Honecker W0394272
"Ich bin auch immer mehr der Meinung, dass wir da ein Korn in die Erde gelegt haben, da wird der Samen aufgehen. Es war nicht umsonst, dass die DDR existiert hat."
MUSIK
ERZĂ„HLERIN:
Bis zum Schluss vertrat Margot Honecker in seltenen Interviews immer wieder die Meinung, dass der Sozialismus wiederkomme.
TC 23:20 – Outro