Im Vorfeld des
Autogipfels am kommenden Montag hat der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Moritz Schularick, die Politik davor gewarnt, den Strukturwandel in der Automobilindustrie aufzuhalten. Mit Blick auf die Probleme bei VW sagte Schularick im ARD Interview der Woche, die Gefahr sei groß, dass mit Subventionen lediglich Platzhirsche unterstützt würden, die auf dem absteigenden Ast seien.
Die Probleme der Autobranche in Deutschland seien zu einem großen Teil hausgemacht. Die Branche habe den Wandel zur E-Mobilität verschlafen und diesen Markt Konkurrenten aus anderen Ländern, insbesondere China, überlassen. Dies werde Arbeitsplatzverluste zur Folge haben, so Schularick: "Wir werden keine Zulieferer mehr brauchen, die Getriebetechnik oder Einspritzanlagen optimieren." Angesichts der guten Lage am Arbeitsmarkt könnten Fachkräfte aus der Autobranche jedoch in anderen Industrien neue Beschäftigungsmöglichkeiten finden. Im konkreten Fall von VW rät der Kieler Ökonom dazu, den Einstieg ausländischer Investoren zu prüfen. Die Produktion von Autos in Deutschland sei wichtiger als die Eigentümerstruktur.
Schularick begrüßt EU-Zölle gegen China
Staatliche Fördergelder sieht Schularick kritisch: "Der Staat ist nicht gut darin, die Gewinner von morgen zu finden, aber die Verlierer von gestern sind sehr gut darin, den Staat zu finden." Sinnvoll könne die Förderung innovativer Technologien sein, zum Beispiel die Förderung von Batterieherstellern. Nichts-Tun würde bedeuten, der hochsubventionierten chinesischen Industrie Märkte zu überlassen. Vor diesem Hintergrund begrüßt Schularick die von der EU
angekündigten Zölle gegenüber China: er wünsche sich hier mehr Unterstützung aus Berlin für Brüssel.
Auch die Unterstützung der Chipproduktion in Europa könne grundsätzlich ein sinnvolles Ansinnen sein. Allerdings bestehe hier die Gefahr eines Subventionswettlaufs: Unternehmen würden sich nur noch dort ansiedeln, wo es die höchste Förderung gibt. Die aktuelle
Absage von Intel zum Bau der geplanten Chipfabriken in Magdeburg zeige die Schwierigkeiten und Risiken, die staatliche Förderung von solchen großen Investitionen mit sich bringe.
Problematischer seien aber die
strukturellen Probleme der deutschen Wirtschaft. Deutschland müsse sich ernsthaft mit der Frage vom "kranken Mann Europas" beschäftigen. Allein die Alterung der Gesellschaft werde die jährliche Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozentpunkte nach unten drücken. Dies müsse, um überhaupt Wachstum erzielen zu können, über Produktivitätsfortschritte und Zuwanderung ausgeglichen werden.
Die Schuldenbremse muss reformiert werden
Nachholbedarf sieht Schularick auch bei staatlichen Investitionen. Zur Finanzierung sollte die Schuldenbremse reformiert werden. Allerdings müsse darauf geachtet werden, dass zusätzliche Verschuldungsmöglichkeiten nicht dazu führen, dass reguläre Staatsausgaben in Sondertöpfe verschoben werden, um die Renten erhöhen zu können: "Und die Gefahr sehe ich durchaus."
Den dringendsten Finanzierungsbedarf sieht Schularick bei den Militärausgaben. Die im Februar 2022 ausgerufene Zeitenwende sei bislang mehr eine Worthülse als durch konkrete Taten unterlegt. Eine
Untersuchung seines Kieler Instituts für Weltwirtschaft habe ergeben, dass Deutschland in der Verteidigungsfähigkeit in den vergangenen zweieinhalb Jahren weiter gegenüber Russland verloren habe. Russland habe inzwischen die Fähigkeit, innerhalb von nur sechs Monaten die gesamten Bestände der Bundeswehr zu produzieren. Für Investitionen in die Verteidigung sollte es daher künftig Ausnahmen von der Schuldenbremse des Grundgesetzes geben beginnend mit einem weiteren Sondervermögen von bis zu 300 Milliarden Euro, fordert Schularick: "Wir können uns mit der Schuldenbremse nicht gegen Russland verteidigen." Die Schuldenbremse sei auch kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck: "Und Zweck ist, in Frieden und Freiheit und Wohlstand in Europa zu leben."