Der schwedische Naturforscher Carl von Linné erfasste im 18.Jahrhundert die damals bekannte Tier- und Pflanzenwelt und brachte sie in eine logische Ordnung. Dazu führte er die binäre Benennung der Organismen ein. Dieses System ermöglicht es Wissenschaftlern, sich über Arten in einer präzisen und standardisierten Sprache auszutauschen. Autorin: Susanne Hofmann
Der schwedische Naturforscher Carl von Linné erfasste im 18.Jahrhundert die damals bekannte Tier- und Pflanzenwelt und brachte sie in eine logische Ordnung. Dazu führte er die binäre Benennung der Organismen ein. Dieses System ermöglicht es Wissenschaftlern, sich über Arten in einer präzisen und standardisierten Sprache auszutauschen. Autorin: Susanne Hofmann
Credits
Autor/in dieser Folge: Susanne Hofmann
Regie: Rainer Schaller
Es sprachen: Hemma Michel, Peter WeiĂź
Technik: Tim Höfer
Redaktion: Iska Schreglmann
Im Interview:
Kärin Nickelsen, Professorin für Wissenschaftsgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München;
Gerhard Haszprunar, Professor em. fĂĽr Zoologie an der Ludwig-Maximilians-Universität MĂĽnchen, frĂĽherer Direktor der Zoologischen Staatssammlung MĂĽnchen;Â
Renate Hudak, Dipl.-Ingenieurin fĂĽr Gartenbau, Botanischer Garten Augsburg
Diese hörenswerten Folgen von radioWissen könnten Sie auch interessieren:
Neophyten, die eingeschleppten Pflanzen - Alles Natur
JETZT ANHĂ–REN
Die wundersame Welt der Gräser - Alles Natur!
JETZT ANHĂ–REN
Was macht Moore so wertvoll? - Alles Natur
JETZT ANHĂ–REN
Linktipp:
Marei. Das Geschäft mit der Liebe
ARD Audiothek | Hörspiel
ZUM PODCAST
Wir freuen uns ĂĽber Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | RadioWissen
JETZT ENTDECKEN
Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ERZĂ„HLER
Das musste ihm erst mal einer nachmachen!Â
ZITATOR1
Kein Naturwissenschaftler hat mehr Beobachtungen in der Natur angestellt. Keiner hat einen solideren Einblick in alle drei Reiche der Natur zugleich gehabt. Keiner war ein größerer Botaniker oder Zoologe.
ERZĂ„HLERÂ
Ein Superlativ reiht sich an den nächsten.Â
ZITATOR1
Keiner hat mehr Werke geschrieben, besser, ordentlicher, aus eigener Erfahrung. Keiner so völlig eine ganze Wissenschaft reformiert und eine neue Epoche eingeleitet. Keiner hat eine so über alle Welt ausgedehnte Korrespondenz gehabt. [langsam ausblenden]
ERZĂ„HLERÂ
Keine Frage: Nach dieser Einschätzung ist der so Gepriesene eine Ausnahmeerscheinung, eine ĂĽberragende Figur in der Wissenschaft des 18. Jahrhunderts: der schwedische Naturforscher Carl von LinnĂ©. Randnotiz zum Schmunzeln – das ĂĽberschwängliche Lob stammt aus LinnĂ©s eigener Feder. An Selbstbewusstsein mangelte es dem Schweden nicht. Seine Lebensleistung: Er entwickelte ein umfassendes, schlĂĽssiges hierarchisches System der biologischen Klassifizierung. Alle damals bekannten Tiere und Pflanzen ordnete er in Kategorien wie Klassen, Ordnungen und Gattungen ein. DafĂĽr rĂĽhmten ihn auch andere Geistesgrößen, der Philosoph Jean-Jacques Rousseau zum Beispiel:Â
ZITATOR 2
FĂĽr mich gibt es keinen Größeren auf Erden.Â
ERZĂ„HLERÂ
Und Goethe bekannte, dass LinnĂ©s Hauptwerk „Philosophia naturae“ sein steter Begleiter war undÂ
ZITATOR 3
dass nach Shakespeare und Spinoza auf mich die größte Wirkung von LinnĂ© ausgegangen istÂ
ERZĂ„HLERÂ
Sein größtes Verdienst bringt Linné selbst so auf den Punkt:
ZITATOR 1
Gott schuf, Linné ordnete
ERZĂ„HLERÂ
Carl von Linné, oder Carl Linnaeus [Linnäus], wie er die ersten 50 Jahre seines Lebens hieß, revolutionierte die Biologie, indem er in der Natur „aufräumte“. Oder vielmehr: sich auf die Suche nach dem geheimen Plan machte, welcher der göttlichen Schöpfung nach seiner Vorstellung innewohnte - erklärt der österreichische Zoologe Gerhard Haszprunar, langjähriger Leiter der Zoologischen Staatssammlung in München und Zoologie-Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München:
1. ZUSPIELUNG Haszprunar 6:14
„Er war hundert Jahre vor Darwin, also von Evolution gab es noch gar keine Rede. Und daher war für ihn diese Ordnung göttlich vorgegeben. Punkt. Also er hat gar nicht versucht, diese Ordnung in irgendeiner Form durch einen Mechanismus zu erklären, sondern das war die göttliche Schöpfung, die ist hierarchisch geordnet, offensichtlich, und die Aufgabe des Wissenschaftlers ist jetzt, diese göttliche Ordnung in allen Details zu erkennen und zu beschreiben. Das war sein Programm, und das hat er knallhart durchgezogen.“
ERZĂ„HLERÂ
Linné war ein begnadeter Beobachter. Was er sah – seien es nun Mineralien, Tiere oder Pflanzen – sortierte er. Sein Ordnungssystem sorgt noch heute für Übersicht in der Botanik und in der Zoologie – und das, obwohl wir in den über 250 Jahren seit seinem Tod im Jahr 1778 viele neue Erkenntnisse gewonnen und unzählige weitere Pflanzen und Tiere entdeckt haben. Die Tierwelt ordnete Linné folgendermaßen: Er unterteilte die Tiere in sechs grobe Gruppen – Säugetiere, Vögel, Amphibien, Fische, Insekten und Würmer. Diese sechs Kategorien wiederum untergliederte er weiter – in Stämme, Klassen, Ordnungen, Familien und Gattungen. Der Zoologe Gerhard Haszprunar:
2. ZUSPIELUNG Haszprunar 8:11
„Also wir haben Begriffe wie etwa jetzt die Säugetiere. In den Säugetieren haben wir die Huftiere. In den Huftieren haben wir jetzt zwei Gruppen: Paarhufer und Unpaarhufer. In den Paarhufern haben wir jetzt Hornträger und Geweihträger und so weiter und so fort. Also, das ist so ineinander geschachtelt wie eine russische Puppe, aber vielfach, nicht bloß ein paar, sondern 30, 40 solcher Kategorien.“
MUSIK m02 (Z8028537114, Rework it, Artisan crafts, Sponticcia, Martin, 0:53 Min)
ERZĂ„HLERÂ
Linnés besonderes Interesse galt indes der Welt der Pflanzen, der Botanik. Schon als Kind, Anfang des 18. Jahrhunderts, tummelte er sich gern im Garten seines Vaters. Der hatte einen besonders schönen, selbst angelegten Lustgarten, in dem er auch seltene Pflanzen anbaute, darunter mediterrane Kräuter wie Thymian oder Rosmarin. Der junge Carl durfte bald seine eigenen Beete beharken und lernte die Namen der Pflanzen kennen. Was die Benennung von Pflanzen betraf, herrschte damals Wildwuchs…
ZITATOR 2 oder 3
„…da dreißig oder vierzig Botaniker ein und derselben Pflanze ebenso viele verschiedene Namen beilegten. Auf diese Weise war die ganze Botanik zu einem wahren Chaos, zu einem allgemeinen Babel geworden, wo niemand mehr seinen Nachbarn verstehen konnte.“
ERZĂ„HLERÂ
So beschrieb der französische Naturforscher und Geologe Georges Cuvier die Begriffsverwirrung, zu Beginn des 18. Jahrhunderts, die damals herrschte. Für die Botaniker der Zeit eine kaum noch zu beherrschende Herausforderung, meint Kärin Nickelsen, Professorin für Wissenschaftsgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie forscht zur Geschichte der Biologie, insbesondere zur Geschichte der Botanik.
3. ZUSPIELUNG Nickelsen 4:12
„Zu der Zeit, als LinnĂ© lebte, gab es natĂĽrlich sehr viele andere Systeme bereits, aber diese Systeme waren nicht einheitlich, und die Arten und Gattungen hieĂźen auch unterschiedlich, je nachdem, welches System man anlegte. Also es gab eine groĂźe Verwirrung, und die wurde umso ein beschwerlicher und auch wirklich hinderlicher, als ja viele neue Arten nach Europa kamen, also durch die Expansionsbestrebungen, die Kolonialunternehmen der europäischen Mächte, kamen sehr viele neue Pflanzenarten auch Tierarten - aber bleiben wir mal bei den Pflanzen,… nach Europa. Die musste man neu benennen, und sie bekamen häufig ganz unterschiedliche Namen, je nachdem, wer sie gerade in seinem System benannt hat. So, jetzt kam LinnĂ© und wollte ein einheitliches System schaffen.“Â
ERZĂ„HLERÂ
Dieses einheitliche System der Benennung ist eine von LinnĂ©s Errungenschaften als Naturforscher. Doch ehe wir dazu kommen – rasch ein Abstecher in seine Biographie.Â
MUSIK m03 C1480470016, Tempelfeste, Melancholie - Music for film, Proksch, Michael, 0:49 Min)
ERZĂ„HLERÂ
Name:
ZITATOR 1Â
Carl Linnaeus
ERZĂ„HLERÂ
Art
ZITATOR 1
Homo sapiensÂ
ERZĂ„HLERÂ
Unterart
ZITATOR 1
Naturforscher, Botaniker, Arzt
ERZĂ„HLER
Herkunft:Â
ZITATOR 1
SmĂĄland [smoland], Provinz in SĂĽdschweden
ERZĂ„HLER
Lebenszeit:
ZITATOR 1
1707 bis 1778
ERZĂ„HLER
Aussehen - nach seiner eigenen Beschreibung:
ZITATOR 1
„Der Kopf groß, mit gewölbtem Hinterhaupt, … Die Augen braun, lebhaft, äußerst scharf, von hervorragender Sehkraft. … Ein entschlossener Charakter, leicht zu Zorn, Freude, Trauer geneigt, schnell zu besänftigen; frohgemut in der Jugend und auch nicht stumpfsinnig im Alter; seinen Obliegenheiten voll und ganz hingegeben“
ERZĂ„HLER
Carl Linnaeus wuchs als Sohn eines protestantischen Pastors in SĂĽdschweden auf dem Land auf. Eigentlich sollte er in die FuĂźstapfen seines Vaters treten – allein: Er gehörte in den dafĂĽr maĂźgeblichen Fächern Theologie, Griechisch und Hebräisch zu den schlechtesten SchĂĽlern. DafĂĽr ĂĽberragte er seine MitschĂĽler in Mathe und Physik. Ein Lehrer erkannte seine Begabung und unterrichtete ihn privat bei sich zuhause. Linnaeus schloss das Gymnasium ab und begann das Studium der Medizin zunächst in Lund, später in der Universitätsstadt Uppsala [Uppsála]. Vor allem interessierte er sich dort aber fĂĽr das Studienfach Botanik, er erforschte den Botanischen Garten der Uni und tat sich durch seine Sachkunde derart hervor, dass man ihm bald einen Lehrauftrag erteilte.Â
MUSIK m04 (CD701240020, The song of Iivana Onoila. Traditiona, Authentic Scandinavia 3, Kontio, Matti (Bearb.), 0:45 Min)
Mit 23 wurde er auf eine abenteuerliche Forschungsreise ins weithin unbekannte Lappland entsandt, dessen Flora und Fauna, Landschaften und Bewohner er genau beschrieb und mit Zeichnungen illustrierte.Â
ZITATOR 1
Hier war es, als wĂĽrde ich in eine neue Welt hinausgefĂĽhrt, und als ich in die Berge kam, wusste ich nicht, ob ich in Afrika oder Asien war, denn sowohl das Erdreich als auch die Lage und die Pflanzen waren mir vollkommen unbekannt.
ERZĂ„HLER
Nach seiner Rückkehr schrieb er an seinen ersten Werken zur Systematik der Pflanzen. Schließlich promovierte er in Medizin, ließ sich zunächst als Arzt nieder und bekam später eine Professur am Lehrstuhl für Botanik. Mit 50 wurde Carl Linnaeus in den Adelsstand erhoben und durfte sich fortan Carl von Linné nennen. Die Wissenschaftshistorikerin Kärin Nickelsen:
4. ZUSPIELUNG Nickelsen 8:18
„Linné war sehr, sehr erfolgreich darin, an seiner Karriere zu arbeiten, wenn man so möchte. Er studierte in Schweden, das war auch damals eher von den Zentren der Wissenschaft weit entfernt, und es gelang ihm aber dann, auf der damals üblichen großen Europa-Tour Kontakte zu knüpfen zu den besten Botanikern der Zeit, also in den Zentren wie vor allen Dingen Paris, was sehr wichtig war für die Wissenschaft der Zeit, aber auch in den Niederlanden, wo ganz wichtige Naturforscher ihre botanischen Gärten hatten, also für die Botanik vor allen Dingen oder in der Medizin. Durch diese Kontakte wurde es ihm ermöglicht, die Manuskripte, die er bereits mitbrachte, an angesehenen Druckereien drucken zu lassen. Er publizierte die Werke und sorgte dann dafür, dass diese auch breit gelesen und eben verkauft wurden.“
ERZĂ„HLER
LinnĂ© war ein unermĂĽdlicher Arbeiter, er veröffentlichte rund 20 BĂĽcher, die er in Neuauflagen immer wieder korrigierte und erweiterte, er korrespondierte mit anderen Wissenschaftlern und er hielt Vorlesungen. Die Studenten kamen aus ganz Europa, um von ihm zu lernen. Als Professor veranstaltete er regelmäßige Exkursionen rund um Uppsala, um mit den angehenden Forschern die heimische Flora und Fauna zu studieren. Diesen wissenschaftlichen Erkundungen der Natur schlossen sich manchmal bis zu 200 Teilnehmer an.Â
Mitzunehmen waren: LinnĂ©s Buch „Systema naturae“ ĂĽber die Systematik der Lebewesen, Lupe, Messer, BotanisierbĂĽchse zum Umhängen fĂĽr die Funde. Alle 30 Minuten wurden die gefundenen Exemplare nach Gattung, Art, Standort, Nutzen und Besonderheiten besprochen. Fand jemand eine Seltenheit, wurde das Waldhorn geblasen.Â
Waldhorn-Atmo?Â
ERZĂ„HLERÂ
In seiner Autobiographie erinnert sich Linné:
ZITATOR 1
„Und nachdem sie von morgens sieben bis abends neun Uhr mittwochs und sonnabends botanisiert hatten, kamen sie in die Stadt zurück mit Blumen auf den Hüten, begleiteten auch ihren Anführer mit Pauken und Waldhörnern durch die ganze Stadt bis zu dem Garten.“
ERZĂ„HLER
Zum Abschluss der Exkursion riefen die Teilnehmer laut:Â
MEHRERE (junge, männliche) STIMMEN?
Vivat Linnaeus!
MUSIK m07 (Z8033060122, New hope, Ice Word, Kreuzer, Anselm, 0:35 Min)
ERZĂ„HLER
Zu den wissenschaftlichen Verdiensten LinnĂ©s gehörte nicht nur sein Ordnungssystem fĂĽr Lebewesen. Er fĂĽhrte auch eindeutige wissenschaftliche Namen fĂĽr Pflanzen und Tiere ein. Insbesondere in der Botanik ein Meilenstein. Dazu reduzierte er die oft langatmigen Bezeichnungen von Pflanzen auf zwei Bestandteile.Â
Jede Pflanze erhielt sozusagen einen Vor- und einen Nachnamen – auf Latein. Der erste Teil des Namens bezeichnete die Gattung, der zweite die Art innerhalb der Gattung. Die binäre Nomenklatur war geboren – und damit unter anderem der Begriff Homo sapiens, den LinnĂ© ebenfalls prägte. Diese Systematik erwies sich im, bis dahin völlig unĂĽberschaubaren, Pflanzenreich als besonders hilfreich.Â
Ein Beispiel: Während einst den Schwalbenwurz-Enzian ein wahres Wortungetüm bezeichnete
ZITATOR 2 oder 3
Gantiana foliis avato-lanceolatis floribus campanulatis in alis sessilibus – zu Deutsch: Enzian mit eiförmig-lanzettenartigen Blättern und glockenförmigen Blüten in sitzenden Flügeln
ERZĂ„HLERÂ
So machte LinnĂ© daraus schlicht eineÂ
ZITATOR 1
Gentiana asclepiadea – zu Deutsch also: Schwalbenwurz-EnzianÂ
ERZĂ„HLERÂ
Der Vorteil dieser knappen, eindeutigen Benennung liegt noch heute auf der Hand - nicht nur fĂĽr Wissenschaftler, sondern fĂĽr alle, die mit Pflanzen zu tun haben, wie Renate Hudak vom Botanischen Garten Augsburg:Â
5. ZUSPIELUNG Hudak 0:16
„Damit kann ich mir immer sicher sein, dass, wenn ich mit jemandem anderen spreche, wir dieselbe Pflanze meinen.“Â
ERZĂ„HLERÂ
Noch heute tragen Pflanzen im alltäglichen Sprachgebrauch oft regional unterschiedliche deutsche Namen. Um Missverständnisse auszuschlieĂźen, hilft der RĂĽckgriff auf die LinnĂ©schen lateinischen Bezeichnungen weiter.Â
LinnĂ© fĂĽhrte nicht nur diese zweiteilige Nomenklatur ein, er entwickelte eine ganz neue Fachsprache und legte Methoden zur Erforschung der Pflanzen fest. Das alles in seinem Werk „Philosophia Botanica“.Â
7. ZUSPIELUNG Nickelsen 16.38
„Und was dieses Werk auch auszeichnet, ist, es ist nicht ein trockenes Lehrbuch der Botanik, sondern das ist eingeteilt in unterschiedliche Aphorismen könnte man sagen, in Sätze und dann Erläuterung, und es ist unglaublich witzig zum Teil, also geistreich. Bei den Namen zum Beispiel … sagt er etwa: Namen sind nicht zulässig, wenn sie anstrengend auszusprechen sind, wenn sie ekelhaft sind oder wenn sie länger sind als anderthalb Fuß. Und das erläutert er dann weiter und sagt, länger als eineinhalb Fuß ist ein Name, der mehr als zwölf Buchstaben hat.“
ERZĂ„HLERÂ
LinnĂ© ging bei seiner wissenschaftlichen Arbeit pragmatisch zu Werk und orientierte sich am praktischen Nutzen.Â
Die Botanik war seinerzeit dem „gottgegebenen“ System der Pflanzen auf der Spur, das es zu erkennen galt.Â
8. ZUSPIELUNG Nickelsen 5.10
„Aber Linné war sehr davon überzeugt, dass das zwar ein Ziel war, dass wir dies aber nicht erreichen können. Und dass wir … Kategorien brauchen, die wir nach unserem Gutdünken definieren, also dass wir Gruppen schaffen, mit denen wir gut arbeiten können… Das gelang ihm sehr, sehr gut. Hier hat er Klassen definiert und Ordnungen, also große Gruppen nach den sogenannten Sexual-Organen der Pflanzen. Das war schon bekannt, dass man so etwas wie eine sexuelle Fortpflanzung hat bei Pflanzen, und man musste dann … für diese übergeordneten Gruppen nur noch zählen. Also man musste zählen, wie viele Staubblätter und wie viele Stempel und Narben eine Pflanze hatte und konnte sie dann ins System einsortieren.“
ERZĂ„HLERÂ
LinnĂ©s systematischer Ansatz ermöglichte ihm eine geradezu enzyklopädische Leistung. Im Laufe seines Lebens beschrieb und benannte er schätzungsweise 16.000 Pflanzen- und Tierarten, viele davon Neuentdeckungen. Das tat er nicht eigenhändig, er konnte sich dabei auf ein weltumspannendes Netzwerk an Korrespondenten stĂĽtzen.Â
Sie alle arbeiteten schon bald nach seinem System.
10. ZUSPIELUNG Nickelsen 13.20
„Zum Teil waren das Schüler, zum Teil waren es auch Kollegen, mit denen er auf gutem Fuß stand, die durch die Welt reisten und ihm Pflanzen-Material zusandten, meistens als getrocknete Herbarexemplare, die er dann nutzte, um die neuen Pflanzennamen zu definieren und die dann in die nächste Auflage der Spezies Plantarum aufzunehmen. Das ist also ein Werk, das sehr häufig aufgelegt wurde, immer wieder überarbeitet und erweitert.“
ERZĂ„HLERÂ
Diese Arbeitsweise war damals unter Botanikern üblich – es herrschte ein Geben und Nehmen, man tauschte Pflanzenmaterial aus und teilte sein Wissen. Wobei Linnaeus sich in der damaligen Botaniker-Gemeinschaft einen eher zweifelhaften Ruf erwarb, wie die Wissenschafts-Historikerin Kärin Nickelsen berichtet.
11. ZUSPIELUNG Nickelsen 20.48
„Denn es war bald bekannt, dass Linné zwar von allen Pflanzenmaterial, getrocknete Pflanzen oder auch eingelegtes Material, bekam und auch darum bat oder sogar anforderte, aber kaum jemals etwas wieder verschickte. Also ein Korrespondenzpartner bezeichnete ihn einmal sehr schön als die Spinne im Netz.“
ERZĂ„HLERÂ
Dank dieser zentralen Stellung mit Verbindung in alle Welt gewann LinnĂ© in seinem abgelegenen Botanischen Zentrum im schwedischen Uppsala einen Ăśberblick ĂĽber die fĂĽr Europa bekannte Flora der Zeit. Und aus dieser Position heraus definierte er, welche Pflanze wo in dem System ihren Platz erhielt und vergab entsprechende Namen.Â
12. ZUSPIELUNG Nickelsen 13.30Â
„Und Linné nutzte seine Position als Autorität, um auch Gunst zu vergeben. Also er konnte auch mit Pflanzennamen zum Beispiel Kollegen feiern, die er besonders lobenswert fand und erwähnenswert fand, also seinen verehrten Lehrer zum Beispiel, Rudbeck, den ehrte er durch die Rudbeckia, also den Sonnenhut, eine ganz besonders schöne Pflanze in dieser Zeit.“
ERZĂ„HLERÂ
Kritiker seiner Arbeit dagegen konnte er schon einmal abstrafen durch seine Namensgebung. Â
13. ZUSPIELUNG Nickelsen 12.13
„Es gab einen Botaniker, der ihn besonders scharf kritisierte: Johann Georg Siegesbeck, und da hat Linné im Gegenzug etwas gemacht, was er auch häufiger machte, nämlich seine Position als Nomenklator, als derjenige, der Pflanzennamen vergab, ausgenutzt. Er hat also zu Ehren von Siegesbeck eine ganz besonders unscheinbare, unwichtige Pflanze Siegesbeckia genannt.“
ERZĂ„HLERÂ
Und Kritiker hatte Linnaeus durchaus. Vor allem sein sogenanntes Sexualsystem der Pflanzen stieĂź einigen Zeitgenossen peinlich auf. Denn LinnĂ© gruppierte die Pflanzen anhand ihrer Fortpflanzungsorgane. In Analogie zum menschlichen Sexualleben sprach er von den „Hochzeiten der Pflanzen“ und war ĂĽberzeugt, so die Umweltpädagogin Renate Hudak:Â
14. ZUSPIELUNG – Hudak 6:39
„Pflanzen haben eine Sexualität, und es gibt weibliche Blüten und männliche Blüten, und zum Teil wurde er dafür richtig angefeindet, weil das zu dieser Zeit eigentlich ein Unding war - zu sagen: das harmlose, friedliche Reich der Pflanzen wird jetzt auch noch damit verbunden.“
ERZĂ„HLERÂ
Auch wenn seine Beobachtung völlig richtig war – bei der Fortpflanzung von Pflanzen spielen männliche und weibliche Blütenorgane eine große Rolle – geriet er mit seinen Begriffen und seinen Beschreibungen in Konflikt mit den Moralvorstellungen seiner Zeit, sagt Kärin Nickelsen. Indes:
15. ZUSPIELUNG Nickelsen 11:25
„Er hat es auch genossen. Er hat auch geschrieben darĂĽber, wie etwa, wenn man eine Gruppe hatte, zum Beispiel mit einem Staubblatt und verschiedenen Narben oder Stempeln, dann nannte er dies Monandria, … und schrieb auch darĂĽber, dass hier also ein Mann mit vielen Frauen ins Bett geht - das war durchaus bewusst als Provokation gesetzt und wurde auch so gelesen.“Â
ERZĂ„HLERÂ
Gegen die gängigen Vorstellungen verstieß auch, dass er den Menschen in sein System der Tiere aufnahm, und zwar in eine Gruppe mit den Menschenaffen. Kärin Nickelsen:
16. ZUSPIELUNG Nickelsen 26:45
„Das war etwas, was den religiösen GefĂĽhlen der Zeit vollständig entgegenstand. … Also den Menschen als Krone der Schöpfung auf eine Stufe zu stellen mit eben Affen - dafĂĽr wurde er sehr kritisiert und blieb aber, hielt daran fest und sagte, als Naturforscher sehe er eigentlich keinen Grund, der dem irgendwie entgegenstand.Â
ERZĂ„HLER
Linné war durch und durch Wissenschaftler. Er fühlte sich dem verpflichtet, was sich beobachten ließ. Sein System und die Vereinfachung der Namensgebung bewirkten,
17. ZUSPIELUNG Nickelsen:
„dass im 19. Jahrhundert etwa das Botanisieren etwas wurde, was ein verbreitetes Hobby war, also gerade fĂĽr bĂĽrgerliche Familie in England ganz besonders, aber auch in anderen Teilen Europas, auch schicklich fĂĽr junge Damen, … also mit ganz wenig Vorbildung konnte man auf diese Weise eben Pflanzen, die man fand, da konnte man zunächst einmal zählen: Wie viele Staubblätter gibt es, wie viel Stempel gibt es, und wo gehört es dann zunächst mal rein als Klasse und Ordnung und sich dann also einen Zeitvertreib aneignen, der zugleich also gerade in England auch aufgeladen war mit theologischen Vorstellungen. näher. Also man konnte auf diese Weise mehr darĂĽber erfahren, wie Gott eben die Welt geordnet hat.“Â
ERZĂ„HLER
Vieles von dem, was LinnĂ© an Ideen schuf, hat noch heute Bestand.Â
Sein zweiteiliges System zur Benennung von Tieren und Pflanzen beispielsweise. Anderes dagegen war schon bald ĂĽberholt. Dass die Arten gottgeschaffen und konstant seien, wirbelte spätestens Charles Darwins Evolutionstheorie Mitte des 19. Jahrhunderts gehörig durcheinander.Â
Die Erkenntnis, dass sich Arten ĂĽber die Generationen hinweg entwickeln, war unvereinbar mit LinnĂ©s kĂĽnstlich definierten Kategorien.Â
Und: Längst ist klar, belegt auch durch die Genetik, dass morphologische Ähnlichkeiten eben nicht unbedingt Verwandtschaftsbeziehungen spiegeln.
MUSIK m01 (M0017672Z00, Into another dimension part 3, M0017672Z00, Rucker, Steve; Chase, Thomas Jones, 0:28 Min)
Carl von LinnĂ©s geniale Leistung bleibt dennoch zu wĂĽrdigen: Es gelang ihm, Ordnung zu schaffen angesichts einer unĂĽbersichtlichen und geradezu explodierenden WissensfĂĽlle.Â
Und was wäre eine Wissenschaft ohne Ordnung?!