Bernd und André sind in Jena am HKI und sprechen mit Prof. Dr. Miriam Agler-Rosenbaum über das Biotechnikum, über ihre Aufgaben als Leiterin und über ihre Forschung, die auch tropfenbasierte Mikrofluidik, Bioelektrochemie und Biofilme umfasst.
Bernd und André sind in Jena zu Gast am Hans-Knöll-Institut (HKI), Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie bei Prof. Dr. Miriam Agler-Rosenbaum, Abteilungsleiterin des Biotechnikums.
Prof. Dr. Miriam Agler-RosenbaumMit Miriam sprechen sie darüber was in einem Biotechnikum gemacht wird: Das Hochskalieren der Wirkstoffproduktion aus dem Labor hin zu einem optimierten industriellen Prozess. Miriam beschäftigt sich aber auch noch mit anderen Forschungsbereichen, und zwar mit der tropfenbasierten Mikrofluidik und der Bioelektrochemie, mit der man vielleicht, irgendwann in der Zukunft, sogar Elektrizität aus Abwässern gewinnen könnte.
(Im Podcast gibt es Kapitelmarken, die den Zwischenüberschriften hier im Text entsprechen, so dass es einfacher ist, bestimmte Teile erneut zu hören. Nicht jede Kapitelmarke hat eine Zwischenüberschrift, manchmal fassen wir mehrere Kapitelmarken unter einer Überschrift zusammen.)
Ein Biotechnikum ist ein Sammelsurium von technischen Anlagen um eine Wirkstoffproduktion und Aufreinigung aus dem Labor in einen Prozess zu überführen und im größeren Maßstab durchzuführen. Die „Wirkstoffproduktion“ wird dabei von Bakterien erledigt, weswegen auch eine Aufreinigung erfolgen muss und es Biotechnikum heißt. Am HKI hat der größte Bioreaktor 4,2 Kubikmeter Volumen – oder 4200 Liter.
Ansätze von Bakterienkulturen, die Wirkstoffe in einem Schüttelkolben im Labor herstellen, haben üblicherweise ein Volumen von ein paar hundert Milli-liter. Um einen solchen Ansatz auch großtechnisch zu verwenden, muss man die ablaufenden Prozesse genau verstehen, weswegen man in mehreren Schritten den Ansatz vergrößert, bis man bei Volumina von mehreren Kubikmetern angekommen ist.
Bioreaktoren mit wenigen Litern Volumen.Ein Biotechnikum wird immer dann eingesetzt, wenn der Übergang von der Forschungsphase in die Anwendungsphase erfolgen soll. Also wenn die Erforschung eines Wirkstoffs abgeschlossen ist und dieser dann in großen Mengen hergestellt werden soll. Im Biotechnikum wird erforscht, wie ein Prozess im großen kontrolliert und gesteuert werden muss, um überhaupt eine großtechnische Anlage, beispielsweise in der Pharmaindustrie, entwerfen zu können. Das Biotechnikum ist quasi das Forschungslabor für den Übergang vom Labor in die Industrie.
Im Forschungsbereich gibt es in Deutschland nur eine Hand voll Biotechnikums. Weiter verbreitet sind Biotechnikums bei Industrieunternehmen, die an neuen Wirkstoffen forschen.
Ein Technikum wird vor allem in der Chemie eingesetzt, wenn eine bestimmte Katalyse in den großtechnischen Maßstab hochskaliert werden soll, gelten die gleichen Regeln in der Chemie, wie sie auch für die Biotechnologie gelten. Und so ist auch der Unterschied zu sehen: Ein Biotechnikum arbeitet mit lebenden Organismen wie Bakterien, Zellen oder Pilzen in Bioreaktoren.
Wichtig, um ein Biotechnikum zu verstehen, ist, dass dort immer ein Transfer geleistet wird. Eine Schüttelflasche mit einer Bakterienkultur aus dem Labor kann man nicht größer machen. Um größere Volumina zu verarbeiten, muss vom Schütteln in der Flasche übergegangen werden zum Rühren in einem Bioreaktor. Aber natürlich ist der Unterschied zwischen rühren und schütteln nicht die einzige Herausforderung: Das Einbringen von Sauerstoff oder Nährstoffen ist ebenfalls komplett anders in einem Bioreaktor im Verleich zum Labor. Daher wird auch in kleinen Schritten die Größe verändert. Als Beispiel führt Miriam die folgende Kette an: Labor -> 1 Liter -> 10 Liter -> 30 Liter bis zu einem Kubikmeter, also 1000 Liter.
In diesem Biotechnikum hat Hans Knöll die Produktion von Penizillin hochskaliert und so einen beträchtlichen Teil Osteuropas damit versorgt.
Bis 2018 hatte das Biotechnikum eigentlich nur die Aufgabe, einen Service für alle Wissenschaftler*innen am HKI anzubieten, nämlich für gefundene Wirkstoffe die produzierte Menge in Bioreaktoren zu vergrößern, so dass weitere Forschung an den gefunden Stoffen möglich war und auch den Prozess zur Produktion kennen zu lernen und zu optimieren.
Prof. Dr. Miriam Agler-Rosenbaum vor dem oberen Ende des größten Bioreaktors mit 4,2 Kubikmeter Fassungsvermögen – noch aus der Zeit von Hans Knöll.Die Handlungsoptionen sind hierbei vielfältig. Von ganz grundlegenden Fragestellungen wie das Aktivieren von bestimmten Genen in den Mikroorganismen, um die Herstellung des Wirkstoffs auszulösen oder zu erhöhen ,bis hin zur Wahl des richtigen Zeitpunkts, um den Wirkstoff aus der Kultur heraus zu holen.
Erst mit dem Arbeitsbeginn von Miriam ist das Biotechnikum eine eigene Abteilung geworden. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde das Biotechnikum nur für die oben erwähnte Serviceleistung der Naturstoff- oder Wirkstoffherstellung verwendet.
Miriams Aufgabe ist neben dem Betrieb des Biotechnikums und der Weiterführung der Serviceleistung für andere Wissenschaftler*innen, die Grundlagenforschung an biotechnologischen Prozessen im Biotechnikum und neuen und anderen Ansätzen. Das reicht von schwierigen biotechnologischen Prozessen, die beispielsweise schäumen oder sehr zähflüssig sind, über die Verkleinerung von Prozessen in einzelnen Tröpfchen bis hin zur Kopplung von Organismen mit Elektrochemie.
Die meisten Bakterien benötigen Sauerstoff, um das zu tun, wofür sie im Biorekator bestimmt sind. Den Sauerstoff bekommt man auf zwei Wegen an die Bakterien: durch Rühren oder durch das Einblasen über Düsen. Wenn dann die Bakterienkulturlösung zum Schäumen neigt, füllt sich der Bioreaktor mit Schaum, eventuell sogar so weit, dass die Zuleitungsrohre des Bioreaktors sich mit Schaum füllen. Das Schäumen erzeugt dann einen Gegendruck, so dass der Reaktor nicht mehr korrekt arbeiten kann. Die Folge davon ist, dass man den Bioreaktor nicht mehr vollständig füllt, sondern ein großes „Totvolumen“ übrig lassen kann, in dem dann der Schaum die Funktionsweise des Reaktors nicht mehr beeinträchtigen kann, was natürlich nicht besonders effizient ist. Miriam forscht dazu an Möglichkeiten, den Schaum zu vermindern oder auch durch andere Methoden für eine höhere Sauerstoffversorgung zu sorgen, beispielsweise indem der Bioreaktor unter höherem Druck gefahren wird, was noch andere Vorteile hat.
Im Biotechnikum am HKI arbeitet so gut wie nie in einem kontinuierlichen Prozess, sondern mit einzelnen Ansätzen (Batch) oder mit Ansätzen, bei denen immer wieder neues Substrat zugegeben wird (Fed-Batch). Dabei wird der Bioreaktor nach dem Prinzip „Messen und Regeln“ betrieben.
Die Forschung am Biotechnikum befasst sich vor allem mit den Mikroorganismen und den biotechnischen Abläufen, nicht mit der Technik der Bioreaktoren an sich.
Die Herausforderung beim Betrieb eines Bioreaktors ist die Aufreinigung des produzierten Stoffes. Unter Umständen sind nur wenige Milligramm in einem Volumen von 2000 Litern enthalten, die sehr spezifisch heraus geholt werden müssen. Dieser Schritt ist oft aufwendiger als die Kontrolle des biologischen Prozesses selbst.
Zur Aufreinigung werden Säulen verwendet, das sind Glaszylinder mit einem Trägermaterial, durch das Flüssigkeiten hindurch geleitet werden. Das Trägermaterial sorgt dann dafür, den gewünschten Wirkstoff oder Naturstoff so lange aufzuhalten, bis alles andere aus dem Bioreaktor bereits die Säule verlassen hat. Normalerweise sind Säulen einige Dezimeter lang und höchstens ein bis zwei Zentimeter im Durchmesser – im Biotechnikum am HKI stehen Säulen mit bis zu drei Meter Länge und Durchmessern über 30 cm. Der Aufreinigungsprozess wird meistens in mehreren Stufen durchgeführt.
Das Vorgehen bei der Aufreinigung am Beispiel eines 2 Kubikmeter Bioreaktors ist dabei wie folgt: Meistens wird mit Hilfe eines Lösungsmittels der Wirkstoff oder Naturstoff aus dem Ansatz heraus geholt. Dabei reduziert sich das Volumen bereits auf einige hundert Liter, bevor die nächsten Schritte durchgeführt werden. weitere Links dazu:
Ein Forschungsschwerpunkt von Miriam ist auch die Verkleinerung von Prozessen, wie ganz am Anfang angesprochen. Sie betreibt Tropfen-Mikrofluidik, das heißt sie züchtet einige wenige Bakterien in einem Tröpfchen, das nur unter dem Mikroskop sichtbar ist.
Die kleinen Tröpfchen werden in unterschiedlichen Mikrofluidik-Chips hergestellt und mit Mikroorganismen gefüllt. In kleinen Sammelgefäßen von wenigen Milliliter Volumen werden Millionen dieser Tröpfchen zusammen kultiviert, also im Inkubator aufbewahrt. Verarbeitet und analysiert werden die Tröpfchen dann speziell dafür gemachten, anderen Mikrofluidik-Chips.
Auf der Homepage gibt es dazu auch noch einige Videos und noch mehr Informationen zu den Forschungsfeldern: Tropfenbasierte Mikrofluidik (HKI)
Elektrochemie ist die Chemie der Redoxreaktion, was eigentlich Reduktion-Oxidations-Reaktion meint. In einer Zelle wird die Energie in den sogenannten „Kraftwerken der Zelle“ gewonnen, in den Mitochondrien. In Zellen oder Bakterien wird Zucker oxidiert, dabei werden Elektronen frei und die müssen von einem Akzeptor aufgenommen werden, und dieser Akzeptor ist bei der Sauersott-Atmung der Sauerstoff. Es gibt aber auch Mikroorganismen, die mit einem anderen Akzeptor „atmen“, beispielsweise über ein Metall wie Eisen. Diese Mikroorganismen geben die Elektronen über ihre Membran nach außen ab. Daher kann man diese Elektronen auch ableiten und verwenden.
Miriam untersucht im Labor verschiedene Bakterien, die alle einen etwas ungewöhnlichen Mechanismus für die Energiegewinnung haben, nämlich Elektronen über „Elektronen-Taxis“ nach außen transportieren. Diese „Elektronen-Taxis“ gehören chemisch zur Gruppe der Phenazine. Viele dieser Bakterien stellen Naturstoffe her, die für die Wirkstoffforschung interessant sein könnten. In ihrer Arbeit versucht Miriam zu verstehen, wie diese Prozesse funktionieren und danach diese Erkenntnisse zu nutzen, um über Methoden der synthetischen Biologie diese Prozesse zielgerichteter einzusetzen.
Abwasser ist ein komplexes, energiereiches Substrat, das durch die Bioelektrochemie genutzt werden könnte. Bisher werden Abwässer über Bakterien gereinigt, die Sauerstoff benötigen – wenn man die Bakterien ändert, könnten so Elektronen gewonnen werden, also Strom produziert werden. Weltweit wird zur Zeit daran geforscht. Links dazu:
Einige Bakterien wachsen in Form von Biofilmen auf den Grafitelektroden in den Bioelektrochemie-Reaktoren. Diese Biofilmen kann man live bei ihrer Aktivität zusehen, wenn man sie in einer Kammer auf einem Mikrofluidik-Chip mit einem Fluoreszenz-Mikroskop beobachtet oder später eine Analyse mit dem Elektronenmikroskop durchführt.
Miriam erzählt noch kurz, wie ihre Gruppe arbeitet, und präsentiert uns auch ein kleines Experiment, das seit September auf ihrem Schreibtisch steht. Ein Topf mit Erde, in dem oben eine LED steckt und die enthaltenen Bakterien liefern Elektrizität, so dass die LED ca. zwei mal die Sekunde aufblinkt. Dieser Ansatz tut das bereits für vier Monate. Außerdem erzählt Miriam von ihrem Werdegang und wie sie ans Hans-Knöll-Institut gekommen ist.
Die Lieblingsmoleküle von Miriam sind die Phenazine, die Elektronen-Taxis, die schon bei der Bioelektrochemie angesprochen wurden.
Phenazin Struktur (gemeinfrei)Wir bedanken uns ganz herzlich bei Prof. Dr. Miriam Agler-Rosenbaum für ihre Zeit und die Erläuterungen und Ausführungen zum Thema.
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