radioWissen - Bayern 2   /     Der Mord an JFK - Trauma und Verschwörungsmythos

Description

Am 22. November 1963 wird US-PrĂ€sident John F. Kennedy bei einer Wahlkampfveranstaltung in Dallas, Texas erschossen. Der Mord wird zum Trauma fĂŒr eine ganze Nation und zeigt die Verletzlichkeit der amerikanischen Demokratie auf. Zudem bleiben Zweifel: wer hat JFK wirklich erschossen? War es der EinzeltĂ€ter Lee Harvey Oswald, oder fand hier ein diabolischer Staatsstreich statt? Viele Ungereimtheiten werden zum NĂ€hrboden fĂŒr zahlreiche Verschwörungsmythen. Autor: Florian Kummert

Subtitle
Duration
00:23:46
Publishing date
2023-11-17 03:00
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/der-mord-an-jfk-trauma-und-verschwoerungsmythos/2078006
Contributors
  Florian Kummert
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2078006/c/feed/der-mord-an-jfk-trauma-und-verschwoerungsmythos.mp3
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Shownotes

Am 22. November 1963 wird US-PrĂ€sident John F. Kennedy bei einer Wahlkampfveranstaltung in Dallas, Texas erschossen. Der Mord wird zum Trauma fĂŒr eine ganze Nation und zeigt die Verletzlichkeit der amerikanischen Demokratie auf. Zudem bleiben Zweifel: wer hat JFK wirklich erschossen? War es der EinzeltĂ€ter Lee Harvey Oswald, oder fand hier ein diabolischer Staatsstreich statt? Viele Ungereimtheiten werden zum NĂ€hrboden fĂŒr zahlreiche Verschwörungsmythen. Autor: Florian Kummert

Credits
Autor/in dieser Folge: Florian Kummert
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Ditte Ferrigan, Peter Veit
Technik: Monika Gsaenger
Redaktion: Thomas Morawetz

Im Interview:
Dr. Andreas Etges, LMU MĂŒnchen und Kennedy-Experte

Linktipps:

HintergrĂŒnde zum Kennedy-Attentat
22.06.1964 ∙ Panorama ∙ Das Erste
Lane, der Verteidiger des Kennedy-Mörders Oswald, ĂŒber die angeblich wahren HintergrĂŒnde des Attentats auf Kennedy.
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Das vollstÀndige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ZUSPIELUNG 1a 

(Titelmelodie Tagesschau)

PrĂ€sident Kennedy ist heute Abend um 20 Uhr mitteleuropĂ€ischer Zeit an den Folgen eines Attentats gestorben. Ein bisher noch unbekannter Mann hat mehrere GewehrschĂŒsse auf ihn abgefeuert.

MUSIK 1 (Z8037020118 Alan Filip/Mac Prindy: Traumatic Drone 1’15)

ERZÄHLERIN

Die Tagesschau vom 22. November 1963. WĂ€hrend der Sendung erreicht die Redaktion die Eilmeldung: US-PrĂ€sident John F. Kennedy ist tot. Sprecher Karl-Heinz Köpke verkĂŒndet der deutschen Fernsehnation die tragische Nachricht: 

ZUSPIELUNG 1b

Das Weiße Haus in Washington teilte mit, dass PrĂ€sident Kennedy einer durch eine Kugel verursachten Gehirnverletzungen erlegen ist.

ERZÄHLERIN 

In den USA kommt das öffentliche Leben zum Stillstand. Der Tod des PrĂ€sidenten trifft die Öffentlichkeit wie ein Schock. Wer kann, verlĂ€sst den Arbeitsplatz und verfolgt am Fernseher oder Radio die Berichterstattung ĂŒber das Attentat.

ZUSPIELUNG 2a (Radioaufnahme 1963, Quelle: JFK Museum, frei verwendbar)

President Kennedy has been assassinated. It’s official now, the president is dead.

ERZÄHLERIN 

Reportagen aus Dallas, Texas, von Journalisten, die vor dem Krankenhaus stehen, in das Kennedy eingeliefert wurde. Weinende Menschen, Trauer ĂŒberall, Fassungslosigkeit. Momente, die sich ins kollektive GedĂ€chtnis einer ganzen Generation einbrennen. 

ZUSPIELUNG 2b 

The picture here is grief, and much of it. 

OTON Andreas Etges 1a

Die Ermordung hat tagelang die Medien bestimmt. Es gab eine 24 Stunden Berichterstattung, aber auch international ist die Wirkung enorm. Menschen auf der ganzen Welt trauern. Studierende der Freien UniversitÀt Berlin organisieren einen Trauermarsch mitten in der Nacht in Berlin, und viele Tausende Menschen kommen zum Rathaus Schöneberg, wo Kennedy Monate vorher gesprochen hatte. 

ERZÄHLERIN 

Sagt Dr. Andreas Etges, Historiker und Amerikanist von der LMU MĂŒnchen und ausgewiesener Kennedy-Experte. FĂŒr ihn ist der 22. November 1963 vor allem rĂŒckwirkend ein einschneidender Tag fĂŒr die US-Geschichte. Der Mord an JFK, dem die tödlichen SchĂŒsse auf Martin Luther King und auf Robert Kennedy folgen sollten. 

OTON Andreas Etges 1b

Also die unmittelbare Wirkung der Ermordung: Wie kann das passieren? Und was bedeutet das? Und im Nachhinein auch die Wirkung dessen, was dann alles danach kam, die dann auf diesen Tag zurĂŒckprojiziert wurde. Auch wenn ich das fĂŒr eine problematische Idee halte: Amerika hat seine Unschuld verloren. Nur war Amerika auch vorher schon in gewissen FĂ€llen durch die CIA oder Kriege auch mit schuldig geworden, in gewisser Weise. Aber das ist ein Moment, wo auch ein StĂŒck weit das amerikanische Selbstbild einen Kratzer erhĂ€lt. 

MUSIK 2 (CD666410001 John Williams: Prologue 0‘37)

ERZÄHLERIN

Nur 1036 Tage dauert seine PrĂ€sidentschaft: John Fitzgerald Kennedy. Erst 43 ist er, als er ins Weiße Haus einzieht. Der jĂŒngste gewĂ€hlte PrĂ€sident der Vereinigten Staaten wird zu einem fast royalen Vorbild fĂŒr die Massen. Ein Politiker, der den Traum eines modernen, eines besseren Amerika verkörpert, mit Charme und der Gabe, in rhetorisch ausgeklĂŒgelten Reden, das Publikum miteinzubeziehen und an das gesellschaftliche Engagement zu appellieren. 

Zuspielung 3 O-Ton John F. Kennedy (JFK Museum, frei verwendbar)

"And so, my fellow Americans, ask not what your country can do for you - ask what you can do for your country." 

ZITATOR

„Meine amerikanischen Landsleute, fragt nicht, was euer Land fĂŒr euch tun kann. Fragt vielmehr, was ihr fĂŒr euer Land tun könnt.”

OTON Andreas Etges 2

„Wobei der Satz noch weitergeht. Die meisten vergessen ihn. Fragt nicht, was Amerika fĂŒr euch tun kann, sondern was wir gemeinsam, also alle LĂ€nder dazu tun können, die Welt besser zu machen. Also auch der Appell an die Welt. Ganz zentral fĂŒr Kennedys Wirkung in den ersten Jahren ist die Aufbruchstimmung, die mit seinem Amtsantritt verbunden ist. Da kommt jetzt jemand, der Leute mitnimmt, der Leute auch dazu aufruft, ihr könnt alle euren kleinen Beitrag dazu tun, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Das hat ein ganzes StĂŒck weit in den USA und auch in LĂ€ndern wie Deutschland funktioniert, gerade bei der jungen Generation.“

MUSIK 3 (CD666410008 John Williams: The Conspirators 0‘55)

ERZÄHLERIN

Kritischer sind die Hardliner im Regierungsapparat, die Falken, die in Krisenzeiten eher auf Angriff und Machtdemonstrationen setzen als auf Besonnenheit. Und Krisen erlebt Kennedy in seiner Amtszeit einige. Den Bau der Berliner Mauer, die Panzerkonfrontation am Checkpoint Charlie, und - quasi vor der eigenen HaustĂŒre - das Problem um Kuba und das Regime von Fidel Castro. Erst scheitert die Schweinebucht-Invasion von Söldnertruppen der rechts-konservativen Exil-Kubaner, heimlich unterstĂŒtzt durch die CIA, von der sich der PrĂ€sident bewusst hintergangen fĂŒhlt. Als Folge feuert er CIA-Direktor Allen Dulles und dessen Stellvertreter. Dann kommt es - im Oktober 1962 - zur gefĂ€hrlichsten Konfrontation des Kalten Krieges: in der Kuba-Krise. Durch eine Seeblockade zwingt Kennedy die Sowjetunion ihre heimlich auf Kuba stationierten, nuklear bestĂŒckten Raketen wieder abzuziehen. Als Gegenleistung willigt Kennedy ein, keine weitere Invasion von Kuba zu planen, sehr zum Missfallen der Hardliner.

MUSIK 4 (Z9338166213 Nina Simone: Young, Gifted And Black 0‘05)

Innenpolitisch wird die Debatte um die BĂŒrgerrechtsbewegung immer virulenter. Im Juni 1963 kĂŒndigt der PrĂ€sident ein Gesetz an, das die Rassentrennung in den ganzen USA abschaffen soll. Im Kongress scheitert er aber an den Mehrheiten konservativer SĂŒdstaaten-Politiker aus beiden Parteien.

MUSIK 5 (CD847750004 Joan Baez: We shall Overcome 0‘25)

ERZÄHLERIN

Die SĂŒdstaaten, dort fallen fĂŒr Kennedy die Umfragewerte massiv. 1964 will sich Kennedy zur Wiederwahl stellen, also macht sich JFK mit seiner Frau Jacqueline und dem Vize-PrĂ€sidenten, dem Texaner Lyndon Johnson, auf Wahlkampf-Reise durch Texas. Dort gibt es regelrechte Hasskampagnen gegen Kennedy. Poster mit dem Konterfei des PrĂ€sidenten tauchen auf, die ihn in Form eines Steckbriefs wegen Hochverrats anklagen wollen. 

MUSIK 6 (Z8037020101 Alan Filip/Mac Prindy: Drama Pulse 1‘13)

ERZÄHLERIN

Am Morgen des 22. November spricht Kennedy in Fort Worth, dann fliegt die Air Force One nach Dallas. Vom Flughafen aus fĂ€hrt die Wagenkolonne durch die Innenstadt von Dallas. Die Straßen sind vollgepackt mit Leuten, die dem Wagen des PrĂ€sidenten zujubeln. Eine offene Limousine, ohne Verdeck. Kennedy auf der RĂŒckbank, neben ihm im rosa KostĂŒm die First Lady, Jackie Kennedy. Direkt vor Kennedy sitzt der Gouverneur von Texas, John Connelly, begleitet von dessen Ehefrau Nellie. 

12 Uhr 29. Die Limousine des PrĂ€sidenten biegt rechts ab, auf die Houston Street und nĂ€hert sich dem Texas School Book Depository, einem mehrstöckigen Haus, in dem BĂŒros und das Schulbuchlager untergebracht sind. Nellie Connelly dreht sich zu Kennedy um und sagt: „Mister President, Sie können nicht sagen, dass Dallas Sie nicht liebt.“ Kennedy antwortet: „Nein, das kann ich wirklich nicht.“ 

Es sind seine letzten Worte. Um 12 Uhr 30 biegt das Auto vor dem School Book Depository in die Elm Street ein, eine 120-Grad-Kurve, bei der die Limousine stark abbremsen muss. Kennedy winkt den Leuten in der Elm Street zu


ATMO Schuss

ERZÄHLERIN


da fĂ€llt der erste Schuss. Er verfehlt das Auto. Kennedy reagiert auf das GerĂ€usch und hört auf zu winken. 

ATMO Schuss

ERZÄHLERIN 

Der zweite Schuss, wenige Sekunden spĂ€ter. Er trifft den PrĂ€sidenten in Hals und Kehle. Kennedy hebt die Arme. Wegen einer RĂŒckenerkrankung trĂ€gt er ein StĂŒtzkorsett und bleibt aufrecht sitzen. Jackie Kennedy will sich zu ihrem Mann beugen, in dem Moment trifft die dritte Kugel. 

ATMO Schuss

ERZÄHLERIN 

Sie durchschlĂ€gt Kennedys Kopf. Chaos bricht aus. Die Limousine ist voller Blut. Gouverneur Connelly ist ebenfalls getroffen und schwer verwundet. Jackie Kennedy versucht rĂŒckwĂ€rts aus dem Auto aufs Heck zu klettern. Ein Secret Service Agent, der hinter dem Wagen lĂ€uft, hĂ€lt sie auf, dann rast der Wagen davon, in Richtung Parkland Memorial Hospital. 

Dort wird, um 13 Uhr Ortszeit, der 35. PrĂ€sident der Vereinigten Staaten fĂŒr tot erklĂ€rt. 

ATMO ZUSPIELUNG 4 Polizeisirenen / Polizeifunk vom 22.11.63 (Quelle: JFK Museum, frei verwendbar)

ERZÄHLERIN 

Polizeifunk-Aufnahmen vom 22. November 1963 aus Dallas, archiviert in der John F. Kennedy Presidential Library and Museum. Kurz nach dem Attentat melden sich Augenzeugen, die gesehen haben, wir aus dem Schulbuchlager geschossen wurde, aus einem Eckfenster im fĂŒnften Stock. Bereits 80 Minuten nach den SchĂŒssen verhaften Polizisten den HauptverdĂ€chtigen: einen Mitarbeiter des Schulbuchlagers, den 24jĂ€hrigen Lee Harvey Oswald, der seit einem Monat in den RĂ€umlichkeiten arbeitet. Im fĂŒnften Stock des GebĂ€udes finden Beamte ein Jagdgewehr samt PatronenhĂŒlsen, es soll von Lee Harvey Oswald per Katalog bestellt worden sein, unter einem Pseudonym. 

ATMO Gewehr wird nachgeladen, Klacken

ERZÄHLERIN

Oswald wird stundenlang verhört. Ohne Anwalt. Notizen des Verhörs gibt es nicht. Der VerdĂ€chtige weist jegliche Schuld von sich, sagt, er sei nur ein SĂŒndenbock. Kurz nach Mitternacht gibt es eine Pressekonferenz im Versammlungsraum der Polizei. Unter die Reporter mischt sich auch ein 52jĂ€hriger Nachtklub-Besitzer aus Dallas: Jack Ruby. 

Am Sonntagvormittag, den 24. November, soll Lee Harvey Oswald in ein anderes GefĂ€ngnis ĂŒberstellt werden. Im Keller des PolizeiprĂ€sidiums steht ein Wagen bereit. Der Raum ist voller Reporter und Polizisten. Als Oswald in Handschellen zum Auto gefĂŒhrt wird, bildet sich eine Gasse, um ihn durchzulassen. Plötzlich stĂŒrmt Jack Ruby nach vorne und schießt Oswald mit einem Revolver in den Bauch. Der stöhnt auf und fĂ€llt tödlich verletzt zu Boden. Ruby wird festgenommen und spĂ€ter des Mordes fĂŒr schuldig gesprochen. Er wollte ein Held sein, sagt er. 1967 stirbt Jack Ruby im GefĂ€ngnis an Krebs. 

ATMO Beerdigung JFK, Trommler (Quelle: JFK Museum, frei verwendbar)

ERZÄHLERIN

Lee Harvey Oswald wird erschossen, wĂ€hrend der Trauermarsch fĂŒr den ermordeten PrĂ€sidenten durch die Straßen der Hauptstadt Washington D.C. zieht. Auch hier brennen sich ikonographische Momente ins GedĂ€chtnis vieler Menschen ein: Jackie Kennedy, die 34jĂ€hrige Witwe in ihrem schwarzen KostĂŒm samt Schleier. Daneben die beiden kleinen Kinder: Caroline, die das gerahmte Foto ihres Vaters in der Hand hĂ€lt, und John Junior, der an diesem Trauertag drei Jahre alt geworden ist. Als der Sarg an ihm vorbeizieht, legt er die Hand zum letzten Salut an die Stirn. Momente, so Kennedy-Experte Andreas Etges, die stark von Jackie Kennedy gesteuert wurden. 

OTON Andreas Etges 3

„Wo der Junge salutiert. Wenn man sich ein paar Sekunden vorher die Filmszene anguckt, dann beugt sie sich zu ihm runter, flĂŒstert ihm was ins Ohr und dann geht er zwei Schritte vor und salutiert, als der Sarg vorbeikommt. Also Jackie Kennedy ist sich ganz stark der Bilder bewusst. Und auch die Idee oder der Begriff Camelot, also der mythische Hof von König Artus, mit dem die Kennedy-PrĂ€sidentschaft oft verglichen wird. Den hat keiner wĂ€hrend der Amtszeit von Kennedy benutzt. Jackie Kennedy verwendet diese Idee zum ersten Mal in einem berĂŒhmten Interview mit einem Life-Journalisten, ein paar Tage nach der Ermordung, und dann vergleicht sie die Amtszeit mit Camelot. Und so einen Moment, sagt sie, wird Amerika nie mehr erleben. Also sie ist von der ersten Sekunde dabei, am Mythos ihres Mannes zu arbeiten und den auch spĂ€ter ganz massiv gegen Kritik zu verteidigen.“

ATMO Gewehr wird nachgeladen, Klacken

ERZÄHLERIN

Und Lee Harvey Oswald? Ist er nun derjenige, der den PrĂ€sidenten erschossen hat? Die Ermittlungen richten sich auf Oswald als EinzeltĂ€ter. Eine eigenwillige Gestalt, ein Heimkind, dem Psychiater bereits in der Jugend eine gestörte Persönlichkeitsstruktur attestieren. Mit 17 bricht er die Schule ab und geht zu den US-Marines, wo er zum Radartechniker und ScharfschĂŒtzen ausgebildet wird. Als angeblich bekennender Marxist lebt er einige Jahre in der Sowjetunion, ehe er 1962 nach Texas zieht. Er abonniert kommunistische Zeitungen und engagiert sich fĂŒr Fidel Castros Politik, bemĂŒht sich sogar um ein Visum fĂŒr Kuba. War er also bekennender Castro-AnhĂ€nger, oder war alles nur Fassade?

MUSIK 7 (CD666410006 John Williams: Garrison’s Obsession 0‘55)

ERZÄHLERIN

Kennedys Nachfolger Lyndon Johnson setzt eine Kommission ein, die das Attentat und die UmstĂ€nde untersuchen soll: die siebenköpfige Warren Kommission, benannt nach dem Obersten Verfassungsrichter Earl Warren, der sie leitet. Weitere Mitglieder: der Abgeordnete und spĂ€tere US-PrĂ€sident Gerald Ford, sowie - eine umstrittene Personalie - Allen Dulles, der frĂŒhere CIA-Direktor, der von Kennedy gefeuert wurde. Nach zehnmonatiger Arbeit kommt die Warren Kommission zu ihrem Endergebnis: Lee Harvey Oswald hat als EinzeltĂ€ter agiert und war nicht Teil einer grĂ¶ĂŸeren Verschwörung, er hat die drei SchĂŒsse abgefeuert und den PrĂ€sidenten getötet. 

OTON Andreas Etges 4

„Relativ schnell gibt es große Kritik an diesem Warren-Report. Zurecht, denn vieles ist bei den Ermittlungen falsch gegangen. Wir wissen auch heute, dass das FBI, die Bundespolizei, und auch die CIA, der Geheimdienst, gar kein Interesse daran haben, dass genau ermittelt wird. Nicht, weil sie in die Ermordung irgendwo involviert sind oder da Verschwörer sind, sondern weil sie eine ganze Menge illegale AktivitĂ€ten zu verstecken haben und auch Fehler im Schutz des PrĂ€sidenten, die sie verbergen wollen. Wir wissen heute, dass Lyndon Johnson der Untersuchungskommission den geheimen Auftrag gibt: Macht Oswald zum EinzeltĂ€ter. Warum? Nicht, weil er selber involviert war, sondern Lyndon Johnson hat Angst. Was wĂ€re denn, wenn tatsĂ€chlich die Kubaner oder sogar die Sowjetunion involviert sind? Dann gibt es Krieg, und dann werden Millionen Menschen sterben.“

MUSIK 8 (Z8037020111 Alan Filip/Mac Prindy: Micropulse 1‘15)

ERZÄHLERIN

Wer war also involviert und wer nicht? Wer hat bei den Mordermittlungen welche Agenda? 

Bei kaum einem anderen Thema wie den SchĂŒssen auf JFK vermischen sich Fakten, Vermutungen und Fake News derart effektiv. Ein perfekter NĂ€hrboden fĂŒr Alternativdeutungen und Verschwörungstheorien aller Art. Kann Oswald wirklich der EinzeltĂ€ter sein? War er mit der Mafia im Bunde, mit Castro-AnhĂ€ngern, den Exil-Kubanern, oder gar der CIA? Konnte er mit dem Gewehr tatsĂ€chlich in Sekundenschnelle die drei SchĂŒsse abgeben, mit einem nicht prĂ€zise eingestellten Zielfernrohr? Noch dazu geht der erste Schuss daneben, aber die zweite Kugel wird als „magische Kugel“ berĂŒhmt-berĂŒchtigt. Sie trifft erst Kennedy, dann Connally, verursacht bei beiden Körpern insgesamt sieben Eintritts- und Austrittswunden und wird spĂ€ter - ohne grĂ¶ĂŸere Deformationen - bei Connallys Trage im Krankenhaus gefunden. Kann das sein? Und kamen nicht SchĂŒsse aus unterschiedlichen Richtungen, wie manche Zeugen berichten? 

Fragen ĂŒber Fragen, die Gedankenspiele auslösen, und Skepsis. So etwa beim US-Regisseur Oliver Stone.

OTON Oliver Stone (Quelle: kinokino-Archiv BR, frei verwendbar)

„Even as a young man
involved in the murder.“

Schon als junger Mann, ohne vorgefasste Meinung ĂŒber den Mord begann ich mir ein paar Fragen zu stellen, die von den Vertretern der Regierung ignoriert wurden. Denn damals fragte niemand, warum Kennedy getötet wurde. Die hauptsĂ€chliche Frage bei einem Mord lautet immer: wo ist der Mörder? Ich fragte aber: warum wurde Kennedy getötet? Wer profitierte davon? Und wer hatte die Macht den Mord zu decken? Doch niemand in den US-Medien stellte damals diese Fragen. 

FĂŒr mich ist die plausibelste ErklĂ€rung des Mordes die von Jim Garrison, der die Aufmerksamkeit auf die Geheimdienste und deren Verstrickungen lenkte.“

ERZÄHLERIN

1991 erreicht die Kontroverse um den Kennedy-Mord einen Höhepunkt, als Oliver Stone mit JFK seine Sicht der Dinge als ĂŒber dreistĂŒndiges Verschwörungsepos veröffentlicht, mit Kevin Costner prominent besetzt. Er verkörpert Jim Garrison, den Bezirks-Staatsanwalt von New Orleans, der Ende der 1960er Jahre das Kennedy-Attentat vor Gericht bringt. Garrison setzt einen gewissen Clay Shaw auf die Anklagebank, der mit möglichen Verbindungen zu Exilkubanern, Lee Harvey Oswald und zur CIA ins Visier der Ermittler geraten ist. Am Ende aber bleibt die Anklage wegen Verdachts der Verschwörung zum Mord am PrĂ€sidenten ohne konkrete Beweise. Shaw wird freigesprochen. 

Dennoch wird der Vorwurf in Jim Garrisons BĂŒchern und spĂ€ter in Oliver Stones Film deutlich: Kennedy sei durch einen Staatsstreich getötet worden, finstere HintermĂ€nner in der CIA und aus dem militĂ€risch-industriellen Komplex wollten verhindern, dass Kennedy den Kalten Krieg, den Vietnam-Krieg und damit die AufrĂŒstung stoppt. 

Wie Jim Garrison vor ihm wird auch Oliver Stone massiv kritisiert, Fakt und Fiktion zu vermischen. Eine Kritik, die Andreas Etges teilt: 

OTON Andreas Etges 5

„Oliver Stone zeigt nicht die Tatsachen, wie sie an dem Tag waren. Und ihm sind Dutzende faktische inhaltliche Fehler nachgewiesen worden. Aber der Film ist spannend, unterhaltsam. Er hat die Debatte befeuert und hat einen ganz großen Effekt gehabt, denn am Ende des Films wird gesagt, quasi keiner von uns wird noch erleben, dass diese Akten freigegeben werden, wo möglicherweise die Wahrheit drinsteht. Und durch den Film und die Kampagne, die die Filmfirma macht, gibt es ein Sondergesetz nur fĂŒr Kennedy-Akten, die in irgendeiner Form mit der Kennedy-Ermordung zu tun haben. Millionen Seiten sind praktisch alle freigegeben worden, vielleicht noch ein, zwei Prozent nicht. Aber es hat was bewirkt: dass nĂ€mlich viel mehr Transparenz in dem ganzen Umfeld der Ermittlungen stattgefunden hat, so dass wir heute deutlich mehr ĂŒber diesen Tag und auch die Fehler bei den Ermittlungen wissen, als wir es damals wussten. 

Also der Film hat dadurch aus auch fĂŒr Historiker und Historikerinnen eine sehr gute Wirkung gehabt. So problematisch er andererseits ist.“

MUSIK 7 (CD666410016 John Williams: Arlington 0‘37)

ERZÄHLERIN

Bis heute werden die Akten ausgewertet und halten das Interesse am JFK-Mord am Leben, in Form von immer neuen BĂŒchern und Filmen, die spektakulĂ€re Beweise versprechen und am Ende wenig mehr als Vermutungen bieten. Doch Kennedy bleibt weiterhin ein Publikumsmagnet: Der ewig Junggebliebene. Das Idol der Hoffnung, das nie altert und zur Frage einlĂ€dt: was wĂ€re, wenn? HĂ€tte er uns in eine bessere Welt gefĂŒhrt? HĂ€tte er sich in seiner zweiten Amtszeit genauso in Vietnam verstrickt wie die Regierung von Lyndon Johnson? Oder hĂ€tte er sich aus Vietnam zurĂŒckgezogen und um ein rasches Ende des Kalten Krieges bemĂŒht? Was ist aber mit dem Verlauf der BĂŒrgerrechtsbewegung? Erst durch Kennedys Ermordung kam es zu einem ĂŒberparteilichen Schulterschluss und in kĂŒrzester Zeit wurden liberale Reformprojekte und Gesetze angestoßen, die vorher undenkbar waren. WĂ€ren sie vom Senat und Kongress verabschiedet worden, hĂ€tte Kennedy gelebt? Viele Fragen, wenig Antworten. So bleibt John F. Kennedy weiterhin ein Mythos - im Leben wie im Tod.

MUSIK 10 (CD666410017 John Williams: Finale 0‘45)

OTON Andreas Etges 6

„Von daher lebt der Mythos tatsĂ€chlich auch davon, dass das unerfĂŒllt geblieben ist. Eine ganz berĂŒhmte amerikanische Biografie zu Kennedy heißt im Untertitel „An Unfinished Life“, ein unvollendetes Leben. Aber wir können uns alle noch Vorstellungen machen, wie vollendet oder wie dieses Leben wohl weitergefĂŒhrt worden wĂ€re und was es sowohl fĂŒr die USA als auch die Welt bedeutet hĂ€tte. Die Geschichte wĂ€re sicherlich anders verlaufen, auch der Vietnamkrieg wĂ€re anders verlaufen, da bin ich sicher. In welcher Form? Da kann man natĂŒrlich nur spekulieren.“

STOPP