Die eine steigt als First Lady der jungen USA zur Ikone auf. Die andere wird als Königin geköpft. Martha Washington und Marie Antoinette sind Frauen an der Spitze von Staaten in revolutionären Zeiten. Getroffen haben sie sich nie, aber ähnliche Erfahrungen gemacht auf der Suche nach ihrer Rolle. Folge 3. Von Susi Weichselbaumer (BR 2024)
Die eine steigt als First Lady der jungen USA zur Ikone auf. Die andere wird als Königin geköpft. Martha Washington und Marie Antoinette sind Frauen an der Spitze von Staaten in revolutionären Zeiten. Getroffen haben sie sich nie, aber ähnliche Erfahrungen gemacht auf der Suche nach ihrer Rolle. Folge 3. Von Susi Weichselbaumer (BR 2024)
Credits
Autorin & Regie : Susi Weichselbaumer
Es sprachen: Katja Amberger, Irina Wanka, Florian Schwarz, Katja Schild, Peter WeiĂź, Friedrich Schloffer, Hemma Michel, Peter Veit, Gudrun Skupin, Jennifer GĂĽzel
Technik: Josef Angloher
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Catherine Allgor, Michaela Lindinger
Besonderer Linktipp der Redaktion:
ARD (2024): Kalte FĂĽĂźe
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind ständig Orte in den Nachrichten, die die italienische Autorin Francesca Melandri aus Erzählungen und Büchern ihres Vaters kennt, aus seinen Geschichten über den Zweiten Weltkrieg bei den Alpini, den italienischen Soldaten, die an der Seite Hitler-Deutschlands in die Sowjetunion, eigentlich aber in die Ukraine einmarschierten. Was wurde nicht erzählt? Bestsellerautorin Melandri verknüpft in ihrem neuen Buch Familiengeschichte mit Weltgeschichte angesichts des erneuten Endes des Friedens in Europa. Vollständige Lesung mit Nina Kunzendorf. ZUM HÖRBUCH
Linktipps:
Deutschlandfunk (2019): First Ladies in Deutschland – Die Rolle der Bundespräsidenten- und Kanzlergattinnen
Mal sozial engagiert, mal selbst politisch aktiv: Die Frauen der deutschen Staatsmänner hatten durchaus Einfluss – doch ihr Engagement geriet im Schatten der Ehemänner oft in Vergessenheit. Historikerin und Buchautorin Heike Specht hat die First Ladies seit 1949 porträtiert. JETZT ANHÖREN
radioWissen (2021): Frei, gleich und brĂĽderlich – Die Französische RevolutionÂ
In schwarzem Trauergewand sitzt Marie Antoinette in ihrer primitiven Zelle in der Conciergerie - bewacht von Soldaten der Revolutionsregierung. Mit der Losung "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" schafften die Revolutionäre nicht bloß die Abkehr vom feudalen Ständestaat - sie formulierten ein Ideal, das heute in den Verfassungen der Demokratien zur selbstverständlichen Norm geworden ist. Noch heute gedenken die Franzosen an ihrem Nationalfeiertag, dem 14. Juli, des Sturms auf die Bastille. Doch das anfängliche Hochgefühl wich bald dem Terror. JETZT ANHÖREN
Deutschlandfunk (2024): George Washington – Das Erbe des ersten „Mr. President“Â
Am 30. April 1789 wurde George Washington als erster US-Präsident vereidigt. Er begründete nicht nur den Supreme Court, die US-Marine und die nach ihm benannte Hauptstadt. Washington prägte auch das neue Amt und wie sich ein Mr. President inszeniert. JETZT ANHÖREN
Und hier noch ein paar besondere Tipps fĂĽr Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.Â
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK & ATMO
1 ERZĂ„HLERIN
Die Independence Hall in Philadelphia, Pennsylvania – ein breites Backsteingebäude mit weißem Glockenturm. Es ist der 4. Juli 1776. Die 13 britischen Kolonien in Nordamerika proklamieren die Loslösung von Großbritannien und das Recht einen eigenen, souveränen Staatenbund zu bilden. Als Gründerväter gehen in die Geschichte ein Washington, Franklin, Jefferson, Adams, Madison –
2 ERZĂ„HLERIN
Insgesamt nur Männer.
1 ERZĂ„HLERIN
Martha Washington zum Beispiel hätte es auch verdient gehabt.
2 ERZĂ„HLERIN
Sie kümmert sich nun bald um ihr erstes Enkelkind: ein Mädchen. Elizabeth. Kurz: Betsy.
1 ERZĂ„HLERIN
Dass die Oma demnächst die erste First Lady der Vereinigten Staaten sein wird, ahnt zu dem Zeitpunkt noch niemand.
2 ERZĂ„HLERIN
Die Vereinigten Staaten erringen nach dem Frieden von Paris endgültig ihre Eigenständigkeit. Die Arbeit scheint jetzt beendet. Die Geschichtsbücher schließen sich für die Washingtons.
1 ERZĂ„HLERIN
VorrĂĽbergehend.
MUSIK
05 ZITATOR PRESSE 1
Am 23. Dezember 1783 tritt George Washington vor den versammelten Kongress in Annapolis. Die Anspannung der Abgeordneten ist groß. Kaum jemals hat ein siegreicher Feldherr alle Macht einfach wieder zurückgeben an eine zivile Gesellschaft. Kein Cäsar und kein Cromwell. Aber ein George Washington. Ein gutes Omen für den jungen amerikanischen Staat.
1 ERZĂ„HLERIN
Und eine Erleichterung fĂĽr seine Frau Martha. Nach langen Jahren des Krieges wird Weihnachten 1783 wieder zusammen daheim gefeiert. Zuhause auf Mount Vernon.Â
1 ERZĂ„HLERIN
Was in den USA weiter passiert, ist offen. Die neue Nation geht auf volles Risiko, wagt etwas Unbekanntes. Wie der Staat kĂĽnftig aussehen wird? Wer ihm wie vorsteht? Eine Schablone dafĂĽr existiert nicht.
MUSIK
2 ERZĂ„HLERIN
Bloß der überkommene Entwurf aus dem alten Europa, den viele in Amerika nicht wollen. Genauso wie sich Europa dagegen auflehnt. Die Menschen begehren auf gegen Monarchie, Despotie und Willkür. Das absolutistische System muss weg. Frankreich ächzt unter Hungersnöten. Die Staatskasse ist leer. Der König baut groß um in Versailles. Denkmäler im eigenen Land will er sich setzen. International mitmischen auch, also beteiligt er sich am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Damit möchte Louis XVI. dem großen Rivalen Großbritannien eins auswischen.
MUSIK
ZITATOR INFO
Beide Länder versuchen Fuß zu fassen in Nordamerika und kommen sich in die Quere. Auseinandersetzungen gibt es mit indigenen Bevölkerungsgruppen und untereinander: Wer kolonisiert wo was und wen? Die Briten erkämpfen sich die Vorherrschaft. Frankreich will Revanche und unterstützt die amerikanischen Rebellen finanziell wie militärisch. Handels- und Bündnisverträge sichern schließlich zu, dass Frankreich bis zur Unabhängigkeit an der Seite der jetzt noch abhängigen Kolonien stehen wird. In der entscheidenden Schlacht bei Yorktown verhelfen französische Truppen der amerikanischen Revolution zum Sieg. 1783 fädelt Frankreich ein, dass die Briten im „Frieden von Paris“ die Souveränität der USA anerkennen.
2 ERZĂ„HLERIN
Problem bloß: Frankreich ist nach dem amerikanischen Einsatz erst recht pleite. Die Bevölkerung begeistert sich noch mehr als eh schon für die antimonarchistische Sache.
MUSIK
2 ERZĂ„HLERIN
Und Die Zeitungen erfinden immer wildere Geschichten ĂĽber die Königin: Verschwendungssucht! Sex mit Frauen. Mit Männern. Mit allen zugleich. Der Versailler Intrigenstadel bestätigt die GerĂĽchte.Â
1 ERZĂ„HLERIN
Marie Antoinette ist jung und unbedarft. Das wird ihr immer wieder zum Verhängnis.
6 ZU Lindinger 24:54
Ich glaube, wie sie gemerkt hat, dass gar nix mehr geht. Ich glaube, das war erst die Halsband Affäre.
2 ERZĂ„HLERIN
Wertet Biografin Michaela Lindinger.
7 ZU Lindinger 25:44
Das war dann schon in Richtung auf die Revolution hin, wie man ihr unterstellt hat, sie habe mehr oder weniger das teuerste Halsband der Welt auf Kredit gekauft, was ĂĽberhaupt nicht gestimmt hatten.
1 ERZĂ„HLERIN
Das Komplett ist vertrackt. Adel und Klerus ĂĽbervorteilen sich gegenseitig, wer am Ende was war, weiĂź man nicht.
2 ERZĂ„HLERIN
Nur eins: Schuld an allem ist Marie Antoinette. Die von nichts eine Ahnung hat.
1 ERZĂ„HLERIN
Das will aber niemand glauben. Man traut der prunksüchtigen Königin eine solche Charade zu.
8 ZU Lindinger 25.44
Ja, da war dann gar nichts mehr für sie zu machen. (26:36) Man wollte diese Königin fertigmachen.
MUSIK
2 ERZĂ„HLERIN
Und diese Königin hat nichts entgegenzusetzen. Sie kriegt in Frankreich keinen Fuß auf den Boden. Man mag sie nicht. Kollektiv.
1 ERZĂ„HLERIN
Dabei hatte ihr die Mutter Kaiserin Maria Theresia eingeschärft: Sieh zu, dass die Leute Dich lieben! Die Menschen mĂĽssen ihre Monarchen lieben.Â
2 ERZĂ„HLERIN
Aber wie bringt man die Menschen dazu?
1 ERZĂ„HLERIN
Vielleicht in dem man es gar nicht erst versucht. Weil man es nicht versuchen muss. Martha Washington betreibt null Eigen-PR.
MUSIK
1 ERZĂ„HLERIN
Die amerikanischen Unabhängigkeitskriege sind vorbei. George und sie leiten wieder die florierende Plantage Mount Vernon an den Ufern des Potomac, kümmern sich um die Enkelkinder, empfangen Gäste aus der Alten und Neuen Welt. Viele wollen den berühmten Feldherren sehen. Der etwas ungelenk und ein bisschen kühl wirkt. Anders als seine Frau:
06 ZITATOR PRESSE 1
„Mrs. Washington ist die Güte in Person. Ihre Seele scheint damit überzufließen wie ein sprudelnder Springbrunnen.“
1 ERZĂ„HLERIN
Notiert ein junger Besucher.
07 ZITATOR PRESSE 1
„Und ihre Fröhlichkeit bemisst sich ganz nach der Zahl der Menschen, denen sie ihr Wohlwollen schenken kann“. (Brady 2005: 185)
MUSIK & ATMO
1 ERZĂ„HLERIN
Martha wird dieses ungezwungene Leben vermissen. Ihr Mann wird gewählt. Ab 1789 ist George Washington Mister President. An seiner Seite geht es erst nach New York, Ende 1790 steht der Umzug an in die damalige Hauptstadt Philadelphia.
05 ZITATOR INFO
Für angemeldete Besucher gibt es zweimal wöchentlich Empfänge zur Mittagszeit. Niemand Wichtiges darf bevorzugt oder übergangen werden. Regelmäßig stehen Theaterbesuche an. Datum und Uhrzeit erfährt man aus der Zeitung. Wenn Präsident und Gattin die Loge betreten, erhebt sich das Publikum, das Orchester intoniert „The President´s March“.
2 ERZĂ„HLERIN
Pendant heute ist „Hail to the Chief”... Bälle muss das Paar geben oder Einladungen dazu folgen. Wobei: „Muss“ ist relativ, sagt die Bostoner Historikerin Catherine Algor:
9 ZU (1.07 Algor) I would say…
OV w
Martha Washington hat schon deshalb eine Sonderrolle, weil sie die erste der First Ladies ist. Sie muss innovativ sein, ein Protokoll erfinden. An Europas Höfen gibt es solche Protokolle längst. In Marthas DNA liegt ein steifes Zeremoniell aber nun mal einfach nicht.
10 ZU (2.14 Algor) Martha had to invent …
OV w
Sie soll aus dem Stand Veranstaltungs- und Dialogformen ausdenken fĂĽr eine neue Nation, die ausgesprochen antiaristokratisch und antimonarchisch ist. Jetzt.
ATMO Pferdekutsche
2 ERZĂ„HLERIN
Ihr Mann grübelt ebenfalls: Wie viele Pferde soll Mister President anspannen lassen, wenn er durch die Straßen fährt? Zehn? Zwei? Er entscheidet sich für sechs.
11 ZU Algor 20:58 He wants enough
OVw
Er will genug Pferde, um anerkannt zu werden als Autorität, aber nicht so viele, dass man ihn fĂĽr einen König halten könnte. Und das sind die Herausforderungen: Spricht man den Präsidenten an als Hoheit? Sollen Kongressabgeordnete Titel bekommen wie „Lord“? Das ist ja eigentlich verrĂĽckt, denn gegen all das Aristokratische hatte man ja jahrelang in der Revolution gekämpft.   Â
MUSIK
1 ERZĂ„HLERIN
Aber: Alles ist jetzt Statement.
2 ERZĂ„HLERIN
Und KalkĂĽl.
1 ERZĂ„HLERIN
Martha fĂĽhlt sich mit den Jahren fĂĽllig. Sie tanzt nicht mehr so gern wie frĂĽher.
2 ERZĂ„HLERIN
George schon. Am liebsten Menuette bis nach Mitternacht.
1 ERZĂ„HLERIN
Ums Gernemachen geht es aber nicht mehr.
12 ZU (Algor 8.28) This is a very patriarchal society…
OVw
Das ist damals eine patriarchale Gesellschaft. Ob das jetzt bei Hofe ist oder eine brandneue Republik: Wer Politik machen will, braucht zwei Sphären. Eine offizielle, da entstehen Gesetze und Verträge. Wichtig ist aber genauso eine zweite Ebene, die politische Prozesse überhaupt ermöglicht. Das ist meist eine inoffizielle Ebene, da finden Gespräch statt bei Partys, beim Abendessen, im heimischen Umfeld. Und hier kommen besonders die Frauen ins Spiel.
1 ERZĂ„HLERIN
Raum geben fĂĽr sozialen und damit politischen Austausch. Frauensache. Martha beherrscht das aus dem Effeff.
2 ERZĂ„HLERIN
Der neue Staat hat noch keine BĂĽrokratie. Wer welchen Job im System bekommt, machen wenige unter sich aus.
MUSIK
1 ERZĂ„HLERIN
Bevorzugt beim Abendessen. Die Tage sind aus Marthas Sicht viel zu fremdbestimmt. Sie kümmert sich um ihren Mann, wie sie es in all den Jahren auf Mount Vernon getan hat oder während der Revolution in den Heerlagern der Armee.
1 ERZĂ„HLERIN
Das wertet sie als ihre Hauptaufgabe als First Lady.
2 ERZĂ„HLERIN
Andere sehen das anders. Plötzlich sind da Repräsentationspflichten, weil die Menschen das zu erwarten scheinen und weil Macht offenbar Repräsentation braucht. Und eine gewisse Aura.
1 ERZĂ„HLERIN
Die – oder eine sehr ähnliche - Aura, wie sie in der alten Welt oftmals Könige und Kaiser umgab.
MUSIK
06 ZITATOR INFO
Bis Mitte der 1770er Jahre betrachten sich viele Einwanderer in Amerika als Europäerinnen und Europäer. Etliche kommen gerade erst aus der alten Welt, die meisten aus Großbritannien und Deutschland. Selbstverständlich gilt: Herrschaft ist Aristokratie, und das wiederum meint Autorität. Nach den Unabhängigkeitskriegen ist die Frage: Die Monarchie ist man los, wer oder was soll aber nun Autorität verkörpern? Und kann oder muss man aus Europa bekannte aristokratische Modelle adaptieren – wenn auch dezent - für ein neues, republikanisches Zeremoniell? Weil einen sonst keiner als Staatsoberhaupt ernst nimmt?
1 ERZĂ„HLERIN
Martha Washington als erste Präsidentengattin nimmt es pragmatisch. Zuerst rekrutiert sie einen eigenen Stab. Mit Polly Lear verfügt sie über eine Sekretärin, die ihr vor allem bei der Korrespondenz behilflich ist. Bob Lewis wird Sekretär und Leibwächter.
2 ERZĂ„HLERIN
Buchhaltung beherrscht sie als langjährige Managerin von Mount Vernon. Mit spitzem Stift rechnet sie nach, ob die Repräsentationskosten die monetäre Ausstattung des Präsidentenamtes übersteigen.
1 ERZĂ„HLERIN
Samuel Francis ist Wirt einer Taverne. Ihn macht Martha zu ihrem Caterer um tea times auszurichten, Parties und Abendessen.
02 ZITATOR
„Ich habe Bälle anlässlich des Geburtstags des Präsidenten erlebt“ -
2 ERZĂ„HLERIN
Berichtet ein französischer Besucher, der Herzog de la Rouchefoucauld-Liancourt.
03 ZITATOR
„Die an Glanz der Räumlichkeiten, an Vielfalt und Pracht der Kleider keinen Vergleich mit Europa zu scheuen brauchen“. (Gerste 2000:24)
MUSIK
1 ERZĂ„HLERIN
Wann immer es geht, versucht Martha ein bisschen altes Leben zurĂĽckzugewinnen. Mit einigen Frauen anderer fĂĽhrender Politiker ist sie seit den Revolutionsjahren befreundet. Abigail Adams, Betsy Hamilton oder Lucy Knox bilden ihren inneren Zirkel. Vertraute, die es braucht.
2 ERZĂ„HLERIN
Und die es bleiben, selbst als die Ehemänner anfangen, politisch sehr andere Richtungen einzuschlagen.
MUSIK
1 ERZĂ„HLERIN
Über Kinder reden, echte Freunde haben statt nur Intriganten in Versailles und vor den Palasttoren das aufgebrachte Volk und eine geifernde Presse - Das würde Frankreichs Königin Marie Antoinette auch gerne. Die jüngste Tochter hat sie verloren, den ältesten Sohn nach langer Krankheit ebenso.
13 ZU Lindinger 30.52
Das war 1789 eben, da hat sie sagen mĂĽssen ja, mein Sohn ist tot, und es interessiert niemanden.
2 ERZĂ„HLERIN
Die Revolutionäre nehmen es als Zeichen von oben: Der Kronprinz ist tot, der Adel kann weg.
1 ERZĂ„HLERIN
Marie Antoinette will auch weg. Ins Exil, in Sicherheit mit den beiden verbliebenen Kindern.
14 ZU Lindinger 35:54
Das Problem war es, dass ihr Mann nicht mitgezogen hat. Er war grundsätzlich ein unfassbar unentschlossener Mensch. Und dann ist Ludwig XVI. in einen Alkoholismus und in eine Depression verfallen. Und das war dann auch die Zeit, wo Marie Antoinette bei den diversen politischen Sitzungen präsidiert hat. Weil ihr Mann unpässlich war, wie man offiziell gesagt hat, also, der ist durch die Gegend getorkelt und ist vor den Ministern gestürzt. Es war relativ kurz vor der Revolution und dann, als die Revolution wirklich ausgebrochen ist im Juli 1789, da wollte sie fliehen. Wie alle anderen Adeligen auch.
15 ZU Lindinger 35:54
Und dann ist aber der König gekommen und hat gesagt „Nein, ich bin der König von Frankreich, ich bleibe in meinem Land“. Und es geht natürlich nicht, dass sie Entscheidungen ganz allein trifft, hat sie die Koffer wieder ausgepackt.
MUSIK & ATMO Revolutionsmenge
ZITATOR INFO
Im Oktober 1789 ziehen die Arbeiterfrauen – darunter auch viele Männer – nach Versailles. Sie singen Revolutionslieder, schlagen alles kurz und klein, holen die Pferde aus den Stallungen, schlachten und braten sie. Die Königsfamilie muss nach Paris umziehen, in den seit Jahrhunderten unbewohnten Tuilerien-Palast. Kein Schritt mehr ohne Erlaubnis. Ausflüge in den Garten oder in die Stadt – nur unter Bewachung. Nach der Versammlung der Generalstände geht die Macht über an die Volksvertretung. Eine Verfassung gilt es noch auszuarbeiten, man gestünde dem König sogar eine Art Machtposition zu. Der will von einer konstitutionellen Monarchie wie andernorts in Europa nichts wissen. Er regiert. Nein, entgegnet die Volksvertretung: Dann ist die Monarchie eben ganz vorbei.
MUSIK
1 ERZĂ„HLERIN
Zum ersten Mal in ihrer Zeit auf dem Thron nimmt Marie Antoinette das strategische Heft in die Hand.
2 ERZĂ„HLERIN
Ihr schwedischer Geliebter Hans Axel von Fersen ist zu der Zeit wieder in Paris.
1 ERZĂ„HLERIN
Die beiden werden zum politischen Powerpaar wie George und Martha Washington.
16 ZU Lindinger 41.18
Der war in Europa sehr gut vernetzt, und sie hat dann alle mögliche Geheimpost, verschlüsselte Post, nicht sichtbare Post mit Zitronensaft versucht, hinauszuschmuggeln. Und manche von diesen Briefen sind ja auch durchaus angekommen, mit den exilierten Adeligen hat es Versuche gegeben, die Monarchie in Frankreich wieder zu reinstallieren sozusagen.
MUSIK
2 ERZĂ„HLERIN
Marie Antoinette verhandelt, arbeitet Ideen aus zusammen mit Fersen. Fluchtrouten werden erstellt.
1 ERZĂ„HLERIN
Der König sitzt in seinem Zimmer, trinkt Wein und tut nichts.
2 ERZĂ„HLERIN
Als Frau allein gelingen Allianzen unter solchen Umständen nicht.
17 ZU Lindinger 41.18
Ich glaube, dass Marie Antoinette keine reale Chance gehabt hat, sich selber wieder zu installieren als Königin. Und das hat sie dann auch eingesehen.
MUSIK
2 ERZĂ„HLERIN
Ein letzter Fluchtversuch aus dem Gefängnis scheitert. Das Urteil Tod durch die Guillotine ist längst gefällt. Auch auf Basis einer erzwungenen Falschaussage ihres kleinen Sohnes. Der König ist zu diesem Zeitpunkt schon hingerichtet. Einzig die älteste Tochter wird es außer Landes schaffen und die Revolution überleben.
1 ERZĂ„HLERIN
In ihrer engen dunklen Zelle im schlichten dunklen Gewand wäre Marie Antoinette jetzt die züchtige Königin, die Frankreich immer aus ihr machen wollte.
2 ERZĂ„HLERIN
Sie betet fĂĽr ihre Kinder und wĂĽnscht sich eines: Ein letztes Mal den geliebten Fersen sehen.
1 ERZĂ„HLERIN
Selbst der hat aufgegeben. Und was sie nie erfahren wird, schon eine neue Herzensdame gefunden weit weg von Paris. Dort wird Marie Antoinette am 16. Oktober 1793 auf der Guillotine hingerichtet.
2 ERZĂ„HLERIN
Während in der Alten Welt das Ende der des Absolutismus eingeläutet ist, bahnt sich in der Neuen längst ein republikanischer Anfang.
MUSIK
1 ERZĂ„HLERIN
Martha Washington hätte gerne mehr Zeit für die Enkel, würde gerne endlich wieder heim auf die Plantage Mount Vernon. Sie sieht aber auch, wie sehr politische Freunde auf eine zweite Amtszeit ihres Mannes drängen, wie sehr die jungen Vereinigten Staaten noch ein bisschen länger diesen Vater der Nation brauchen, um stabil zu werden. Die Kongressarbeit läuft, aber es bilden sich Parteien heraus, die sich nichts schenken. Die Kluft zwischen Nord- und Südstaaten klafft tiefer. George berät sich mit seiner Frau.
1 ERZĂ„HLERIN
Wenn er bereit ist, ist sie es auch.
2 ERZĂ„HLERIN
Wie immer.
1 ERZĂ„HLERIN
Im Frühjahr 1793 ist er zum zweiten Mal der erste Mann im Staat. Die innen- und außenpolitischen Umstände sind verschärft. Die Französische Revolution radikalisiert sich zunehmend.
MUSIK
07 ZITATOR INFO
Weniger als eine Woche nach Georges erneutem Amtsantritt kommt die Nachricht aus Frankreich: Nach König Louis XVI. ist jetzt auch seine Frau Marie Antoinette hingerichtet worden. Viele der aristokratischen französischen Offiziere, die im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gekämpft hatten, sind eingekerkert und warten auf die Guillotine. In Philadelphia und anderen Städten feiern Anhänger den Sieg der französischen Revolution. Die reiche konservative Oberschicht an der OstkĂĽste dagegen fordert lautstark, nun wieder GroĂźbritannien zu unterstĂĽtzen. Theoretisch sind die USA noch als Partner an Frankreich gebunden, das ja einst die amerikanische Unabhängigkeit unterstĂĽtzt hatte.     Â
2 ERZĂ„HLERIN
Aber das Frankreich Louis XVI. gibt es nicht mehr, argumentiert Washington. Er versucht vehement, sein Land zu den französischen Ereignissen auf Abstand zu halten.
1 ERZĂ„HLERIN
Martha unterstützt ihn. Sie hat genug gesehen von Krieg. Die Gräuel in Frankreich machen sie fassungslos. Das junge amerikanische Staatswesen hat aus ihrer Sicht Europa einiges voraus.
08 ZITATOR PRESSE 1
„Das außerordentliche Wissen, das sie erworben hat im Austausch mit Menschen aus aller Welt, macht sie zu einer besonders interessanten Gesprächspartnerin.“
1 ERZĂ„HLERIN
Schreiben Journalisten ĂĽber sie.
09 ZITATOR PRESSE 1
„Sie hat ein lebhaftes Gedächtnis und kann die komplette Historie eines halben Jahrhunderts aufleben lassen.“ (Brady 2005:215)
MUSIK
1 ERZĂ„HLERIN
Im März 1797 zieht Martha Washington mit ihrem Mann zurück nach Mount Vernon, endgültig. Ihr bekanntester Satz in den Geschichtsbüchern wird sein:
08 ZITATORIN MARTHA
Bleiben sie standhaft meine Herren. George wird es auch sein.
1 ERZĂ„HLERIN
Von Marie Antoinette bleibt als prominentestes Zitat:
03 ZITATORIN MARIE
Wenn das Volk kein Brot hat, soll es Kuchen essen.
2 ERZĂ„HLERIN
Das hat sie so nie gesagt.
1 ERZĂ„HLERIN
Es traute ihr nur jeder zu. Und das ist typisch für Marie Antoinette, die Dauerverleumdete. Der die Presse alles unterstellte – die aber vielleicht auch einfach nur sie selbst sein wollte, doch zerrieben wurde in einem überkommenen System, das sie zeitlebens vor das Rätsel stellte: Was will die Welt denn nun von einer Königin Frankreichs?
2 ERZĂ„HLERIN
Martha Washington hatte eine ganz ähnliche Frage: Was wollen die USA von der Gattin des ersten Präsidenten? Auch sie gab einfach mal sich selbst – im Unterschied zu Marie Antoinette durfte sie das. Weil es für sie noch keine Folie gab, kein Zeremoniell und keine dynastischen Verpflichtungen, weil das Amt des Mannes es in sich hat, dass man es irgendwann abgibt, und der nächste ist gewählt.
1 ERZĂ„HLERIN
Martha und Marie – Marie und Martha: Mit der einen geht eine Ära zu Ende.
2 ERZĂ„HLERIN
Mit der anderen beginnt ein neues Zeitalter.