Alles Geschichte - History von radioWissen   /     NAHOSTKONFLIKT - Palästina zwischen den Weltkriegen

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Während des Ersten Weltkriegs trafen im Nahen Osten sehr gegensätzliche Interessen aufeinander: die kriegführenden europäischen Großmächte, das späte Osmanische Reich, arabische Bevölkerung und bald eine immer größere Gruppe von jüdischen Zuwanderern. Unklare Versprechen, große Erwartungen und enttäuschte Hoffnungen prägen die Jahre zwischen den Weltkriegen. In ihnen liegen die Wurzeln des Nahostkonflikts. Von Rainer Volk (BR 2024)

Subtitle
Duration
00:22:36
Publishing date
2024-10-07 10:00
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/alles-geschichte-history-von-radiowissen/nahostkonflikt-palaestina-zwischen-den-weltkriegen/2098383
Contributors
  Rainer Volk
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2098383/c/feed/nahostkonflikt-palaestina-zwischen-den-weltkriegen.mp3
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Shownotes

Während des Ersten Weltkriegs trafen im Nahen Osten sehr gegensätzliche Interessen aufeinander: die kriegführenden europäischen Großmächte, das späte Osmanische Reich, arabische Bevölkerung und bald eine immer größere Gruppe von jüdischen Zuwanderern. Unklare Versprechen, große Erwartungen und enttäuschte Hoffnungen prägen die Jahre zwischen den Weltkriegen. In ihnen liegen die Wurzeln des Nahostkonflikts. Von Rainer Volk (BR 2024)

Credits
Autor: Rainer Volk
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Carsten Fabian, Katja Schild
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Prof. Ulrike Freitag, Prof. Peter Wien, Prof. Michael Brenner,

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Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript

OT 1: Musik (Ouverture „Lawrence of Arabia – The voice of the guns”)

Erzähler:
Eigentlich beginnt die Geschichte Palästinas zwischen den Weltkriegen
schon vor diesem Zeitabschnitt – nämlich etwa ab 1916. Denn von da an zeigen sich die Folgen der Allianzen im Ersten Weltkrieg: Das Osmanische Reich ist als Verbündeter des Deutschen Reiches auch Gegner der Weltmacht Großbritannien, das sich um seine Interessen im Nahen Osten sorgt. Ab 1916 versucht London daher massiv, das Osmanische Reich zu schwächen.

Erzähler:
Konkret geht es um den Suez-Kanal: Die Briten glauben, die Osmanen könnten diese schnellste Verbindung Richtung Indien angreifen und blockieren. Deshalb inszeniert der britische Geheimdienst auf der arabischen Halbinsel einen Aufstand der dortigen Stämme - eine berühmte Geschichte. Eine wichtige Rolle dabei spielt der britische Archäologe und Geheimdienst-Offizier Thomas Edward Lawrence. Die Historikerin Professor Ulrike Freitag, Direktorin am Berliner Zentrum Moderner Orient, hält den autobiografischen Bericht „Die sieben Säulen der Weisheit“, den Lawrence in den 1920er Jahren verfasst und den daran angelehnten Film „Lawrence von Arabien“ für ebenso informativ - wie einseitig:

OT 2: (Freitag – Lawrence)
„Man kann T.E. Lawrence lesen - aber man muss wissen, dass er natürlich unterwegs war, um britische Politik durchzusetzen. Das heißt: Er gibt eine – durchaus arabophile – aber eine britische Perspektive wieder. Und wenn Sie die arabische Perspektive wissen wollen, dann müssen Sie sich eher mit den arabischen Quellen auseinandersetzen.“             

Erzähler:
Anders als die Geschichte von T.E. Lawrence sind die Hintergründe und Biografien der wichtigen arabischen Akteure des Palästina-Konflikts zwischen den Weltkriegen in Europa weitgehend unbekannt. Dabei sind Herkunft, Leben und Nachkommen der politisch Handelnden teilweise bis heute prägend für die Staatenwelt in Arabien:

OT 3: (Musik-Akzent aus „After bombing raid”)

Zitator/in
„Hussein bin-Ali, geboren 1854. Er ist Oberhaupt der Haschemiten-Dynastie; ein Nachfahre des Propheten Mohammed in 37. Generation. Der türkische Sultan hat Hussein bin-Ali 1908 zum Emir – also zum Prinzen - von Mekka ernannt. //
Sein dritter Sohn ist Faisal bin al-Hussein, geboren 1885. Mit Faisal hat T.E. Lawrence intensiven Kontakt während des Arabischen Aufstands. //
Abdulaziz-bin-Abdul Rahman, allgemein bekannt als Ibn Saud, Jahrgang 1876. Er ist das Oberhaupt des Saud-Klans; Ibn-Saud beherrscht Anfang der 1920er Jahre Mitte und Norden der arabischen Halbinsel bis zum Golf von Persien. Er ist Verbündeter der Briten und Rivale der Haschemiten. 
 

Erzähler:
Der Film „Lawrence von Arabien“ zeigt die Anfänge des Palästina-Konflikts als tragisches Abenteuer; die Gründe des so genannten „Großen Arabischen Aufstands“ ab 1916 bleiben Nebensache. Im Rückblick sagen Experten: Wichtig war, neben arabischem Nationalismus, auch die Not der Menschen. Denn im Weltkrieg haben Briten und Franzosen alle Häfen des Osmanischen Reiches blockiert. Die Folge: Fast überall sind Lebensmittel knapp und es wird gehungert, so Ulrike Freitag.

OT 4: (Freitag – Blockade)
„Da die Osmanen ja offiziell dort herrschten, betraf diese Blockade auch die arabische Halbinsel. Und deswegen waren eben nicht nur Gold, sondern auch Nahrungsmittel und Waffen sehr wichtig für diesen Aufstand. Dieser führte dann dazu, dass Hussein-bin-Ali sich – über seinen Sohn Faisal insbesondere – mit arabischen Nationalisten unter osmanischer Herrschaft in Damaskus und Beirut und Palästina zusammentat und einen Aufstand gegen die Osmanen durchführte.“  

Erzähler:
Das klingt einfacher als es ist: Denn in der Großregion kämpfen bald auch Araber gegen Araber: Ibn-Saud zieht gegen Hussein-bin-Ali in den Krieg; erobert 1924 Mekka und andere heilige Stätten des Islam, gründet damit das heutige Saudi-Arabien. Vor allem treten nun die Konsequenzen europäischer Großmachtpolitik hervor. Für die Friedensverhandlungen in Versailles ab 1919, bei den auch der Nahe Osten behandelt wird, sind drei Vorabsprachen wichtig:

Zitator/Zitatorin:
Zu Kriegsbeginn 1914 sagt der britische Militärgouverneur in Ägypten, McMahon, Hussein bin-Ali die Unabhängigkeit der Region unter seiner Herrschaft zu, wenn dieser mit dem Empire paktiert. //
Im Sykes-Picot-Abkommen von 1916 teilen Briten und Franzosen den Nahen Osten in Einfluss-Sphären ein – von der Levante bis zum Sinai, vom Mittelmeer bis zum Jemen. //
Im November 1917 erklärt der britische Außenminister Balfour, London wolle jüdischen Siedlern in Palästina eine Heimat gewähren.

OT 5: (Wien – Balfour I - ca. 10:50) –
„Es wird darin nicht gesprochen von einem jüdischen Staat, der gegründet werden soll, sondern es geht dabei um eine „jüdische Heimstätte“.        

Erzähler:
Erklärt Peter Wien, Professor für moderne Geschichte des Nahen Ostens an der Universität von Maryland in den USA über das berühmte Dokument:

OT 6: (Wien – Balfour II) –
„Dass es dabei eine arabische Bevölkerung geben könnte, die selbst sowas wie nationale Interessen haben könnte, taucht ja in diesem Dokument gar nicht auf. Das heißt: Die Formulierungen sind sehr, sehr vorsichtig und teilweise auch in sich widersprüchlich gewählt und lassen viele Deutungen offen.“    

Erzähler:
Die komplizierte Ausgangssituation wird nicht einfacher, als der neu geschaffene Völkerbund Anfang der 1920er Jahre Franzosen und Briten Mandatsgebiete in der Region zuspricht. Denn diese schaffen Fakten, die nicht der über Jahrhunderte gewachsenen Lebenswelt der Einheimischen entsprechen. Die Historikerin Ulrike Freitag sagt über die Grenzen, die nun entstehen:

OT 7: (Freitag – Grenzen) –
 „Diese Grenzen gingen eben durch historisch eng miteinander verknüpfte Gebiete, durch Handelsrouten hindurch, teilweise durch Familien hindurch. Also zwischen dem was Trans-Jordanien, heute Jordanien, wurde und Syrien beispielsweise, aber auch zwischen Syrien und dem Irak. Da war das Öl von Mossul ein besonderer Zankapfel zwischen Franzosen und Briten.“      0’25

OT 8: (Musik – „Ich fohr aheim“ – hist.)

Erzähler:
Ein jiddisches Lied aus dem frühen 20.Jahrhundert – es besingt die Alija – die Rückkehr europäischer Juden nach Palästina. Bis Anfang der 1920 Jahre ist das auch „Zionismus“ genannte Phänomen vor Ort wenig relevant. Im Oktober 1922, als die britische Verwaltung in Jerusalem die erste offizielle Einwohnerzählung in Palästina anordnet, scheint das Problem beherrschbar:

Zitatorin:
„Demnach leben zu diesem Zeitpunkt gut eine dreiviertel Million Menschen in dem Mandatsgebiet. 590-tausend davon sind Muslime, 84-tausend also etwa 14 Prozent sind Juden, 73-tausend Christen, 7-tausend gehören der drusischen Minderheit an.“ 

Erzähler:
Forschungen zu den Ansichten der arabischen Mehrheitsbevölkerung der Region zeigen für die 20er Jahre ein sehr breites Meinungsspektrum. Ein Indikator hierfür sind die Zeitungen und Zeitschriften, die in Städten wie Jaffa, Haifa oder Beirut erscheinen. So hofft ein Teil der Elite aus Lokalpolitikern und Journalisten offenbar, zionistische Siedler könnten durch Investitionen in Landwirtschaft und Infrastruktur ihre Welt modernisieren. Der Nahost-Historiker Peter Wien sagt über das geteilte Stimmungsbild bei den Muslimen:  

O-Ton 9: (Wien – Meinungen) –
„Die einen empfinden es als Bedrohung, andere empfinden Solidarität mit den Juden, weil man sich klar darüber ist, dass Juden in Europa eine viel, viel schlechtere Position haben, als sie eigentlich über Jahrhunderte in den islamischen Ländern hatten. Also es gibt durchaus eine differenzierte Darstellung dieses Phänomens.“


Erzähler:
In der Tat vergrößern Pogrome und Wirtschaftskrisen die Bedrängnis vieler Juden in Europa, besonders im Osten, Anfang der 1920er Jahre. Die Auswandererzahlen steigen – was den Wortführern des Zionismus politisch zupasskommt. Zumal der Begriff „Palästina“ erst nach dem Ersten Weltkrieg und der Neuordnung des Nahen Ostens ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist – also auch propagandistisch nutzbar wird – erklärt Michael Brenner, Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der Universität München:

OT 10: (Brenner – Palästina-Begriff) –
„Also zunächst müssen wir mal sagen, dass überhaupt zum ersten Mal in der Geschichte Palästina auf einer Landkarte verzeichnet war als britisches Mandatsgebiet. Unter der osmanischen Herrschaft waren das verschiedene Regionen. Und der Name Palästina tauchte auf keiner politischen Landkarte auf.“  

Erzähler:
Nur für eine sehr kurze Zeit hofft Großbritannien zunächst, es könne sein Mandatsgebiet mit politischem Geschick und Wachsamkeit halbwegs ruhig halten. Dann müssen Londons Vertreter in Jerusalem feststellen: Die Hitzköpfe auf arabischer wie jüdischer Seite lassen sich nur schwer im Zaum halten. Ulrike Freitag spricht von einem „Crescendo“ der Gewalt, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte Palästinas der Zwischenkriegszeit zieht und sieht das Startsignal 1921 bei einer religiösen Festlichkeit:

OT 11: (Freitag – Unruhen ab 1921) –
„Da kommt es zu großen Auseinandersetzungen im Rahmen einer eigentlich sehr traditionellen muslimischen Prozession, die aber immer etwa gleichzeitig etwa stattfand mit christlichen und jüdischen Prozessionen. 1929 wäre dann zu nennen – in Jaffa, insbesondere. Aber auch Unruhen, die sich aber dann sehr schnell sehr breit ausbreiten.“

Erzähler:
Diese Einschätzung wirft zugleich ein Schlaglicht auf die Bedeutung der Religion für den Konflikt. Vor allem Jerusalem mit seinen heiligen Stätten für Christen, Juden und Muslime wird zunehmend zum Zankapfel der Fanatiker. Einer von ihnen ist auf arabisch-muslimischer Seite der Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini:

Zitatorin:
Das Geburtsjahr von Mohammed Amin al-Husseini – 1895, -96, oder -97, ist unklar. Seine Familie ist wohlhabend, der Vater bereits Mufti von Jerusalem – also: islamischer Rechtsgelehrter – und vehementer Anti-Zionist. Al-Husseini studiert in Kairo islamisches Recht und in Istanbul Verwaltungswissenschaft. Als 1921 sein Bruder stirbt, ernennen ihn die Briten zu dessen Nachfolger als Großmufti von Jerusalem, also zum politisch-religiösen Oberhaupt der Muslime in Palästina.

Erzähler:
Anders als der wegen der Namensähnlichkeit oft mit ihm verwechselte Emir bin-Husseini, der bei den Briten zunehmend in Ungnade fällt, erlebt der Großmufti einen Aufstieg. London unterschätzt lange, dass die Mischung aus Nationalismus und Religion ihn zur Galionsfigur muslimischer Fanatiker werden lässt. Peter Wien von der University of Maryland:


OT 12: (Wien – Al-Husseini) –
„Der genannte Amir-al-Husseini hält 1931 einen Kongress in Jerusalem und schafft es eben in dieser Veranstaltung, genau dieses Thema, dass Palästina zentral ist für islamische, politisierte, national-arabische Identitäten – zu etablieren. Und schafft auch den Felsendom – das klare Symbol, das alle mit Palästina und mit dem Ruf nach Freiheit für Palästina, der da formuliert wird – dass das damit verbunden wird.“      

OT 13: (Musik „Shir Ha Emek”)

Erzähler:
Und doch braut sich der Sturm aus politisch-religiös motivierten Morden, Hinterhalten und Vergeltungstaten nur allmählich zusammen. So sind zeitgenössische Dokumentarfilme der 1920er und 30er Jahre über Palästina zum Beispiel „Land of promise – Land der Verheißung“, häufig unterlegt mit idyllischer Musik. Sie vermittelt den Eindruck einer blühenden Landwirtschaft und rasch wachsender Städte – einer besseren Zukunft für Juden.

Zitator:
Tel Aviv zum Beispiel, erst 1909 als Vorort der Hafenstadt Jaffa gegründet, wird rasch zum Vorzeige-Projekt für Einwanderer aus Europa. Viele Gebäude sind im Bauhaus-Stil errichtet – ein Sinnbild für Modernität und Fortschritt. 1931 hat Tel Aviv bereits 46-tausend Einwohner; kurz vor dem Zweiten Weltkrieg 150-tausend. Insgesamt verzehnfacht sich die jüdische Bevölkerung in Palästina bis Ende der 1930er Jahre, während sich die Zahl der arabischen Muslime nur verdoppelt.

Erzähler:
Aus heutiger Sicht erscheint es naiv, dass Großbritannien lange an eine friedliche Lösung für den Konflikt in Palästina glaubt. Seine Diplomaten lassen sich allerhand einfallen, um vor Ort Zeichen der Hoffnung zu geben. So ernennt die britische Regierung 1920 Herbert Samuel zum Hochkommissar für das Mandatsgebiet - einen praktizierenden Juden. Für Professor Michael Brenner hat diese Personalie besondere Bedeutung:

OT 14: (Brenner – Samuel) –
„Zum ersten Mal hat ein Jude sozusagen politische Gewalt über das Territorium. Aber Herbert Samuel war Brite und er hat vor allem als Brite gehandelt und hat damit viele der Zionisten auch enttäuscht, weil er doch die Versprechungen, die viele in der Balfour-Deklaration sahen, nicht unbedingt erfüllte. Und vor allem seine Nachfolger, die dann nicht mehr jüdisch waren, sind immer weiter abgerückt von der Erklärung, den Juden eine nationale Heimstätte zu schaffen.“ 

Erzähler:
Ab Ende der 1920er Jahre werden die Phasen der Ruhe in Palästina immer kürzer. Ein Indikator dafür ist die Zahl der Soldaten und Polizisten, die Großbritannien braucht, um Herr der Lage zu bleiben. Besteht die britische Polizei in Palästina anfangs aus weniger als 800 Mann, so steigt deren Zahl bis 1926 bereits auf 1500. Im August 1929 müssen die Polizei-Oberen eilends um Verstärkung durch Soldaten bitten – mehrere tausend Mann werden aus Kairo per Flugzeug und Zug in Marsch gesetzt, weil Unruhen ausbrechen.  Die Konsequenzen für die Londoner Palästina-Politik sind drastisch – sagt die Historikerin Ulrike Freitag:

OT 16: (Freitag  – Briten/Kontrolle) –
„Nach 1929 haben sie die Gewalt so gesehen, dass sie dachten: Wir müssen jetzt die Einwanderung begrenzen. Und daraufhin haben sich die ersten auch zionistisch-terroristischen Gruppen gegründet, die dann auch begannen gegen die Briten, die dann nicht mehr als Förderer des Einwanderungsprojektes, sondern als dessen Verhinderer gesehen wurden, zu kämpfen.

Erzähler:
Ulrike Freitag meint mit „zionistisch-terroristische Gruppen“ unter anderem die „Irgun“ und die „Hagana“ – zwei anfangs verbündete, dann konkurrierende Untergrund-Organisationen, die Attentate gegen arabische und britische Einrichtungen verüben. Übrigens wird die Hagana nach der Staatsgründung zur Keimzelle der Armee des Staates Israel. – Ursache für den Zorn der militanten Zionisten sind offizielle britische Stellungnahmen wie das „Passfield White Paper“ von 1930. Es formuliert erstmals eine Begrenzung der Einwanderung von Juden nach Palästina – Zitat:

Zitator:
„Es ist essenziell sicherzustellen, dass die Einwandernden keine Last sind für die Menschen in Palästina insgesamt, und dass sie keinem Teil der gegenwärtigen Bevölkerung ihre Beschäftigung streitig machen.“

Erzähler:
Ob derlei Papiere zu spät kommen oder zu zaghaft formuliert sind? Feststeht: Im April 1936 starten arabische Nationalisten unter Führung des Großmuftis von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, den so genannten „Großen Arabischen Aufstand“ in Palästina. 20-tausend britische Soldaten versuchen vergeblich, ihn zu unterdrücken. Die Zahl der Toten wird auf mindestens 6.000 geschätzt – ein Drittel davon sind Juden. Ulrike Freitag sagt zu den Konsequenzen:

OT 17: (Freitag – Konsequenzen-Aufstand) –
„Das heißt: Die Briten haben die Kontrolle zunehmend verloren. Und das ist ja auch der Hintergrund, dass die Briten angekündigt haben: Wir geben das Mandat zurück. Und dann sollen die Vereinten Nationen – ursprünglich war es ja der Völkerbund – damit machen, was sie wollen.“

Erzähler:
Einen der letzten Versuche, den Konflikt friedlich zu lösen, startet London kurz nach Beginn des Aufstands: Eine sechsköpfige Kommission – nach dem Vorsitzenden William Peel „Peel-Kommission“ genannt – reist in die Region. Man spricht mit prominenten jüdischen Exponenten wie Chaim Weizmann, arabischen Potentaten wie Ibn-Saud oder Emir Abdallah Ibn-Hussein. Am Ende entsteht der „Peel-Plan“. Er sieht vor, Palästina zwischen Juden und Arabern zu teilen und prägt so die Entwicklung nach 1945 vor, sagt Michael Brenner:

OT 18: (Brenner – Peel-Plan) –
„Nämlich 1947, als die UNO entschied, dass das Gebiet westlich des Jordans in einen jüdischen und einen arabischen Staat geteilt werden sollte. Diese Teilung sah nun ein bisschen anders aus als der Peel-Plan. Aber das ist immer noch eine Grundlage, die für die Entwicklungen bis heute prägend war.“

Erzähler:
1937 hat der Peel-Plan keine Chance. Das zionistische Lager kritisiert, dass nur noch 12-tausend Jüdinnen und Juden pro Jahr ins Land gelassen werden sollen. Arabische Wortführer verdammen die Absicht, weit über 200-tausend muslimische Bewohner in den geplanten arabischen Teil umzusiedeln. – Das Scheitern des Peel-Plans freut Nazi-Deutschland, dessen Experten das Pulverfass, das im Nahen Osten offensichtlich entstanden ist, bald so sehr interessiert, dass sie Reisen dorthin unternehmen. So fährt im Sommer 1937 Adolf Eichmann, der spätere Mitorganisator des Holocaust, in offiziellem Auftrag nach Palästina. Der Nahost-Historiker Peter Wien:

OT 19: (Wien – Eichmann)
„Eichmann interessiert sich für den Zionismus – nicht so sehr für den arabischen Nationalismus in diesem Zusammenhang. Andere Reisende, die eben in die Region reisen, die interessieren sich für die deutschen Siedler in Palästina. Für die Templer und so weiter. Es gibt ja die Auslandsorganisation der NSDAP, die sehr aktiv unter Auslandsdeutschen in Palästina ist. Das sind Verbindungen, die da bestehen.“

Erzähler:
Auch versucht Berlin zunehmend, politisch von der Eskalation des Konflikts zu profitieren. Als Großbritannien die Einwanderung nach Palästina begrenzt, verschärfen die Nazis die Judenverfolgung im Reich – auch um zu zeigen, dass kaum ein Land der Welt größere Kontingente von Juden aufnehmen will. Wie sehr die Lage in Palästina Hitlers Propaganda zupasskommt, spiegelt sich gelegentlich sogar in den Radio-Nachrichten. Subtil wird darin zum Beispiel im Sommer 1938 der Vorwurf erhoben, London engagiere sich einseitig auf Seiten des Zionismus.

OT 20: (Drahtloser Dienst, 5.7.1938) –
 „Die wenigen noch nicht verbannten Araber-Führer Palästinas, darunter Nashah Shibi, forderten nach einer Meldung aus Jerusalem gestern den britischen Oberkommissar Sir McMichael erneut auf, für eine gleiche Behandlung der Juden und Araber Sorge zu tragen und nicht die Juden in auffälliger Weise zu bevorzugen.“ 

Erzähler:
Als Hitler 1939 den Zweiten Weltkrieg vom Zaun bricht, ist damit jene toxische Gemengelage geschaffen, die die Welt bis heute in Atem hält: Falsche Versprechungen und gegenläufige Interessen haben in knapp zwei Jahrzehnten religiösen und ethnischen Fanatismus groß werden lassen. Dass sowohl jüdische wie arabische Soldaten im Zweiten Weltkrieg in britischen Diensten gegen Hitlers Reich kämpfen, gibt Palästina nur eine Atempause. Nach 1945 bricht erneut ein Krieg aller gegen alle aus – der moderne Nahost-Konflikt beginnt.