Alles Geschichte - History von radioWissen   /     STEINZEIT UND DANACH - „Ackern“ und Gewalt in der Jungsteinzeit

Description

In der Jungsteinzeit, dem Neolithikum, haben die Menschen das Überlebensprinzip "Arbeit" erfunden. Bislang lebten JĂ€ger und Sammler von der Hand in den Mund, doch die ersten Bauern und ViehzĂŒchter mussten das Ackerland pflĂŒgen, Unmengen Unkraut jĂ€ten und Tiere hĂŒten. Sie wurden Bauern, sesshaft, innovativ - und offenbar auch gewalttĂ€tiger, als sie es bis dahin waren. Von Matthias Hennies (BR 2019) Hier der Link zur Umfrage fĂŒr die ARD Audiothek: https://1.ard.de/umfrage-alles-geschichte- FĂŒr alle anderen Podcast-Plattformen: Bitte nutzt den Link in den Shownotes.

Subtitle
Duration
00:22:58
Publishing date
2024-11-29 08:05
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/alles-geschichte-history-von-radiowissen/steinzeit-und-danach-ackern-und-gewalt-in-der-jungsteinzeit/2100338
Contributors
  Matthias Hennies
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2100338/c/feed/steinzeit-und-danach-ackern-und-gewalt-in-der-jungsteinzeit.mp3
audio/mpeg

Shownotes

In der Jungsteinzeit, dem Neolithikum, haben die Menschen das Überlebensprinzip "Arbeit" erfunden. Bislang lebten JĂ€ger und Sammler von der Hand in den Mund, doch die ersten Bauern und ViehzĂŒchter mussten das Ackerland pflĂŒgen, Unmengen Unkraut jĂ€ten und Tiere hĂŒten. Sie wurden Bauern, sesshaft, innovativ - und offenbar auch gewalttĂ€tiger, als sie es bis dahin waren. Von Matthias Hennies (BR 2019) Hier der Link zur Umfrage fĂŒr die ARD Audiothek: https://1.ard.de/umfrage-alles-geschichte- FĂŒr alle anderen Podcast-Plattformen: Bitte nutzt den Link in den Shownotes.

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Credits
Autor: Matthias Hennies
Regie: Martin Trauner
Sprecher: Thomas Birnstiel
Technik: Christian Schimmöller
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Dr. Martin Hinz, Dr. Helmut Schlichtherle, Manuela Fischer, Margarethe Schweikle, Prof. Thomas Saile, Dr. Heiner Schwarzberg

Linktipps:

ZDF (2019): Tatort Steinzeit

Immer wieder stoßen Forscher auf die Spuren von Gewalt, die in diesem Ausmaß aus frĂŒheren Epochen unbekannt sind. Wer waren die Opfer und wer die TĂ€ter? JETZT ANSEHEN

SWR (2018): ArchĂ€ologie erleben – Akte Jungsteinzeit

Wieso wurden vor 7.500 Jahren die Menschen im SĂŒdwesten sesshaft? Dank neuer wissenschaftlicher Methoden können ArchĂ€ologen endlich RĂ€tsel aus unserer Geschichte lösen. JETZT ANSEHEN

Und hier noch ein paar besondere Tipps fĂŒr Geschichts-Interessierte:


Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt ĂŒber bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?

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Wir freuen uns ĂŒber Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ATMO (GesprÀch & Knistern)
Planen drĂŒber! Ist das Timing, Baby? Eine Minute, dann geht’s los hier! Dann geht das richtig los. Blende, unterlegen.

Sprecher
Dunkle Wolken ziehen auf, der Wind schĂŒttelt die Kronen der alten Buchen und die ArchĂ€ologen legen die Schaufeln beiseite. Wenige Kilometer von der OstseekĂŒste entfernt, in einem Wald bei Wangels in Holstein, untersuchen sie ein Großsteingrab aus der Jungsteinzeit. Rund um die riesigen Findlinge, die den Bestattungsplatz der frĂŒhen Bauern markieren, tragen sie Zentimeter fĂŒr Zentimeter die Erde ab. Doch nun droht der nĂ€chste Regenguss und sie mĂŒssen die Ausgrabung mit einer dicken Plane zudecken.

ATMO (GesprÀche & Knistern)
Muss da noch höher, das regnet sonst rein!

MUSIK

Sprecher
Nach dem Schauer tupfen die Forscher, großenteils Studenten von der UniversitĂ€t Kiel, mit SchwĂ€mmen das Regenwasser aus der GrabungsflĂ€che. In einem großen Forschungsprojekt zum Neolithikum, der Epoche der ersten Bauern, suchen sie nach einer ErklĂ€rung fĂŒr den Boom der Megalithbauten: In Norddeutschland haben sich ab 4000 vor Christus die Ackerbauern und ViehzĂŒchter durchgesetzt. Nur wenige Menschen zogen noch als JĂ€ger und Sammler umher, die meisten hatten sich an einem festen Ort niedergelassen, ernteten Getreide und HĂŒlsenfrĂŒchte, zĂŒchteten Rinder, Pferde und Schweine. Um 3600 vor Christus begannen die Bauern dann, fĂŒr ihre Toten mĂ€chtige GrabhĂŒgel aus schweren Steinbrocken aufzutĂŒrmen. Aber warum? Das muss die ArchĂ€ologie noch klĂ€ren. Am Grab bei Wangels allerdings ist es im Augenblick zu nass zum Ausgraben.

ATMO (GesprÀche & PlÀtschern)
Hier kannst du noch nÀher an die Steine ran, oh ja.

Sprecher
Ihre gerĂ€umigen LanghĂ€user bauten die frĂŒhen Bauern aus Holz und Lehm, berichtet Martin Hinz, der Grabungsleiter, doch die GrĂ€ber errichteten sie aus Stein. Darin zeigt sich, welche Bedeutung sie ihren Vorfahren zumaßen: Die steinernen WohnstĂ€tten der Toten waren dauerhaft, die hölzernen Bauten fĂŒr die Lebenden aber vergĂ€nglich. Die Leute wussten genau, wie man mit Stein baut: Die LĂŒcken zwischen den mĂ€chtigen, unförmigen Findlingen haben sie sorgsam mit Trockenmauerwerk gefĂŒllt, so dass geschlossene WĂ€nde entstanden. Der Eingang blieb offen, denn die Bauten wurden in der Regel mehrere Generationen lang genutzt. Im Volksmund Norddeutschlands heißen sie wegen ihrer GrĂ¶ĂŸe "HĂŒnengrĂ€ber", doch die Forschung hat gezeigt:

2. O-Ton Hinz XIV 099-033, 31'23
Dass hier kein ausgewĂ€hlter Personenkreis bestattet worden ist. Wir haben Kinder, Frauen, MĂ€nner, daher ist anzunehmen, dass es wirklich ein Bestattungsort war fĂŒr jedermann, keine expliziten HĂ€uptlingsgrĂ€ber, wie man das frĂŒher immer noch gedacht hat.

Sprecher
Um aus tonnenschweren Findlingen einen Grabbau zu errichten, mussten alle Bewohner eines Dorfes anpacken – und spĂ€ter setzten alle ihre Toten darin bei. Niemand stach aus der Gemeinschaft heraus: Weder im Tod durch ein Einzelgrab oder kostbare Beigaben, noch im Leben durch ein riesiges Haus oder prunkvollen Besitz. Die frĂŒhen Bauern lebten einige Jahrhunderte lang in einer weitgehend egalitĂ€ren Gesellschaft. Mit den gemeinschaftlich errichteten Grabbauten dokumentierten sie ihre Zusammengehörigkeit. Zugleich markierten sie damit ihren Grund und Boden, erklĂ€rt Dr. Hinz:

3. O-Ton Hinz XIV 099-033, 35'52
Das ist sicher nicht losgelöst davon, dass Land jetzt eine ganz andere QualitĂ€t bekommt, es wird eine Ressource, man investiert in das Land, man muss den Acker roden, man muss Arbeit hinein investieren und da kommt sicher auch ein anderes Bewusstsein auf fĂŒr Landschaft. 

Sprecher
Die mobilen JĂ€ger- und Sammler-Gruppen waren immer dorthin gezogen, wo die Natur ihnen gerade die besten Ressourcen bot. Die Bauern aber siedelten sich an einem Ort an und entwickelten eine engere Beziehung zum Land, ihrer Lebengrundlage: Sie nahmen es dauerhaft in Besitz, deshalb errichteten sie ihre steinernen GemeinschaftsgrĂ€ber darauf. Die Bauten demonstrieren das neue Bewusstsein fĂŒr Dauer und Besitz, das sich in der Jungsteinzeit entwickelte. In SĂŒddeutschland dagegen, da, wo die Gletscher der Eiszeit keine Findlinge abgelagert haben, entwickelten die Menschen des Neolithikums andere BrĂ€uche, um ihre Ahnen zu ehren und sich ihrer Zusammengehörigkeit zu vergewissern. Dort ließen sich die ersten Bauern um 5500 vor Christus nieder, etwa ab 3800 entstanden Pfahlbauten an den Seeufern des Voralpenlandes. Die Pfahlbauten bieten den ArchĂ€ologen die besten Forschungsmöglichkeiten, weil Holz und Lehm, Textilien und Pflanzenreste im feuchten Boden, abgeschlossen vom Sauerstoff, Jahrtausende ĂŒberdauern können.

ATMO (Schritte)

Sprecher
Zentrum der Pfahlbau-Forschung ist das Amt fĂŒr Denkmalpflege in Hemmenhofen am Bodensee, Dr. Helmut Schlichtherle hat es lange geleitet. Er kann ein einzigartiges Beispiel fĂŒr den jungsteinzeitlichen Ahnenkult zeigen, das kĂŒrzlich aufwĂ€ndig rekonstruiert wurde. In Ludwigshafen am Bodensee, ausgerechnet im Strandbad, waren BruchstĂŒcke von der lehmverputzten Wand eines neolithischen Hauses zutage gekommen – einer Wand, die großflĂ€chig mit Malereien bedeckt war.

5. O-Ton Schlichtherle OT 12, 9'02
Die BadegÀste standen mehrere Sommer schon in diesen Malereifragmenten, die durch die Wellen freigelegt worden sind und wir waren dann mit unseren Tauchern dort und haben vor allem das geborgen, was im Seegrund noch zugedeckt war-

Sprecher
Ergebnis war ein Puzzle von weit ĂŒber 1.000 Teilen, das dann in die Labors der Denkmalpflege wanderte. Dort hat Schlichtherle die LehmbruchstĂŒcke mit seinen Mitarbeiterinnen Margarethe Schweikle und Manuela Fischer in mĂŒhsamer Kleinarbeit nach und nach zusammengesetzt.

6. O-Ton Schweikle OT 12, 11'16
Das lag dann hier jahrelang rum, oder? GelĂ€chter. Schon ein paar Jahre. Und ich hab quasi dann die Einzelscherben rausgeholt und dann geklebt, das kann man jetzt auch in die Hand nehmen, hier dran sieht man die Schultern und das HĂ€ndchen, also das ist ein ganz wichtiges StĂŒck-

O-Ton Fischer OT 12
Hier hinter Ihnen in diesem Regal sind, ich weiß nicht, wie viele Kisten, ĂŒber hundert, da liegen immer noch sehr viele StĂŒcke drin. Die wo wir zuordnen konnten, das sind diese bemalten HĂŒttenlehmstĂŒcke, haben wir den Frauen zugeordnet, aber ansonsten gibt es in diesem Chaos noch sehr viele StĂŒcke, die teils keine Bemalung haben, einfach nur aus der Wand rausgebrochen sind, ohne Hinweis, die können wir gar nicht zuordnen, das liegt alles noch in diesen Kisten.

Sprecher
Das mehrere Meter lange Fresko zeigt sieben fast lebensgroße, stilisierte Frauengestalten, mit weißer Farbe auf die braune Wand gemalt. Ihre BrĂŒste stehen plastisch, aus Lehm geformt, aus der Wand hervor, ihre Arme dagegen sind nur angedeutet, die Beine gar nicht dargestellt. Bei vier Gestalten ist der Kopf wiedergegeben, mit einem auffĂ€lligen Kranz von Haaren oder Strahlen darum herum.

Schlichtherle interessiert sich besonders fĂŒr die abstrahierten Figuren zwischen den Frauengestalten: StrichmĂ€nnchen mit ausgebreiteten Armen oder Beinen: Zu neun, zehn, elf ĂŒbereinandergestapelt, ergeben sie ein Muster, das an einen Baum erinnert – einen Lebensbaum, nennt es der ArchĂ€ologe. Er deutet die Abfolge von StrichmĂ€nnchen als eine Ahnenreihe, die Generation um Generation in die Vergangenheit zurĂŒckfĂŒhrt. Den SchlĂŒssel zu dieser Interpretation liefern ihm Verzierungen auf neolithischen KeramikgefĂ€ĂŸen.

7. O-Ton Schlichtherle OT 12, 24'25           
Auf diesen GefĂ€ĂŸen gibt es wieder diese LebensbĂ€ume, in denen wir die Ahnenreihen sehen können. Gleichzeitig sehen wir, dass es hier sonnenartige Knubben und Ösen auf den GefĂ€ĂŸen gibt, die ganz stark erinnern an die sonnenartigen Köpfe der weiblichen Gestalten.
Und in einem Fall ist auch klar, dass die weiblichen Gestalten mit ihren sonnenartigen Köpfen ĂŒber den Ahnenreihen sitzen.

Sprecher
Die Ahnenreihen fĂŒhren demnach zurĂŒck zu den großen Frauengestalten: Sie sind die weiblichen Urahnen der verschiedenen Sippen im Dorf. Nicht zu verwechseln mit der Muttergottheit oder Urmutter, die man lange in der Glaubenswelt der Steinzeitkulturen finden wollte. Die Wand spiegelt also vermutlich die Genealogie der Dorfgemeinschaft. Anhand der Malerei vergewisserte sich das Dorf seiner IdentitĂ€t. Diese Deutung deckt sich mit einer Erkenntnis der Ethnologie: Kulturen, die keine Schrift haben, definieren sich hĂ€ufig durch detailliertes, sorgsam memoriertes Wissen ĂŒber ihre Ahnenreihen. Dass der Ahnenkult in der geistigen Welt des Neolithikums eine zentrale Rolle spielte, weiß man seit langem. Doch nirgends ist bisher eine so subtile Ikonographie aufgetaucht wie auf der Kultwand von Ludwigshafen am Bodensee. Und sie scheint direkt aus dem Leben gegriffen: Kein spektakulĂ€rer Großbau, kein ĂŒberregionales Kultzentrum, sondern ein alltĂ€glicher Gegenstand, den es vermutlich in jedem Dorf gab - wie der Altar der Pfarrkirche, vor dem sich die Kinder zur Kommunion versammeln.

9. O-Ton Schlichtherle OT 13, 8'18
Ich könnte mir gut vorstellen, dass vor dieser Wand, in diesem Innenraum, Initiationsfeiern stattfanden, dass ĂŒber diese Gestalten gesprochen wurde, dass die Mythen repliziert und immer wieder wiederholt wurden. Eine schriftlose Kultur lebt von der Wiederholung solcher Geschichten und auch diese Wand ist eine Verbildlichung von Inhalten, das ist der Überbau dieser Gesellschaft, der hier eine Bildform gekriegt hat. Sowas hat es sicher hĂ€ufig gegeben, wir haben die einmalige Chance gehabt, es mal zu finden.

Sprecher
Nicht dass Schlichtherle Mangel an eindrucksvollen Funden hĂ€tte: Da ist auch das Modell der Steinzeit-Siedlung Torwiesen, die am Rand des Federsees in Oberschwaben nahezu komplett geborgen werden konnte. Als die Menschen den Ort um 3300 vor Christus verlassen hatten, wuchs Torf ĂŒber die HĂ€user und Bohlenwege: StĂŒtzpfĂ€hle, Fußböden, auch eingestĂŒrzte WĂ€nde blieben erhalten – darĂŒber hinaus die Reste der Pflanzen, die hier in der Jungsteinzeit verzehrt oder verarbeitet wurden, tote Insekten und zerrissene Fischernetze.

4. O-Ton Schlichtherle
(Innen, Schritte) Ich mache mal die TĂŒr zu, da sind oft GerĂ€usche. (Klappert)

Sprecher
Helmut Schlichtherle hat das Dorf auf einer Sperrholzplatte im kleinen Maßstab nachbauen lassen: 15 HĂ€user, rechts und links eines soliden Bohlenweges aufgereiht, alle aus HolzstĂ€bchen und BastfĂ€den, ein bisschen grĂ¶ĂŸer als die GebĂ€ude einer Modelleisenbahn. Darunter liegt, grauschwarz angestrichen, das vertorfte Ufer aus Pappmaschee. Alle HĂ€user bis auf drei wirken gleich groß und stehen parallel nebeneinander, die Giebel zur zentralen Dorfstraße ausgerichtet. Vor jedem Eingang liegt ein Dreschplatz – doch der erste Eindruck tĂ€uscht: "Torwiesen" war kein egalitĂ€res Dorf.

12. O-Ton Schlichtherle OT 9, 9'56
Wenn wir etwas genauer hingucken, sehen wir, dass die HĂ€user im Dorf von vorn nach hinten kleiner werden. Das erste Haus hier ist am lĂ€ngsten und gehen wir die Dorfstraße entlang bis zum letzten, dann ist das nur noch halb so groß.

Sprecher
Dasselbe Muster zeigte sich, als die ArchĂ€ologen die Verteilung der Kleinfunde analysierten: Die ersten, grĂ¶ĂŸten HĂ€user waren gut mit Getreide und anderen Kulturpflanzen versorgt, in den letzten HĂ€usern dagegen fanden sich nur wenige Dreschreste, dort brachte der Feldbau offensichtlich nur geringe ErtrĂ€ge. Und dann sind da noch drei winzige HĂ€user hinter und zwischen die gerĂ€umigen Bauten der Landwirte gequetscht: Die GrundflĂ€che reichte gerade aus, dass sich zwei Personen abends auf dem Boden ausstrecken konnten.

14. O-Ton Schlichtherle OT 9, 17'12
Das könnte tatsĂ€chlich eine andere Schicht sein. Wir wissen, dass in den kleinen HĂ€uschen spezielle Dinge gemacht worden sind: In diesen beiden saßen Bogenbauer, wir wissen, dass in zwei der kleinen HĂ€user FischereigerĂ€t war, das ist auch eine Ausnahme in der Siedlung, und dann wissen wir, dass SammeltĂ€tigkeit eine große Rolle spielt: Also nicht landwirtschaftliche Produkte, sondern in der Natur gesammelte Produkte und teilweise sogar Samen von AckerunkrĂ€utern, die in großer Menge eingesammelt wurden. Also die KleinhĂ€usler hatten das Recht, auf den Feldern der Großbauern die UnkrĂ€uter einzusammeln und zu verwerten.

Sprecher
Das Ende der egalitĂ€ren jungsteinzeitlichen Gesellschaft hatten Forscher bisher nur an neuen Bestattungssitten erkannt: Anstelle gemeinschaftlicher GrabstĂ€tten wie den Megalithbauten begannen die Menschen, EinzelgrĂ€ber anzulegen, offenkundig fĂŒr AnfĂŒhrer oder HĂ€uptlinge. Jetzt aber zeigen die kleinteiligen Funde aus Torwiesen sehr anschaulich, wie sich im alltĂ€glichen Leben der frĂŒhen Bauern eine hierarchische Schichtung der Dorfgemeinschaft herausbildete.

ATMO (Zug)

Sprecher
MegalithgrĂ€ber im Norden und Pfahlbauten im SĂŒden haben Wissenschaftlern in den letzten Jahren neue Einblicke in die Welt der Jungsteinzeit eröffnet. In ganz Deutschland verbreitet, aber am rĂ€tselhaftesten sind die "Erdwerke" der Steinzeitleute.

Sprecher
Der Regionalexpress von MĂŒnchen nach Regensburg verringert kurz hinter Landshut seine Geschwindigkeit. Er quert das Tal des Eichelbachs und rollt ĂŒber einen Bahndamm gemĂ€chlich auf die scharfe Kurve Richtung Norden zu. Schaut man auf der rechten Seite aus dem Fenster, fĂ€llt der Blick auf ein Raps-, dahinter ein Getreidefeld: Hier im Landshuter Löss liegt das wohl berĂŒhmteste Erdwerk Bayerns. 

15. O-Ton Saile 018-144, 8'46
Wenn man in dem Zug sitzt, kann man in dieses TĂ€lchen schauen und wenn man das hĂ€ufiger macht, auf der Strecke von Landshut nach Regensburg fĂ€hrt, dann guckt man hier ab und an rein, das hat der Pollinger offenbar damals auch getan und hat dann eben in dem gepflĂŒgten Zustand viele dunkle VerfĂ€rbungen auf gelblichem oder hellerem Grund gesehen. 

Sprecher
Vor hundert Jahren hat der Oberlehrer Johann Pollinger die dunklen VerfĂ€rbungen als ein System zusammenhĂ€ngender GrĂ€ben identifiziert – weil er von oben darauf herunterblickte, so Thomas Saile, ArchĂ€ologie-Professor aus Regensburg. Das war der Anfang der LuftbildarchĂ€ologie. Heute ist GelĂ€ndeerkundung aus der Luft ein Standardverfahren: Wo Reste von GebĂ€uden in der Erde liegen oder wo einst GrĂ€ben verliefen, zeigt der Boden nach der Ernte oder beim ersten Schnee eine andere Farbe. GrĂ€ben zum Beispiel speichern Feuchtigkeit und KĂ€lte lĂ€nger, daher ist die Erde dunkler als der umgebende Boden. Von oben lĂ€sst sich erkennen, ob die VerfĂ€rbungen ein regelmĂ€ĂŸiges Muster ergeben, ob also von Menschen geschaffene Anlagen in der Erde ruhen. Die GrĂ€ben beim Weiler Altheim wurden 1914 ausgegraben und als "Erdwerk" identifiziert Den Kern bildete eine rechteckige Grabenanlage von etwa 40 mal 60 Metern SeitenlĂ€nge, also gut ein halbes Fußballfeld groß. Angelegt wurde der Bau um 3600 vor Christus. SpĂ€ter zogen die Menschen außen noch zwei GrĂ€ben darum herum. Über schmale ErdbrĂŒcken konnten sie das Innere der Anlage betreten – doch was sich dort einst befand, weiß man nicht: ArchĂ€ologen finden keine Spuren mehr, weil die oberen Erdschichten im Lauf der Zeit komplett erodiert sind. Nachweisbar ist nur, dass der Innenraum von einer Reihe Holzpfosten umschlossen war, die aber lĂ€ngst zerfallen sind.

ATMO (Schritte & Auto)

Sprecher
Wie der Bau einmal ausgesehen haben könnte, zeigt im Museum Stadtresidenz in Landshut eine imposante, gut zwei Meter hohe Rekonstruktion. 

17. O-Ton Saile 36-141, 0'41    
Diese Palisade, die soll den Eindruck dieser Altheimer Anlage erwecken. Und wenn man jetzt hier durchgeht, durch den Eingang, dann gelangt man in den Saal, der sich nun mit Altheim beschÀftigt.

AMTO (Schritte)

Sprecher
Die Palisade zog sich entlang des Grabens um den Innenraum der Anlage. Lange wurde sie als Befestigung interpretiert, doch heute schließen Forscher eine militĂ€rische Funktion aus: Dann hĂ€tte man das Bauwerk auf einem HĂŒgel errichtet und nicht an einem abfallenden Hang, wo es von oben beschossen werden konnte. Die beiden DurchgĂ€nge zum Innenraum waren auch keine Tore. Professor Saile hat kĂŒrzlich erneut in der Anlage gegraben und erkannt, dass die DurchgĂ€nge exakt in einer Linie angelegt worden sind, so dass man sie fĂŒr astronomische Beobachtungen nutzen konnte:

18. O-Ton Saile 37-143, 26'10
Wenn Sie jetzt auf dieser Linie stehen und durch den nordwestlichen Ausgang der Anlage schauen, dann schauen Sie auf die Horizontlinie und an einem Punkt der Horizontlinie können Sie den Untergang des Mondes bei der nördlichsten Mondwende sehen.

Sprecher
Wie Erdwerke und Kreisgrabenbauten auch anderswo zeigen, wussten die Leute der Jungsteinzeit, dass der Mond – genau wie die Sonne - nicht immer an derselben Stelle des Horizonts auf- oder untergeht. Die Orte verschieben sich im Lauf der Monate und Jahre langsam von SĂŒden nach Norden und wieder zurĂŒck. Alle 18,61 Jahre erreicht der Mond den nördlichsten Punkt: Dann findet die Große Nördliche Mondwende statt. Diesen Zeitpunkt kannten manche Menschen im Neolithikum - und setzten ihr Wissen in Architektur um.

19. O-Ton Saile 37-143, 29'40
Wenn man diese Nördliche Mondwende bestimmen kann, dann kann man den Menschen hier vorhersagen, wann es eine Mondfinsternis geben wird. Und dann ist man also der Herr ĂŒber die Zeit und die HimmelsphĂ€nomene – und das schafft natĂŒrlich Prestige.

Sprecher
Das Erdwerk von Altheim ermöglichte den "Wissenden", ihre Überlegenheit zu demonstrieren. GrĂ€ben und Palisade waren vermutlich dazu da, sie symbolisch von der ĂŒbrigen Bevölkerung abzugrenzen. Das Erdwerk diente demnach zur Organisation und Selbstvergewisserung der Gemeinschaft. An diesem Ort versammelte sie sich zu wichtigen sozialen und religiösen AnlĂ€ssen, Feiern inclusive. Auch das wohl bedeutendste Ritual des neolithischen Weltbilds haben die Menschen hier offensichtlich zelebriert: das Gedenken an die Ahnen. Die ArchĂ€ologen stießen in den GrĂ€ben auf Menschenknochen, die unterschiedlich arrangiert worden waren. Sie identifizierten Einzelbestattungen in Hockerposition, sie fanden SchĂ€del, sorgsam in Gruppen angeordnet und wild durcheinander liegende Knochen, die scheinbar achtlos weggeworfen worden waren. Möglich, sagt Saile, dass man sich hier von herausragenden Toten in einer Reihe unterschiedlicher Rituale verabschiedete, die im Lauf der Zeit aufeinander folgten.

20. O-Ton Saile 37-143, 37'21
Man kann sich vorstellen, dass man diese Menschen eben nicht gleich bestattet, sondern als Leichname vielleicht mumifiziert, vielleicht als Personen, die man immer wieder befragt, aufbewahrt, vielleicht in einem GebĂ€ude, das darin errichtet ist. Und möglicherweise sind diese Knochen dann nach einigen Generationen auch wertlos, wenn die ihre Funktion nicht mehr erfĂŒllen können, kann man die einfach in den Graben werfen, ohne dass man damit irgendeinen Frevel beginge.

Sprecher
Bei Ausgrabungen in den GrĂ€ben kamen auch fast 200 Pfeilspitzen aus Feuerstein zutage – eine ungewöhnliche Menge fĂŒr die weitgehend friedliche Jungsteinzeit. Sie können nicht alle von Pfeilen fĂŒr die Jagd stammen, meint der AusgrĂ€ber, sondern lassen einen Angriff auf das Erdwerk vermuten.

21. O-Ton Saile 37-143, 48'33
Das könnte man sich so erklĂ€ren, dass diese Anlage, die ĂŒber viele Generationen ja genutzt ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt in einen Konflikt gerĂ€t. Man weiß jetzt nicht, wer gegen wen, vermutlich gar nicht weit entfernte Gruppen, sondern einfach die benachbarten Siedlungsgemeinschaften, die aus irgendeinem Grund jetzt mit dieser Siedlungsgruppe am Eichelbach in einen Konflikt geraten ist und den dann auch gewalttĂ€tig austrĂ€gt.

Sprecher
Die Kampfspuren bestĂ€tigen eine aktuelle Erkenntnis der Forschung: In den letzten Jahren sind an neolithischen Fundstellen mehrfach Spuren von Gewalt ans Licht gekommen: Belege fĂŒr ÜberfĂ€lle, ja Massaker in kleinen Siedlungsgemeinschaften. Im Vergleich zu anderen Zeiten sind es EinzelfĂ€lle – sie belegen jedoch, dass die Epoche nicht die friedliche Idylle war, die man sich lange vorstellte.

ATMO (Schritte & TĂŒr zuschlagen)

Sprecher
Die spektakulĂ€rsten Funde aus den Altheimer GrĂ€ben findet man nicht im Museum in Landshut. Sie liegen wohlverpackt im Magazin der ArchĂ€ologischen Staatssammlung in MĂŒnchen.

ATMO (Rascheln & Klappern)

22. O-Ton Schwarzberg 34-139, 0'50
Wir haben hier zwei Kupferbleche, das eine ist 1914 gefunden worden, das andere mit eingerollten Enden ist aus den neuen Grabungen, das ist 2013 entdeckt worden. Hier ist ein weiterer Fund, das ist ein sehr kleines Beil, nicht ganz 10 Zentimeter lang, ein grĂŒn korrodiertes Kupferbeil, es ist sehr gut erhalten, es ist noch heute relativ scharf-

Sprecher
 - aber es wurde sicher nicht als Werkzeug benutzt, erklĂ€rt Dr. Heiner Schwarzberg, Experte fĂŒr Vorgeschichte bei der Staatssammlung: Die Kupferobjekte glĂ€nzten ursprĂŒnglich in rötlich-goldenen Farbtönen. Wer so etwas besaß, in einer Zeit, als praktisch alle Waffen und GerĂ€te aus Stein, Holz und Knochen gefertigt wurden, trug sie als prestigetrĂ€chtige SchmuckstĂŒcke zu Schau.
Auch die Funde aus Altheim illustrieren, wie sich gegen Ende des Neolithikums die egalitĂ€re Gesellschaft in unterschiedliche soziale Schichten spaltete. Zugleich kĂŒndigt der Werkstoff Metall, von dem hier gerade mal sieben Objekte gefunden wurden, bereits den Übergang in die nĂ€chsten Epochen an: die Metallzeiten.

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