Steigende Energiepreise haben 2022 weltweit zu einer deutlichen Inflation geführt. Darunter leiden bis heute vor allem die Haushalte der Unter- und Mittelschicht, geben sie doch in Relation zum Haushaltseinkommen besonders viel für Güter und Dienstleistungen aus, die sich in den letzten beiden Jahren deutlich verteuert haben. Eine US-Studie hat sich die Finanzströme nun genauerWeiterlesen
Steigende Energiepreise haben 2022 weltweit zu einer deutlichen Inflation geführt. Darunter leiden bis heute vor allem die Haushalte der Unter- und Mittelschicht, geben sie doch in Relation zum Haushaltseinkommen besonders viel für Güter und Dienstleistungen aus, die sich in den letzten beiden Jahren deutlich verteuert haben. Eine US-Studie hat sich die Finanzströme nun genauerWeiterlesen
Steigende Energiepreise haben 2022 weltweit zu einer deutlichen Inflation geführt. Darunter leiden bis heute vor allem die Haushalte der Unter- und Mittelschicht, geben sie doch in Relation zum Haushaltseinkommen besonders viel für Güter und Dienstleistungen aus, die sich in den letzten beiden Jahren deutlich verteuert haben. Eine US-Studie hat sich die Finanzströme nun genauer angeschaut und neben den Verlierern auch die Gewinner des Preissprungs bei den fossilen Energieträgern Öl und Gas angeschaut – es sind die USA und hier vor allem die Reichen und Superreichen. So ging mehr als die Hälfte der Gewinne durch die Preissteigerungen an das oberste Prozent der Vermögensskala, während die untere Hälfte der US-Haushalt gerade mal ein einziges Prozent der Gewinne abbekam, das jedoch von den Preissteigerungen mehr als aufgefressen wurde. Die Armen werden ärmer, die Reichen reicher. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
„Ihr Geld ist nicht weg, mein Freund, es hat nur ein anderer“ – dieses Zitat, das auf den deutschen Banker Amschel Meyer Rothschild zurückgeht, ist bis heute eine der Grundlagen, will man das Wirtschafts- und Finanzsystem verstehen. Wenn der Verbraucher heute für die Strom- und Gasrechnung, an der Zapfsäule oder im Supermarkt deutlich mehr als vor drei Jahren bezahlt, ist dieses Geld auch nicht weg. Es fließt ins Wirtschaftssystem. Dort gibt es sicher zahlreiche Unternehmen, die einfach nur ihre eigenen gestiegenen Beschaffungspreise an den Kunden weiterreichen; doch am Ende der Kette fließt das Geld stets an irgendein Unternehmen, das in letzter Instanz die Preise erhöht hat. Dafür gibt es natürlich viele mögliche Gründe. Muss ein Unternehmen beispielsweise höhere Löhne zahlen und reicht diese Kosten weiter, so profitieren am Ende die Arbeitnehmer dieses Unternehmens von den Preissteigerungen. Wäre dies der einzige Grund, könnte man dies sogar im Hinblick auf die Vermögensverteilung neutral bewerten – schließlich bleibt das Geld zu großen Teilen innerhalb der „Arbeitnehmerschicht“.
Schaut man sich die jüngsten Preissprünge an, deren Ursache stark gestiegene Energiepreise sind, sieht man jedoch schnell, dass diese Erklärung hier nicht greift. Öl und Gas sind ja nicht teurer geworden, weil irgendwelche Arbeiter in der Energiebranche gute Lohnabschlüsse erzielen konnten. Nein, die Ursache für den Preissprung war vielmehr die Knappheit durch einen Lieferengpass auf den Transportrouten – ausgelöst durch die Russlandsanktionen des Westens. Vor allem Unternehmen aus der Öl- und Gasbranche konnten so ihre Einnahmen in einem historischen Maße steigern, ohne dass auf der anderen Seite die Kosten merklich stiegen. Dass auch Spekulanten ihren Teil zur Preissteigerung beitrugen, versteht sich im modernen Finanzkapitalismus von selbst und muss hier eigentlich nicht extra erwähnt werden.
Das Geld ist nicht weg, es kam auf der anderen Seite als Gewinn dieser Firmen zum Vorschein. Doch diese Umverteilung war alles andere als neutral in Hinblick auf die Vermögensverteilung. Die Verlierer waren und sind – die Preise sind ja immer noch deutlich höher als vor Beginn der Energiepreiskrise – vor allem die unteren und mittleren Schichten, da sie in Relation zu ihrem Haushaltseinkommen deutlich mehr für Energie und Lebensmittel ausgeben, deren Preis durch die Energiepreissteigerungen indirekt gestiegen sind. Die Gewinner waren und sind die reichen und superreichen Haushalte, da ihnen die Unternehmen gehören, die Rekordgewinne erzielen konnten und können, und diese Gewinne entweder als Dividenden auszahlen oder zur Steigerung des Unternehmenswertes investiert oder schlicht gebunkert haben. Auch wenn dieser Zusammenhang eigentlich offensichtlich sein sollte, so ist er erstaunlicherweise weder in der medialen Berichterstattung noch in der politischen Debatte ein großes Thema. Eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Studie könnte dies jedoch ändern.
Ein Team rund um die deutsche Ökonomin Isabella Weber von der University of Massachusetts in Amherst hat sich mit großem Aufwand die Firmenabschlüsse von Unternehmen aus der Öl- und Gasbranche angeschaut und diese Daten und die damit verbundenen Finanzströme über ein globales Netzwerk mit fast 400.000 Querverbindungen auf die Personengruppen zugeordnet, die am Ende der Kette stehen, denen also die Unternehmen bzw. die Anteile, meist Aktien, dieser Unternehmen gehören und die entweder über Dividenden oder Wertsteigerungen dieser Unternehmen von den Preissteigerungen profitierten. Die Ergebnisse sind gleich in zweierlei Hinsicht interessant.
1. Großer Gewinner sind die USA
Schaut man sich die Bilanzen der Unternehmen aus der Öl- und Gasindustrie an, so konnten in Relation zur Zeit vor der Krise drei Nationen besonders stark von den Preissteigerungen profitieren. Dies sind Brasilien, Norwegen und die USA – brasilianische Energiefirmen konnten ihre Gewinne im Vergleich zum Zeitraum von 2016 bis 2019 im Krisenjahr 2022 um das 10-Fache steigern, norwegische Energiefirmen kamen (auch dank der katastrophalen deutschen Einkaufspolitik) auf das 9-Fache, US-Unternehmen auf das 7-Fache. Schaut man sich die absoluten Gewinne an, stechen die USA jedoch alle anderen Nationen aus, haben sie doch einerseits den mit Abstand weltgrößten Energiesektor und sind andererseits vor allem über Hedgefonds, Vermögensverwaltungsfirmen á la BlackRock und Co., aber auch direkt weltweit an so vielen Unternehmen der Branche beteiligt, wie sonst keine andere Nation.
Nationale Verteilung der Gewinne der Öl- und Gaswirtschaft 2022 nach Sitz der Unternehmen
In absoluten Zahlen konnten US-Unternehmen 2022 demnach 301 Milliarden US-Dollar Gewinn erzielen. Dahinter kommt Saudi-Arabien, das jedoch auch vor der Krise bereits hohe Gewinne realisieren konnte und an dritter Stelle Russland, das ebenfalls seine Gewinne aus der Öl- und Gaswirtschaft 2022 deutlich steigern konnte – und das obgleich die Preissteigerungen eine Folge der Sanktionen waren, mit denen der Westen Russland eigentlich ökonomisch schaden wollte. So interessant diese Zahlen sind – sie wirken unvollständig. So fehlt beispielsweise mit Katar in der Aufstellung ein Land, das vor allem von den Preissteigerungen beim LNG ebenfalls massiv profitiert haben dürfte. Doch auch das würde nichts am Gesamtergebnis ändern. Die USA waren und sind der große Gewinner der Preissteigerungen und wenn Sie sich fragen, wo ihre Mehrausgaben der letzten zwei Jahre geblieben sind, so wird ein gehöriger Teil davon in die USA geflossen sein.
Umverteilung von unten nach oben
Doch wohin in den USA ist dieses Geld geflossen? John Doe, der Arbeiter im mittleren Westen, wird von diesem Geld nichts bekommen haben. Im Gegenteil. Auch in den USA sind die Energiepreise 2022 deutlich gestiegen und führten zu einer offiziellen Inflation von 6,5 Prozent – in Deutschland waren es sogar 7,9 Prozent. John Doe hat also in Summe deutlich mehr bezahlt als profitiert. Aber wer hat dann profitiert? Die große Stärke der besagten Studie mit dem Titel „Distributional implications and share ownership of record oil and gas profits” ist es, die Unternehmensbeteiligungen der Öl- und Gasindustrie näher zu betrachten und die Personen bzw. Haushalte, die dahinterstehen, anhand ihrer Position in der Vermögensverteilung zu betrachten. Das Ergebnis ist erschreckend.
Geldströme der Unternehmensgewinne der US-Öl- und -Gaswirtschaft
Unsere Analyse zeigt, dass die Gewinne aus fossilen Brennstoffen in den USA im Jahr 2022 fast ausschließlich den obersten Vermögensbesitzern zugutekommen: 51 % aller Gewinnansprüche von US-Begünstigten werden von den obersten 1 % der Vermögensbesitzer gehalten, und 84 % von den obersten 10 %. Im Gegensatz dazu erhält die untere Hälfte der Bevölkerung (66 Millionen Haushalte) kaum Gewinne: nur 1 %. Die obersten 0,1 % – gerade einmal 131.000 Haushalte – erhalten 26-mal so viel wie die Hälfte aller Amerikaner. Die mittleren 40 % (das 51. bis 90. Vermögensperzentil) erhalten nur 15 % aller Gewinne.
Zitiert aus: „Distributional implications and share ownership of record oil and gas profits”
Schaut man sich die Finanzströme genauer an, erkennt man auch schnell, dass das von Medien und Politik gerne gestreute Argument, über Finanzprodukte wie die der private Altersvorsorge oder Fonds würde ja auch die Mittelschicht von den Gewinnen der Unternehmen profitieren, schlichtweg falsch ist. Es ist zwar richtig, dass die Gewinne der „unteren 90 Prozent“ fast ausschließlich indirekt aus Pensionsfonds und anderen Formen der privaten Altersvorsorge resultieren, sie sind jedoch in Summe (vor allem bei der unteren Hälfte der Haushalte) so verschwindend gering, dass sie im Vergleich zu den Gewinnen der reichen Oberschicht und erst recht der superreichen Vermögenselite fast überhaupt nicht ins Gewicht fallen. Um es auf das Meyer-Rothschild-Zitat zuzuspitzen: Das Geld haben nun einige wenige Reiche und Superreiche in den USA.
Nun könnte man ja mal nach dem Cui bono fragen – wem nützen die Preissteigerungen? Die Antwort ist offensichtlich und liefert auch eine mögliche Erklärung, in wessen Interesse die von den USA angetriebenen Sanktionen gegen Russland und die damit verbundene Neuorientierung der europäischen und vor allem deutschen Öl- und Gasbeschaffung ist. Das oberste Promille der US-Vermögensskala konnte allein 2022 sein Vermögen um 111 Milliarden US-Dollar steigern – das sind rund 850.000 US-Dollar pro Haushalt! Auf der anderen Seite der Umverteilung stehen die unteren und mittleren Haushalte – in Europa, weltweit, aber auch in den USA selbst, wo die Preissteigerungen und der Kaufkraftverlust übrigens einer der größten Faktoren bei den Präsidentschaftswahlen war. Dass die Politik – und hier vor allem die deutsche Politik – daraus irgendwelche Schlüsse zieht, ist jedoch unwahrscheinlich. „Experten“ würden sie dafür auch in den Talkshows der Republik zerreißen. Wer bezahlt eigentlich diese „Experten“? Nun, die meisten von ihnen sind bekanntlich bei Think Tanks angestellt und die werden zum übergroßen Teil von eben jenen Personen bezahlt, die zu den großen Profiteuren der Preissteigerungen zählen. So schließt sich der Kreis. Noch Fragen?
Titelbild: Hamara/shutterstock.com