Pascal Kober wirkt nicht wie ein typischer Politiker – schon gar nicht wie ein typischer Bundestagsabgeordneter im schlagzeilenfreudigen Berlin: Er tritt zurückhaltend auf, spricht leise, bedacht und nimmt sich Zeit. Vielleicht waren genau das die Gründe, warum die Bundesregierung den FDP-Abgeordneten aus Reutlingen 2022 zum Bundesopferbeauftragten ernannte.
Seither kümmert sich der 53-Jährige um die Betroffenen von Terroranschlägen: unmittelbare Opfer, Tatzeugen, Ersthelfer und Angehörige – auch nach dem
Attentat von Solingen Ende August. "Die entscheidende Frage für meine Arbeit ist immer: Hat die Gewalttat ein politisches Motiv?" Diese Annahme habe sich am Tag nach der Tat in Solingen konkretisiert. "Als klar war, der Generalbundesanwalt übernimmt die Ermittlungen, habe ich entschieden, ich fahre sofort hin, ich bin zuständig."
Viele wissen nicht, welche Hilfe es gibt
Erste psychologische Hilfe bieten die Notfallseesorge und die Opferbetreuung der Polizei. Kober und sein neunköpfiges Team sind hingegen auch langfristig direkte Ansprechpartner und die Stelle, bei der die Fäden zusammenlaufen: "Wir haben ein psychosoziales Hilfetelefon angeboten. Da können wir vonseiten des Bundes 50 Leitungen, 24/7 für einen unbegrenzten Zeitraum bereitstellen mit professionellen Helfern, die die Nöte und Sorgen der Menschen aufnehmen." Es gehe auch darum, die Betroffenen zu informieren: "Oft wissen die Menschen nicht, welche Möglichkeiten es gibt und häufig wissen auch die Hilfssysteme wie die Unfallkassen nicht, wer betroffen ist."
Beim Umgang mit den Betroffenen sieht Kober noch Luft nach oben, gerade wenn es um Würde und Empathie geht. „Wir reden hier von Menschen, die vielfach schwer traumatisiert sind." Betroffenen würden gleichzeitig zu Personen der Zeitgeschichte, stünden damit in der Öffentlichkeit und im Interesse der Medien. Kober fordert: "Da muss man besondere Sensibilisierung an den Tag legen, wenn man mit den Betroffenen umgeht. Da ist noch einiges verbesserungswürdig."
"Nüchternheit des bürokratischen Prozesses führt zur Retraumatisierung"
Als Beispiel nennt Kober die aufwendigen Begutachtungen, in denen Menschen darlegen müssen, inwiefern sie betroffen sind, um überhaupt Hilfe zu erhalten. "Viele Betroffene empfinden es nicht immer als würdigend und empathisch, wenn sie das Gefühl haben, es wird infragestellt, dass es ihnen schlecht gehen könnte (...). Die Nüchternheit des bürokratischen Prozesses führt dann zu einer Entfremdung, zu einer Retraumatisierung und Entmutigung. Da würde ich mir wünschen, dass es mehr Sensibilität auf allen Seiten gibt."
Auch die laufende öffentliche Debatte, die seit Woche anhält, ist nicht für alle Betroffenen leicht auszuhalten. Zwar gibt es Menschen, denen die Diskussion über politische Konsequenzen guttut. "Manchen ist es eine Hilfe, dass der Staat jetzt handelt, mit Blick darauf, dass vielleicht so eine Tat möglichst nicht mehr geschieht", so Kober. Andre betrachteten die Diskussion aber sehr kritisch, wollten nicht, dass dadurch Menschen mit Migrationshintergrund unter Verdacht gestellt werden.
Traumatisierung ist heimtückisch
Kober selbst bringt für sein Amt Erfahrung mit: Der frühere Pfarrer hat bereits als Militärseelsorger gearbeitet und hat Soldaten bei ihrem Einsatz in Mali begleitet. Dadurch, erzählt er, habe er Erfahrung mit traumatisierten Menschen. "Traumatisierung ist heimtückisch. Symptome können mitunter erst Jahre später auftreten und zerstörerisch wirken."
Neben seinem Amt als Opferbeauftragter der Bundesregierung sitzt Pascal Kober für die FDP im Bundestag, kümmert sich um sozialpolitische Themen. Dass er als gläubiger Christ ausgerechnet in die FDP eingetreten ist, erklärt er mit seinem Menschenbild. Im evangelischen Christentum gehe es um die Wertschätzung des einzelnen Menschen. Der Einzelne habe einen Wert, nicht nur die Gesellschaft als Ganzes. Da sei auch die Philosophie des Liberalismus.
Bei konkreten politischen Themen der FDP stößt Kobers Glaube aber an Grenzen: Abtreibung, Eizellenspende oder Adoptionsrecht. "Ich bin in einzelnen Fragen durchaus anderer Meinung als die Mehrheit meiner Partei", erzählt Kober offen. Er hält das aber für kein großes Problem: "Was wir alle mal wieder lernen müssen in unserer Gesellschaft ist, dass es auch andere Meinungen gibt und dass wir den Streit durch Mehrheitsentscheidungen entscheiden und dann auch akzeptieren müssen." Für Kober steht fest: "Ich lebe ganz gut in einer Partei, in der die Mehrheitsmeinung eine andere ist."
"Es gibt ein Leben nach der Politik"
Dass seine Partei in Umfragen gerade unter der Fünf-Prozent-Hürde dümpelt, besorgt den Abgeordneten aus Reutlingen nicht. "Eine Eigenschaft unserer Wähler ist, dass sie sich relativ spät zu uns bekennen." Und falls es doch nicht klappt, hat er ein Rückkehrrecht zu seinem alten Arbeitgeber, der evangelischen Kirche. "Es gibt ein Leben nach der Politik und darauf freue ich mich auch. Wobei ich im Moment sehr gerne Politiker bin und als Politiker auch sehr gerne Bundesopferbeauftragter."