Alles Geschichte - History von radioWissen   /     STADTGESCHICHTEN - New York und sein Stadtplaner Robert Moses

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Er war verehrt und gefĂŒrchtet. Den Stadtplaner Robert Moses nennt man bis heute den "Master Builder" New Yorks. Er galt als ebenso arrogant wie brillant, als visionĂ€r und rĂŒcksichtslos. 44 Jahre lang konnte er die Metropole mit gewaltigen und umstrittenen Bauprojekten wie kein anderer im Alleingang formen. Von Florian Kummert (BR 2021)

Subtitle
Duration
00:25:20
Publishing date
2025-02-21 13:40
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/alles-geschichte-history-von-radiowissen/stadtgeschichten-new-york-und-sein-stadtplaner-robert-moses/2103570
Contributors
  Florian Kummert
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2103570/c/feed/stadtgeschichten-new-york-und-sein-stadtplaner-robert-moses.mp3
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Shownotes

Er war verehrt und gefĂŒrchtet. Den Stadtplaner Robert Moses nennt man bis heute den "Master Builder" New Yorks. Er galt als ebenso arrogant wie brillant, als visionĂ€r und rĂŒcksichtslos. 44 Jahre lang konnte er die Metropole mit gewaltigen und umstrittenen Bauprojekten wie kein anderer im Alleingang formen. Von Florian Kummert (BR 2021)

Credits
Autor: Florian Kummert


Regie: Susi Weichselbaumer
Es sprachen: Beate Himmelstoß, Rainer Buck, Sven Hussock

Technik: Adele Kurdziel
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Jason Harber

Besonderer Linktipp der Redaktion:

NDR & mdr: OZ. Graffiti-KĂŒnstler. Schmierfink. Rebell.

Zwei Jahrzehnte lang geht der Graffiti-Sprayer OZ – bĂŒrgerlich Walter Fischer – jede Nacht raus und »macht Hamburg bunter«, wie er sagt – oder, wie andere urteilen: Er verschandelt die Stadt. Immer wieder wird er verprĂŒgelt. Und immer wieder verurteilt, insgesamt zu mehr als acht Jahren GefĂ€ngnis. Doch OZ macht immer weiter, am Ende stirbt er als KĂŒnstler. Was war sein Antrieb? Kai Sieverding und Sven Stillich begeben sich auf die Suche nach dem Menschen hinter der SprĂŒhdose und finden ein Leben, das geprĂ€gt ist von Extremen.

ZUM PODCAST


Linktipps:

Deutschlandfunk (2022): Die Sprache von GebÀuden und StÀdten

Wie wird man Architekturkritiker? In den USA hat Alexandra Lange diesem Beruf ein Fundament gebaut mit ihrem Lehrbuch „Schreiben ĂŒber Architektur“. Wir stellen AuszĂŒge daraus in zwei Sendungen vor. JETZT ANHÖREN

ZDF (2024): WeltstĂ€dte – New York  

FĂŒr viele ist New York die Stadt der StĂ€dte: eine Stadt, die sich hoch in den Himmel schraubt und immer neue Rekorde bricht. Ein wimmelnder Schmelztiegel, der nie zur Ruhe kommt. JETZT ANSEHEN



Und hier noch ein paar besondere Tipps fĂŒr Geschichts-Interessierte:


Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt ĂŒber bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?

DAS KALENDERBLATT erzĂ€hlt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrĂŒhrend, witzig und oft ĂŒberraschend.

Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. 

Wir freuen uns ĂŒber Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

MUSIK

ERZÄHLERIN
New York City. Die Stadt der StĂ€dte, mit all ihren Licht- und Schattenseiten. Stadt der Luxusvillen und der Slums. Stadt der atemberaubenden Ausblicke und der stundenlangen Staus. Eine Weltmetropole, wie die belgisch-amerikanische Schriftstellerin Lucy Sante einmal sagte, mit einem zwiespĂ€ltigen Charakter, durchsetzt von WidersprĂŒchen, anziehend und abstoßend zugleich, so gewaltig und extrem, dass niemand ihn allein ersonnen haben könne.

ERZÄHLER
Und doch gibt es einen Mann, der diese Stadt formen konnte. Einer, der ihr seinen Stempel aufdrĂŒckte und die Landschaft von New York City und Umgebung ĂŒber Jahrzehnte hinweg modellierte.

ERZÄHLERIN
Ein Mann, der immense Macht anhĂ€ufte, der BĂŒrgermeister und Gouverneure kontrollierte, der das Rampenlicht mied und aus dem Schatten heraus sein New York bauen konnte. Sein Name: Robert Moses.

OTON VOICEOVER Jason Haber 1
„He is alive in spirit anyway, because you're on his roads, you're in his traffic. The routes that you take, whether you use Google Maps or just your own intuition, they are plotted by Robert Moses.“
„Sein Geist schwebt bis heute ĂŒber der Stadt, vor allem auf seinen Straßen, in seinem Verkehr. Die Routen, die wir heute mit oder ohne Navi nehmen, hat Robert Moses vorgeplant.“

ERZÄHLERIN
Jason Haber, Autor und frĂŒherer Professor fĂŒr StĂ€dteplanung am John Jay College, lebt und arbeitet in New York. Je mehr er sich mit der Geschichte und den stĂ€dteplanerischen Herausforderungen seiner Heimatstadt auseinandersetzte, desto hĂ€ufiger stolperte er ĂŒber einen Namen.

OTON VOICEOVER Jason Haber 2
„I was struck by the fact that living on Long Island to the east of New York City and then coming into the city how much of my life’s movement and patterns were directed by a man that I didn't know, that most people didn't know by name and I think didn't realize the implications of what he did and how he did it and when I started asking questions like who created the Long Island Expressway, why Robert Moses, who created this tunnel, this bridge, this road, this park, it always seemed to come back to Moses.“
„Ich bin lange von Long Island östlich der Stadt nach Manhattan gependelt. Dabei ist mir bewusstgeworden, dass fĂŒr all diese Lebenszeit, fĂŒr meinen Bewegungsablauf ein Mann verantwortlich ist, dessen Namen viele gar nicht kennen, von dem viele nicht wissen, wie einflussreich er war. Aber als ich recherchiert habe: Wer hat den Long Island Expressway gebaut, wer hat diesen Tunnel, jene BrĂŒcke, diese Straße, jenen Park gebaut, dann war die Antwort immer: Moses.“

ERZÄHLERIN
Robert Moses war der Bauherr öffentlicher Bauten, und zwar einer der einflussreichsten und mĂ€chtigsten des 20. Jahrhunderts. Moses galt als brillant und arrogant, als visionĂ€r und rĂŒcksichtlos.

OTON VOICEOVER Jason Haber 3
„When you talk to people in New York about Robert Moses who aren’t deeply enmeshed in the topic they'll say things like was he the governor? Was he the senator? Was he the mayor? Most people are surprised that he was none of those three. Most notably, Robert Moses was never elected to any public office. In a democracy the way it supposed to work, we have a representative government where the officials who are in power are responsible and have to answer for their decisions or lack of decisions at the ballot box. Moses gets around this entirely and as a result it changes the story of how things evolved here in New York.“
„Wenn ich von Robert Moses und seinem Einfluss erzĂ€hle, werde ich oft gefragt: War er Gouverneur? War er Senator? War er der BĂŒrgermeister? Und die Antwort ĂŒberrascht die Leute: Er war nichts davon. Robert Moses wurde nie in ein öffentliches Amt gewĂ€hlt. Dabei sollte es in einer Demokratie doch anders laufen. Wir haben eine reprĂ€sentative Regierung, in der die Machthaber sich vor den WĂ€hlern verantworten mĂŒssen, und auch abgewĂ€hlt werden können. Moses umgeht dieses System komplett und verĂ€ndert so den Werdegang von New York.“

ERZÄHLERIN
Jason Haber ist ein ausgesprochener Kritiker von Robert Moses und dessen stÀdteplanerischen Visionen und Machtpolitik.

ERZÄHLER
Damit folgt er dem Gros der öffentlichen Meinung, die in den USA vor allem von einem Buch und der Rechercheleistung seines Autors geprĂ€gt wurde: „The Power Broker“ von Robert A. Caro. Eine ĂŒber 1200 Seiten umfassende, mit dem Pulitzer Preis prĂ€mierte Mischung aus Biographie und Stadtgeschichte. Caros 1974 erschienenes Buch geht dem Leben und Werk von Robert Moses nach und - wie es im Untertitel heißt - dem „Niedergang von New York“. „The Power Broker“ zĂ€hlt an der New Yorker Columbia UniversitĂ€t bis heute zur PflichtlektĂŒre und gilt als eines der wichtigsten stadtgeschichtlichen BĂŒcher des 20. Jahrhunderts.

MUSIK

ERZÄHLER
Robert A. Caros Buch versucht, Robert Moses zu entrĂ€tseln. Wer ist dieser Mann, der 44 Jahre als Oberster Baumeister von New York das Bild der Stadt bestimmt. Der „Master Builder“, der kaum einen Bereich unberĂŒhrt lĂ€sst und hunderte Meilen an Parkways und Stadtautobahnen schafft, ebenso hunderte von Parks, SpielplĂ€tzen und öffentlichen StrĂ€nden, der BrĂŒcken und Tunnel bauen und Viertel niederreißen lĂ€sst und hunderttausende Sozialwohnungen errichtet. Von den 1920er bis in die 1970er Jahre hinein macht Robert Moses seinen Einfluss geltend, in den fĂŒnf so genannten „Boroughs“, den fĂŒnf großen Verwaltungsbezirken der Stadt: Manhattan, Brooklyn, Queens, Bronx und Staten Island.

ATMO Autos, Hupen

ERZÄHLER
Robert Moses baut knapp 700 Kilometer an Straßen fĂŒr die New Yorker, aber er selbst lernt Zeit seines Lebens nie ein Auto zu fahren. Da er ebenso die öffentlichen Verkehrsmittel meidet, lĂ€sst er sich von einem Chauffeur durch New York kutschieren.

ERZÄHLERIN
1888 als Sohn einer wohlhabenden, großbĂŒrgerlichen deutsch-jĂŒdischen Familie geboren, steht Robert Moses bereits als Jugendlichem ein Fahrer zur VerfĂŒgung. Er wĂ€chst in gediegenem Luxus auf, nahe der Fifth Avenue. Und entwickelt sich zu einem ehrgeizigen SchĂŒler, der 1909 in Yale zu den Besten des Abschluss-Jahrgangs gehört, ebenso wie anschließend in Oxford und an der Columbia University.

MUSIK

ERZÄHLER
Ab 1914 arbeitet er im öffentlichen Dienst und findet dabei einen wichtigen VerbĂŒndeten: Gouverneur Al Smith fördert die Karriere seines ProtegĂ©s, obwohl die beiden MĂ€nner unterschiedlicher nicht hĂ€tten sein können. Moses, Spross einer privilegierten Familie und Al Smith, in armen VerhĂ€ltnissen an der Lower East Side aufgewachsen, aber vom Wunsch beseelt, das Leben der ganz normalen BĂŒrger zu verbessern. Voller Tatendrang unterstĂŒtzt Moses Al Smiths Reformprogramm, doch gleichzeitig entwickelt er - mit UnterstĂŒtzung des Gouverneurs - ein eigenes Projekt, so ambitioniert wie neuartig.

ERZÄHLERIN
Ende 1923, Anfang 1924. George Gershwin komponiert die Musik zu „Rhapsody in Blue“. F. Scott Fitzgerald vollendet den „Großen Gatsby“, den meisterhaften Roman ĂŒber den amerikanischen Traum und seine AbgrĂŒnde, dessen Handlung zwischen den Uferpromenaden auf Long Island und den Straßenschluchten von Manhattan pendelt.

ERZÄHLER
Da beginnt Robert Moses mit der Komposition einer anderen Art von Sinfonie, einer urbanen Rhapsodie. Statt Wörtern oder Noten benutzt er den Stadtplan, und zwar das gesamte 2100 Quadratmeilen umfassende Areal der Stadt New York und der sie umgebenden Landschaft, die er fĂŒr das anbrechende Automobilzeitalter erschließen will.

ERZÄHLERIN
Er wĂŒrde Parkanlagen bauen. Keine nur wenige Quadratmeter großen Spiel- und SportflĂ€chen mit etwas GrĂŒn an den RĂ€ndern, wie es sonst ĂŒblich ist. Nein, Robert Moses schwebt ein Netz an Parks vor, durch breite, baumgesĂ€umte Straßen verbunden, mit ausgedehnten NaturflĂ€chen und langen SandstrĂ€nden. Dazu BadehĂ€user, Umkleidekabinen, Open-Air-CafĂ©s und Restaurants.

MUSIK

ERZÄHLERIN
Der Zugang zu den StrĂ€nden von Long Island war lange Zeit nur den Superreichen auf ihrem Privatgrund vorbehalten. Doch Robert Moses schafft weitlĂ€ufige Park- und Strandanlagen fĂŒr die wachsende Mittelschicht, komfortabel, hygienisch und gut zu erreichen. Ebenso revolutionĂ€r wie die Anlagen sind die Anfahrtswege. Moses - mittlerweile Vorsitzender der „Long Island State Park Commission“ sowie PrĂ€sident des „State Council of Parks“ - lĂ€sst mit den sogenannten „Parkways“ ein Netz aus landschaftlich schön gestalteten Straßen bauen, ohne Kreuzungen, Ampeln, oder BahnĂŒbergĂ€nge.

ERZÄHLER
Im Sommer 1929 eröffnet Jones Beach und wird fĂŒr Robert Moses ein triumphaler Erfolg. Allein am Eröffnungstag setzen sich 25.000 New Yorker in ihre Autos, um den neuen Park und die Anlagen zu besuchen. Weitere 325.000 werden im ersten Monat folgen, um sich an den weißen SandstrĂ€nden und der Brandung zu erfreuen, und spĂ€ter auch an einem Amphitheater mit Meeresblick und Musikshows. Zudem lĂ€sst Moses eine Minigolfanlage errichten und einen eleganten Wasserturm, eine Kopie des Campanile auf dem Markusplatz in Venedig. Landschaftsarchitekten aus der ganzen Welt strömen nach Jones Beach um die Anlagen und das Straßennetz zu bewundern.

OTON VOICEOVER JASON HABER 4
„We have to remember the New York before World War Two, there was a huge lack in infrastructure. And so I've argued that New York actually needed A Robert Moses, someone with the vision and ability to build and create and modernize. But instead we got THE Robert Moses. And it's that difference that makes all the difference in in the New York story.
Because the Robert Moses that we got was a a racist who used his racial hatred to punish minority communities very clear in how certain roads were built.“
„New York vor dem Zweiten Weltkrieg litt unter einer mangelhaften Infrastruktur. Deshalb sage ich immer, dass die Stadt einen Robert Moses dringend nötig hatte, also einen StĂ€dteplaner mit Vision, der bauen und kreieren und modernisieren konnte. Stattdessen haben wir aber den Robert Moses bekommen, und das macht in der Stadtentwicklungsgeschichte einen gewaltigen Unterschied aus. Denn der Robert Moses, den New York bekam, war ein Rassist, der seinen Rassismus benutzte, um Minderheiten auszugrenzen, etwa indem er Straßen auf bestimmte Weise bauen ließ.“

ERZÄHLERIN
Robert Moses, der subtile Rassist, dessen Vorbehalte gegen bestimmte Bevölkerungsschichten sich von Anfang an in der stĂ€dtebaulichen Anlage seiner Projekte zeigen. Ein Vorwurf, den Jason Haber bereits in den Zufahrten zu Jones Beach bestĂ€tigt sieht. Wer zu den neuen Parks und StrĂ€nden wollte, musste mit dem Auto anfahren. FĂŒr die New Yorker, die auf U-Bahnen, Busse und ZĂŒge angewiesen waren, blieben die Anlagen unerreichbar. Moses selbst hatte die Zustimmung zum Bau einer Eisenbahnstrecke nach Jones Beach verweigert. Und die vielen elegant geschwungenen BrĂŒcken ĂŒber die Parkways ließ er so niedrig bauen, dass sie fĂŒr die meisten Busse unpassierbar waren.

OTON VOICEOVER JASON HABER 5
„Why in the world were the overpasses of these roads build so low? The answer is he wanted cars only on them. Minority communities at the time typically took busses. They weren't car owners at the time, and this kept minorities out of Jones Beach. And if you look at all the early photos of Jones Beach there, on many of them you will only see white people. It’s done by design. It’s racism by design. And Moses is responsible for that.“
„Warum um alles in der Welt waren diese BrĂŒcken mitten in der freien Natur so niedrig gebaut? Die Antwort: Moses wollte auf den Parkways nur Autos haben. Denn die schwarze Bevölkerung war ĂŒberwiegend auf Busse angewiesen. Schwarze konnten sich nur in AusnahmefĂ€llen ein eigenes Auto leisten. Sehen Sie sich all die frĂŒhen Fotografien von Jones Beach an. Auf den meisten sind ausschließlich Weiße zu sehen. Das war so geplant. Rassismus durch StĂ€dteplanung. Und Moses ist dafĂŒr verantwortlich.“

MUSIK

ERZÄHLER
Nach dem Erfolg mit Jones Beach und weiteren Anlagen versucht Robert Moses seine politische Macht durch eine Wahl zu zementieren, aber er scheitert krachend. Bei den Gouverneurswahlen 1934 verliert Moses gegen den demokratischen Kandidaten, und zwar mit dem höchsten, bis heute jemals gemessenen Abstand an Stimmen. Er mag ein brillanter Redner sein, doch sein Auftreten wirkt kĂŒhl, mitunter arrogant und alles andere als volksnah.

MUSIK

ERZÄHLERIN
VolksnĂ€he hingegen hat der 1934 neu ins Amt gewĂ€hlte BĂŒrgermeister Fiorello LaGuardia im Übermaß. Unter ihm sieht Moses eine andere Chance, Macht anzuhĂ€ufen. LaGuardia bittet Moses, sich um die stĂ€dtischen Parkanlagen zu kĂŒmmern und City Park Commissioner zu werden. Moses ist einverstanden, doch macht etliche Bedingungen. Er lĂ€sst alle Bezirksparkverwaltungen zu einer einzigen zusammenlegen, unter seiner Leitung. Zudem besteht er darauf, sĂ€mtliche bisherigen Staatspark-Ämter auf Long Island zu behalten.

ERZÄHLER
Und er besteht auf einen weiteren Posten: GeschĂ€ftsfĂŒhrer und Generaldirektor der „Triborough Bridge Authority“, eines groß angelegten öffentlichen BrĂŒcken-Bauprojekts, das Manhattan, die Bronx und Queens miteinander verbinden soll. Der BĂŒrgermeister stimmt zu. Und Moses selbst schreibt das Gesetz, das ihm seine neue Position einrichtet.

ERZÄHLERIN
Theoretisch sollten öffentliche Behörden wie die Triborough Bridge Authority nach Fertigstellung des jeweiligen Projekts und Begleichung der Kosten wieder aufgelöst werden. Doch Robert Moses hat nicht die Absicht, diese Behörde jemals wieder zu schließen. Denn die BrĂŒcken mit ihren Mautstationen sind eine ideale Einnahmequelle. Und diese Millionen von MĂŒnzen aus der Maut nutzt er durch geschickt formulierte Gesetzespassagen als stetigen Geldstrom, um damit Mittel fĂŒr zukĂŒnftige Projekte zur VerfĂŒgung zu haben. So schafft sich Robert Moses eine Machtbasis, die ihn vor etwaigen Eingriffen des BĂŒrgermeisters, des Gouverneurs und anderer absichert. Auf dem Höhepunkt seiner Macht hat er 12 Posten gleichzeitig inne.

ERZÄHLER
Moses kann sich - ohne Wahl, nur durch Ernennung - ĂŒber die Amtszeiten von fĂŒnf New Yorker BĂŒrgermeistern und sechs Gouverneuren an der Macht halten. 1946 ĂŒbernimmt er das neu geschaffene Amt des Stadtbaukoordinators. Damit hat er das Sagen ĂŒber sĂ€mtliche öffentliche Bauvorhaben in allen fĂŒnf Boroughs. Nicht nur ĂŒber Parks und Parkways, Tunnel und BrĂŒcken, sondern auch ĂŒber Wohnungsbauprogramme, Schulen und Gemeindezentren.

ERZÄHLERIN
Moses fĂ€delt den Bau des UNO-Hauptquartiers auf einem ehemaligen SchlachthofgelĂ€nde am Ostufer Manhattans ein. An der Upper West Side lĂ€sst er das Slum-Viertel San Juan Hill abreißen, um das Kulturzentrum Lincoln Center, mitsamt dem Neubau der Metropolitan Opera zu errichten. Ganz im Sinne von Le Corbusieur und anderer Verfechter des Modernismus verfolgt Robert Moses seinen Plan einer Stadt der Moderne. Störende Stadtbewohner werden zur Verschiebemasse. 

MUSIK

ERZÄHLER
Die Vorkriegseleganz von Projekten wie Jones Beach ist nun passĂ©. Moses prĂ€gt den Wohnungsbau der Nachkriegszeit, indem er in den 1950er und 60er Jahren kastenförmige ApartmenthochhĂ€user errichten lĂ€sst. Allein in Harlem verschwinden 100 Hektar an alter Bausubstanz und mĂŒssen 40.000 neuen Wohneinheiten weichen. Ein zweischneidiges Schwert. Viele Anwohner können zum ersten Mal in eine eigene Wohnung ziehen, doch die kasernenartige Backsteinarchitektur ist anonym und abweisend. Der Schriftsteller John Cheever kritisiert die Mietskasernen: Sie wĂŒrden jedes FĂŒnkchen Fantasie vermissen lassen, kein Mensch wĂ€re jemals auf eine Stadt von solcher Monotonie auch nur im Traum gekommen.

OTON VOICEOVER JASON HABER 6
„Planners from around the country and around the world came to New York to learn the ways of Moses. So in the Twentieth Century there were Moses disciples that saw what he was doing and then took that to their own cities. The problem was the centerpiece of Moses urban plans: it didn't revolve around people. It revolved most importantly around the car. And I've called it the error of the autocracy where the car is the dominant actor on the streetscape.“
„StĂ€dteplaner aus dem ganzen Land und sogar weltweit kamen nach New York um von Robert Moses zu lernen. Es gab im 20. Jahrhundert viele Moses-SchĂŒler, die seine Konzepte dann auch in ihren StĂ€dten verwirklichten. Das Problem daran war aber: Diese Art der Stadtplanung drehte sich nicht um die Menschen, sondern vor allem um das Automobil. Ich nenne es den „Fehler der Autokratie“. Wir haben unser Straßenbild von den BedĂŒrfnissen der Autos bestimmen lassen.“

MUSIK

ERZÄHLERIN
FĂŒr Stadtplaner wie Jason Haber ist dieser Fokus auf das Automobil die UrsĂŒnde, die einen Teufelskreislauf in Gang gesetzt hat. UrsprĂŒnglich hatte Moses seine Parkways gebaut, um Großstadtbewohnern die Möglichkeit zu einer Landpartie zu geben. Doch ab den 50er-Jahren werden neben diesen Parkways immer mehr Vorstadtsiedlungen aus dem Boden gestampft. Die Zahl der Pendler wĂ€chst und wĂ€chst, und mit ihnen die Staus und Wartezeiten und auch der Frust der Autofahrer. FĂŒr Robert Moses als Verkehrsplaner gibt es nur eine Lösung: mehr Straßen.

ERZÄHLER
Keine alleeartigen Parkways mehr, sondern achtspurige Expressways, 70 Meter breit, ohne unnötige Kurven und Umwege. FĂŒr den sieben Meilen langen Cross-Bronx Expressway lĂ€sst Moses 40.000 Menschen umsiedeln und die Arbeitersiedlung East Tremont dem Erdboden gleichmachen.

ERZÄHLERIN
Elf Expressways entstehen in der Ära Moses. Betonschneisen auf einer LĂ€nge von 130 Meilen, die einige der am dichtesten besiedelten Wohngebiete der Welt durchschneiden. Betonschneisen, fĂŒr die ĂŒber eine Viertelmillion New Yorker BĂŒrger - meist aus der Unterschicht - ihre Wohnung verlassen mĂŒssen. Doch die neuen Highways sind bald schon wieder ĂŒberlastet. Und der Widerstand gegen weitere Trassen quer durch Manhattan wĂ€chst.

MUSIK 

ERZÄHLER
Moses lĂ€sst ein 14 Block großes Areal am westlichen Rand von Greenwich Village als „Stadterneuerungsgebiet“ ausweisen, sprich: zum Abriss freigeben. Doch diesmal wehren sich die Bewohner des West Village - mit Erfolg. An der Spitze des Widerstands steht eine kĂ€mpferische Frau und begnadete Autorin: Jane Jacobs.

ERZÄHLERIN
Mit ihrem Sachbuch „Tod und Leben großer amerikanischer StĂ€dte“ prangert sie die SĂŒnden des modernen StĂ€dtebaus an, vor allem die Siedlungen fĂŒr Geringverdiener – in ihren Augen schlimmere BrutstĂ€tten fĂŒr Verbrechertum, Vandalismus und soziale Hoffnungslosigkeit als die Slums, die sie ersetzen sollten. Sie kritisiert Promenaden, die kein SpaziergĂ€nger benutzt, die irgendwo sinnlos beginnen und nirgendwo hinfĂŒhren, und Schnellverkehrsstraßen, die die GroßstĂ€dte ausweiden. All das sei keine Stadterneuerung, sondern Raubbau, StĂ€dteabbau.

MUSIK 

ERZÄHLER
Mit Protestaktionen kĂ€mpfte Jane Jacobs um den Erhalt des West Village. Sie betonte die fĂŒr das stĂ€dtische Klima die so wichtige Vielfalt, das Nebeneinander von GeschĂ€ften, Bars, Restaurants, Wohn- und MietshĂ€usern, Fabriken und WerkstĂ€tten, das Stadtplanern wie Jason Haber bis heute als Vorbild dient.

OTON VOICEOVER JASON HABER 7
„Her vision of urban planning comes from her looking out her window. She would see the ballet of the city, as she called it the butcher coming in to open his shop, the kids walking home from school, the people doing commerce in the small retail spaces. Everyone played a part in this ballet and the intricacy of it kept the city and the neighborhood safe. When you remove that and you create these lack of retail areas like the the public housing projects that Moses built, no retail, inner courtyards, you know they're breeding grounds for bad behavior.“
„Woher kam ihre Vision fĂŒr eine Stadtplanung? Indem sie aus dem Fenster sah. Und was sie sah, nannte sie „das Ballett der Stadt“. Der Metzger, der morgens kommt um seinen Laden zu öffnen. Die Kinder, die nach der Schule nach Hause gehen. Das Gewusel der Leute, die in den LĂ€den ihre EinkĂ€ufe erledigen. Alle spielen in diesem Ballett eine wichtige Rolle, halten die Stadt lebendig und machen das Viertel so auch sicherer. Stoppt man aber dieses Miteinander, wenn es etwa in den Siedlungen keine GeschĂ€fte und Treffpunkte mehr gibt, und vor allem nur nach innen gerichtete Höfe, wie in den Wohnungsbauprojekten von Moses, dann fördert das den Verfall der Sitten.“

ERZÄHLERIN
Jane Jacobs schafft es, eine breite Allianz gegen Moses zusammenzutrommeln und seine HighwayplĂ€ne durch das West Village endgĂŒltig zu stoppen. Zudem sorgt ab 1965 die New Yorker „Landmarks Preservation Commission“, die erste Denkmalschutzbehörde in den Vereinigten Staaten, fĂŒr ein Umdenken. Hunderte EinzelgebĂ€ude sowie komplette historisch gewachsene Viertel wie Greenwich Village werden unter Denkmalschutz gestellt. Die Ära von Robert Moses neigt sich dem Ende zu. Gouverneur Nelson Rockefeller – selbst ein fintenreicher Machtmensch - entzieht ihm nach und nach die Ämter.

ERZÄHLER
Widerwillig geht Robert Moses 1968 in den Ruhestand. Bis ins hohe Alter bleibt er streitlustig. Er stirbt 1981, im Alter von 92 Jahren. Bald gerÀt sein Name immer mehr in Vergessenheit.

ERZÄHLERIN
Es ist eher Jane Jacobs‘ Vision von einer Metropole, die sich in den kommenden Jahrzehnten durchsetzen wird. New York stoppt fast alle großen Straßenbauvorhaben und steckt Milliarden Dollar in den Um- und Ausbau des U-Bahn-Netzes. Und die Stadtverwaltung wird so neuorganisiert, dass keine Einzelperson mehr die MachtfĂŒlle anhĂ€ufen kann, die Robert Moses innehatte.
Allerdings gibt es dennoch bis heute AnhÀnger einer solchen Ausnahmeposition. Jason Haber:

OTON VOICEOVER JASON HABER 8
„You hear that all the time about Robert Moses: „ At least he got it done!“ But that's not the whole story. Tell „At least he got it done!“ to the hundreds thousands of minorities who lost their homes, their jobs, their wellbeing, their livelihood because of decisions that Robert Moses made. Tell it to the guy sitting in traffic for two and a half hours when it should only be 25-30 minutes because of poorly planned roads. People are so enamored by the new, the shiny, by construction, that sometimes they don't take a step back and say is it worth the cost?“
„Immer wieder höre ich diesen Satz ĂŒber Robert Moses: „Er war wenigstens ein Macher!“ Sagen Sie mal „Er war ein Macher!“ zu den Hunderttausenden, meist Schwarzen oder Latinos, die ihre HĂ€user, ihre Lebensgrundlage, ihr Viertel verloren haben, wegen Entscheidungen, die Robert Moses getroffen hat. Sagen Sie das den Leuten, die wegen der Straßenplanung jeden Tag zweieinhalb Stunden im Stau stehen, obwohl sie eigentlich nur eine halbe Stunde entfernt wohnen. Wir lieben alles Neue, lieben die glĂ€nzenden Fassaden, die Bauten. Und so vergessen wir innezuhalten und uns zu fragen: sind die Kosten nicht zu hoch?“

MUSIK

ERZÄHLER
Andere sind weniger kritisch und loben das umfangreiche Fernstraßennetz, das Robert Moses hinterlassen hat. Ein Netz, dass der moderne Großstadtverkehr zum Überleben braucht, heißt es, auch wenn in vielen amerikanischen Metropolen die Stadtzentren von Expressways zerrissen und verunstaltet wurden.

ERZÄHLERIN
Zumindest Manhattan ist dieses Schicksal erspart geblieben. New York hat sich von Robert Moses formen lassen, hat sich mal verschönern und oft verwunden lassen, aber hat sich - rechtzeitig - zur Wehr gesetzt.