LangFM   /     Signs of the time II - Deutschland

Description

Mein GesprÀch mit Laura Schwengber, GebÀrdensprachdolmetscherin mit Schwerpunkt Musik

Subtitle
Ausflug nach Gehörlosistan mit Laura Schwengber
Duration
1635
Publishing date
2018-04-26 09:11
Link
http://langfm.podigee.io/40-signs-of-the-time-ii-laura-schwengber
Contributors
  Alexander Drechsel
author  
Enclosures
https://cdn.podigee.com/media/podcast_2472_langfm_episode_40_signs_of_the_time_ii_deutschland.mp3?v=1524694939&source=feed
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Shownotes

Ausflug nach Gehörlosistan mit Laura Schwengber

[Musik: "Love, love, peace, peace"]

Hallo, hier ist LangFM, der Podcast ĂŒber Sprache und was man so alles damit anstellen kann. Ihr hört Folge 2 einer dreiteiligen Miniserie ĂŒber das GebĂ€rdensprachdolmetschen. Nachdem wir uns in der ersten Folge vor allem in Schottland umgeschaut haben, geht es diesmal nach Deutschland.

[Musik: "Love, love, peace, peace"]

Ich weiß nicht, wie’s euch geht, aber ich bin eigentlich kein großer Fan des Eurovision Song Contest. An den ESC 2016 in Stockholm aber kann ich mich noch ganz gut erinnern. Er war in vielerlei Hinsicht denkwĂŒrdig: Mit „Heroes“ hatte Vorjahressieger MĂ„ns Zelmerlöw die Großveranstaltung in seine schwedische Heimat geholt, die er zusammen mit Petra Mede auch selbst moderierte.

Der Siegertitel der ukrainischen SÀngerin Jamala war schon im Vorfeld politisch heftig umstritten. Und das Schlusslicht der BeitrÀge bildete einmal mehr: Deutschland. Ganz vorn dabei allerdings war Deutschland in Sachen Sprache und Inklusion.

[Musik: "Love, love, peace, peace"]

„Na ja den Eurovision Song Contest hatte ich zusammen mit zwei ganz großartigen Kollegen aus Hamburg gemacht. Die ganze Sendung ist so viereinhalb, fast fĂŒnf Stunde; es war der Wahnsinn. Es gab weltweit keinen einzigen zweiten Anbieter, der neben diesem Angebot aus Stockholm, die das in International Sign gemacht haben
 Der NDR war der einzige Sender weltweit, der das nochmal mit einer nationalen GebĂ€rdensprache, also einer tatsĂ€chlichen Sprache, nochmal angeboten hat. Das hat weltweit kein anderer Sender gemacht oder sich getraut.“

[Musik: Scott Holmes - "Positive and Fun"]

Darf ich vorstellen? Die deutsche GebĂ€rdensprachdolmetscherin Laura Schwengber. In Sachen GebĂ€rdensprache und Musik in Deutschland ist Laura eine echte KoryphĂ€e. Aber fangen wir mal am Anfang an. Laura ist Ossi, so wie ich. Sie kommt aus dem Spreewald. Aus LĂŒbben, um ganz genau zu sein.

„Ich bin SpreewĂ€lderin, ganz ursprĂŒnglich auch, ein Teil meines Herzens hĂ€ngt da auch immer noch. Also ich hab da immer noch gute Freunde, Oma wohnt da noch. Der Spreewald ist immer so ein bisschen dabei und als echte SpreewĂ€lderin hat man halt auch immer so Sachen wie anstĂ€ndiges MĂŒckenspray dabei. Ich komme aus LĂŒbben und wir sind sehr stolz darauf, dass LĂŒbben die Kreisstadt ist. Und wir haben ein paar ganz nette Sachen fĂŒr Touris und da kann man auf jeden Fall mal hinfahren. Also viele von denen die irgendwie da noch wohnen, die fahren tatsĂ€chlich ganz selten in Urlaub sondern irgendwie ins nĂ€chste Dorf nebenan und nehmen sich da ein Zimmer, weil es einfach so schön ist da. Wenn das Wetter passt ist das echt großartig. Schönes Fleckchen Erde.“

Schon im Kindergarten ging Laura zur musikalischen FrĂŒherziehung, allerdings nicht unbedingt so gern:

„weil die immer so gelegen war, dass ich aufstehen musste vom Mittagsschlaf, ganz unangenehm! Das geht gar nicht, liebe Musikschullehrer, macht das nicht!“

Aber Laura hat sich nicht abschrecken lassen und blieb dran. Sie spielte Instrumente,

„Dann wollte ich unbedingt Saxofon spielen, aber das Saxofon war leider grĂ¶ĂŸer als ich, deswegen musste ich Blockflöte spielen.“

turnte, begann zu tanzen und wollte dann auch noch Gesangsunterricht nehmen. Aber da kam von ihren Eltern der Einspruch:

„Kind, ich glaube es reicht, ich glaube, du singst mal unter der Dusche weiter. Und ich wollte das so unbedingt machen, dass ich gesagt, gar kein Problem: Dann suche ich mir halt einen Job. Und hatte dann noch'n Termin in der Woche mehr, aber dann konnte ich halt den Gesangsunterricht selber bezahlen.“

Bei so einer musisch geprĂ€gten Kindheit wĂŒrde man einen klar vorgezeichneten Berufsweg erwarten. Zumindest ging es Laura so:

„Es war so vorgezeichnet. Es war nach der Grundschule ganz klar: Ich gehe ans Gymnasium. Und es war nach dem Gymnasium total klar, ich mache Abitur. Es war auch völlig klar, dass Laura studieren geht. War aber andersherum auch klar, dass wenn ich in keinem meiner Instrumente so gut bin, dass ich's studieren kann, fĂ€llt es aus als Beruf. Geht nich. Ne Beamtentochter. Geht nicht. Also musste ich mir dann was anderes einfallen lassen quasi. Und bin dann echt lang gestrauchelt. Das war schon bestimmt 'n Jahr, so letztes Jahr Abiturphase, wo ich echt nicht wusste, wohin mit mir danach.“

Wie schön, wenn man bei so einer Durststrecke einen richtig guten Freund wie Edi hat!

„Also nachdem ich dann so gar nicht wusste, was ich machen soll, habe ich sehr lange und oft mit meinem bis heute noch besten Freund gesprochen. Und Edi ist jetzt seit 15 Jahren ungefĂ€hr taub und blind, ist aber sehend und hörend geboren. Es war ein ganz gesundes Kind und ist ganz normal aufgewachsen und hat durch eine Erbkrankheit seinen Sehsinn und seinen Hörsinn verloren. Und gerade in der Zeit, in der das akut wurde, haben wir uns kennengelernt. Und weil das relativ schnell so war, dass es genervt hat, als wir gespielt haben, wir waren beide irgendwie acht und zwölf, also echt Kinder, haben wir einfach angefangen, uns so Sprachen auszudenken, irgendwelche Zeichen, Symbole fĂŒr Buchstaben. Also ich habe ihm einmal auf dem Kopf auf den Kopf geklopft: das war der i-Punkt fĂŒrs I. Einmal Finger auf'n Mund war das M. Nase war das N. Und so Sachen, die man sich einfach leicht merken kann, und die irgendwie easy auszufĂŒhren sind. Und er war dann derjenige, der gesagt hat: Merkste eigentlich was?“

„Lern’ doch mal 'ne richtige Sprache“, schlug Edi vor. Genau das hat Laura dann auch gemacht.

„Ich habe quasi ein Au-Pair-Jahr in Gehörlosistan gemacht.“

Richtig. In Berlin war Laura auf der Suche nach Kursen fĂŒr GebĂ€rdensprache fĂŒndig geworden. Aber die ĂŒber 80 km von LĂŒbben in die Hauptstadt will man ja nicht unbedingt zwei Mal tĂ€glich zurĂŒcklegen. Eine Wohnung musste her!

„Da war ich dann zum GlĂŒck wirklich zur richtigen Zeit am richtigen Ort und habe eine Familie gefunden, die taube Eltern hat und hörende Kinder. Immer morgens hat mich die Mutter geweckt, und hat mir halt in GebĂ€rdensprache erzĂ€hlt, wann, wo, wie ich die Kinder abholen soll, wer welche Sachen machen muss und wer wohin gebracht werden muss. Und am Anfang war das immer so, oh Gott, oh Gott, kannst du das aufschreiben? Die war knallhart. 'Du bist hier zum Sprachenlernen, ich sage es noch mal. Ich erzĂ€hl dir das so lange, bis du's verstanden hast.' Und das hat am Anfang echt lange gedauert. Aber die war cool. Die waren echt auf Zack. Ja, so hab ich echt unheimlich schnell gelernt. Das war echt großartig.“

[Musik: Ryan Andersen - Sweet Life]

Ein echter Sprung ins kalte Wasser. Mitten in Gehörlosistan.

Dabei ist es fĂŒr viele Hörende, die anfangen, deutsche GebĂ€rdensprache zu lernen, gar nicht so einfach, Anschluss an die Community zu finden. Ist ja eigentlich auch klar: Als Hörende sind wir nĂ€mlich „gebĂ€rdensprachbehindert“. Das fĂ€ngt schon dabei an, dass viele, mich eingeschlossen, gar nicht so gut Bescheid wissen ĂŒber, nein, nicht Zeichensprache, sondern: GebĂ€rdensprache. Daher an dieser Stelle ein kleiner Exkurs.

Stichwort: Deutsche GebĂ€rdensprache, kurz: DGS. Die Deutsche GebĂ€rdensprache wird in Deutschland und Luxemburg von rund 80.000 Gehörlosen und etwa 120.000 Hörenden bzw. Schwerhörigen gesprochen. Die DGS gehört u.a. mit ihrem polnischen Pendant zur Familie der deutschen GebĂ€rdensprachen und unterscheidet sich damit deutlich von der Deutschschweizer und der Österreichischen GebĂ€rdensprache. Die gehören ihrerseits interessanterweise zur französischen GebĂ€rdensprachfamilie. Eines hat die DGS aber mit so gut wie allen anderen GebĂ€rdensprachen gemeinsam: die langjĂ€hrige UnterdrĂŒckung. Über Oralismus habe ich ja in Folge 1 dieser LangFM-Miniserie schon einiges erzĂ€hlt, bspw. ĂŒber die MailĂ€nder Konferenz. Gerade in den Schulen wurde das GebĂ€rden zum Teil strengstens unterdrĂŒckt. Die Eltern wurden dazu gedrĂ€ngt, mit ihren gehörlosen oder schwerhörigen Kindern nur in Lautsprache zu kommunizieren. In den letzten Jahrzehnten, und gerade seit dem Behindertengleichstellungsgesetz 2002, hat sich aber in Deutschland schon einiges getan. Zumindest offiziell ist die DGS als eigenstĂ€ndige Sprache anerkannt. Menschen mit Hör- bzw. Sprachbehinderungen haben das Recht, DGS, GebĂ€rden oder sogenannte „andere geeignete Kommunikationshilfen“ zu verwenden. Das passiert dann bspw. bei Arztbesuchen.

„Da hat 'ne gehörlose Frau 'nen ganz schönen Begriff dazu geprĂ€gt. Die hat gesagt, naja, eigentlich wĂŒrfeln wir Gehörlose den ganzen Tag. Wir verlassen uns immer darauf, dass der Dolmetscher, dem wir heute unser Leben darlegen, weil er mit zum Arzt kommt, weil der meine Kinder kennt, weil der im Zweifel auch mal bei mir im Wohnzimmer sitzt, dass der morgen noch da ist. Keine Ahnung, weiß ich nicht, vielleicht hat der morgen Bock, was anderes zu machen. Und das ist dieses WĂŒrfeln, fand ich ein ganz schönes Bild dafĂŒr, dass das Vertrauen, das wir da genießen, unheimlich hoch ist, und dass man das sehr, sehr wertschĂ€tzen muss, damit sehr, sehr achtsam umgehen muss, das finde ich ganz wichtig.“

Aber Moment mal: Wie ist Laura jetzt vom GebÀrdensprachlernen zum Dolmetschen gekommen?

„Ich hab schon in den Kursen gedacht, ich habe total Bock irgendwas mit der Sprache zu arbeiten. Ich hatte großartige Lehrer, die waren irgendwie einfach gut drauf. Ich habe dann irgendwann angefangen, in der GebĂ€rdensprachschule zu arbeiten, weil die Assistenten gesucht haben, die so ans Telefon gehen und mal irgendwie 'ne Email Korrektur lesen, Arbeitsassistent nennt man das. Weil Deutsch fĂŒr viele Gehörlose eine Fremdsprache ist. Ich dachte irgendwann: Ich will in dieser Sprache arbeiten, aber nur Arbeitsassistenz war so ein Punkt, nee, hier möchte ich eigentlich nicht stehen bleiben. Ich war ja auch erst 21. Ich hatte ja an Ausbildung oder so noch nichts gemacht. Mir war klar, da kommt noch irgendwas.“

Nach einigem Überlegen und einigen AnlĂ€ufen meldete sich dann die Humboldt-UniversitĂ€t in Berlin...

„und sagte Frau Schwengber Sie Haben sich doch da damals mal beworben. Ja, da wĂ€re jetzt ein Platz frei. Und dann bin ich allerdings nicht ins Lehramt, sondern in die Deaf Studies gerutscht, das ist Sprache und Kultur der Gehörlosengemeinschaft 
 was total großartig ist fĂŒr die Sprachbildung ist, dass fast alle Dozenten taub sind und man am Anfang noch einen Dolmetscher hat. Irgendwann sitzt der Dolmetscher nur noch da, falls man wirklich den Faden verliert, dann kann man den fragen. Das macht man natĂŒrlich bei 15 Leuten im Semester nicht so oft. Und relativ schnell sitzt da einfach kein Dolmetscher mehr. Und wenn man dann halt Soziologie nicht in GebĂ€rdensprache versteht, in der Fremdsprache, dann sollte man schleunigst irgendwie was tun. Und dadurch wird man aber einfach sehr schnell sehr gut. Der Druck ist unheimlich hoch, aber es lohnt sich unterm Strich total. Ich bin dann aber nicht in den Master, sondern habe die staatliche PrĂŒfungen gemacht zum Dolmetscher. Ich bin quasi - diese klassische Dolmetschausbildung, die habe ich quasi ĂŒbersprungen, weil ich wĂ€hrend des Studiums schon sehr sehr viel einfach gemacht habe fĂŒr Kollegen, fĂŒr ehemalige Kollegen, fĂŒr Freunde, und ich immer gesagt habe, wenn ich schon rausgehe und irgendwie, ja, mehr oder weniger dolmetsche, dann kann ich mich auch mal vor eine PrĂŒfungskommission stellen und die fragen, ob ich das ĂŒberhaupt machen sollte, weil ich's kann oder nicht kann. Und als die dann sagten, ja, Frau Schwengber, sie können das, bestanden, hier ist ihr Zeugnis, hab ich natĂŒrlich auch diesen Master nicht mehr studiert.“

So wurde Laura also zur GebĂ€rdensprachdolmetscherin. Und das zu einem guten Zeitpunkt. Die Nachfrage nach qualifizierten DGS-Sprachmittlern steigt nĂ€mlich. Wer einmal mit einem Profi gearbeitet hat, muss sich zukĂŒnftig nicht mehr allein durchwursteln oder ein Familienmitglied mitbringen, sondern kann sich auf eine professionelle Dolmetscherin verlassen. Zumal die Krankenkasse die Kosten dafĂŒr ĂŒbernimmt. Wer jetzt aber denkt, dass man GebĂ€rdensprachdolmetscher nur in Arztpraxen oder Amtsstuben antrifft, ist auf dem Holzweg:

„Dadurch dass wir eben doch alles Generalisten sind, und kaum einer von uns sich auf einen wirklich speziellen Bereich spezialisiert, sondern ich morgens bei einer Teamsitzung sitze in einer Firma, die technische Bohrer herstellt, und am nĂ€chsten Tag beim Arzt sitze, da geht es irgendwie vielleicht um eine Krebsdiagnose, und am ĂŒbernĂ€chsten Tag dolmetsche ich Biounterricht im Abitur. Das ist total unterschiedlich. Also nicht immer, aber habe ich so das GefĂŒhl mit mehr Kollegen werden auch die Auftragsvielfalt und auch die Auftragsdichte wesentlich höher, und natĂŒrlich dadurch, dass es mittlerweile Institutionen gibt die sagen: Wir machen eine öffentliche Veranstaltung. SelbstverstĂ€ndlich muss die so barrierefrei wie möglich sein! Und egal, ob sich da jetzt, also es muss sich keiner anmelden. Warum sollen sich die Gehörlosen anmelden? Das wĂ€re eine Diskriminierung. Das machen wir nicht. Dolmetscher sind da. Und wenn kein Gehörloser da ist, wir haben Dolmetscher und dann ist's OK. Das heißt natĂŒrlich auf der einen Seite, es werden in EinsĂ€tzen KrĂ€fte gebunden, wo eigentlich in dem Moment akut kein Gehörloser ist. Auf der anderen Seite ist es fĂŒr die Öffentlichkeitsarbeit natĂŒrlich bombastisch, wenn einfach Dolmetscher da sind. Allein fĂŒr den Beruf ist das natĂŒrlich toll, und es gibt uns natĂŒrlich auch die Möglichkeit, in EinsĂ€tzen wo jetzt mal doch kein Gehörloser ist, wo wir natĂŒrlich trotzdem dolmetschen. Klar, wir werden bezahlt fĂŒrs Arbeiten, also machen wir es dann auch. Haben wir haben natĂŒrlich in den Pausen, wo dann eben kein Gehörloser da ist, der die klassische Mittagspause nutzen möchte, um mit Hörenden zu kommunizieren, was sie natĂŒrlich auch möchten; da haben wir dann eben Zeit, einfach die klassischen Fragen zu beantworten: Ist GebĂ€rdensprache eigentlich international? Wo studiert man das, wie macht man das? Mensch, meine Tochter, oder ich selber, oder
 Das ist großartig. Also ab und zu so ein Einsatz ist echt, ich feier’ die sehr.“

[Musik: Podington Bear - 60s Quiz Show]

Herzlich willkommen zu einer neuen Runde GebĂ€rdensprache-Bullshit-Bingo! Auch heute haben wir wieder einen bunten Blumenstrauß von MissverstĂ€ndnissen und falschen Vorstellungen fĂŒr Sie zusammengestellt:

  • [Ping] „Zeichensprache!“ [Buzzer] „Zeichen sind quasi willkĂŒrliche Zeichen die jeder machen kann, so wie Gesten, und GebĂ€rden sind eben festgelegt. Ist so ein bisschen wie Wörter. In der deutschen Sprache kann ich ja auch nicht irgendwelche Laute erfinden und sagen, das heißt jetzt Baum! So, das kann ich machen, versteht halt keiner.“
  • [Ping] „Lippenlesen!“ [Buzzer] „Das, was wir unter Lippenlesen verstehen ist so, dass zumindest im Deutschen man nur 30 Prozent ablesen kann, weil einfach das VerhĂ€ltnis aus den Lauten, die wir machen im Deutschen und den Mundbildern, also das, was die Lippen an unterschiedlichen Bewegungen machen, beim Sprechen nur zulĂ€sst, dass 30 Prozent unterschiedliche Bilder dabei rauskommen. Der Rest ist einfach so weit hinten im Kehlkopf und so weit hinten im Mund, das sieht man nicht. Das ist nicht da. Das kann jeder mal ausprobieren, wenn man die Wörter Mutter und Butter sagt. “
  • [Ping] „Toll, da können Sie ja international mit allen GebĂ€rdensprache sprechen!“ [Buzzer] Es gibt nicht die eine internationale GebĂ€rdensprache. Warum sollte es anders sein als bei den gesprochenen Sprachen. Was es allerdings sehr wohl gibt ist „International Sign, das ist quasi eine Form, die sich mehr auf so bildhafte Elemente der GebĂ€rdensprache bezieht. Jeder hat vielleicht so ein Bild im Kopf von so zwei HĂ€nden am Lenkrad oder so zwei HĂ€nden, die so ein Spitzdach bieten, wie Haus. Das sind im Deutschen 30 Prozent, und es gibt halt einige GebĂ€rden weltweit, auf die man sich so geeinigt hat und wo man so Ă€hnliche Bilder draus bauen kann, so dass sie eben weltweit verstanden werden.“

[Musik]

„Ich glaube ganz oft kommt es sehr viel mehr auf das an was so zwischen den Ohren passiert, als das, was vorne rauskommt.“

[Pause]

Spannend ist aber auch, was IN die Ohren REINkommt. Musik zum Beispiel. Haben Gehörlose eigentlich was von Musik?

„Es gab irgendwann ein Seminar der Uni, das hieß ‚Alternative Formen der GebĂ€rdensprachverwendung‘. Und eine oder zwei Wochen davon haben wir uns damit beschĂ€ftigt, wie man Musik gebĂ€rden kann, und jeder von uns sollte mal so gebĂ€rden. Laura war einfach sehr schlecht drauf. Ich fand alles doof, und dann war ich dran und musste mein Lied vorstellen, und das war Tim Bendzko.

[Musik: “Nur noch kurz die Welt retten“]

"Danach dachte ich, wenn ich jetzt irgendwen retten muss, der ist leider verloren, tut mir Leid. Und dann hab ich dieses blöde Lied gemacht, und war froh, als ich fertig war, hab noch alle angeblöfft, wie, ihr filmt das hier. Alle haben irgendwie gefilmt, und ganz toll, und auch ein schönes Projekt. Ging gar nicht. Wochen vorher fand ich es noch großartig; an diesem Tag einfach nicht. Und eine Woche spĂ€ter ruft mich meine Kommilitonin an, sagt: Du Laura, ich hab mal deine Adresse weitergegeben. Was, ja, OK. Dann kriege ich eine Facebook-Nachricht, eine Facebook-Nachricht, von einer VolontĂ€rin vom NRD, die sagte, ich bin hier NDR tralala. Und ich las das und dachte: bestimmt schreibt der Norddeutsche Rundfunk seine Leute per Facebook an! Das glaubste ja selber nicht. Und hab dann weitergelesen. Und dann waren die fĂŒr den Tag der Gehörlosen - das ist immer am letzten Wochenende im September - haben die jemanden gesucht, der Musik in GebĂ€rdensprache ĂŒbersetzt, und meine Kommilitonen hatte mich empfohlen, weil sie Tim Bendzko so toll fanden von mir. Ich dachte bis zum Schluss, dass funktioniert nicht, aber eh wir machen das mal. Und innerhalb von einer Woche oder so hatten wir die ersten hunderttausend Klicks bei YouTube. Und ich war völlig so: was, Moment. Ah, das kann schiefgehen. Oh ja, ich verstehe, ich hatte das komplett unterschĂ€tzt, was fĂŒr eine Reichweite einfach mal der Norddeutsche Rundfunk hat, und dann natĂŒrlich die ARD und so weiter. Klar. Und ich wurde komplett ĂŒberfahren.“

Das war der Anfang von etwas ganz Großem. Inzwischen hat Laura mit dem Norddeutschen Rundfunk ĂŒber 80 Videos produziert, in denen sie Musik nach Gehörlosistan bringt. Ein, zwei Mal im Jahr werden neue Clips gedreht. Laura bekommt vorher die Texte, kann sich damit intensiv vorbereiten. Und der NDR kĂŒmmert sich inzwischen darum, dass auch die Plattenfirmen mitspielen. Schaut euch die Videos einfach mal an - Links findet ihr in den Show-Notes fĂŒr diese Podcast-Folge, auf www.langfm.audio. Aber zurĂŒck zum NDR. Und zur Musik. NDR? Musik? Eurovision Song Contest!

„Der NDR ist ja der zustĂ€ndige Sender auch fĂŒr den Eurovision Song Contest fĂŒr Deutschland. Und die sind auf mich zugekommen und haben gesagt, Mensch Laura, du bist unsere Frau fĂŒr die Musik. Mach mal! Hast du da Zeit? Wenn du keine hast, dann nimm dir mal welche! Es war echt ein unheimlich schönes Erlebnis. Wir hatten die Technikproben zusammen. Wir durften diese unendlich geheime Jury-Sitzung gucken, die immer freitagabends lĂ€uft, die durften wir zur Generalprobe nutzen. Und saßen da ganz andĂ€chtig im Studio und waren so: wow! FĂŒr den ESC habe ich, ich glaube vier Wochen vorher, so die offizielle Pressemappe bekommen. Da sind quasi die Infos drin, aus denen auch die Moderatoren ihre Teaser schneiden und so Sachen. Und alle Liedtexte, wenn sie nicht schon auf Englisch sind oder auf Englisch ĂŒbersetzt, und eben auch in der Originalsprache, so dass man auch eine Vergleichsmöglichkeit hat. Zum Beispiel die Sachen auf Französisch - ich hatte Französisch in der Schule, das ging dann ganz gut, dass ich dann zumindest aus dem Hören auch wirklich noch mich orientieren konnte - es gab andere Songs da - keine Ahnung was sie gerade singen
 Ich sage das, was im Text steht. Ich hoffe, ihr haltet euch an euren Text. Sonst erzĂ€hle ich gerade was anderes als ihr. Das wĂ€re schlecht. Ansonsten war das vor allem ganz, ganz viel immer wieder Hören. Also, ich kann auch fast alle Texte immer noch auswendig. Wenn die so kommen, kann ich auch ohne Probleme mitsingen. Wir wussten bis Donnerstag Abend auch nicht, wer Samstag im Finale steht. Also, wir haben, ich vielmehr, hab halt 50 Lieder vorbereitet, hab dann Freitagabend noch den Song von Justin Timberlake und dieses Love Love, Peace Peace was sie da noch haben. Und es war echt echt schön. Und die haben halt auch einfach so coole Sachen gemacht wie: Es gab dann die Abschlussparty mit Jamie-Lee Kriewitz und so. Und wir waren einfach als Dolmetscher mit eingeladen und es war so eine Geste von: Ihr seid nicht irgendwie die komischen Leute, die da immer am Rand stehen und irgendwie so fuchteln und dĂŒdĂŒ machen und sieht schon ganz schön aus. Aber jetzt wissen wir, dass GebĂ€rdensprache nicht international ist, und jetzt dĂŒrft ihr eigentlich auch gehen, sondern wir waren einfach Teil des Teams. Das war echt, also das war schöner als jede Rechnung stellen oder so. Es war einfach wirklich toll. Wenn mich meine Oma anruft, dann muss schon echt was passiert sein. Und Oma hat angerufen!

Ob Tommy KrĂ„ngh im Jahr zuvor auch einen Anruf von seiner Oma bekommen hat, weiß ich nicht. Auf jeden Fall kam seine GebĂ€rdensprachverdolmetschung des Eurovision Song Contest 2015 im schwedischen Fernsehen auch super an. (Wir erinnern uns: damals gewann Tommys Landsmann MĂ„ns Zelmerlöw mit „Heroes“.) Inzwischen gibt es aber auch viele andere Musikgenres, in denen sich GebĂ€rdensprachdolmetscher engagieren: sei es beim Kölner Karneval, bei Hip Hop von Eminem, dem Musical Hamilton oder einfach nur bei Weihnachtsmusik. Jede Jeck ist eben anders!

Damit das mit dem Dolmetschen gut klappt, ist gerade bei Live-Konzerten gute Vorbereitung besonders wichtig:

"Also fĂŒr ein Konzert ist fĂŒr die Band die Vorbereitung sogar fĂŒr mich eigentlich relativ simpel. Ich brauche einen Quadratmeter auf der BĂŒhne - je mehr Platz, je schöner wird’s. Dann muss ich was hören. Am liebsten ist mir so ein In-Ear-Monitoring mit Kopfhörern und einem kleinen Kasten am GĂŒrtel, und ein Scheinwerfer. Ansonsten brauche ich die Setlist, und wenn die Songs online sind oder man sie so einfach besorgen kann, dann funktioniert, dann reicht das eigentlich schon. Manche versorgen mich einfach mit so Alben und so. Es war total cool. Ann-Mai Kantareit hat mir einfach mal ein Paket geschickt mit ihrem kompletten Merchandising-Material inklusive aller Alben. Das war der Hammer! Ich habe dieses Ding von der Post abgeholt und war so: Was ist das? Schicken die den SĂ€nger mit? Was ist da drin?“

So richtig angefangen mit dem Live-Musik-Dolmetschen hat das bei Laura mit der Band Keimzeit. Genauer gesagt mit einem Keimzeit-Fan:

„Da hab ich auch ne Nachricht einfach gekriegt: Hallo Laura, hier ist Maren, möchtest du mit Keimzeit auf Tour gehen? Ich kannte also von Keimzeit einen Song und Maren kannte ich gar nicht. Und Maren war letztendlich ein spĂ€t ertaubter Fan von Keimzeit, die gesagt hat: Ich wĂŒrde gerne weiter mit meinen Freunden jedes Jahr zu eurem Abschlusskonzert kommen, aber alles was ihr neu komponiert habt, damit kann ich so gar nichts mehr anfangen. Und ihr seid nicht Rammstein. Es gibt nicht genug zu gucken, als dass es sich dafĂŒr lohnt. Macht mal was! Das ist eine Band die ganz, ganz stark ĂŒber das Akustische funktioniert, und ist keine, die tanzen nicht, die machen keine Salti auf der BĂŒhne, die klingen einfach sehr, sehr geil. Deswegen haben die dann gesagt: Gut, dann probieren wir es mal so. Und dann hat es aber nochmal zwei Jahre gedauert, bis es wirklich geklappt hat. Weil die ganz viele Veranstalter angefragt haben, die Veranstalter aber gesagt haben: Boah, geile Idee, aber vielleicht nicht bei mir. Die Konzerte waren ohnehin ausverkauft oder zumindest immer gut gefĂŒllt. Warum sollten sie was am Konzept Ă€ndern? Und dann auch noch so jemand wie aus der Tagesschau. Das passt ja gar nicht. Und dann kommen da die Behinderten, und dann kommen vielleicht die Normalen nicht mehr. Wer weiß? Und dann war es irgendwann der Veranstalter aus dem Kesselhaus in Berlin, der gesagt hat: Ja, wenn euch das so wichtig ist, dann macht es halt, um Gottes Willen, aber sagt es vorher bloß keinem. Und dann habe ich ein Video gemacht, in GebĂ€rdensprache, ohne Untertitel. Der Titel hat nicht verraten, worum es im Video ging. Und es war nicht vertont. Also, wer keine GebĂ€rdensprache konnte, der hat es nicht verstanden. Und der Wandel war aber echt schon so nach den ersten zwei, drei Songs, dass dann der Veranstalter zum Management ging und sagte, ey, aber die bringt ihr nĂ€chstes Jahr wieder mit, oder?“

Ich wollte aber von Laura schon wissen, ob so viel Aufmerksamkeit nicht auch manchmal komisch ist?

„Das ist super, ist total großartig. Was besseres kann uns doch gar nicht passieren als Leute, die ĂŒber den Beruf reden. Leute wissen nichts. Woher? Was man ihnen nicht erzĂ€hlt, das können sie nicht wissen, und deswegen mĂŒssen wir einfach gucken, dass wir so viele Leute wie möglich haben, die Menschen Sachen erzĂ€hlen; am besten Sachen, die stimmen und deswegen kann einem eigentlich nichts Besseres passieren als sowas wie, was weiß ich, die Mandela-Beerdigung in SĂŒdafrika. Die haben unendlich gute Kollegen vor Ort, die auch international ausgebildet sind. Aber da haben sie leider ein Exemplar erwischt
 Das war doch etwas kurios. Es hat immer zwei Seiten, wenn der Dolmetscher selber im Mittelpunkt steht ist. Zum einen glaube ich, dass es fĂŒr den Beruf total wichtig ist. Zum anderen muss es aber immer so eine Balance halten zu: Über was spreche ich? Also wenn ich als Dolmetscher ĂŒbers GebĂ€rdensprachdolmetschen erzĂ€hle, großartig, her damit. Aber wenn ich als Dolmetscher eingeladen bin, um ĂŒber GebĂ€rdensprache zu reden, ist das immer nur die Perspektive von mir auf meine Arbeitssprache. Aber dann ist es nie die Perspektive von mir auf meine Kultur, auf meine Muttersprache, auf meine Sicht auf die GebĂ€rdensprache. Ich glaube, dass wir in dieser ganzen Debatte um GebĂ€rdensprache nicht vergessen dĂŒrfen, dass es da Experten gibt, die das einfach schon ein bisschen lĂ€nger machen als wir, und die einfach unheimlich gut Bescheid wissen. Klar ist es auch fĂŒr den Veranstalter, ja es kostet Geld, einen Dolmetscher zu beauftragen, den ich brauche, damit ich mit einem gehörlosen Gast auf dem Podium diskutieren kann. Na klar, und ich muss erst mal einen Dolmetscher finden, und der Aufwand ist höher. Aber ich glaube letztendlich, dass der Output wesentlich beeindruckender ist, wenn da ein Gehörloser sitzt und einfach die HĂ€nde hebt und erzĂ€hlt, als wenn da ein Dolmetscher sitzt und sagt, na ja, wir gestikulieren auch viel, aber es ist dann doch etwas anderes.“

[Musik: Ryan Andersen - Clarity]

Vielen Dank an Laura fĂŒr ihren Bericht aus Gehörlosistan! Ich hoffe, euch hat das Zuhören bei dieser zweiten Folge meiner Miniserie ĂŒbers GebĂ€rdensprachdolmetschen so viel Spaß gemacht wie mir die Produktion. Ich habe jedenfalls unheimlich viel gelernt, auch ĂŒber Inklusion.

„Ich glaube, das ist so der Spirit von Inklusion, den wir gerade haben, den ich total schön finde, das ist halt nicht mehr so: Das muss alles irgendwie ein gefördertes Projekt. Man muss einen Förderantrag stellen fĂŒr die armen Behinderten, sondern lasst das mal machen, das ist echt. Da mĂŒssen wir hin. Inklusion muss ‚Ey, das ist cool, lass uns das mal machen’ sein.“

Dem gibt es nichts hinzuzufĂŒgen. Wir hören uns dann beim nĂ€chsten Mal - ich spreche mit Stephan BarrĂšre, einem GebĂ€rdensprachdolmetscher aus Frankreich. A bientĂŽt !

„Dass sich der SĂ€nger mal versingt, ich mal eine Vokabel umdrehe oder plötzlich doch mal im Dunkeln stehe, der Schlagzeuger irgendwie seinen Stick wegwirft - also darum geht's doch bei Live-Konzerten. Dass man im Publikum auch mal steht und denkt, höhö, du auch nur mit Wasser, das ist ja toll! Und ich bin irgendwann bei so einer Choreographie angekommen, die nichts mehr von diesem Live-GefĂŒhl hat, dann kann ich darauf zum einen ganz ganz schlecht reagieren und zum anderen finde ich, ist es auch unfair den Gehörlosen gegenĂŒber, weil, wenn die so'n vorbereitetes Ding kriegen, dann können sie sich ja auch 'n Musikvideo angucken. Deswegen bin ich Simultan-Dolmetscher geworden, die erste Übersetzung ist meistens eine schöne.“