Alles Geschichte - History von radioWissen   /     DIE FIRST LADY UND DIE KĂ–NIGIN - Martha Washington und Marie Antoinette, Teil 1

Description

Die eine steigt als First Lady der jungen USA zur Ikone auf. Die andere wird als Königin geköpft. Martha Washington und Marie Antoinette sind Frauen an der Spitze von Staaten in revolutionären Zeiten. Getroffen haben sie sich nie, aber ähnliche Erfahrungen gemacht auf der Suche nach ihrer Rolle. Folge 1. Von Susi Weichselbaumer (BR 2024)

Subtitle
Duration
00:23:07
Publishing date
2024-11-01 07:00
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/alles-geschichte-history-von-radiowissen/die-first-lady-und-die-koenigin-martha-washington-und-marie-antoinette-teil-1/2099285
Contributors
  Susi Weichselbaumer
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2099285/c/feed/die-first-lady-und-die-koenigin-martha-washington-und-marie-antoinette-teil-1.mp3
audio/mpeg

Shownotes

Die eine steigt als First Lady der jungen USA zur Ikone auf. Die andere wird als Königin geköpft. Martha Washington und Marie Antoinette sind Frauen an der Spitze von Staaten in revolutionären Zeiten. Getroffen haben sie sich nie, aber ähnliche Erfahrungen gemacht auf der Suche nach ihrer Rolle. Folge 1. Von Susi Weichselbaumer (BR 2024)

Credits
Autorin & Regie: Susi Weichselbaumer
Es sprachen: Katja Amberger, Irina Wanka, Florian Schwarz, Katja Schild, Peter WeiĂź, Friedrich Schloffer, Hemma Michel, Peter Veit, Gudrun Skupin, Jennifer GĂĽzel
Technik: Josef Angloher
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Catherine Allgor, Michaela Lindinger

Linktipps:

Deutschlandfunk (2019): First Ladies in Deutschland – Die Rolle der Bundespräsidenten- und Kanzlergattinnen

Mal sozial engagiert, mal selbst politisch aktiv: Die Frauen der deutschen Staatsmänner hatten durchaus Einfluss – doch ihr Engagement geriet im Schatten der Ehemänner oft in Vergessenheit. Historikerin und Buchautorin Heike Specht hat die First Ladies seit 1949 porträtiert. JETZT ANHÖREN

radioWissen (2021): Frei, gleich und brüderlich – Die Französische Revolution  

In schwarzem Trauergewand sitzt Marie Antoinette in ihrer primitiven Zelle in der Conciergerie - bewacht von Soldaten der Revolutionsregierung. Mit der Losung "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" schafften die Revolutionäre nicht bloß die Abkehr vom feudalen Ständestaat - sie formulierten ein Ideal, das heute in den Verfassungen der Demokratien zur selbstverständlichen Norm geworden ist. Noch heute gedenken die Franzosen an ihrem Nationalfeiertag, dem 14. Juli, des Sturms auf die Bastille. Doch das anfängliche Hochgefühl wich bald dem Terror. JETZT ANHÖREN

Deutschlandfunk (2024): George Washington – Das Erbe des ersten „Mr. President“  

Am 30. April 1789 wurde George Washington als erster US-Präsident vereidigt. Er begründete nicht nur den Supreme Court, die US-Marine und die nach ihm benannte Hauptstadt. Washington prägte auch das neue Amt und wie sich ein Mr. President inszeniert. JETZT ANHÖREN

Und hier noch ein paar besondere Tipps fĂĽr Geschichts-Interessierte:


Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?

DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.

Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. 

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

MUSIK & ATMO

1 ERZĂ„HLERIN
Martha kommt. In dichten Reihen drängen sich die Menschen an diesem Frühlingstag in den staubigen Straßen von New York. Die Menge jubelt, schwenkt Fahnen, wirft Hüte.

2 ERZĂ„HLERIN
Ellbogen stechen in Rippen. Hände schieben.

1 ERZĂ„HLERIN
Dreizehnmal donnern die Kanonen zum Salut. Als die prächtig geschmückte Fähre - Stoffbahnen und Blumenranken an Bug und Heck in rot, weiß und blau - als die prächtig geschmückte Fähre anlegt an der Südspitze Manhattans –

2 ERZĂ„HLERIN
Sehen die meisten in der Masse gar nichts vor lauter wedelnder Wimpel und grĂĽĂźender TaschentĂĽcher.

1 ERZĂ„HLERIN
Dabeisein ist alles an diesem 27. Mai 1789.

ZITATOR PRESSE 1
Der erste Präsident bezieht offiziell seinen provisorischen Amtssitz an der Ecke Cherry und Queen Street –

ZITATOR PRESSE 2
Wochenlang haben George Washington und sein Stab hier alles vorbereitet – nun kommt seine Frau Martha nach –

ZITATOR PRESSE 1
Cherry Street Number 3 –

ZITATOR PRESSE 2
Später wird der Präsident mit seiner Familie in Philadelphia wohnen, in der neuen Hauptstadt der – neuen – Vereinigten Staaten.

1 ERZĂ„HLERIN
Die USA haben einen Präsidenten, gewählt vom Volk, seine Macht ist eine qua Amt. Damit beginnt eine neue Zeitrechnung: Die westliche Moderne.

MUSIK

2 ERZĂ„HLERIN
Nur drei Wochen später, am 14. Juli 1789 geht eine andere Ära zu Ende. Im alten Europa, in Frankreich stürmen die Revolutionäre die Bastille. Die Monarchie muss weg.

1 ERZĂ„HLERIN
Im Zentrum dieser beiden Großereignisse so knapp hintereinander, stehen zwei Frauen, deren Leben gar nicht so unähnlich sind. Getroffen haben sie sich nie. Aber sicher ähnliche Erfahrungen gemacht – wenn auch mit sehr unterschiedlichem Ausgang. Die eine: Marie Antoinette, Königin von Frankreich, bekannt für ihre berüchtigte Verschwendungssucht, ihre modischen Exzesse, frivolen Partys. Die andere: Martha Washington. Die erste Mutter einer neuen Nation. Die eine Tochter aus österreichischem Kaiserhaus. Der Vater der anderen ein Tabakpflanzer aus Virginia. Beide stehen irgendwann an der Spitze eines Staates, in der Rolle einer Königin, einer First Lady. Die eine wird helfen ein neues System zu etablieren, der anderen wird ein altes System aus den Fingern gleiten. 

2 ERZĂ„HLERIN
Ausgesucht haben sich die beiden ihre jeweiligen Spitzenposten nicht.

MUSIK & ATMO

2 ERZĂ„HLERIN
Als am 27. Mai 1789 ganz Manhattan auf den Beinen ist, um die Gattin des Präsidenten zu begrüßen, macht Martha Washington mit, weil man an die Seite des Mannes gehört, wie sie findet:

ZITATORIN MARTHA
„Er ist viel zu alt, um nochmal groß einzusteigen in die Politik. Aber da es nicht zu verhindern ist, gehe ich mit.“

1 ERZĂ„HLERIN
Per Fähre holt er sie feierlich ab von der anderen Seite des Hudson River. Die begeisterten Bürgerinnen und Bürger der rund 33.000 Einwohner zählenden Stadt New York, überhaupt der neuen Nation, der United States of America, feiern: Martha Washington…

2 ERZĂ„HLERIN
Die winkt. Wohl eher verhalten.

MUSIK & ATMO

2 ERZĂ„HLERIN
Die kleine, rundliche Frau mit den weißen Locken unter der Haube ist 58 Jahre alt, mehrfache Großmutter und mit Leib und Seele Managerin des Familienanwesens Mount Vernon. Das liegt 250 Meilen, also mehrere Tagesreisen entfernt, idyllisch an den Ufern des Potomac River, mit Blick auf die grünen Hügel und Wälder des ländlichen Virginia. 

1 ERZĂ„HLERIN
Jetzt ist sie zudem die erste –

2 ERZĂ„HLERIN
Ja, was eigentlich?

1 ZU (0.52+5.42) It is interesting… without job description
OVw
Diese Rolle der „First Lady“, hatte keine Jobbeschreibung.

2 ERZĂ„HLERIN
Sagt Catharine Allgor. Sie ist Vorsitzende der Massachusetts Historical Society in Boston.
2 ZU (6.02) This happens a lot…
OVw
Wenn man sich mit Frauengeschichte beschäftigt, hat da vieles keinen offiziellen Rahmen. Bei George Washington als erstem Staatsoberhaupt einer Republik war klar, eine aristokratische Ansprache geht gar nicht. Also wurde er auf eigenen Vorschlag „Mister President“.

2 ERZĂ„HLERIN
Und sie?

MUSIK

03 ZITATOR PRESSE 1 + 03 ZITATOR PRESSE 2 + div.
„Gott schütze Lady Washington!“     

1 ERZĂ„HLERIN
Rufen die Menschen bei ihrer Ankunft in New York.

2 ERZĂ„HLERIN
Die Zeitungen titeln genauso. Oder ganz anders. Der Daily Advertiser vom 15. Juni 1789 etwa berichtet:

04 ZITATOR PRESSE 2
„Ihre Hoheit (Martha Washington), die letzte Woche durch einen Schmerz im dritten Gelenk des vierten Fingers der linken Hand sehr indisponiert war, ist – wir sind in der glücklichen Lage, dies kundzutun – auf dem Wege der Genesung, nachdem sie sich eine Erkältung zugezogen hatte, als sie in jenem Pelzmantel ausging, den ihr jüngst der russische Botschafter als Geschenk der Prinzessin vermacht hatte.“ 

2 ERZĂ„HLERIN
Lady Washington. Hoheit. Prinzessiale Pelzmantelgeschenke. Und plötzlich ist das dritte Gelenk des vierten Fingers - 

1 ERZÄHLERIN 
Der linken Hand -

2 ERZĂ„HLERIN
Ist selbst das von allseitigem Interesse. Offizielle Dinner und Empfänge müssen sein -

ZITATORIN MARTHA
“Mein Leben ist langweilig. Tatsächlich fühle ich mich wie eine Staatsgefangene.”

2 ERZĂ„HLERIN
Schreibt Martha Washington am 23. Oktober 1789 aus New York an ihre Lieblingsnichte Fanny, wenige Monate nach dem Amtsantritt ihres Mannes. 

MUSIK

03 ZITATORIN MARTHA
“Es gibt bestimmte Grenzen für mich, die ich einhalten muss. Und da ich nicht hartnäckig angehen kann dagegen, sitze ich eben viel zuhause. Der Präsident ist diese Woche aufgebrochen zu einer Reise an die Ostküste.“

2 ERZĂ„HLERIN
Einsamkeit von Amtswegen. Genauer ob Amt des Ehemannes. In Europa kennen diesen Zustand Kaiserinnen und Königinnen seit Jahrhunderten. An den Höfen ist alles Ritus. Wer da was warum mehr oder weniger traditionell zu tun und zu lassen hat, wird nicht hinterfragt. Man unterwirft sich der Routine, folgt der Folie, weil es erwartet wird.

1 ERZÄHLERIN 
Rang und Rolle definieren, wo man geht und steht. Neben wem, hinter wem und bei wem gar nicht. Ausbrechen aus dem Regelwerk wäre Verrat am System. Die europäischen Adelshäuser funktionieren als streng geführte Familienunternehmen.

2 ERZĂ„HLERIN
Nicht die oder der einzelne ist bedeutsam als Person, die Firma muss weiterlaufen, expandieren, Gewinne bringen. Kinder, besonders Söhne, sichern die Zukunft. Gebiete erweitert man durch Kriege - oder Heirat. Dabei gilt: Allianzen mit Nachbarn entstehen und vergehen.

2 ERZĂ„HLERIN
Die Sippe soll bleiben –

1 ERZĂ„HLERIN
Und zwar an der Macht.   

2 ERZĂ„HLERIN
Ein Paradebeispiel dafĂĽr:

MUSIK

2 ERZĂ„HLERIN
Fünfzehn Jahre, bevor Martha Washington „Lady Hoheit Mrs. President“ wird, am 10. Mai 1774, besteigt in Frankreich Louis XVI. den Thron. Seine Frau Marie Antoinette macht das zur Königin.

01 ZITATORIN MARIE
"Die Leute glauben es sei so einfach die Königin zu spielen, aber sie irren. Nichts als Vorschriften und Zeremoniell, natürlich zu sein ist anscheinend ein Verbrechen."

1 ERZĂ„HLERIN
Dabei wäre Marie Antoinette –

2 ERZĂ„HLERIN
Ganz anders als Martha Washington, Tochter eines Tabakpflanzers in der Kolonie Virginia –

1 ERZĂ„HLERIN
Maria Antoinette, eigentlich Maria Antonia Josepha Johanna, wäre
vorbereitet gewesen auf ein Leben an der Spitze eines Staates in Pracht und Prunk.

2 ERZĂ„HLERIN
Theoretisch. Schon als kleinem Mädchen ist ihr vieles, um es Österreichisch zu sagen, wurscht.

1 ERZĂ„HLERIN
Ihrer Mutter nicht. Die nur Regentin, aber gerne genannt Kaiserin Maria Theresia ist ehrgeizig. Auch für das Nesthäkchen, Kind Nummer 16, Maria Antonia Josepha Johanna, gibt es keine Ausnahme.
3 ZU Lindinger 1:30
Es ist kein Honigschlecken gewesen.

1 ERZĂ„HLERIN
Sagt Michaela Lindinger. Die Kuratorin des Wien Museums hat 2023 eine Biografie veröffentlicht: „Marie Antoinette. Zwischen Aufklärung und Fake News“.

4 ZU Lindinger 1:30
In Ă–sterreich ist noch immer dieses Bild von Maria Theresia, dass sie so eine Mutterfigur war und alles so wunderbar und auch die vielen Kinder, die hat sie nicht bekommen, weil sie eine groĂźe Familie wollte, sondern die wollte Macht und Kontrolle, die sie mit Hilfe dieser Kinder in Europa ausĂĽben kann.

2 ERZĂ„HLERIN
Eroberungskriege sind teuer, also expandiert Maria Theresia lieber mittels Heirat. Statt Herz – Kalkül.

1 ERZĂ„HLERIN
Hauptsache Throne besetzen. Wenn nicht durch die eine, dann durch die andere Tochter.

5 ZU Lindinger 1:30
Maria Josepha hätte Königin werden sollen von Neapel-Sizilien. Nachdem die tot war, hat sie eine Woche später schon den Leuten unten die nächste Kandidatin präsentiert: Maria Carolina. Die ist dann Königin von Neapel-Sizilien geworden und es war dadurch für die nächste Maria Antonina: So und Du wirst jetzt Königin von Frankreich.

MUSIK

1 ERZĂ„HLERIN
Mit Toben im Spielzimmer ist Schluss. Schnell engagierte französische Lehrer sollen das Kind im Crashkurs vorbereiten.

2 ERZĂ„HLERIN
Das Kind hat keine Lust auf Lesen. Lernen nach Lehrbuch fällt dem Mädchen schwer. Klassische Bildung langweilt. Maria Antonia liebt Musik, Tanz und Theater.

1 ERZĂ„HLERIN
Die Kaiserin resigniert und setzt auf Aussteuer und Aussehen der Tochter. Aus Paris kommt ein neuer Schönheitstrend: Lächeln. Also muss ein französischer Zahnarzt an die Hofburg, um Maria Antonia eine Spange zu verpassen.

1 ERZĂ„HLERIN
Mit korrekt reguliertem Lächeln kommt die künftige Braut in Versailles an.

2 ERZĂ„HLERIN
Und merkt: Pariser Bürgerinnen mögen übers ganze Gesicht strahlen, das gilt als modern. In der Hauptstadt treffen sich die besser gestellten Damen in fröhlichen Salons, flanieren durch Parks, spielen nachmittags mit den Kindern, tanzen abends auf Bällen.

ATMO Tischglocke

1 ERZĂ„HLERIN
In französischen Königspalästen, erklären die ältlichen Madams, die Marie Antoinette zur Seite gestellt werden, blickt man angemessen drein.

6 ZU Lindinger 4:30
Dieser hohe Adel in Versailles hat den Mund verkniffen zugehabt und es war ja das ganze Gesicht auch mit einer sehr giftigen Paste zu gepudert. Also man hat den Mund kaum aufgebracht. Und somit war das Mädchen, das mit 14 Jahren nach Frankreich gekommen ist, für das Umfeld, in dem sie leben sollte, überhaupt nicht vorbereitet. In Paris glaube ich, hätte es ihr sehr gut gefallen, in Versailles war sie eine Katastrophe.  

2 ERZĂ„HLERIN
Insgesamt ist hier gar nichts wie daheim in Wien.

7 ZU Lindinger 7:24
Maria Theresia hat diese 16 Kinder gehabt und dauernd Kriege fĂĽhren mĂĽssen und hat schauen mĂĽssen, dass Geld in die Staatskasse kommt und dadurch war dieser Hof ein bissl schlampig. Durchreisende haben das immer wieder betont, es funktioniert schon alles irgendwie. Im Vergleich zu Versailles, wo alles durchorganisiert war, wo jeder genau gewusst hat, wo er an welchem Tag zu welcher Stunde sein wird, wo man nur Floskeln sagen durfte, ĂĽberhaupt nicht frei herausreden, was man denkt, das war die Marie Antoinette ĂĽberhaupt nicht gewohnt.

MUSIK

ZITATOR INFO
Von einem aufgeklärten Absolutismus wie in der Wiener Hofburg ist Versailles damals weit entfernt. Das französische Staatssystem orientiert sich streng an der Vergangenheit. Ludwig XV. macht weiter, wie Ludwig XIV. es vor ihm gemacht hat – und Ludwig XVI. es nach ihm beibehalten wird. Man ist auf Bestand ausgerichtet, auf Wahrung dessen, was man kennt. Der politische Weitblick der französischen Monarchen endet denn meist an den mit reichen Tapeten geschmückten Wänden Versailles. Statt weltmännisch mitzumischen auf europäischem Parkett, zerreiben sich der König und alle unter ihm in der kleinteiligen Tagestaktung des Hofzeremoniells.

2 ERZĂ„HLERIN
Das ist so filigran austariert, dass man es einer Neuen im System wie Marie Antoinette lang und ausführlich erläutern müsste.

1 ERZĂ„HLERIN
Das lassen die ältlichen Tanten, deren Aufgabe es hätte sein sollen. Vielleicht denken sie, das Kind müsste das doch eh wissen.

2 ERZĂ„HLERIN
Oder sie wollen gar nicht, dass die Ausländerin etwas weiß. Ihnen womöglich den Rang abläuft, Einfluss gewinnt. Marie Antoinette bleibt folglich nur das, was sie von daheim kennt.

8 ZU Lindinger 10:27
Zum Beispiel hat sie gesagt okay, wenn ich das Zimmer verlasse, dann kann die Kerze ruhig dort in dem Kerzenständer drinnen bleiben. Und wenn ich wieder zurückkehre, hat sie zum Personal gesagt, dann zündet sie einfach wieder an. So ist es in Wien gehandhabt worden.

MUSIK

Aber der Hausbrauch in Versailles war eben so: Die Kerzen, die bereits angezündet waren, wurden dem Dienstpersonal übergeben. Die haben die weiterverkauft. Und dadurch, dass diese neue Dauphin gesagt hat, wir lassen die Kerzen einfach drinstehen, haben die einen Verdienstentgang gehabt. Und was man dann weitererzählt hat, war: Die neue Dauphine nimmt den Dienstboten das Geld weg. So ist von Anfang an ist diese junge Frau in einem sehr schlechten Ruf geraten.

ZITATORES
l'Autrichien/ Die Österreicherin/ Die Ausländerin/ l'étranger

1 ERZĂ„HLERIN
Ganz Versailles schüttelt darüber den Kopf. Und über ihren Kleidungstil. Ihr noch wenig geschliffenes Französisch. Ihre unverblümte Art. Über alles an ihr. Ständig.

2 ERZĂ„HLERIN
Und man sticht alles und ständig durch an die Boulevard-Presse. Die entsteht in Paris gerade, immer mehr Menschen können lesen. Klatschheftchen wie die sogenannten „Libelles“ überschlagen sich bald in Geschichten und Skandalen über eben:

ZITATORES
l'Autrichien/ Die Österreicherin/ Die Ausländerin/ l'étranger

2 ERZĂ„HLERIN
Von ihrem Mann Ludwig XVI. kommt keine Hilfe.

9 ZU Lindinger 13.06
Was natĂĽrlich auch alle gewusst haben, dass er ĂĽberhaupt kein Interesse an ihr hat. Und somit waren da im Endeffekt sieben Jahre, wo kein ehelicher Verkehr stattgefunden hat und dadurch natĂĽrlich Marie Antoinette keine Kinder bekommen hat und wo immer dieses Damoklesschwert ĂĽber ihr gehangen ist. Sie hat keinen Thronfolger auf die Welt gebracht.

MUSIK

ZITATORIN MARIA THERESIA
Bitte sei doch nett zu deinem Mann. Alles hängt von dir ab. Also schau, dass du möglichst viel Zeit mit deinem Mann verbringst.

10 ZU Lindinger 13.06
Diese Marie-Antoinette hat sich unfassbar unter Druck gesetzt gefühlt durch diese ständigen Schreiben ihre Mutter.

2 ERZÄHLERIN 
Zugleich setzen ihr die kursierenden Spottschriften zu. Auch weil immer irgendein Bediensteter oder Adeliger ganz zufällig so ein Papier in Versailles herumliegen lässt. Sie ist die Königin von Frankreich.

1 ERZĂ„HLERIN
Die nicht zu Frankreich passt. Was soll sie anfangen mit dieser Rolle?

MUSIK

2 ERZĂ„HLERIN
15 Jahre später und einen Kontinent weiter steht unter sehr anderen Umständen, aber doch ähnlich eine andere Frau vor genau der Frage. Der große Unterschied: Die Menschen lieben sie und ihr George auch. Dazu kommt: Sie steckt in keinem tradierten System fest, in keiner Dynastie, die auf Gedeih und Verderb weiter existieren muss. Die Kinderfrage ist keine Staatsraison, sondern eine private. Verwandtschaftsbeziehungen über Grenzen hinweg spielen keine Rolle. Die Gnade Gottes erweist sich vielleicht in kleinen Dingen und spendet Trost in großen Tragödien. Prädestiniert aber nicht für eine Thronfolge. Hier wählt das Volk. Oder wählt ab.

1 ERZĂ„HLERIN
Als Martha Washington im Mai 1789 ankommt in New York, bejubelt von den Massen, weiĂź sie nicht, was von ihr erwartet wird. Aber wahrscheinlich weiĂź das niemand so recht.

MUSIK

01 ZITATOR INFO
Präsident George Washington leitet ein völlig neues Staatskonstrukt. Es wundert wenig, dass sich die ebenfalls neu eingeführten Wahlmänner als Repräsentanten des amerikanischen Volkes entschieden haben für ihn. Washington, den integren, hochangesehenen Helden der Unabhängigkeitskriege. Ehemaliger Chef der Kontinentalarmee, ein herausragender Stratege und General, der den Sieg über die Briten herbeigeführt hat und damit das Ende der Kolonialherrschaft von George III. besiegelt. Politische Gegner halten ihn mit 67 Jahren für zu alt, zu schwach, zerrieben und verbraucht in den langen, durchaus nicht durchgängig erfolgreichen Revolutionsjahren. Befürworter koppeln an diesen unermüdlichen Einsatz und seine Lebenserfahrung die Erwartung: Washington wird die Vereinigten Staaten zusammenführen zu etwas Ganzem, Einheitlichem. Der Präsident soll gemeinsam mit dem frisch gewählten Kongress aus vormals 13 Kolonien eine unabhängige Nation formen, als demokratisch legitimierter Vater der Nation, nicht als Herrscher von Geburtswegen und Gottes Gnaden.

2 ERZĂ„HLERIN
Wird man als Ehefrau damit automatisch zur „Mutter der Nation“? Martha Washington ist ein Familienmensch, kümmert sich rührend um ihre Enkel, die bei ihr leben. Familie ist für sie etwas Privates.

1 ERZĂ„HLERIN
Auf einmal wird all das Gegenstand begeisterter Neugier. Allein schon, was sie anzieht, erregt plötzlich höchstes öffentliches Interesse. Martha trägt gerne Weiß. Die Zeitungen schwärmen: Weiß, die Farbe der Bescheidenheit! Der Güte! Freundlichkeit, menschlichen Wärme.

MUSIK

04 ZITATOR PRESSE 1
„Sie war gekleidet in Gewänder unseres Landes, in denen ihre natürliche Güte und ihr Patriotismus auf das Vorteilhafteste herausgestellt wurden.“

1 ERZĂ„HLERIN
Martha mag am liebsten französische Schnitte. In jungen Jahren verspielt und enganliegend, später gesetzter, reifer.  

03 ZITATORIN MARTHA
„Schönheit liegt nicht in unserem Aussehen, sondern in dem Gefühl, das wir anderen Menschen geben“.

MUSIK

2 ERZĂ„HLERIN
Königin Marie Antoinette in Frankreich teilt diese Ansicht. Auch wenn sich die beiden nicht kennen, nie begegnen werden. Diesen Drang nach Leben außerhalb jeglicher von anderen zugeschriebenen Rollen formulieren beide in ihren erhaltenen Briefen. Marie Antoinette ist weit jünger als Martha Washington, als sie erste Frau im Lande wird. Sie will weniger einfach mal nur Ruhe mit der Familie und Bekannten wie Martha. Marie möchte unter Menschen sein, mittendrin, frei – lachen und romantisch lieben. Wie die Heldinnen in den damals angesagten Romanen, die sie verschlingt.

1 ERZÄHLERIN 
Ihr Mann erweist sich weiter als Totalausfall. Auf dem Thron und im Bett.

9 ZU Lindinger 13.06
Das hat dann sehr viel damit zu tun gehabt, dass
sie eine sehr tanzfreudige, eine sehr amüsierwütige junge Frau geworden ist, die sich hauptsächlich in Paris eben mit ihren Freundinnen und Freunden aufgehalten hat und versucht hat, diesem unfassbar anstrengenden Leben mit diesem schrecklichen Mann an der Seite so viel wie möglich fernzubleiben. Das war eine innere Rebellion.

1 ERZĂ„HLERIN
Zeremoniell hin oder her: Versailles ist ein perfekt und perfide eingespielter Intrigenstadel.

2 ERZĂ„HLERIN
Dem Teenager aus Österreich ist das egal! Ihre Vorgängerinnen sieht man vielleicht einmal im Jahr bei öffentlichen Auftritten, sittsam gekleidet. Die einzige Aufgabe: Kinder bekommen und Erzieher für sie aussuchen. Die Männer sollen Geschichte schreiben, fahren per Prunkgespann durch die Avenuen.

MUSIK

2 ERZĂ„HLERIN
Marie Antoinette ist eine Frohnatur. Frisch in Frankreich ist sie der Obhut der ältlichen Tanten bald überdrüssig. Sie versammelt eine Clique Gleichaltriger um sich. Jeden Tag: Picknick, Schnitzeljagd, Ausfahrt. Jeden Abend: Gelage und Party.

1 ERZĂ„HLERIN
Politisch verhandelt wird bei diesen Veranstaltungen nichts. Auch wenn die Mutter, Kaiserin Maria Theresia, aus Wien mahnende Briefe schreibt, das Kind möge helfen mehr österreichische Botschafter am Versailler Hof zu installieren, die eine oder andere strategische Strippe ziehen, sich nicht dauernd von der angeheirateten Familie abwimmeln lassen und abstempeln als „Die Österreicherin“. Und: Sie kleide sich bitte angemessen!

2 ERZÄHLERIN   
Marie Antoinette liebt Designerstücke, die oft märchenhaft-bürgerlich anmuten. Schneidern lässt sie dort, wo es ihr gefällt: Hoflieferant oder Hinterhof-Atelier. Wichtig ist nur: Üppige Prachtroben, eng geschnürt, in denen man sich kaum bewegen kann und permanent Atemnot droht –
Nein, Danke! Das grand corps, ein spezielles Korsett, edelsteinbestickt von französischen Prinzessinnen bleibt im Schrank.

1 ERZĂ„HLERIN
Das kommt beim Hochadel nicht gut an.

2 ERZÄHLERIN   
Luftig soll es sein – in angedeuteter Bescheidenheit absolut extravagant.    

1 ERZÄHLERIN   
Und orbitant. Teuer. Das steuergeplagte Volk verurteilt sie dafĂĽr.

2 ERZĂ„HLERIN
Was weiĂź das Volk schon?

1 ERZĂ„HLERIN
Das, was die Gazetten schreiben, erklärt Biografin Michaela Lindinger.

10 ZU Lindinger 20:39
Dann hat sie es auch noch gewagt, Herrenkleidung zu tragen. Und hat sie sich auch noch zu Pferd in eben diesen Herrenhosen porträtieren lassen, also praktisch wie ein König. Und man hat nicht nur den Kopf geschüttelt. Man hat versucht, gegen diese Frau vorzugehen. Sie war eine Persona non grata, wirklich von Anfang an.

MUSIK

1 ERZĂ„HLERIN
Das weiĂź das Volk.

2 ERZĂ„HLERIN
Aber eins kann man ihr nicht nehmen: Sie ist die Königin!

1 ERZĂ„HLERIN
Was soll schon schiefgehen?