Alles Geschichte - History von radioWissen   /     STADTGESCHICHTEN - Das rätselhafte Angkor

Description

Das untergegangene Angkor war eine Stadt der Superlative. Ihr Gebiet war so groß wie Berlin heute. Bis zu eine Million Menschen sollen dort gewohnt haben. Sie haben ihren Herrschern Tempel erbaut, über hundert davon sind noch heute begehbar, viele sind noch versteckt im Dschungel von Kambodscha. Der wohl berühmteste Tempel ist der Angkor Wat, größer als der Petersdom in Rom. Von Johannes Marchl (BR 2020)

Subtitle
Duration
00:24:32
Publishing date
2025-02-21 13:35
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/alles-geschichte-history-von-radiowissen/stadtgeschichten-das-raetselhafte-angkor/2103569
Contributors
  Johannes Marchl
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2103569/c/feed/stadtgeschichten-das-raetselhafte-angkor.mp3
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Shownotes

Das untergegangene Angkor war eine Stadt der Superlative. Ihr Gebiet war so groß wie Berlin heute. Bis zu eine Million Menschen sollen dort gewohnt haben. Sie haben ihren Herrschern Tempel erbaut, über hundert davon sind noch heute begehbar, viele sind noch versteckt im Dschungel von Kambodscha. Der wohl berühmteste Tempel ist der Angkor Wat, größer als der Petersdom in Rom. Von Johannes Marchl (BR 2020)

Credits
Autor: Johannes Marchl
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Hemma Michel, Stefan Wilkening, Michael Atzinger
Technik: Christian Schimmöller
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Dr. Wibke Lobo, Dr. Hans Leisen, Touch

Linktipps:

NDR (2024): Kambodscha – Zwangsumsiedlung in Angkor Wat

Seit fliegende Händler nicht mehr um die Tempel arbeiten und leben dürfen, haben viele Familien Angst um ihre Zukunft. JETZT ANSEHEN

ZDF (2021): Angkor Wat – Kambodschas antike Tempelstadt

Versteckt im Dschungel von Kambodscha steht der größte religiöse Bau der Welt: die Tempelanlage von Angkor Wat. Moderne Technik hilft den Forscherteams bei der Studie des Bauwerks. JETZT ANSEHEN

Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:

Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?

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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

MUSIK & ATMO

OT 1 Touch, AW 3 auf kambodschanisch
Sprecher Overvoice:
Das ist Angkor Wat, der wunderbarste Platz in Kambodscha, Weltkulturerbe. Phantastisch. Auch für die Kambodschaner ist er sehr wichtig, und wir sind glücklich, dann das ist ein Meisterwerk der Ahnen, die den Tempel gebaut haben und es ist wichtig für die nächsten Generationen, über dieses Meisterwerk Bescheid zu wissen.

Sprecherin
Touch, Tuktukfahrer, Restaurator und Privatgelehrter

Zitator
Einer dieser Tempel – ein Rivale zu Salomon und gebaut von einem antiken Michelangelo – könnte einen würdigen Platz an der Seite unserer schönsten Baudenkmäler einnehmen. Er ist größer als alles, was Rom und Griechenland uns je hinterlassen haben und steht im traurigen Kontrast zu der Barbarei, in die diese Nation versunken ist.

Sprecherin:
Henri Mouhot, französischer Naturfoscher um 1860.

OT 2 Leisen
Ich erzähle jedem der sagt:“ Ja, ich hab ja Bilder gesehen“: Das ist ganz was anderes. Wenn man dann vor dem ganzen Tempel steht. Man kann die Dimension, denke ich, auch aus gut gemachten Bildern nicht wirklich ablesen. Und ich glaub´, dass da alle Vergleiche hinken, das ist schon einmalig hier.

Sprecherin
Hans Leisen, Professor für Geologie und seit über 25 Jahren am Angkor Wat Konservator.

Sprecher
Einmalig, ein Meisterwerk, größer als alles, was Rom und Griechenland uns hinterlassen hat – was ist das für eine Tempelanlage, was sind das für Bauwerke, von denen hier die Rede ist? Die Forscher ebenso anziehen wie Touristen – drei Millionen und mehr sollen es jedes Jahr sein, die nach Angkor kommen.

OT 5 Leisen  im Auto
Jetzt sind wir hier am Ost Eingang von Angkor Wat. Das ist also eines der Eingangsgebäude. Wir sind gerade über den Damm, über den breiten Wassergraben gefahren und fahren jetzt auf den eigentlichen Haupttempel zu

MUSIK

Sprecherin
„Haupttempel“ – klingt jetzt erstmal wenig schillernd. Aber dieser Haupttempel trägt den Namen Angkor Wat. Und ist mit Sicherheit der berühmteste Tempel Kambodschas, wenn nicht von ganz Asien. Vor uns ragt er auf, majestätisch und doch elegant, und vor allem unglaublich groß.

OT 6 Leisen
Genau. Es ist ja ein Tempelberg, der sich eben aus der Ebene von Angkor heraushebt und das stufenweise. Da ist zunächst mal so eine Plattform mit Treppenaufgängen und mit Balustraden und Naga Köpfen gesäumt, also Nagas - Schlangenköpfen. Und dann sehen wir schon jetzt links die nächste Ebene und dann das ganze bis zum zentralen Heiligtum ganz oben. Und wir sehen natürlich auch unsere Gerüste.

Sprecher
Hans Leisen spricht von „unseren Gerüsten“, weil er sowas wie der heutige Tempel-Baumeister des Angkor Wat ist. „Tempeldoktor“ oder „Tempelretter“ wurde er auch schon genannt. Hans Leisen ist inzwischen emeritierter Professor für Geologie an der Kölner Universität. Seit mehr als zwei Jahrzehnten versucht er mit seinen Leuten den Angkor Wat vor dem nagenden Zahn der Zeit zu bewahren.

Sprecherin
Wie schwierig das ist, Hans Leisen wird es später noch beklagen. Aber jetzt erstmal: Was ist das, der Angkor Wat?! Wo steht er? Und: es gibt ja auch noch nur „Angkor“ – ohne „Wat“ – wie passt das denn zusammen?!

OT 7 Leisen
Also, man muss da die Begriffe auseinanderhalten. Das riesige Gebiet das ist Angkor, also „die Stadt“ bedeutet das. Und der Angkor Wat ist ein Tempel in diesem riesigen Gebiet. Das ist das, was als UNESCO Welterbe eingetragenes ist, 501 Quadratkilometer sind das, mit sicher über hundert begehbaren Tempeln. Und einer davon ist der Angkor Wat. „Wat“ ist der Tempel. „Tempel in der Stadt“ bedeutet das.

MUSIK

Sprecher
In der Tat gehören die Tempelanlangen Angkors zu den größten religiösen Bauwerken überhaupt. Und vom Angkor Wat-Tempel heißt es, er sei doppelt so groß wie der Petersdom in Rom.

Sprecherin
Begonnen hat die Blütezeit Angkors im neunten Jahrhundert. Bis zum 15. Jahrhundert umfasst das Khmerreich ein riesiges Gebiet, ist das bedeutendste Reich in Südostasien. Ein Land übrigens ohne Namen. Wir wissen zumindest nicht, wie die Khmer selbst ihr Land genannt haben, es existieren keine schriftlichen Überlieferungen dafür. Andere Völker nannten das Reich „Kambuja“.

Sprecher
Was man weiß, ist, dass sich das Reich über das ganze heutige Kambodscha erstreckte, über Süd- und Ostthailand bis fast an die Grenze des heutigen Myanmar. Auf der anderen Seite gehörten auch Teile von Vietnam und von Laos zum Angkor-Reich. Und die Stadt Angkor selbst?

OT 8 Leisen
Die Kollegen von der University of Sydney sprechen von der ersten Megapolis. Oder besser noch oder genauer „Low Density Megapolis“, also wirklich so was wie heutzutage die Ballungsräume bei uns, das Ruhrgebiet oder der Osten der USA, Tokio, nur, dass das Ganze sich eben mehr in die Fläche verbreitet hat und nicht so kondensiert war.

Sprecherin
36 Könige folgen aufeinander. Und jeder neue König baut sich seine neue, seine eigene Tempelstadt, sagt die Kunsthistorikerin Wiebke Lobo:

OT 9 Kunsthistorikerin Wibke Lobo
Jeder Herrscher hat eben einen Staats-Tempel gebaut, dann auch einen Ahnentempel, Memorial Tempel wird er auch genannt, um seine Herrschaft zu legitimieren und noch einen riesigen künstlichen See, den sogenannten Barey, der als Ur Ozean angesehen wurde, der für die Wasserversorgung zuständig war und auch als Badeplatz, als Heiliger Badeplatz.

MUSIK

Sprecher
Das Korn, aus dem all diese Tempel und Gebäude keimen, ist der Reis. Er ist der Reichtum des Landes. Auch rund um die Metropole Angkor wird Reis angebaut. Und für Reis braucht man Wasser. Zwei riesige Wasser-Becken werden angelegt, sie heißen Baray. Das östliche Baray ist 7,5 Kilometer lang und fast 2 Kilometer breit, das zweite Baray im Westen ist sogar noch länger und breiter. Und ein ausgeklüngeltes Bewässerungssystem sorgt dafür, dass er wächst, der Reis. Und dass es nicht nur eine Ernte gibt, sondern drei! Der Ertrag wird von Forschern auf zweieinhalb Tonnen Reis pro Hektar im Jahr geschätzt. Zum Vergleich: im Mittelalter erntet man in Europa nur ein Achtel davon: 0,3 Tonnen Getreide pro Hektar.

OT 10 Lobo
Es war ein sehr mächtiges Reich zu Zeiten des Königs Suryavarmann II., dem zweiten, dem Erbauer des Angkor Wat, war es neben dem chinesischen Kaiserreich das mächtigste Reich Südostasiens. Handel, Landwirtschaft, Tropenholz war sehr begehrt. Gold, Edelsteine, dann Früchte, das Horn des Rhinozeros.

MUSIK

Sprecherin
Doch leider hat uns diese Kultur kaum schriftliche Aufzeichnungen hinterlassen – außer einigen Inschriften an Säulen, über die Heldentaten der Könige, beispielsweise. Von den Bewohnern dagegen, von den Khmer, wissen wir so gut wie nichts. Überragende Baumeister müssen sie gewesen sein, davon zeugen die Tempel. Exzellente Ingenieure: der Beweis ist das ausgeklüngelte Bewässerungssystem mit riesigen Becken und einem weitverzweigten System aus Kanälen und Wasserspeichern. Meister der Steinmetzkunst: Den Angkor Wat umgibt das längste Relief der Welt, in höchster Kunstfertigkeit ausgeführt. Gute Bauern, die viel Reis anbauten, der verkauft werden konnte und Grundlage des Reichtums war. Und nicht zuletzt gehorsame und gläubige Untertanen: Bei jedem Wechsel auf dem Königsthron wurden neue Tempel gebaut, ihren Göttern und ihrem gottähnlichen König zu Ehren. Und Angkor, die Stadt, war das Zentrum des historischen Khmer-Königreichs „Kambuja“.

OT NEU LOBO
Eine großartige Kultur hervorgebracht, durch Buddhismus und Hinduismus, Herrscher und Hof sehr gebildete Menschen, die einzigen Sanskrit Inschriften.

Sprecher
Inschriften in Sanskrit also, doch nur wenige, in Stein gehauen. Denn die Khmer benutzten und schrieben normalerweise auf Palmblätter, die längst zerfallen sind, ein Grund, warum wir gerade über die „normalen“ Menschen so wenig wissen – was nicht aus Stein ist, ist vergangen… Worauf gründen wir unser Wissen über Angkor dann?!

MUSIK

Sprecherin
Einmal auf archäologische Funde, vor allem auf Reliefs an einer Reihe von Tempelwänden. Dort werden neben mythologischen Szenen aus großen Volksepen auch ganz normale Alltagsszenen dargestellt: Einkaufen auf dem Markt, Fische aus dem nahen See Tonle Sap oder Musikinstrumente wie Stabzither, Bogenharfe und Schneckenhorn. – Und dann auf Berichte von chinesischen Diplomaten, Händlern und Reisenden. Und noch etwas hat viel Licht in das „Rätsel Ankgor“ gebracht hat: Aufnahmen aus der Luft. Ab 2012 hat ein Forscherteam eine Fläche von 1900 Quadratkilometern mit dem Laser abgetastet. Unter den dichten Dschungelbäumen wurden ganze Städte entdeckt, von denen niemand wusste, Tempel, Kanalsysteme. Mit Folgen für die Forschung: Unter anderem musste die gängige Theorie über den Untergang des Khmer Reichs revidiert werden.

Sprecher
Wozu wir noch kommen werden. Aber zunächst mal zu den schriftlichen Quellen: Forscher sagen, die authentischste Erzählung über die Blütezeit Angkors stammt von Zhou Daguan, einem chinesischen Botschafter. 1296 kam er für ein Jahr nach „Chenla“, wie die Chinesen das Khmer-Königreich nannten.

MUSIK

Zitator
Wenn der König ausgeht, führen Truppen seine Eskorte an. Dann kommen Flaggen, Banner und Musik… Palastfrauen mit Blumen in den Haaren halten Kerzen in den Händen, selbst bei strahlendem Tageslicht sind die Kerzen angezündet… Minister und Prinzen reiten auf Elefanten und vor ihnen kann man ihre unzähligen roten Schirme sehen. Hinter ihnen kommt der König, stehend auf einem Elefanten, sein heiliges Schwert in der Hand haltend. Die Stoßzähne des Elefanten sind umhüllt von Gold.

Sprecherin
Zhou Daguans Beschreibung mag eine Vorstellung geben, wie prächtig so eine königliche Parade ausgesehen hat. Doch die Wirklichkeit übertrifft dies bei weitem. Wenn man vor dem berühmtesten und am besten erhaltenen Tempel dieser Zeit steht, kann einem schon kurz der Atem stocken. Der Angkor Wat. Ein Mammut-Projekt von König Suryavarman II. aus dem 12. Jahrhundert. In nur 37 Jahren hat er den Tempel erbauen lassen. Logistisch extrem anspruchsvoll, meint Kunsthistorikerin Wiebke Lobo:

OT 11 Lobo
Denn es musste ja auch das Material herantransportiert werden. In der Umgebung gab es keine Felsen, keine Steine. Die wurden aus den Bergen Kolehn herantransportiert. Eine Riesenleistung, die nur möglich war, weil man gute Wasserwege hatte.

Sprecher
Wasserwege und Zehntausende von Arbeitern, die dem König zu dienen hatten, egal ob er sie in den Krieg schickte oder einen Tempel bauen ließ.

OT 13 Lobo
Die Tempel wurden nach kosmologischen Gesichtspunkten gebaut. Die Menschen waren der Meinung, dass kosmologische Kräfte, der Kosmos auf ihr Wohlbefinden und auf ihr Schicksal einwirken. Und das bedeutet, dass sie nach indischen Vorstellungen bei den Tempelanlagen ein Abbild des Kosmos schufen. Es gab den Ur-Ozean, der die Welt umgab, dann Gebirgsketten, die den Mittelpunkt der Welt, den Berg Meru einschlossen und alles zusammen wurde auf die Tempelarchitektur übertragen.

Sprecher
Geplant und ausgeführt ist der Angkor Wat also als hinduistischer Tempel. Später wurde er allerdings die buddhistische Glaubensstätte, die sie heute immer noch ist.

Sprecherin
Die Umrandung ist also ein gigantischer Wassergraben – aber nicht der Blickfang, der befindet sich dahinter. Der Blick, der ist unweigerlich gefangen vom Tempel an sich, der den Berg Meru symbolisiert – den Sitz der Götter. Über drei Ebenen ansteigend ragt er 65 Meter hoch auf, fünf Türme mit einer Lotusblütenspitze, vollkommen in der Proportion, gewaltig und doch harmonisch in dieser Landschaft.

MUSIK

Sprecher
Aber es ist nicht nur der gigantische Bau mit seinen Lotus-Türmen, es sind auch die Details, die den Angkor Wat einmalig machen. Die Reliefs – in feinster Arbeit zieren sie die kilometerlangen Korridore und Galerien, die den eigentlichen Tempel umrahmen. Forscher gehen heute davon aus, dass diese unterste Ebene offensichtlich für das Volk angelegt war. Szenen aus den großen Volksepen Mahabharata und Ramayana sind verbildlicht: Der göttliche Held Rama im Kampf um seine entführte Gattin Sita, der Entführer und Dämonenfürst Ravana im Kampf gegen den Führer der Affenarmee Hanuman – ringsherum ein Wimmelbild an Kämpfern und Dämonen.

Sprecherin
Aber König Suryavarman II. vergisst auch nicht, seinen Untertanen zu zeigen, was passiert, wenn sie kein gehorsames, gott- und königgefälliges Leben führen: mit einem 66 Meter langen Fries, auf dem eine Art Jüngstes Gericht dargestellt wird und wo neben dem Paradies auch sehr deutlich die Strafen, die in der Hölle warten, zu sehen sind: zum Beispiel von Löwen zerfleischt werden oder von Elefanten niedergetrampelt; alternativ wäre da noch der Scheiterhaufen oder die Streckbank, auf der man mit einem Reibeisen die Haut abgeschabt bekommt.

OT 14 Leisen
Also, das ist sicherlich auch das ähnliche bei uns, dass eben der Erbauer mit dem Tempel sich auch quasi sein ein Denkmal setzt. Alles andere war ja vergänglich gebaut bis auf die Tempel, die Paläste, die Häuser, alles war aus Holz. Ich würde schon denken: Angkor Wat, das war eine ungeheure Machtdemonstration auch.

Sprecher
Eine Machtdemonstration, die im Innersten, im Tempel selbst, dem König vorbehalten war – wohl neben den Priestern. Hier, im Allerheiligsten seines Staatstempels, ist der König - und nur der König - den Göttern nahe.

OT 15 Lobo
Man kann sagen, in ihm war die göttliche Essenz des Königtums verkörpert. Aber er war kein Gott-König.

Sprecherin
Wobei man nie vergessen sollte: der Angkor Wat mag der prächtigste aller Tempel sein, aber er ist bei weitem nicht der einzige.

OT 16 Lobo
Hunderte von Tempeln, aber nicht nur dort, sondern im ganzen Land. Man entdeckt immer noch heutzutage im Urwald überwucherte Tempelanlagen.

Sprecher
Hunderte von Tempeln. Und was für Tempel! Neben dem Angkor Wat zum Beispiel der Bayon, mit seinen über 200 Gesichtern, vier an jedem der 54 Türme, die einen buddhistisch weise anlächeln. 

OT 17 Lobo
Das ist ja das Großartige der späten Angkor-Zeit, dass dann plötzlich architektonische Strukturen auftreten, die man nie gesehen hat, nämlich die Gesichter-Türme, monumentale Gesichter, von ungefähr einen Meter 80 Höhe. Man kann die Gesichter noch nicht wirklich deuten. Man spekuliert, man weiß nicht. Stellen Sie den Gott Brahma dar, der seit alter Zeit traditionell mit vier Gesichtern dargestellt wird. Oder ist es der König selbst? Oder es ist der Bodhisattva Lokeshvara? Also, das ist alles noch unklar.

Sprecherin
Oder der Ta Prohm Tempel, berühmt geworden durch Angelina Jolie, die als Lara Croft zwischen seinen Mauern nach dem „Auge der Vorsehung“ sucht. Mauern, die von ungeheuren Baumriesen überschattet sind, ein Dschungel. Die Wurzeln der Würgefeigen umklammern den Tempel, wie Kraken sitzen sie auf den Mauern.

Sprecher
Doch was ist der Grund für den plötzlichen Zusammenbruch dieser Mega-Metropole, warum verlegen die Khmer die Hauptstadt ihres Reiches an den Mekong, nach Phnom Phen? Lange wurden externe Feinde – der Einfall der Thai, das Erstarken des Königsreichs Siam – dafür verantwortlich gemacht. Kunsthistorikerin Wibke Lobo stellt einen anderen Grund nach vorne:

OT 18 Lobo
Heute weiß man, dass auch andere Gründe ausschlaggebend waren, und einer der ganz wichtigen Gründe ist Klimaveränderung. Durch paläoklimatologische Forschungen weiß man, dass im 14. und 15. Jahrhundert Jahrzehnte lange Dürren stattgefunden haben, unterbrochen von katastrophalen Regenfällen. Und diese Klimakapriolen haben dazu geführt, dass das empfindliche Kanalsystem, auf dem ja die Reiswirtschaft, überhaupt die Landwirtschaft beruhte, dass das nicht mehr zu pflegen war. Die Kanäle waren verschüttet, sie waren verstopft, alles funktionierte nicht mehr.

Sprecherin
Überbevölkerung, Klimaveränderung, Überfälle von Feinden – Anfang des 15. Jahrhunderts verlassen die Bewohner Angkor; die Stadt verschwindet von der Landkarte als mächtige Megametropole. Der Dschungel bemächtigt sich der Gebäude. Die Holzhäuser verwittern, die Tempel verfallen. Aber Angkor ist nie vergessen, in dem Sinne, dass niemand mehr um die Stadt wusste.

OT 19 Lobo
Es war den Europäern unbekannt, aber in Kambodscha, in Südostasien insgesamt war es bekannt. Der Angkor Wat war ja zu einem buddhistischen Tempel geworden, umfunktioniert worden, erst hinduistisch, dann buddhistisch, und es gab immer Pilger aus ganz Südostasien, die zum Angkor Wat gepilgert sind.

Sprecher
Insofern ist es nur ein europäisches „Entdecken“, als der Naturkundler Henri Mouhot und ein paar Jahre später der Deutsche Völkerkundler Adolf Bastian in den 1860er Jahren hierherkommen und mit Berichten und Skizzen und Zeichnungen die Europäer staunen lassen. Niemand in Europa hatte damals geglaubt, dass im Urwald Südostasiens solche ungeheuren Bauwerke schlummern. Und heute? Ein Riesenproblem sind sicherlich die Touristen, die Angkor regelrecht überrennen. Zur Touristenerosion kommt die ganz normale Erosion, wenn man Konservator Hans Leisen fragt, wie es zum Beispiel um den Angkor Wat bestellt ist, sagt er:

OT 20 Leisen 
Ja, in vielen Bereichen sehr gut, in manchen Bereichen sehr, sehr schlecht. Insbesondere die Flachreliefs in den Galerien, die sind in relativ gutem Zustand. Aber alles, was dann außen ist, also wo der Regen direkt rankommt, wo dann anschließend die Sonne richtig aufheizen kann. Da sind schon viele Bereiche sehr, sehr dramatisch oder schon ganz verschwunden. Es sind vor allem ja, was unserem Projekt dann auch den Namen gegeben hat, German Apsara Conservation Project, diese so genannten Apsaras. Es sind eigentlich Göttinnen, die überall an den Eingangsbereichen zu finden sind. Insgesamt 1.950 sowas in der Richtung. Da sind ganz extreme Schäden, ganz dramatische Schäden.

MUSIK

Sprecherin
Dazu kommt noch eine andere Art des Verschwindens: Während der französischen Kolonialherrschaft sind schon unzählige Objekte aus dem Land gebracht worden, ebenso unter den Roten Khmer. Und der Kunstraub ist keineswegs zu Ende. Erst vor ein paar Jahren hat eine frisch gestohlene Khmer-Figur den Versteigerungskatalog von Sotherbys auf der Titelseite geziert. Auf der anderen Seite ist Angkor weit mehr als eine sentimentale Erinnerung oder der Name einer Biersorte in Kambodscha, sagt die Kunsthistorikerin Wiebke Lobo

OT 21 Lobo
Mit Angkor identifizieren sich die Kambodschaner, es ist ihr Anker und ihr Wert an sich. Es ist sicherlich das Bewusstsein, dass das Land mal eine große Kultur hatte. Und diese Sehnsucht nach dieser Größe ist da auf jeden Fall, der Stolz darauf ist da, alles zusammen es eben wirklich überwältigend.

MUSIK

Sprecher
Was auch unser wunderbarer Tuktukfahrer und Angkor Wat Führer Touch nochmal bestätigt:

OT Touch 6 auf englisch
SPRECHER: Overvoice
Dieser Tempel, der Angkor Wat ist so interessant, die Leute kommen, machen ein Selfie, aber wissen nichts über den Wert der Steine. Wir Kambodschaner wissen, dass wir aufpassen müssen, dass wir das bewahren und uns darum kümmern müssen, es zu konservieren. Das ist meine Meinung.