In den weiten Steppengebieten Zentralasiens lebten ĂĽber Jahrtausende Reiternomaden, die von Zeit zu Zeit auch in den Westen vorrĂĽckten. Vom 5. bis ins 10. Jahrhundert nach Christus grĂĽndeten Hunnen, Awaren und Ungarn in Europa drei aufeinander folgende frĂĽhmittelalterliche Reiche.Von Thomas Grasberger (BR 2024)
In den weiten Steppengebieten Zentralasiens lebten ĂĽber Jahrtausende Reiternomaden, die von Zeit zu Zeit auch in den Westen vorrĂĽckten. Vom 5. bis ins 10. Jahrhundert nach Christus grĂĽndeten Hunnen, Awaren und Ungarn in Europa drei aufeinander folgende frĂĽhmittelalterliche Reiche.Von Thomas Grasberger (BR 2024)
Credits
Autor: Thomas Grasberger
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Katja Amberger, Thomas Loibl, Christopher Mann
Technik: Laura Picerno
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Arnold Muhl
Linktipps:
Radiowissen (2022): Attila und die Hunnen – Das Kriegervolk aus der Steppe
Attila heißt "Väterchen", aber am Rhein und am Tiber nannte man den Hunnenkönig nur die "Geißel Gottes". Wenn seine Reitertrupps unter schrecklichem Kriegsgeheul auf ihre Gegner losstürmten, schien sich die Hölle geöffnet zu haben: Mit ihren kahl rasierten Schädeln, plattgedrückten Nasen und narbenzerfurchten Gesichtern sahen sie wie Dämonen aus. (BR 2010) JETZT ANHÖREN
ZDF (2019): Die Geschichte von Mensch und Pferd
Wann, wo und wie wurde erstmals das Pferd gezähmt? Der Film folgt den Spuren einer einzigartigen Beziehung zwischen Menschen und einem Tier, eine Beziehung, die die Welt verändert hat. JETZT ANSEHEN
Deutschlandfunk (2021): Die Gene der Barbaren Â
Wenig ist wirklich bekannt über die Gruppen von Menschen die zwischen dem 3. und 8. Jahrhundert durch Europa, Asien und Afrika zogen. Wer waren sie? Und was trieb sie an? Was wir über sie wissen und erzählen, beruht auf einer recht dünnen Quellenlage. DNA-Analysen könnten einige ihrer Geheimnisse verraten. JETZT ANHÖREN
Und hier noch ein paar besondere Tipps fĂĽr Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
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Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK
Erzähler
„Ex oriente lux“ – lautet ein lateinisches Schlagwort: „Aus dem Osten kommt das Licht!“ Gemeint ist das Tageslicht der aufgehenden Sonne. Manchmal aber erschienen am östlichen Horizont auch dunkle Wolken. Staubwolken, aus denen urplötzlich furchteinflößende, schreiende Gestalten auf kleinen Pferden heraus stürmten.
Zitator
„Gedrungene“ Figuren mit „starken Gliedern“ und „muskulösen Nacken“, „entsetzlich entstellt und gekrümmt“, sodass man sie für „zweibeinige Bestien“ halten könnte.
Erzählerin
Schreibt der römische Historiker Ammianus Marcellinus im späten vierten Jahrhundert nach Christus. Die berittenen Fremdlinge, die Ammianus in seiner Römischen Geschichte dämonisiert, kommen aus den Weiten Zentralasiens. Es sind die Hunnen, die als erstes Steppenvolk bis nach Mittel- und Westeuropa vorstoßen.
Erzähler
Für die Römer sind sie nur wilde „Barbaren“ ohne festen Wohnsitz. Auf dem Rücken ihrer Pferde lebend, ziehen sie – stets gierig nach Gold – plündernd, mordend und brandschatzend durch die Lande.
Erzählerin
Was die Historiker der Spätantike über die Hunnen berichten, ist nicht völlig falsch, aber voller Klischees und Stereotype. Und genau dieses Bild vom grausamen Steppenkrieger hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingegraben und lange nachgewirkt.
MUSIK
Erzähler
Denn nach den Hunnen kamen in den folgenden Jahrhunderten weitere Reiternomaden: Awaren, Magyaren, Mongolen. Dass diese zähen und kampferprobten Steppenreiter mehr waren als nur marodierende Invasoren und blutrünstige Krieger, belegen heute viele archäologische Befunde und wertvolle Kunstschätze. Als Hirten, Handwerker und Händler brachten sie ihre eigenen Moden, Bräuche und Technologien mit nach Europa.
ATMO (MUSEUM GERĂ„USCHE)
Erzähler
Im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale waren 2023 zahlreiche Nomaden-Schätze zu bewundern. Prunkvolle Anhänger aus Gold und Granate, reich verzierte hunnische Gürtelschnallen und Fibeln oder eine künstlerisch gestaltete Schale mit einem gehörnten Löwen aus einem awarischen Schatz. „Reiternomaden in Europa“ hieß die Ausstellung, die ihre Besucher in eine schillernde Welt entführte:
MUSIK
Erzählerin
Die Welt der Hunnen, Awaren und Ungarn. Vom 5. bis ins 10. Jahrhundert nach Christus grĂĽndeten sie in Europa drei aufeinander folgende frĂĽhmittelalterliche Reiche. Ihre Basislager schlugen sie am westlichsten Rand der eurasischen Steppenzone auf. Diese unendlich weite Landschaft erstreckt sich ĂĽber 7000 Kilometer, von der Mongolei und dem Nordwesten Chinas bis ins heutige Ungarn und an die Ostgrenze Ă–sterreichs.
Erzähler
In der pannonischen Tiefebene, dem sogenannten Karpatenbecken, fanden die Nomadenvölker vertrautes Terrain, sagt Arnold Muhl, Kurator am Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle. Denn Klima und Vegetation waren hier ganz ähnlich wie in den kargen Gegenden Innerasiens. Dort war es oft sehr heiß, aber auch sehr kalt, in jedem Fall aber trocken und für Ackerbau ungeeignet.
ZSP 1 Muhl HalbwĂĽsten 0,17
Also verlegt man sich auf die Viehwirtschaft, und zwar anspruchslose Tiere. Und damit das überhaupt trägt, muss das auch eine gewisse Anzahl sein. Aber dafür muss ich halt die verschiedensten Weideplätze aufsuchen und wenn irgendwas abgegrast ist, dann muss ich halt dann wirklich schon mehrere Dutzend Kilometer weiterziehen.
Erzähler
Die Reiterhirten waren also ständig unterwegs mit ihren Herden – mit Kamelen, Schafen, Ziegen, Rindern, vor allem aber mit Pferden. Bevor Kleinkinder richtig laufen konnten, saßen sie schon auf dem nicht allzu hohen Ross. Gut reiten zu können, das war für Hirten überlebenswichtig. Denn auch inner-nomadische Konkurrenzkämpfe um gute Weideplätze waren keine Seltenheit.
ZSP 2 Muhl Pferd 0,16
Nicht umsonst ist das Pferd das verehrteste Tier bei den Reiternomaden. Wir wissen schon, dass im vierten Jahrtausend vor Christus die Leute dort Pferdewirtschaft betrieben, und das Pferd ist aus dieser Art der des Wirtschaftens nicht herauszudenken.
MUSIK
Erzählerin
Wer als Hirte ständig unterwegs ist, reist besser mit leichtem Gepäck. Auch dauerhafte Behausungen wären hinderlich. Deshalb haben sich bei den Reitervölkern die Jurten durchgesetzt. Jene traditionellen Nomaden-Zelte, die in Kasachstan, Kirgisien und der Mongolei bis heute weit verbreitet sind.
Erzähler
Die in Halle ausgestellte kirgisische Jurte hat einen Durchmesser von etwa acht und eine Höhe von vier Metern. Ihre runde Form bietet wenig Angriffsfläche für den kalten Wind der Steppe. Vor allem aber lässt sich so eine Jurte leicht auf- und abbauen.
ZSP 3 Muhl Jurte 0,15
Diese geniale Konstruktion, die hat sich über die Jahrtausende bewährt. Ein Scherengitter, das sie zusammenklappen können. Dann einzelne Spanten, die auch sehr leicht sind, und sofort haben sie, wenn sie noch viel Filz haben, eine wunderbare, warme Behausung.
MUSIK
Erzählerin
Pferd und Jurte haben eine lange Tradition. Bereits 1000 Jahre vor dem Einzug der Hunnen berichtet der antike griechische Historiker Herodot im fünften vorchristlichen Jahrhundert von den Kimmeriern und den Skythen. Die Kimmerier – eine Föderation von einzelnen Stammesgruppen – tauchten im zehnten Jahrhundert vor Christus am östlichen Rand Europas auf.
ZSP 4 Muhl Kimmerier 0,13
Es gibt einige wenige Spuren, aber das waren eben auch Reiternomaden. Und die wollten hier gar nicht siedeln. Das wäre auch gar nicht ihr Lebensraum gewesen, sondern man suchte schon Profit zu schlagen, vor allem durch Sklaverei, Sklavenhandel.
Erzählerin
Mitte des 7. vorchristlichen Jahrhunderts werden die Kimmerier vertrieben, von den Skythen, die in den Steppengebieten der Ukraine und Südrusslands das erste Nomadenreich Europas errichten. Auch für diese Reiternomaden ist der Menschenhandel ein lukratives Geschäftsmodell.
ZSP 5 Muhl Sklaven 0,16
Bei den Skythen ist es haargenau das Gleiche. Und letztendlich wissen wir das auch von den Awaren und den Magyaren, also die sogenannten Ungarn. Und später auch die Mongolen. Das war ein festes Budget, das schon eingeplant ist, dass man Leute versklavt und verkauft.
MUSIK
Erzählerin
Tausend Jahre, nachdem Kimmerier und Skythen aus der Weltgeschichte verschwunden waren, tauchten die Hunnen in Europa auf. Über ihre genaue Herkunft und Ethnizität streiten die Gelehrten. Eine direkte Abstammung von den chinesischen Reiternomaden der Xiongnu hält die neuere Forschung für unwahrscheinlich. Eventuell könnte der prestigeträchtige Name „Hunnen“ von anderen, ethnisch heterogenen Reiternomaden-Gruppen übernommen worden sein.
ZSP 6 Muhl Hunnen 0,24
Wir wissen aber nur, dass diese Hunnen tatsächlich aus der Mongolei kamen und dann nach dem Prinzip einer Wanderlawine viele Völker mit sich gerissen haben. Zum Schluss tauchten die irgendwo auf und haben gesagt: Passt mal auf, entweder ihr werdet Hunnen oder ihr sterbt. Da haben die meisten gesagt: Ja, machen wir halt mit. Und es gab hier natürlich auch viel zu verdienen. Also der Khan der Hunnen der hat nur damit zu tun gehabt, alle Leute zufriedenzustellen.
Erzähler
Vielleicht rührt daher jene „schreckliche Begierde“, „fremdes Gut zu rauben“, wie der Historiker Ammianus klagt. Für ihn waren die Hunnen, die seit 375 nach Christus das Abendland aufmischten und eine zweihundert Jahre dauernde Völkerwanderung auslösten, die furchtbarsten aller Krieger,
Zitator
weil sie im Fernkampf mit Pfeilen kämpfen, die mit spitzen Knochen anstelle von Pfeilspitzen (…) zusammengefügt sind.
Erzähler
In der Halleschen Ausstellung war ein Lendenwirbelknochen zu sehen, durchschlagen von einer hunnischen Pfeilspitze. Eine tödliche Verletzung, die nicht selten war. Denn die geschwungenen Reflexbögen der Hunnen schleuderten die Pfeile mit enormer Wucht, sagt Kurator Muhl.
ZSP 7 Muhl dreikantig 0,13
Das durchschlägt alles. Und das Problem ist, die Pfeile sind nicht normal wie bei uns, zweikantig, sondern dreikantig. Und das ist ein Problem, denn dreikantige Wunden, die wachsen nicht von alleine zu. Die kann ich auch ganz schlecht nähen. Also das ist absolut tödlich.
Erzählerin
Vor allem, wenn hunderte solcher Geschosse auf die Gegner niedergehen. Wie man sich so einen Pfeilhagel vorstellen muss, zeigte ein Videofilm in der Ausstellung. Der ungarische Bogenbauer Lajos Kassai, Jahrgang 1960, ist ein Meister des traditionellen Pferdebogenschießens. Ohne Sattel reitet er im vollen Galopp und schießt seine Pfeile im Sekundentakt ab – nach vorne, nach hinten, zur Seite. Selbst im Sprung trifft Kassai noch ein ums andere mal ins Ziel.
ZSP 8 Muhl Video 0,15
Mit einer Frequenz schießt er da und trifft jedes Mal. Also das ist irre. Und die konnten das alle. So was gab´s in Europa gar nicht. Und wenn davon 300 Leute auf einen zukommen, dann machen sie gar nichts mehr. Dann nützt ihr kleiner Schild und ihr kleines Kettenhemdchen gar nix.
Erzähler
Kein Wunder, dass die Steppenkrieger gefürchtet waren. Zumal sie auch recht exotisch aussahen. Allerdings waren nur 20 Prozent der hunnischen Krieger vom Phänotyp erkennbar asiatisch, sagen Wissenschaftler. Viele hunnische Verbündete waren nämlich Germanen, Alanen oder Sarmaten. Ein buntes Völkergemisch also, allerdings nur an der Basis.
ZSP 9 Muhl hunnischer Kern 0,20
Die Hunnen haben immer die Oberschicht gestellt. Die Familie um Attila beispielsweise und seine Söhne und seine Brüder, die stellten den Kern. In dieses beratende Gremium, in diesen Generalstab konnten natürlich dann auch germanische Häuptlinge und sarmatische Häuptlinge mit aufsteigen. Das ist kein Problem. Aber die Zügel in der Hand hatte immer dann tatsächlich die asiatische Familie.
MUSIK
Erzählerin
Der legendenumrankte, charismatische Hunnenkönig Attila ging als „Geißel Gottes“ ins kollektive Gedächtnis ein. Seit 444 Alleinherrscher der Hunnen, führte er sein Heer bei Kriegszügen gegen Ost- und Westrom bis nach Mittel- und Westeuropa. Zum militärischen Showdown mit Westrom kam es dann im Nordosten Frankreichs.
Erzähler
Dort traf Attilas Heer im Juni 451 auf den einstigen Verbündeten Flavius Aëtius. Der war zwischenzeitlich der mächtigste Mann Westroms. Die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern verlief für beide Seiten sehr verlustreich und endete ohne klaren Sieger. Attilas Nimbus aber war danach zerstört, sagt Arnold Muhl.
ZSP 10 Muhl Attila 0,31
Die Hunnen sind nur so lange erfolgreich, wie Attila es schafft, andere zu besiegen, sich genügend Gold oder Besitztümer anzueignen, die er verteilen kann. Jetzt kommt er dann aber auf die Katalaunischen Felder, trifft auf Aëtius, der selber auch bei den Hunnen eine Zeit lang gelebt hat. Der kennt die Taktik. Und dann passiert eines: Attila gewinnt nicht. Es wird zwar immer gesagt, er hätte verloren. Stimmt nicht. Es ging unentschieden aus, aber Attila zog sich zurück, weil er gemerkt hat: Da kommt er nicht weiter. Und da hieß es: Oh, der ist ja doch nicht unschlagbar.
Erzählerin
Im Jahr nach der unentschiedenen Schlacht stirbt Attila. Seine Söhne können nicht an die Erfolge des Vaters anknüpfen. Es folgen militärische Niederlagen und bald auch inner-hunnische Konflikte. Das Konstrukt ihrer Herrschaft zerfällt. Und die Clans ziehen mit ihren Herden zurück in die Steppe.
MUSIK
Erzähler
Die Geschichte der Hunnen in Europa dauert nur 80 Jahre. Entsprechend gering sind die Siedlungsspuren, die sie hinterlassen haben. Aber das Bild vom blutrünstigen Steppenkrieger prägen sie höchst nachhaltig. Jahrhundertelang wird es in den Köpfen der Europäer herumspuken.
Erzählerin
Teils zu Unrecht, wie Wissenschaftler der englischen Universität Cambridge zeigen konnten. Viele der ehemaligen Reiternomaden waren nämlich sesshaft geworden und trieben Viehzucht. Die angeblich so wilden Hunnen lebten mit den lokalen Bauern friedlich zusammen, sie waren kaum mehr voneinander zu unterscheiden.
MUSIK
Erzähler
Ein Jahrhundert nach den Hunnen tauchen wieder Reiternomaden in Europa auf – das Turkvolk der Awaren. Ihre ethnischen Wurzeln sind unklar, fest steht nur: Auch sie kamen aus der Mongolei. In den Steppen Asiens war der Name „Awaren“ damals weit verbreitet. Gleich mehrere nomadische Gruppen nannten sich so.
Erzählerin
Als Mitte des sechsten Jahrhunderts in der Mongolei das Steppenreich der Róurán zerfiel, machte sich einer dieser Stammesverbände auf den Weg nach Westen. An die 20.000 Awaren-Krieger mit ihren Familien zogen in kleineren Gruppen nach Europa und siedelten zunächst an der unteren Donau. Im Jahr 568 nahmen sie das Karpatenbecken in Besitz.
Erzähler
Ihr Reich sollte 250 Jahre bestehen. Zum Zeitpunkt der größten Ausdehnung erstreckte es sich vom heutigen Niederösterreich bis weit nach Rumänien hinein. Dort hatten die Awaren ihre Verwaltungs- und Machtzentren. Aber sie blieben weiterhin mobil, sagt Arnold Muhl.
ZSP 11 Muhl mobil 0,16
Man weiĂź zum Beispiel von den Awaren, dass sie auch ihre Kontakte bis weit bis 3000 oder 4000 Kilometer in die Steppe zurĂĽckhalten. Also da gibt es Heiratsverbindungen, das heiĂźt, die bleiben nicht hier, sondern das ist wie die SeidenstraĂźe auf und ab. Man kommuniziert miteinander. Und das wissen wir ĂĽbrigens durch die genetischen Untersuchungen.
MUSIK
Erzähler
Die Krieger der awarischen Oberschicht zeigten sich traditionsbewusst. Selbst wenn sie schon sesshafter geworden waren, verstanden sie sich weiter als Nomaden, die ihre Tracht und Umgangsformen bewahrten. In der Ausstellung von Halle stand gleich am Eingang die Rekonstruktion eines höchst eindrucksvollen Awarenreiters auf seinem Pferd.
Erzählerin
Stolz und wild entschlossen dreinblickend, mit langen, geflochtenen Haaren und zotteligem Vollbart, in seiner Rechten eine Lanze, so als wolle er den kostbaren Goldschatz in der Vorhalle des Museums verteidigen. Dieser awarische Panzerreiter, sagt Kurator Muhl, verkörpert auf perfekte Weise den Steppenkrieger des Frühmittelalters.
ZSP 12 Muhl awarischer Reiter 0,13
Man sieht an ihm alles, was ein Reiternomade braucht. Seinen Bogen, sein Schwert, seine Lanze, ein sehr fittes Pferd, einen Sattel. Und als Aware natĂĽrlich SteigbĂĽgel. Damit hat er alles, was er braucht.
Erzählerin
Und was dem Gegner Angst einjagt. Kein Heer, nicht einmal das byzantinische, war damals in der Lage, sich diesen Panzerreitern erfolgreich zu widersetzen. Was auch an der RĂĽstung der Awaren lag.
ZSP 13 Muhl Lamellen 0,12
Das sind Lamellen aus Eisen, kleine Lamellen, die man zu einem ganz beweglichen Panzer zusammengeschnĂĽrt hat und die viel besser gegen Pfeile helfen als Kettenhemden. Damit war man doch relativ gut geschĂĽtzt.
Erzähler
Als Angriffswaffe diente den Awaren der sogenannte Kompositbogen. Zusammengesetzt aus einem Holzteil, das auf der Innenseite mit Sehnen zusammengeleimt und auf der Rückseite mit einem dünnen Horn verstärkt ist, entwickelt er eine hohe Durchschlagskraft. Der untere Bogenteil ist kürzer als der obere. Dadurch werden die awarischen Kämpfer zu Pferd beweglicher.
Erzählerin
Sie überraschen den Feind mit blitzschnellen Attacken, schießen reitend ihre Pfeile ab und fechten mit gekrümmten Säbeln. Entscheidend für diese Art des Kämpfens ist ein kleines Utensil, das dem Reiter Halt gibt: der eiserne Steigbügel. Erst die Awaren haben diese revolutionäre Erfindung nach Europa gebracht, sagt Arnold Muhl.
ZSP 14 Muhl SteigbĂĽgel 0,20
Das ist eine tatsächlich entscheidende Änderung, weil das verändert das Reiten völlig. Vorher gab es diesen Steigbügel nicht. Heute erscheint uns das völlig selbstverständlich. Aber wenn man bedenkt: Römer, Griechen, die hatten keinen. Und erst mit dem Steigbügel ist ein Reiten, wie man es dann später bei der Kavallerie oder beim Rittertum sieht, erst möglich.
Erzähler
Panzerrüstung, Steigbügel, Säbel – das Erbe der Steppe besteht vor allem aus militärischen Neuerungen, die die Armeen des Westens später übernommen haben. Ohne die Awaren wäre also das europäische Rittertum des Mittelalters gar nicht denkbar.
MUSIK
Erzähler
Die Schätze der Awaren sind fast sprichwörtlich. Das meiste Gold aber haben sie nicht durch Kampf und Raub eingeheimst, sondern durch Schutzzahlungen und diplomatische Geschenke. Denn die Awaren waren in Europa schnell zum politischen Player aufgestiegen, zu einem Faktor im Machtgefüge.
Erzählerin
566 hatten sie die Franken besiegt und im Jahr darauf die ostgermanischen Gepiden in Pannonien unterworfen. Um ihren Machtbereich auch auf dem Balkan zu erweitern, wandten sich die Awaren schließlich gegen Byzanz und belagerten im Jahr 626 die schwer befestigte Hauptstadt Konstantinopel. An deren Mauern aber bissen sich die awarischen Panzerreiter und Bogenschützen letztlich die Zähne aus, sagt Arnold Muhl.
ZSP 15 Muhl Verlust 0,23
Also die holen sich da eine ziemlich blutige Nase, sind dann ziemlich geschwächt. Auch Teile ihrer unterworfenen Slawen lösen sich dann auf, ein Teil ihrer Macht geht flöten. Und die Franken nutzen die Situation und greifen die ein paar Mal an. Das führt zu einem gewissen Substanzverlust letztendlich. Aber erst tatsächlich, als sie untereinander zerstritten sind, sind die dann so schwach, dass sie dann einzeln aufgerieben werden.
Erzähler
Ende des 8. Jahrhunderts erobert und plündert Frankenkönig Karl, der spätere Kaiser Karl der Große, das wohlhabende Awarenreich im Donau-Theiß-Zwischenstromland. Nur zwei Jahrzehnte später sind die Awaren aus den Annalen verschwunden. Ihr 250 Jahre währendes Reich ist Geschichte. Und die Reste der awarischen Bevölkerung gehen in anderen Volksgruppen auf.
MUSIK
Erzähler
Aber es dauert keine hundert Jahre, da tauchen aus den Steppen Asiens erneut Reitervölker auf. Die Ungarn oder Magyaren, wie sie sich selbst nennen. Ihre Urheimat lag östlich des Urals, und ihr Idiom, das zur finno-ugrischen Sprachenfamilie gehört, klang in europäischen Ohren reichlich fremd. Auch sie lassen sich in der pannonischen Tiefebene nieder. Und starten von hier aus ihre Raubzüge.
Erzählerin
Wie ein Wirbelsturm fegen die Ungarn Ende des 9. Jahrhunderts über Mitteleuropa hinweg. Leicht gerüstet und äußerst wendig, führen sie blitzschnelle Reiterattacken aus. Die schwerfälligen gepanzerten Fußsoldaten des bayerischen Heeres erleiden im Jahr 907 vor Pressburg eine vernichtende Niederlage gegen diese pfeilschnellen Madjaren. Die werden zur permanenten Bedrohung. Sie zerstören Dörfer und plündern Klöster. In ihre Pfeilspitzen bohren sie Löcher. Dadurch entsteht im Flug ein heulendes, pfeifendes Geräusch, das die Gegner in Angst und Schrecken versetzt.
Erzählerin
Die ostfränkische Landbevölkerung verschanzt sich hinter hohen Erdwällen und tiefen Gräben. Oft genug vergeblich. Wie schon die Hunnen ein halbes Jahrtausend zuvor werden auch die magyarischen Reiternomaden zum Alptraum Europas. Als blutsaufende Bestien verschrien, galten sie als Vorboten einer drohenden Apokalypse. Die schriftkundigen Mönche sahen in den schamanistischen Heiden den personifizierten Satan. Aber waren diese Ungarn wirklich so grausam wie sie beschrieben werden?
ZSP 16 Muhl erfolgreich 0,22
Nicht grausamer als die anderen. Das hat sich damals nicht viel gegeben. Ein Menschenleben zählte nicht so besonders viel. Aber sie waren halt erfolgreich wieder durch ihre Reiterei, auch mit ihren Säbeln waren sie ein bisschen besser ausgerüstet. Also das war für die Leute kein Spiel, wenn die hier anrückten. Weil auch die wieder militärisch so erfolgreich waren, dass man dem wenig entgegenzusetzen hatte.
Erzählerin
Mitte des 10. Jahrhunderts enden die Ungarneinfälle. König Otto I. kann 955 auf dem Lechfeld vor den Toren Augsburgs das militärisch weit überlegene ungarische Heer vernichtend schlagen. In den Jahrzehnten danach wird das Nomadenvolk langsam sesshaft. Und gut katholisch. Fürst Stephan christianisiert seine heidnischen Magyaren und gründet im Jahr 1000 das Königreich Ungarn. Als einziges der bedeutenden Steppenvölker können sich diese Ungarn in Mitteleuropa bis heute behaupten.
MUSIK
Erzähler
Aber schon Mitte des 13. Jahrhunderts tauchten erneut Reiternomaden auf. Die mongolischen Stämme der Goldenen Horde unter Batu Khan dringen bis Niederschlesien, Ungarn, Mähren und Niederösterreich vor.
Erzählerin
Hunnen, Awaren, Ungarn, Mongolen. Die Geschichte der Reiternomaden auf dem europäischen Kontinent ist lang, auch wenn manche ihrer Reiche nur kurz bestanden. Als Krieger, aber auch als Hirten und Händler haben die eurasischen Steppenvölker Spuren hinterlassen. Sie sind Teil unserer europäischen Geschichte.