Fernab der einst bekannten Welten entwickelte sich um Christi Geburt auf den Kanaren eine rätselhafte Kultur. Die ersten Bewohner der Inseln im Atlantik scheinen weder über seetaugliche Boote noch über Kenntnisse der Schifffahrt verfügt zu haben. Wie aber waren sie dann auf die Inseln mitten im Meer gekommen? - Nur eines der vielen spannenden Rätsel rund um die Ur-Kanaren, die Guanchen. Von Lukas Grasberger (BR 2024)
Fernab der einst bekannten Welten entwickelte sich um Christi Geburt auf den Kanaren eine rätselhafte Kultur. Die ersten Bewohner der Inseln im Atlantik scheinen weder über seetaugliche Boote noch über Kenntnisse der Schifffahrt verfügt zu haben. Wie aber waren sie dann auf die Inseln mitten im Meer gekommen? - Nur eines der vielen spannenden Rätsel rund um die Ur-Kanaren, die Guanchen. Von Lukas Grasberger (BR 2024)
Credits
Autor: Lukas Grasberger
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Christian Baumann, Carsten Fabian, Katja Schild, Jennifer GĂĽzel
Technik: Matthieu Belohradsky
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Dr. Teresa Delgado, Prof. Harald Braem, Dr. Rosa Fregel, Dr. José Ignacio Sáenz
Linktipps:
Deutschlandfunk Kultur (2012): Eine Insel verlässt sich auf sich selbst
Auf den Kanarischen Inseln gedeihen Pläne und erste Projekte, den Anteil sauberen Ökostroms zu erhöhen. Die kleinste Insel der Kanaren, El Hierro, geht dabei sehr weit: Die abgeschiedene, windumtoste Vulkaninsel will sich von diesem Jahr an zu hundert Prozent mit Wind- und Wasserkraft versorgen. ZUM BEITRAG
WDR (2024): Teneriffa & Co. – Macht der Massentourismus die Kanaren kaputt?
Millionen von Menschen zieht es jedes Jahr auf die Kanaren. Obwohl der Tourismus der wichtigste Wirtschaftszweig für die Urlaubsinseln ist, bringen die Urlauber auch einige Probleme mit sich. Deshalb protestieren im Frühjahr 2024 rund 57.000 Menschen auf Teneriffa, Gran Canaria und an vielen anderen Orten gegen den Massentourismus. Die größte Forderung: Mehr Wohnraum und günstigere Preise. Aber auch für eine bessere Wasserversorgung, eine Obergrenze für Touristen und für mehr Umweltschutz protestierten viele Einheimische. Die ARD-Korrespondentin Kristina Böker erzählt, wie es den Menschen vor Ort geht, welche Rolle der Tourismus für die Einheimischen spielt und auf wen die Menschen tatsächlich wütend sind. JETZT ANHÖREN
Und hier noch ein paar besondere Tipps fĂĽr Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
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Timecodes (TC) zu dieser Folge
TC 00:15 - Intro
TC 02:36 – Genetische Vielfalt
TC 06:13 – Eine Frage und zwei Thesen
TC 11:14 - Höhlenfunde
TC 13:38 – Rätsel über Rätsel
TC 18:34 – Der Streit um Pyramiden
TC 21:45 – Outro
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
TC 00:15 - Intro
MUSIK & ATMO Strandpromenade, Meeresrauschen
Sprecher
Touristen schlendern über die Strandpromenade von Maspalomas auf Gran Canaria. Einige schlürfen Eis, andere lassen den Blick über den tiefblauen Atlantik streifen. Für die ovale Steinformation zu ihren Füßen, ein paar Meter strandwärts, scheinen sich die meist deutschen Urlauber kaum zu interessieren. Ganz anders die kanarische Archäologin Teresa Delgado. Für Forschende wie sie sind die Spuren derjenigen, die bereits ein paar Tausend Jahre vor den Touristen auf die Insel kamen, ein spannendes Rätsel - das sie nur nach und nach zu lösen lernen.
O-Ton 1 Dr. Teresa Delgado, Konservatorin am Museo Canario, Las Palmas, span.
Voice Over weiblich
„Das sind Reste einer Siedlung, wie sie für die Ureinwohner der kanarischen Inseln typisch war. Damals boomte die Bevölkerung auf Gran Canaria, ihre Kultur blühte. Menschen, die seinerzeit in Berg-Höhlen lebten, zogen an die Küsten. Die Gesellschaft war im Aufbruch: Vormalige Viehzüchter entwickelten ihre Fähigkeiten im Ackerbau - und begannen auch den Ozean intensiv auszubeuten.“
Â
Sprecher
In den Ruinen von „Punta Mujeres“ fanden die Archäologen Hinterlassenschaften, die auf einen reichhaltigen Fischkonsum der ersten Bewohner Gran Canarias hindeuteten. Doch da war eine Sache, die die Forscher bald ins Grübeln bringen sollte...
O-Ton 2 Delgado
Voice Over weiblich
„Bei dieser und anderen Ausgrabungen haben die Archäologen nie Gräten oder Köpfe von Hochsee-Fischen gefunden. Die ersten Bewohner der Inseln haben wohl nur an oder nahe der Küste gefischt. Darauf, dass sie das ohne Boote taten, weist eine besondere Ohrerkrankung hin, die man in Schädeln der Urkanarier gefunden hat. Diese hatten einen Tumor im Hörkanal, der bei häufigem Kontakt mit kaltem Wasser entsteht – etwa, wenn man am Ufer nach Meerestieren taucht. Auch hat man bei Ausgrabungen nie Überbleibsel von Schiffen entdeckt. In der Gesamtschau verleitet uns das zu dem Schluss, dass die frühen Bewohner der Inseln weder über Boote, noch über Fähigkeiten der Navigation verfügt haben dürften.“
MUSIK & ATMO Meeresrauschen
Sprecher
Wie aber waren die ersten Siedler dann auf die kanarischen Inseln gekommen – und warum? Und: Falls sie doch eigene Boote hatten: Weshalb hatten sie sich überhaupt auf die lebensgefährliche Überfahrt übers offene Meer, in unbekannte Gefilde, begeben?
TC 02:36 – Genetische Vielfalt
Sprecher
Vieles zur Herkunft und Lebensweise der kanarischen Ureinwohner erscheint uns heute, gut 500 Jahre nach der endgĂĽltigen Einnahme der Inseln durch die Spanier, geheimnisvoll. Die iberischen Eroberer haben die Guanchen, Canarios, Majos und Majoreros, die Gomeros, Bimbaches und die Benahoaritas gnadenlos ausgerottet. Deren Kultur und Zivilisation versank im Dunkel der Geschichte.
MUSIK
Grabungs-Funde haben nachgewiesen, dass das mediterrane Seefahrer-Volk der Phönizier bereits im zehnten Jahrhundert vor Christus einen Fuß auf die Insel Lanzarote setzte. Später kamen die Römer. Doch beide waren keine Siedler, betont die Archäologin Teresa Delgado: Es waren wenige Menschen, die dort saisonal Stützpunkte für den Handel, etwa mit Purpur, betrieben. Die Urkanarier, das erste Volk, das die Inseln im Atlantik dauerhaft besiedeln sollte, waren andere...
O-Ton 3 Delgado
Voice Over weiblich
„Die erste nachhaltige Besiedlung der Inseln fand durch Berber-Völker aus dem Nordwesten Afrikas statt. Darauf deuten auch die jüngsten Untersuchungen von Spuren alten Erbguts hin.“
O-Ton 4 Dr. Rosa Fregel, Genforscherin, Universidad de La Laguna, Teneriffa, span.
Voice Over weiblich
„Nach unseren genetischen Analysen waren die ersten dauerhaften Bewohner der Kanaren Berber, die aus dem Norden Afrikas stammen.“
SprecherÂ
...bestätigt die Forscherin Rosa Fregel von der Universität von La Laguna auf Teneriffa. Die Biologin untersuchte mit ihrer Arbeitsgruppe das Erbgut von 48 Menschen, deren Überreste Archäologen an verschiedenen Orten der Inseln ausgegraben hatten. Die alten Erbgutspuren verraten, dass die Ur-Kanarier offenbar in zwei Wellen übers Wasser kamen: In Fregels Analysen zeigte das Erbgut der ersten Bewohner der östlichen Kanareninseln Lanzarote, Fuerteventura und Gran Canaria einen größeren europäischen Einschlag - während bei den westlicher gelegenen der Anteil an nordafrikanischen Genen überwog. Und: Es war kein homogenes Berber-Volk, das da aus Nordafrika auf das Atlantik-Archipel gelangte.
O-Ton 5 Fregel
Voice Over weiblich
„Es war bereits ein Völkergemisch. Das Erbgut der ersten kanarischen Siedler weist nordafrikanische und mediterrane Elemente auf – sowie aus Subsahara-Afrika. Vor der ersten Migration auf die Kanaren dürfte es größere Wanderungsbewegungen im und in den Norden Afrikas gegeben haben. Auch von Menschen, die südlich der Sahara aufbrachen, Richtung Norden.“
Sprecher
Waren es Verwerfungen rund um die römische Einnahme von Nordafrika, die Menschen unterschiedlicher Herkunft und in großer Zahl vertrieben, und diese zu einer Wanderung bis auf die kanarischen Inseln veranlassten? Nicht nur genetisch, auch ihrem Aussehen nach unterschieden sich die Guanchen, die Ureinwohner Teneriffas, frühen Beschreibungen zufolge deutlich. Der Dominikaner-Pater Fray Alonso de Espinosa, der mit den spanischen Eroberern auf die Insel kam, schilderte die Urbevölkerung einerseits als „dunkel und braungebrannt“; andererseits fand der Priester und Geschichtsschreiber im Norden des Eilands „hellhäutige“ Menschen vor - darunter Frauen „mit blondem und schönem Haar“. Die Forschung der Biologin Rosa Fregel und ihrem Team bestätigt, dass es besonders unter den Ureinwohnern der großen Inseln Teneriffa und Gran Canaria eine große genetische Vielfalt gab.
TC 06:13 – Eine Frage und zwei Thesen
MUSIK
Sprecher
Doch: Wer genau wann auf die Inseln kam – und vor allem warum: Diese Fragen lassen sich auch mit Erbgut-Analysen nicht zufriedenstellend beantworten. Für Teresa Delgado passen die Erkenntnisse ihrer Forscher-Kollegin Fregel zumindest zu zwei Theorien über die Ankunft der ersten Siedler auf den Kanaren.
O-Ton 6 Delgado
Voice Over weiblich
„Die erste These geht davon aus, dass ein anderes Volk – wie die Römer – die ersten Inselbewohner herübergebracht, sie quasi auf den Inseln ausgesetzt hat: Als Gefangene oder Sklaven. Eine zweite These ist, dass sie aus eigenem Antrieb und mit eigenen Mitteln gekommen sind. Demnach hätten die Ur-Kanarier die Kunst der Schifffahrt mit der Zeit einfach verlernt. “
Sprecher
Es gibt Quellen, die Wissenschaftler an der These vom Inselvolk ohne jegliche Kenntnisse und Mittel zur Seefahrt zweifeln lassen. So erwähnt der italienische Geschichtsschreiber Leonardo Torriani nach der spanischen Eroberung im 16. Jahrhundert, Boote von Ureinwohnern, gefertigt aus dem Holz von Drachenbäumen. Der deutsche Kanaren-Forscher Harald Braem verweist in diesem Zusammenhang auf Zeugnisse, die die indigene Bevölkerung selbst hinterließ.
O-Ton 7 Braem
„Gran Canaria ist stark vertreten mit interessanten Darstellungen…. die Felsbilder natürlich, sogar von einem Schilfboot. Was jetzt wirklich interessant diskutiert wird, ist, dass diese Boote Schilfboote waren. Dieses Schilf ist quasi unsinkbar, weil es ja hohl ist innen. Und dass mit diesen Schilfbooten diese Expeditionen gemacht wurden.“
Sprecher
Ob es diese Boote wirklich gab, und wie groß der Bewegungsradius damit gewesen sein mag – dies ist und bleibt eine weitere Unbekannte in der Geschichte der Urkanarier. In jedem Fall dürften die ersten Bewohner der Kanaren ihr Dasein über 1000 Jahre lang in Isolation gefristet haben - bis die Europäer die Inseln im späten Mittelalter wiederentdeckten. Selbst die benachbarten Inseln waren stets zum Greifen nah – und doch unerreichbar. Mangels Metallvorkommen stellten die Ur-Kanarier Werkzeuge und Waffen aus Stein und Knochen her. Und noch eine These wird durch DNA-Analysen von Rosa Fregel gestützt: Dass sich Wirtschaft und Gesellschaft jeder einzelnen der Kanareninseln unabhängig voneinander entwickelten, Handel oder sonstiger Austausch fand nicht statt:
Ton 8 Fregel
Voice Over weiblich
„Insgesamt recht seltene Krankheiten, die auf El Hierro gehäuft auftraten, deuten auf eine starke Blutsverwandtschaft hin - und eine geringe genetische Vielfalt der Bewohner. Auf Gran Canaria dagegen hat sich eine große genetische Diversität erhalten. Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass es auf dieser ungleich größeren Insel mehr Vieh und Getreide hab – und mehr Wasser, um auch eine größere Bevölkerung durch Krisenzeiten zu bringen.“
ATMO Plätschern Wasserquelle
Sprecher
Wasser – das gibt und gab es auf der nordwestlichsten Kanareninsel La Palma im Überfluss. Noch heute füllen die unterirdischen Quellen zuverlässig die Trinkwasserreservoirs. Die Nähe zum Wasser: Sie war ein entscheidender Grund, warum gerade hier die einst wichtigste Siedlung der Ureinwohner entstand.
O-Ton 9 Braem
„Wir sind hier im barranco gomeros, im Westen von La Palma, und das ist eine besondere Zone, mit etwa 35 Höhlen der Ureinwohner. (...) Hier in dem barranco werden, hochgerechnet, 200 bis 250 Menschen gelebt haben, Männer, Frauen, Kinder.(…) Die Population der Einwohner hier, der Ureinwohner, wird ungefähr auf 10.000 geschätzt, zur Ankunft der Spanier, in zwölf Stämmen aufgeteilt.“
ATMO Schritte, Abstieg in den barranco
Sprecher
Ăśber unwegsames Gelände geht es hinunter, zum Grund der Schlucht. Vor Ankunft der spanischen Eroberer, die Bäume und Sträucher in groĂźer Zahl abholzten, dĂĽrfte der Barranco de Los Gomeros bewachsen und die Höhlensiedlung besser zugänglich gewesen sein. Heute prägen Sand, Fels und Geröll eine zerklĂĽftete Landschaft, die schlieĂźlich ins Meer mĂĽndet.Â
O-Ton 10 Braem
„Grundnahrungsmittel war das Meer. Dann war ja hier die Anbaumöglichkeit hier am Bach gegeben… Oder natürlich die Ziegen, die meiste Grundlage beruhte auf Ziegen. Also sowohl die Felle, für Kleidung. Oder die Sehnen, die Hörner. Also man konnte von der Ziege das Fleisch, alles verwenden. Das war hier so eigentlich eine ganz gut ausgewogene Kost zwischen Früchten… Beerensammler, nä? Und Gofio gabs ja auch. Gofio, das war die geröstete Wurzel des Farnkrauts...und dann hat man ein Mehl, so n Hirte hatte nen Beutel mit Gofio dabei für unterwegs: Schnell mal ein kleines Brot backen, oder so.“
TC 11:14 - Höhlenfunde
Sprecher
In den Höhlen des Barranco de Los Gomeros fördern Archäologen noch immer zahlreiche Utensilien der Urkanarier zu Tage, weiß Harald Braem.
ATMO Klettern
O-Ton 11 Braem
„Die interessantesten Sachen sind natürlich immer im vorderen Bereich, wo die Feuerstelle war, und wo man die Abfälle ´rauswarf. Und da findet man am meisten.“
MUSIK
Sprecher
Kunstvolle, aus Knochen geschnitzte Nadeln, mit denen die Ureinwohner Kleidung aus dem Leder der Ziegen nähten, fanden sich in den Höhlen ebenso wie steinernes Werkzeug, mit denen sie Fleisch schnitten. Unmengen an Splittern tönerner Töpfe lassen erahnen, dass hier groß aufgekocht wurde: Die Benahoaritas, so der Name der ersten Siedler auf La Palma, lebten wohl in Verbünden von Großfamilien zusammen. Ein Grund, warum die kanarischen Ureinwohner nicht in einzelnen Höhlen wohnten – sondern sich in Höhlenkomplexen niederließen: Überall dort, wo ihnen die vulkanische Geographie der Inseln genügend Platz bot.
O-Ton 12 Dr. José Ignacio Sáenz, Leiter der archäologischen Stätte Cueva Pintada, Gáldar, Gran Canaria, span.,
Voice Over männlich
„Diese Orte bestehen teils aus natürlichen Höhlen, teils aus künstlichen Eintiefungen, die die Ureinwohner so in den Berg schlugen, dass sie einerseits unterirdische Wohnräume hatten, andererseits aber auch die Flächen der Terrassen nutzen konnten, die die Geografie der Hanglage für sie bereithielt. Später kamen auch freistehende, runde Steinhäuser dazu. Es entstanden nach und nach immer komplexere Siedlungen, wie etwa im Gáldar – wo sich mehr als 60 Häuser rund um die Cueva Pintada, die „bemalte Höhle“, gruppieren.“
Sprecher
...sagt José Ignacio Sáenz. Er leitet das Museum Cueva Pintada in Gáldar, im Nordwesten von Gran Canaria. Der heute knapp 25.000 Einwohner zählende Ort war einst Hauptstadt des Nordreiches der Altkanarier. An der Cueva Pintada von Gáldar zeigt sich, dass die kanarischen Ureinwohner Höhlen nicht nur für weltliche Zwecke nutzten
O-Ton 13 Sáenz
Voice Over männlich
„Die Cueva Pintada war keine normale Grabkammer. Bei den dort aufgebahrten Mumien dürfte es sich, ähnlich wie bei christlichen Heiligen-Reliquien, um bedeutende Persönlichkeiten gehandelt haben. Diese Bestattung, möglicherweise eines kanarischen Herrschers, dürfte die Höhle zu einem ,heiligen Ort’ aufgewertet haben.“
TC 13:38 – Rätsel über Rätsel
MUSIK
Sprecher
Auch die „bemalte Höhle“ von Gáldar hält, wie José Ignacio Sánz einräumt, letztlich mehr Fragen als Antworten über das Leben und Sterben der kanarischen Ureinwohner bereit. Denn deren Kenntnisse der Mumifizierung wollen nicht recht zu einem ausgewanderten Berbervolk aus Nordafrika passen: Dies rief den französischen Forscher Jean-Paul Canamas auf den Plan: Der behauptete, verbannte oder verschleppte Ägypter seien einst gemeinsam mit den Berbern auf die Inseln gelangt, und hätten dort ihre Bestattungsbräuche eingeführt. Doch warum unterscheiden sich die Arten der Mumifizierung der alten Ägypter und der Altkanarier dann so deutlich? Wie erklärt sich, dass die Ägypter Verstorbene ausweideten, die Urkanarier ihren dagegen mitsamt aller Organe einbalsamierten – und die Leichen schließlich auch noch in Lederhäute einnähten? Auch der Sinn und Zweck der Zeichen und Formen an der Wand der Cueva Pintada von Gáldar bleibt bis heute im Dunkel der Vergangenheit verborgen. Markierten die Kreise und Dreiecke, die Archäologen in unterschiedlicher Ausprägung auf allen Kanareninseln entdecken, die Zugehörigkeit zu einem Volk, Stamm oder Familie? Dienten sie einst als eine Art Kalender – oder für religiösen Riten? Die Forscherin Teresa Delgado glaubt: In der vorzeitlichen Gesellschaft der Urkanarier waren handfeste landwirtschaftliche Zwecke und spirituelle Praxis kaum zu trennen.
O-Ton 14 Delgado
Voice Over weiblich
„Diese Menschen mussten den Blick nach oben richten, die Sterne, das Wetter und die Jahreszeiten verfolgen: Sie sahen sich also im wahrsten Sinn des Wortes den Himmelsmächten ausgesetzt.“
Sprecher
Ob sich die Geheimnisse der indigenen Bildersprache jemals vollständig lüften lassen? José Ignacio Sáenz hat daran Zweifel: Denn die ersten Bewohner der kanarischen Inseln hinterließen keinerlei schriftliche Dokumente, ihre Kultur wurde mündlich überliefert. Selbst von ihrer Sprache sind nur Bruchstücke bekannt – etwa die Ureinwohner-Bezeichnung Guanche - die sich aus den Worten „Guan“ für „Mensch“ und „Chinet“ für die Insel Teneriffa zusammensetzt. So bleibt Wissenschaftlern wie Sáenz nur, Scherben zusammenzufügen, auf dass sich ein stimmiges Bild von den ersten Kanariern ergebe; oder, im wahrsten Sinn des Wortes, die Zeichen an der Wand zu deuten: Felsgravuren etwa, oder die Malereien in der Cueva Pintada. Doch diese in ihrer tieferen Bedeutung zu entschlüsseln: Für José Ignacio Sáenz eine schwierige, wenn nicht unmögliche Aufgabe.
O-Ton 15 Saénz
Voice Over männlich
„Als Archäologen kommen wir hier oft nicht weiter, weil wir mit den materiellen Zeugnissen einer Kultur arbeiten. Sobald es um die Welt des Denkens, des Glaubens, der Rituale und der Religion der Urkanarier geht, wird es für uns sehr schnell sehr kompliziert.“
Sprecher
Der Autor Harald Braem taucht in seinen Büchern und Filmen tief ein in diese mythenumrankte Welt der kanarischen Ureinwohner. Literarisch - und mit experimentellen Expeditionen folgt er den Spuren der Urkanarier, auch in seiner Wahlheimat La Palma. Die Gesellschaft der dort lebenden Benahoaritas, das wird dabei deutlich, war eine hierarchische. Die Autorität der Adelsklasse leitete sich ab aus dem Monopol über Mythen und Riten, aber auch aus der Fähigkeit, den Himmelskalender zu deuten. Als Mittler zwischen den Menschen und den übernatürlichen Kräften, als eine Art Priester und Zeremonienmeister traten dabei die Faycanes oder Fayzagues auf dem heiligen Berg der Ureinwohner auf: Dem Idafe – auf dem man Tiere opferte, die Götter beschwor - und weissagte.
O-Ton 16 Braem
„Also, Tieropfer, insofern, als man die Ziege danach aufgegessen hat, mit der ganzen Familie (lacht)...das ist klar. Aber die Innereien, das wurde dann zum Idafe hochgebracht, und dann auf einem kleinen Opferplatz hingelegt für die Seelenvögel, also Adler, Geier und Raben. Und dann hat man beobachtet, wie die Tiere sich verhalten haben. Und daraus dann geweissagt. Das ganze Ritual ging eigentlich immer um Himmel und Wasser. Dass es wieder regnet und das Wasser kommt. Da gabs ganz ausgeklügelte Rituale von Steinanbohrungen bis zu Zicklein, die angebunden wurden. Und die haben dann so gejammert, dass dann die große Regengöttin Munaiba dann ein Erbarmen hatte. Und hat´s dann regnen lassen“.
TC 18:34 – Der Streit um Pyramiden
MUSIK
Sprecher
Für kultische Zwecke genutzt worden sein soll auch eine Reihe von Steinbauten, die ebenfalls nach Himmelskörpern ausgerichtet sind - und die bis heute Rätsel aufgeben: Stufenpyramiden, die sich auf der Hälfte der acht kanarischen Inseln finden. Um den Ursprung der imposanten Bauten aus dunklem Lavastein entstand in den 1990er-Jahren eine erbitterte Kontroverse, an der sich Wissenschaftler und geschichtsinteressierte Laien, aber auch kanarischen Nationalisten und Esoteriker beteiligten. Auch Harald Braem hat gemeinsam mit dem norwegischen Archäologen Thor Heyerdahl an der Pyramide von Güimar auf Teneriffa gegraben. Nach Heyerdahls abenteuerlich anmutender These bildeten die kanarischen Pyramiden sowohl zeitlich als auch geografisch eine Zwischenstation auf dem Weg von ägyptischen Sonnenanbetern zu den Maya in Mexiko. Demnach wäre ihre Bauzeit rund 1000 Jahre vor Christi anzusiedeln. Kanarische Wissenschaftler wie die Kuratorin des Museo Canario von Las Palmas, Teresa Delgado, reagieren auf solche Spekulationen zunehmend gereizt.
O-Ton 17 Delgado Teil 1
Voice Over weiblich
„Diese Pyramiden haben nichts mit der Welt der kanarischen Ureinwohner zu tun“
Sprecher
..erklärt Teresa Delgado, Kuratorin des Museo Canario in Las Palmas de Gran Canaria.
O-Ton 17 Delgado Teil 2
Voice Over weiblich
„Das sind Anhäufungen von Lesesteinen, die Bauern von ihren Feldern entfernt haben, die Stufen wurden dazu angelegt, um Früchte oder Getreide zu trocknen. Archäologen haben die Pyramiden nach Ausgrabungen eindeutig auf die Zeit nach der spanischen Eroberung datiert. Es ist schon wichtig, hier der wissenschaftlichen Evidenz zu folgen: Wir können nicht einfach Geschichten verbreiten, die nicht durch die Evidenz wissenschaftlicher Erkenntnis gedeckt sind.“
Sprecher
Diese „archäologischen Erkenntnisse“, entgegnet der deutsche Professor Harald Braem, seien das Ergebnis lediglich einer Grabung - und ließen andere Funde und historische Quellen außer Acht.
O-Ton 18 Braem
„Tatsächlich beschreiben Chronisten wie Leonardo Torriani die Rituale auf solchen Pyramiden. Das gabs ja vor den Spaniern! Da wurden die Könige, die Menceys gekrönt, da wurden die Feste gefeiert an diesen Pyramiden…und wir haben zum Beispiel unter der einen Pyramide eine Höhle ausgegraben, da lagen Scherben, und zwar der Ureinwohner! Also man wird nicht ernst genommen. Oder, die Ureinwohner werden nicht ernst genommen.“
MUSIK
Sprecher
Es mangle an Finanzmitteln und Motivation, behauptet Braem. Und es fehlten Forscherinnen und Forscher mit einem frischen Blick, um das archäologische Erbe der kanarischen Ureinwohner unvoreingenommen zu erkunden, ihre steinernen Zeugnisse zum Sprechen zu bringen. Und dennoch: Trotz aller Kritik ist Harald Braem zuversichtlich, dass die weit zurückliegende Zivilisation der Urkanarier nicht in Vergessenheit geraten wird.
O-Ton 19 Braem
„Die Kultur hier ist irgendwie in den Menschen drin, in der Landschaft: Die ist auf eine magische Weise so kraftvoll, dass sie einfach überlebt.“
TC 21:45 – Outro