Mit dem Sechstagekrieg eskaliert Mitte 1967 die Situation im Nahen Osten. Israel schlägt die arabischen Nachbarstaaten vernichtend. Zwar ist der Krieg nach wenigen Tagen wieder vorbei. Aber er hat Folgen bis heute. Von Linus Lüring (BR 2024)
Mit dem Sechstagekrieg eskaliert Mitte 1967 die Situation im Nahen Osten. Israel schlägt die arabischen Nachbarstaaten vernichtend. Zwar ist der Krieg nach wenigen Tagen wieder vorbei. Aber er hat Folgen bis heute. Von Linus Lüring (BR 2024)
Credits
Autor: Linus LĂĽring
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Rahel Comtesse, Andreas Dirscherl, Christian Baumann
Technik: Wolfgang Lösch
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview: Dr. Jan Busse, Tom Segev
Linktipps:
BR24: Lost in Nahost - Der Podcast zum Krieg in Israel und Gaza
Am 7. Oktober 2023 greifen Terroristen der Hamas Israel an - seitdem ist Krieg in Israel und Gaza. Was ist damals genau passiert - und warum eskaliert die Gewalt dort immer weiter? Dieser Podcast erklärt die Hintergründe - einmal mit Hilfe unserer Korrespondentinnen und Korrespondenten – und indem wir mit Menschen aus Israel und den palästinensischen Gebieten sprechen, die eine sehr unterschiedliche Sicht auf den Konflikt haben. ZUM PODCAST
Alles Geschichte (2024): HINTERGRÜNDE NAHOSTKONFLIKT – Palästinenser und die Nakba
Seit Jahrzehnten ist der Nahost-Konflikt ungelöst. Die Hintergründe sind kompliziert. Verbunden mit der Gründung Israels 1948 wurden Hunderttausende Palästinenserinnen und Palästinenser vertrieben oder flohen. Die Vertreibung ist in der arabischen Welt unter dem Begriff Nakba ("Katastrophe") bekannt. Bis heute sind weltweit mehrere Millionen Menschen mit palästinensischen Wurzeln staatenlos. Auch für Palästinenser, die im Westjordanland leben, ist die Lage seit langem schwierig - und im Gazastreifen inzwischen verzweifelt. Ein Rückblick. JETZT ANHÖREN
Alles Geschichte (2024): HINTERGRÜNDE NAHOSTKONFLIKT – Die Staatsgründung Israels
Am 14.05.1948 endet das britische Mandat über Palästina. Noch am gleichen Nachmittag ruft David Ben Gurion den unabhängigen Staat Israel aus. Damit geht der Wunsch vieler Jüdinnen und Juden in Erfüllung, nach den letzten Jahrzehnten der Verfolgung und Ermordung zurückkehren zu können nach Zion, dem "Land der Väter". Der Weg von der Idee Theodor Herzls, in Palästina eine "Heimstätte" für das jüdische Volk zu schaffen, bis zum Staat Israel war lang. Von Beginn an war er von Konflikten und Interessenskollisionen bestimmt. JETZT ANHÖREN
Und hier noch ein paar besondere Tipps fĂĽr Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
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Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK & ATMO
Erzählerin
Es ist früh am Morgen, als am 5. Juni 1967 dutzende Kampfflugzeuge der israelischen Armee abheben. Ihr Ziel Ägypten. Tom Segev ist damals 22 Jahre alt. Der Israeli kann die Situation erst nicht ganz einschätzen..
1 Segev
Viele Flugzeuge, die haben wir schon gehört. Keine Ahnung was das bedeutet. Nicht mal gewusst, ob das unsere sind. Aber ja, nach der Richtung konnte man schon sehen.
Erzählerin
Dass es zu einem Krieg kommen wird, lag damals bereits in der Luft. Tom Segev ist zu der Zeit im Süden des Landes, in einem sogenannten Kibbuz – einer Gemeinschaftssiedlung. Nicht weit entfernt vom Gaza-Streifen, der damals unter ägyptischer Verwaltung steht. Tom Segev hat sich damals für die Verteidigung des Kibbuz gemeldet.
2 Segev
Wir lagen auf dem Boden. Man hat mir ein Gewehr gegeben. Und wir sahen weit weg die Lichter von Gaza und wir wussten eigentlich nicht, was wir jetzt tun sollen.
Erzählerin
Die Frage, die sich Tom Segev und die anderen um ihn herum stellen – Werden bald schon ägyptische Panzer hier angreifen?
Was Tom Segev zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß – es wird zu keinem Gegenangriff kommen. Der Krieg, der gerade erst begonnen hat – er wird schon wenige Tage später wieder vorbei sein. Und er wird die Machtverhältnisse im Nahen Osten auf den Kopf stellen, erklärt der Nahost-Experte Jan Busse. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität der Bundeswehr in München.
3 Busse
Vorher war es so, dass Israel sich selber und auch von außen so betrachtet wurde: Da ist der kleine David, umgeben von einem übermächtigen arabischen Goliath, und durch diesen Krieg von 1967 hat sich dieses eigentlich ins komplette Gegenteil verkehrt.
Erzählerin
Israel hat nicht nur gegen Ägypten, sondern auch gegen Syrien und Jordanien gekämpft und einen überwältigenden Sieg errungen. Nach nicht mal einer Woche wird das Territorium, das Israel kontrolliert, dreimal größer sein als vor dem Krieg. In weiten Teilen der Welt ist der Krieg von 1967 heute nach seiner Dauer benannt. Der Sechstagekrieg. Dabei ist dieser Titel eine israelische Wortschöpfung und soll die eigene Dominanz betonen. In der arabischen Welt ist die Wahrnehmung eine völlig andere. Dort spricht man von “Naksa”, arabisch für Rückschlag. Fest steht: Der Krieg und die Ergebnisse prägen die Region bis heute.
Wie aber konnte es zu dieser bewaffneten Konfrontation kommen?
MUSIK
Erzählerin
Mitentscheidend ist das Jahr 1948. Damals erklärt sich Israel für unabhängig. Nur wenige Stunden später wird der junge Staat von seinen arabischen Nachbarn angegriffen, darunter Ägypten, Jordanien und Syrien. Erklärtes Ziel war es, den entstehenden jüdischen Staat zu vernichten. Israel konnte in diesem Krieg allerdings große militärische Erfolge erreichen. Zwischen allen Parteien wurden später zwar Waffenstillstandsabkommen geschlossen, allerdings keine dauerhaften Friedensverträge. Keines der arabischen Nachbarländer akzeptierte Israel als souveränen Staat. Die Lage bleibt unsicher und es kommt immer wieder zu massiven militärischen Auseinandersetzungen und Drohungen. In den 1960er Jahren gerät die Situation dann außer Kontrolle, analysiert Jan Busse.
5 Busse
Das heißt, wir haben dort eine Situation, wo eigentlich alle Seiten befürchtet hatten: Es kommt zu einem Angriff, ohne dass es wirklich gewollt war. Also man ist ein Stück weit hineingeschlittert, und die Situation hat sich sukzessive seit Beginn der 1960er-Jahre eigentlich immer weiter verschärft.
MUSIK
Erzählerin
Ein erster Auslöser in der trockenen Region ist die Wasserproblematik. Israel beginnt Wasser aus dem See Genezareth abzuleiten, um Bewässerungssysteme auf eigenem Territorium aufzubauen. Dies gefährdet allerdings die Wasserversorgung Jordaniens, wogegen das Land scharf protestiert. Zudem greift in dieser Zeit Israel immer häufiger Ziele in Syrien oder Jordanien an, weil von dort palästinensische Befreiungskämpfer nach Israel eindringen und Anschläge verüben. Anfang 1967 eskaliert die Situation dann weiter.
Im Mittelpunkt dabei: Ägyptens Präsident Nasser. Führer der arabischen Welt, das ist die Rolle, die er für sich sieht. Von Jordanien oder Syrien wird er allerdings kritisch gesehen. Vor allem gegenüber Israel sei er zu wenig durchsetzungsstark. Nasser weiß, dass er jetzt liefern muss.
6 Nasser (bereits overvoiced)
Mit der Existenz des Staates Israel werden wir uns nicht abfinden. Jede israelische Aggression wird zum totalen Krieg führen. Ägypten wird jedoch nicht als erster angreifen. Truppen der Vereinten Nationen sollen nicht mehr auf ägyptischem Boden stationiert werden.
Erzählerin
Die Truppen der Vereinten Nationen, gegen die Nasser sich hier in einer Rede richtet, sind auf der Sinai-Halbinsel stationiert, an der Grenze zu Israel. Sie sichern auf ägyptischem Boden eine Pufferzone zwischen den beiden verfeindeten Ländern. Im Mai 1967 kommt es dann zu einer Entwicklung, die viele internationale Beobachter verwundert und Israel schockiert. Die Vereinten Nationen geben Nassers Forderung tatsächlich nach: Die UN-Friedenstruppen werden abgezogen. Sofort rückt das ägyptische Militär nach und hunderte Panzer werden auf dem Sinai stationiert. Auch Syrien zieht Truppen an der Grenze zu Israel zusammen. Und aus anderen arabischen Staaten sind ähnliche Pläne zu hören.
MUSIK
Erzählerin
Tom Segev, der als junger Israeli damals im Kibbuz im SĂĽden Israels lebt, erinnert sich, dass diese Eskalation und die Vernichtungsdrohungen aus Ă„gypten in der israelischen Gesellschaft damals traumatischste Erfahrungen wachrufen:
7 Segev
Das war zu einer Zeit als die meisten Israelis noch gar nicht Hebräisch konnten. Die meisten Israelis waren neue Einwanderer. Viele waren Holocaust-Überlebende. Und wenn man auf schlechtem Hebräisch aus dem arabischen Radio das Wort Vernichtung hört, dann meint man Holocaust. Und diese Angst war ganz authentisch.
Erzählerin
Zu dieser existenziellen Angst vor einem erneuten Holocaust kommt, dass die israelische Gesellschaft ohnehin tief verunsichert ist. Das Land erlebt Mitte der 1960er Jahre eine tiefgreifende wirtschaftliche Rezession, immer mehr Menschen werden arbeitslos. Und immer mehr verlassen Israel – es kommt zu einer Auswanderungswelle von zehntausenden Menschen. Eine Zeitung schreibt bereits davon, dass das “Unternehmen gescheitert sei”. Gemeint ist die Vision des Staates Israel. Die Situation ist 1967 also nicht nur international, sondern auch innerhalb des Landes angespannt.
MUSIK
Erzählerin
Am 20. Mai reagiert Israels Premierminister Levi Eschkol. Er befiehlt die Mobilmachung der israelischen Streitkräfte. Davon fühlt sich wiederum Ägyptens Präsident Nasser provoziert. Mit Kriegsschiffen lässt er zwei Tage später die Meerenge von Tiran blockieren. Israelische Schiffe können nun nicht mehr passieren. Israels einziger Zugang zum Roten Meer ist geschlossen. Das bedeutet unter anderem, dass wichtige Ölimporte nun nicht mehr ins Land kommen können. Die Reaktion in der arabischen Welt ist geradezu euphorisch. Endlich droht Nasser nicht nur, sondern zeigt Stärke gegenüber dem verhassten Israel. Gleichzeitig überrascht Nasser mit diesem Schritt viele internationale Beobachter und auch die Sowjetunion, die damals Ägypten militärisch unterstützt. Allen ist klar: Die Sperrung der Meerenge von Tiran kann als Kriegserklärung gegenüber Israel aufgefasst werden.
Wie wird Israel reagieren? Die Angst vor einem Krieg bestimmt jetzt den Alltag im Land und im Kabinett beginnen hektische Beratungen. Der populäre Mosche Dajan wird am 1. Juni neuer Verteidigungsminister. Er war früher Generalstabschef der israelischen Streitkräfte. In einer seiner ersten Pressekonferenzen versucht Dajan, die Stärke Israels zu demonstrieren.
8 Dajan
Let me say I don’t want anyone else to fight for us. Whatever can be done in a diplomatic way I would welcome and encourage but if fighting does come to Israel I would not like American or British boys to get killed here and I do not think we need them.
Sprecher 1 - Voice Over 1
Ich erwarte es nicht und möchte auch nicht, dass jemand anderes für uns kämpft. Ich unterstütze alles, was auf diplomatischem Weg getan werden kann. Aber wenn es zu Kämpfen kommt, möchte ich nicht, dass britische oder amerikanische Soldaten hier getötet werden. Und ich glaube auch nicht, dass wir sie brauchen!
Erzählerin
In internen Beratungen in der israelischen Regierung sind die Einschätzungen aber keineswegs so eindeutig. Ministerpräsident Eshkol zögert. Wie stark sind die eigenen Truppen wirklich? Wie weit wird Nasser gehen? Bis heute gibt es darauf keine eindeutige Antwort, erklärt der Nahost-Experte Jan Busse.
9 Busse
Also so eine Konfrontation entwickelt der immer irgendwann eine gewisse Eigendynamik, die schwer kontrollierbar ist. Ob ein Krieg unvermeidbar ist, ist natĂĽrlich in der RĂĽckschau ganz, ganz schwer zu beurteilen. Klar ist auf jeden Fall: Es gibt Hinweise darauf, dass Nasser eigentlich gar keinen Krieg wollte und sich eigentlich mit seiner Drohkulisse verkalkuliert hat.
TC 10:10 – Angriff ist die beste Verteidigung?
MUSIK
Erzählerin
In den ersten Juni-Tagen 1967 wächst in der israelischen Führung die Überzeugung: Nur wenn man selbst angreift und den hochgerüsteten ägyptischen Gegner überrascht, dann gibt es eine realistische Chance aus einem Krieg als Sieger hervorzugehen. Von einem „präventiven Angriff“ ist unter israelischen Militärs die Rede. Dafür gilt es aber noch, einen Punkt zu klären: Zwar ist man überzeugt, allein kämpfen zu müssen. Trotzdem möchte man so einen Angriff mit dem wichtigsten Verbündeten abstimmen: Den USA. Der damalige US-Präsident Lyndon B. Johnson versucht in größter Eile einen Vermittlungsversuch zu starten. Allerdings ohne Erfolg. In Israel fällt die Entscheidung zum Angriff. Am frühen Morgen des 5. Juni 1967 soll es so weit sein. Tom Segev hält damals regelmäßig Wache an der Grenze zu Gaza.
10 Segev
Meine Befürchtung war, dass ich einschlafe. Aber das ist natürlich nicht passiert. Wir hatten ein kleines Transistorradio mit uns und haben die Nachrichten gehört.
Erzählerin
Dann kommt der Moment, wo Tom Segev die Flugzeuge über sich hinweg donnern hört. Sie fliegen wenige Meter über der Erde, um vom ägyptischen Radar nicht entdeckt zu werden. Tom Segev realisiert:
11 Segev
Ja es war Krieg, es war ganz klar Krieg. Lauter Bombardierungen …
MUSIK & ATMO
Erzählerin
Was Tom Segev hier erlebt, ist die Operation “Fokus”, der Beginn des Sechstagekriegs. Gegen 7 Uhr am Morgen greifen rund 200 israelische Kampfflugzeuge ägyptische Luftwaffenbasen an. In drei Wellen laufen die Attacken ab. Die israelischen Piloten haben einen solchen Angriff lange trainiert. Sie wissen genau, wo die ägyptischen Flugzeuge stationiert sind. Die Ägypter sind von dem Angriff völlig überrascht. Viele von ihnen sitzen noch beim Frühstück, heißt es. Die Bilanz nach wenigen Stunden – Dutzende ägyptische Piloten sind tot und die meisten der Kampfflugzeuge Ägyptens wurden am Boden zerstört. An die 400 sollen es sein. Außerdem sind die Start- und Landebahnen im Land weitgehend nicht mehr einsatzfähig. Ägypten gelingt es im Gegenzug nicht israelische Flugzeuge in großer Zahl abzuschießen. Damit werden auf israelischer Seite auch nur wenige Soldaten getötet. Noch wichtiger aber: Israel hat jetzt uneingeschränkte Lufthoheit. In dieser Situation rücken israelische Bodentruppen vor auf der Sinai-Halbinsel. Sie kommen schnell voran. Ägyptische Soldaten flüchten zu Tausenden. Geräte und Fahrzeuge lassen sie in Panik in der Wüste zurück. Am Ende des Tages stellt die Führung fest: Von Ägypten droht keine Gefahr mehr für Israel.
12 Segev
Irgendwann in der Nacht hat man uns dann gesagt, der Krieg ist zu Ende!
Erzählerin
Dies ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit. Auf der Sinai-Halbinsel wird weitergekämpft. Bald schon werden israelische Kräfte bis zum Suez-Kanal vorstoßen. Und auch in anderen Teilen des Landes sind Kämpfe ausgebrochen. Dabei ist Jordanien der ägyptischen Propaganda aufgesessen. Dort heißt es, Israel sei bereits am Rande der Niederlage. Deshalb greift Jordanien jetzt auch israelische Städte an. Israel reagiert und rückt in Gebiete vor, die von Jordanien annektiert wurden. Dabei handelt es sich um Gebiete westlich des Jordan-Flusses, das sogenannte Westjordanland. Schnell erobern die Israelis Städte wie Dschenin. Dann rückt eine andere Metropole ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Jerusalem, die Heilige Stadt. Israel hat sie zu seiner Hauptstadt erklärt. Allerdings ist Jerusalem geteilt. Israel kontrolliert nur den Westteil. Seit 1948 besetzt Jordanien den Osten. Hier befinden sich die Altstadt und eine der heiligsten Stätten im Judentum, die Klagemauer. Auch bedeutende religiöse Orte des Christentums und des Islam liegen dort.
MUSIK
Erzählerin
Die Kämpfe um Jerusalem sind hart. In den engen Straßen wird um jeden Meter erbittert gekämpft. Dutzende Soldaten sterben auf beiden Seiten. Doch schließlich sind die Truppen Jordaniens besiegt. Zwei Tage nach dem Beginn des Krieges, am 7. Juni, gegen 10 Uhr vormittags ist der Weg in die Altstadt Jerusalems frei. Wenig später stehen dann erste israelische Soldaten an der Klagemauer. Im Land hören die Menschen im Radio wie ein General die Einnahme der Altstadt verkündet.
ATMO
Erzählerin
Die Euphorie im Land ist grenzenlos.
Jerusalem war der Sehnsuchtsort vieler Juden. Nun ist sie wieder vollständig unter israelischer Kontrolle. Auch Tom Segev macht sich elektrisiert auf den Weg nach Jerusalem, in die Stadt, in der er geboren wurde und die er nur geteilt kannte.
14 Segev
Ich war begeistert davon, dass ich ein Teil einer unglaublichen Story bin. Ich war mit einem Freund zusammen. Wir sind ja aufgewachsen in der geteilten Stadt. Und die Altstadt war hinter dem Mond. Weiter weg als Ostberlin von Westberlin. Und auf einmal sind wir dort.
Erzählerin
Die Freude, die er damals spĂĽrt und die die gesamte israelische Gesellschaft ergreift, sieht Tom Segev heute differenzierter. Er hat vor einigen Jahren ein umfangreiches Buch ĂĽber den Sechstagekrieg geschrieben. Dabei hat er auch rekonstruiert, wie damals die Planungen im israelischen Kabinett abgelaufen sind.
15 Segev
Das Interessante ist, dass nicht einer von den Ministern die Frage stellt, sagt mal liebe Kollegen, warum ist das eigentlich gut für uns, Ostjerusalem zu erobern? Niemand fragt, was bedeutet das, dass wir jetzt heilige Plätze erobern, die das Allerwichtigste sind für viele hunderte Millionen Menschen auf der ganzen Welt.
Erzählerin
Der Nahost-Experte Jan Busse hinterfragt in diesem Zusammenhang die Strategie Israels generell.
16 Busse
Also, was die israelischen Ziele angeht, ist auffällig, dass es eigentlich keine klar politisch formulierte Zielsetzung bei diesem Krieg gegeben hat, außer dass man sich verteidigen wollte vor einer als existenziell wahrgenommenen Bedrohung durch Ägypten, das heißt vorrangig ging es darum, die eigene Sicherheit zu schützen und nicht darum, Gebiet zu erobern. Das hat sich tatsächlich erst im Kriegsverlauf ergeben und war auch zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich politisch vorgegeben. Man ist strategielos an diesen Krieg herangegangen und das ist immer etwas, das problematisch ist.
MUSIK
Erzählerin
An die Folgen denkt aber in diesem Moment niemand. Die Gesellschaft ist euphorisiert von der eigenen Stärke. Israels Truppen sind vor allem strategisch überlegen und eilen von Sieg zu Sieg. Am 10. Juni hat Israel von Ägypten die komplette Sinai-Halbinsel und den Gaza-Streifen erobert. Außerdem sind die jordanischen Truppen aus dem Westjordanland und Ostjerusalem vertrieben. Gekämpft wird noch im Norden. Dort sind israelische Truppen dabei, im Kampf mit syrischen Einheiten noch die Kontrolle über die Golan-Höhen zu bekommen. Das Gebiet ist strategisch wichtig und bietet Zugang zum wertvollen Wasser des Jordan, der hier entspringt. Am 10. Juni gegen 18 Uhr tritt dann - auch auf Vermittlung der USA und der Vereinten Nationen - eine Waffenruhe zwischen Israel und Syrien in Kraft. Damit sind die letzten Kämpfe beendet, der Krieg ist vorbei. Nach 6 Tagen…
MUSIK
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