Macht Landleben glücklich? Nicht erst seit Corona und Lockdown entdeckt so manch eingefleischter Stadtmensch die Vorzüge des Landlebens. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die derzeitige Umzugswelle in Richtung Land allerdings nichts völlig Neues. Und doch: Für die ländlichen Räume ist sie eine Chance. Wie sie genutzt werden kann, das erläutern unsere Gäste Dr. Annett Steinführer vom Thünen-Institut in Braunschweig und Dr. Thomas Dax von der Bundesanstalt für Agrarwirtschaft und Bergbauernfragen in Wien.
Einmal sind die Dörfer vermeintlich kurz vorm Aussterben, ein andermal ist das Dorf der Ort für das bessere Leben. In Zeiten steigender Miet- und Immobilienpreise und noch einmal verstärkt durch Corona-Pandemie und Lockdowns verzeichnen die sieben größten Städte in Deutschland Bevölkerungsverluste. Die ländlichen Regionen – auch in weiter Entfernung der großen Städte – erleben hingegen erstmals seit Jahren wieder Zuwachsraten.
Für die Kommunen ist diese Entwicklung Fluch und Segen zugleich. Denn auch das Leben auf dem Land wird teurer: Immobilienpreise steigen durch die Nachfrage, eine große Zahl älter werdender Menschen benötigt ortsnahe Versorgung, es fehlt an schnellem Internet fürs Homeoffice und an Öffentlichem Personen-Nahverkehr fürs Pendeln. Diese mangelnde infrastrukturelle Ausstattung führt zu einem großen ökologischen Fußabdruck: Eine aktuelle Studie der OECD etwa hat gezeigt, dass Menschen, die auf dem Land leben, dreimal so viele klimaschädliche Spuren hinterlassen wie Bewohnerinnen und Bewohner von Städten.
Annett Steinführer, die sich als Wissenschaftlerin am Thünen-Institut für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen mit Menschen, die aus verschiedenen Gründen in Dörfer oder Kleinstädte ziehen, beschäftigt, plädiert dementsprechend dafür, das Gesamtpaket der Lebenskosten auf dem Land zu betrachten und daraus Konzepte für eine nachhaltige Dorfentwicklung zu entwickeln.
Thomas Dax forscht an der österreichischen Bundesanstalt für Agrarwirtschaft und Bergbauernfragen ebenfalls zur Regionalentwicklung. Er beobachtet seit 15 Jahren positive Migrationsbilanzen für ländliche Räume in Österreich und in Südwesteuropa. In Finnland hat jeder Zweite einen Zweitwohnsitz in einer entlegenen Gegend und verbringt dort mehrere Monate im Jahr. Multilokales Wohnen wird zur Normalität, aber auch Herausforderung – auch hier wieder in Bezug auf die Infrastruktur.
Brauchen wir also einen Masterplan für ländliche Räume oder entwickeln sie sich wunderbar ohne staatliche Lenkung? Ist die Lösung für dicht besiedelte Ballungsräume, die angrenzenden ländlichen Räume attraktiver zu gestalten, sie mit den Annehmlichkeiten des modernen Lebens auszustatten – oder ist das Dorf dann schon eine Stadt en miniature?