Bernd und André sitzen zusammen und reden über KI und die Suche nach Wirkstoffen, Handhygiene und besonders über das Händewaschen und Desinfizieren (mit Gast Dr. Florian Kloß vom HKI) und darüber, was Geier mit Diclofenac in Indien zu tun haben.
Bernd und André sitzen zusammen und sprechen über einen neuen, potenziellen Wirkstoff, Handhygiene und den Wirkstoff des Monats: Diclofenac.
Geier (public domain)Der potenzielle neue Wirkstoff heißt Halicin und wurde mit Hilfe von maschinellem Lernen gefunden, wovon Bernd erzählt. André hat sich das Thema Handhygiene vorgenommen und ordnet die Effizienz von Händewaschen und Händedesinfektion auch im Bezug zum Corona-Virus ein. Außerdem ist zu dem Thema Dr. Florian Kloß vom HKI zugeschaltet, der etwas mehr über die Nebeneffekte von Desinfektion erzählt. Zum Abschluss gibt es den Wirkstoff des Monats Diclofenac und eine wahre Detektivgeschichte aus Indien, die mit Geiern zu tun hat und etwas Feedback aus Kommentaren zu vergangenen Episoden.
(Im Podcast gibt es Kapitelmarken, die den Zwischenüberschriften hier im Text entsprechen, so dass es einfacher ist, bestimmte Teile erneut zu hören. Nicht jede Kapitelmarke hat eine Zwischenüberschrift, manchmal fassen wir mehrere Kapitelmarken unter einer Überschrift zusammen.)
Bernd berichtet von Halicin, einem potenziellen Antibiotikum, das mit Hilfe von maschinellem Lernen gefunden wurde. Zur Zeit befindet es sich in den ersten präklinischen Tests, bei denen dieser Stoff Wirkung gegen mehrere Bakterien gezeigt hat, zum Beispiel auch gegen die Bakterien der Tuberkulose. Benannt wurde das Halicin nach der künstlichen Intelligenz „HAL“ aus dem Film 2001: Odyssee im Weltraum.
Bei der Suche nach Halicin wurde ein künstliches neuronales Netz angewendet mit einem Deep Learning Ansatz. Bernd und André diskutieren die Vorüberlegungen und das Verfahren eines solchen Ansatzes. Die „künstliche Intelligenz“ hat hier nicht einfach die Struktur von Halicin ausgespuckt, sondern es war ein Werkzeug mit dem Wissenschaftler*innen auf neue Strukturen für potenzielle Wirkstoffe gekommen sind. Mehr Details gibt es bei folgenden Links, in denen auch der wissenschaftliche Artikel enthalten ist:
Bernd berichtet, wie es generell in der Wissenschaft bei der Suche nach Wirkstoffen läuft, am Beispiel der Screening Unit am Leibniz-Institut für molekulare Pharmakologie (FMP), wo Bernd arbeitet. Er stellt auch klar, dass eine gefundene Struktur immer intensiv getestet werden muss. Das Experiment lässt sich nicht durch einen Computer ersetzen.
Bernd und André sind keine Experten für Virologie, Prof. Drosten von der Charité schon. Er macht mit dem NDR einen tollen Podcast – absolute Hörempfehlung:
Der Sinn der Handhygiene ist das Reduzieren von Krankheitserregern (Bakterien, Viren, Pilzsporen, etc.). Zurück geht diese Überlegung auf Ignaz Semmelweis, der 1818 bereits einen Zusammenhang zwischen der Sterblichkeit von Frauen, die gerade entbunden hatten, und sauberen Händen bei den behandelnden Ärzten entdeckt hatte.
André führt aus, warum es um die Reduktion geht – denn es ist nicht möglich, alle Krankheitserreger komplett von den Händen zu entfernen. Aber zum Glück ist es auch nicht nötig, denn jeder Krankheitserreger hat einen bestimmten Schwellenwert, ab dem eine Infektion ausgelöst wird. Ist die Anzahl der Krankheitserreger weit genug reduziert, kann es nicht zu einer Infektion kommen.
Beim Händewaschen mit Seife soll Dreck entfernt werden, es werden aber auch Krankheitserreger reduziert. Bakterien werden um 90% – 99% reduziert und behüllte Viren (zu denen auch der Corona Virus oder das Influenza Virus gehört) werden um 99,99% reduziert, da die Seife die Lipidhülle der Viren angreift und so den Virus unschädlich macht. Wenn man sich häufig die Hände wäscht, sollte man auch unbedingt daran denken, sich die Hände auch einzucremen, damit die Haut nicht austrocknet und ihre natürliche Schutzfunktion erfüllen kann.
Andrés Quellen für die Zahlen:
Man muss unterscheiden zwischen der Flächendesinfektion und der Händedesinfektion. Für die Flächendesinfektion gibt es ein ausführliches Papier des Robert-Koch-Instituts: Anforderungen an die Hygiene bei der Reinigung und Desinfektion von Flächen. Bei der Reinigung von Oberflächen geht es vor allem um die Reduktion von Bakterien, weil diese unter Umständen sich dort vermehren können oder sogar Biofilme ausbilden können. Viren vermehren sich nicht auf Oberflächen – zur Vermehrung benötigen diese Zellen anderer Organismen, die sie übernehmen können.
Händedesinfektionmittel ist nicht „magisch“. André sieht immer mit Verwunderung zu, wenn Menschen sich ein bisschen Desinfektionslösung in die Hand geben und kurz verreiben. So funktioniert auch eine effektive Handdesinfektion nicht. Diese sollte, genau wie das Händewaschen, gründlichen von allen Seiten erfolgen und mindestens 30 Sekunden dauern. Auch dazu gibt es Informationen auf den oben verlinkten Seiten.
Handdesinfektionsmittel wirkt gut gegen Bakterien und Pilzsporen, allerdings nur bedingt gegen Viren. Gegen behüllte Viren helfen nur Desinfektionsmittel die den Zusatz „bedingt viruzid“ tragen, diese haben meistens einen Alkoholanteil von mehr als 85%. Gegen unbehüllte Viren helfen nur Desinfektionsmittel mit dem Zusatz „viruzid“. Die gängigen Handdesinfektionsgels aus Drogeriemärkten wirken gar nicht gegen Viren – sie sind aber auch gar nicht notwendig, in den meisten Fällen. Desinfektionsmittel machen vor allem in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen Sinn oder an Orten mit sehr viel Personenkontakt, weil dort unter Umständen nicht genug Möglichkeit zum Händewaschen gegeben ist.
Auf dieses Thema ist André durch eine Twitter-Unterhaltung mit dem Nutzer @retho gestoßen worden. Falsche Desinfektion kann unter Umständen zu einer Resistenz sogar gegen Antibiotika bei Bakterien führen. Daher ist zu diesem Thema Dr. Florian Kloß vom Hans-Knöll-Insitut (HKI), Leibniz-Insitut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie per Telefon zugeschaltet. Er war der Interviewgast bei WSR030 Antibiotika & Resistenzen: Geschichte, gesellschaftliche Bedeutung und Antiinfektiva-Forschung.
Florian berichtet von den Mechanismen, die dazu führen können, dass Bakterien durch Desinfektionsmittel resistent werden, nicht nur gegen Desinfektionsmittel, sondern auch gegen Antibiotika. Einige Zusammenhänge sind in folgendem Artikel aufgeführt:
Es geht auch um einen besonderen Zusatzstoff, der oft in Desinfektionsmitteln zu finden ist, nämlich Quartäre Ammoniumverbindungen.
Dr. Florian Kloß sagt ausdrücklich, dass die Gefahr solche Resistenzen auszulösen, für einen Privatanwender sehr gering ist . Im klinischen Umfeld können die besprochenen Effekte eine Rolle spielen, aber vermutlich auch eine nicht all zu große.
Er spricht sich ausdrücklich dafür aus, dass man auf gründliches Händewaschen achten sollte.
Dr. Florian KloĂź fĂĽhrt auch an, dass DesinfektionsmaĂźnahmen im professionellen Umfeld vor allem dazu gedacht sind, mit anderen SchutzmaĂźnahmen ineinander zu greifen und so gestaltet sind, um Andere vor einer Infektion zu schĂĽtzen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat ein Rezept zum Herstellen von Hände-Desinfektionsmitteln veröffentlicht – wenn keine andere Möglichkeit besteht, sollte man diesem Rezept folgen:
In diesem Rezept kommen keine quartären Ammoniumsalze vor und diese Lösung sollte auch recht gut gegen das Coronovirus wirken. Florian erklärt außerdem, dass die evtl. problematischen quartären Ammoniumsalze nicht nur in Desinfektionsmitteln vor kommen, sondern auch in Waschmitteln und anderen Reinigungsprodukten, so dass sich dadurch ausgelöste Antibiotikaresistenzen bei Bakterien nicht alleine durch Desinfektionsmittel begründen lassen.
Bernd erzählt nach dem Gespräch mit Florian noch, dass er in einem ganz anderen Feld bereits mit Verbindungen aus der Klasse der Phenylanaloga der quartären Ammoniumverbindungen zu tun hatte. Als er mit Olaf Rötzschke zusammen gearbeitet hat, fanden sie solche Verbindungen bei der Suche nach wirkverstärkenden Stoffen. Olaf war der Interviewgast in Episode WSR021 Hausstaub und andere Allergien.
Bernd hat Diclofenac als Wirkstoff des Monats gewählt. Und das hat auch etwas mit Geiern zu tun – Bernd Lieblingsvögel – aber dazu später mehr. Diclofenac ist ein nichtsteroidales Antiphlogistikum oder Antirheumatikum. Es wirkt also gegen Schmerzen und Entzündungen, besonders bei Schmerzen in Gelenken und anderen rheumatischen Beschwerden. Diclofenac hat einen recht ähnlichen Wirkungsmechanismus wie ASS oder Ibuprofen, wirkt also auf die Cyclooxygenasen im Körper und hat daher auch ähnliche Nebenwirkungen. Da Diclofenac auch recht heftig „auf den Magen schlägt“, wurde dieser Wirkstoff früher oft über längere Zeit als Zäpfchen verabreicht.
In den 1990er Jahren wurde in Indien und Pakistan massives Geiersterben beobachtet. Die Vögel zeigten gichtartige Ablagerungen in den Nieren und der Blase und man dachte, dass es sich hier um einen bisher unbekannten Krankheitserreger handelte. Irgendwann stellte man dann fest, dass dieses Geiersterben wohl eher von Kuhkadavern ausgelöst wurde. In Indien werden Kühe nicht geschlachtet, sondern erfreuen sich ihres Lebens bis zu ihrem natürlichen Ende. Und bei älteren Kühen wurden normal auftretende Beschwerden von Tierärzten eben mit Diclofenac behandelt. Die Geier nahmen den Wirkstoff durch den Verzehr der Rinderkadaver auf und starben an den Folgen.
Festgestellt hat man das Ganze, weil die Rinderkadaver auf MĂĽlldeponien entsorgt wurden. Dort traten dann mehr und mehr wilde Hunde auf, da die Geier langsam aber sicher zurĂĽck gingen. Und ĂĽber die steigende Zahl von Hundebissen bei Arbeitern auf MĂĽlldeponien ist man dieser Wirkungskette langsam auf die Schliche gekommen. Und die Hundebisse hatten massiv zugenommen, es gab viele Menschen, die an Tollwut gestorben sind. Ein paar Links zu dem Thema:
Es gab zur Episode WSR031 MRSA, Schneeglöckchen und Alkaloide zwei Kommentare von Hörer*innen. Bernd und André reden kurz über diese weiteren Informationen und ordnen ein, wie sie zu ihren jeweiligen Aussagen gekommen sind. Die unten verlinkten Kommentare wurden auch von Bernd und André dort beantwortet.
Wir bedanken uns bei Dr. Florian Kloß vom HKI für seine Bereitschaft ,sich Zeit zu nehmen ,um einige Dinge bzgl. der Desinfektion zu klären.
Wir freuen uns immer ĂĽber Feedback: per Mail unter info@wirkstoffradio.de, in den Kommentaren unter den einzelnen Episoden, ĂĽber Twitter @wirkstoffradio oder auch als Bewertung bei iTunes oder panoptikum.io.
Wirkstoffradio-Feedback-Telefon +49 (0)30 746 910 64