Wasser ist der Quell des Lebens - aber auch schier ungeahnter Kräfte. Talsperren mit ihren Wassermassen hinter hohen Staumauern und Staudämmen sind wichtiger Bestandteil unseres Wasserhaushalts. Sie können Überflutungen verhindern, die Mauern für das Wasser dürfen aber selbst nie brechen. Autorin: Inga Pflug
Wasser ist der Quell des Lebens - aber auch schier ungeahnter Kräfte. Talsperren mit ihren Wassermassen hinter hohen Staumauern und Staudämmen sind wichtiger Bestandteil unseres Wasserhaushalts. Sie können Überflutungen verhindern, die Mauern für das Wasser dürfen aber selbst nie brechen. Autorin: Inga Pflug
Credits
Autor/in dieser Folge: Inga Pflug
Regie: Rainer Schaller
Es sprachen: Gabi Hinterstoisser, Christian Jungwirth
Technik: Tim Höfer
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview:
Thomas Keller, Leiter Wasserwirtschaftsamt Ansbach;
Helga Pfitzinger-Schiele, Wasserwirtschaftsamt Ansbach;
Professor Dr. Dirk Carstensen, Wasserbauingenieur. Technische Hochschule Nürnberg;
Georg Simon Ohm, Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft; Präsident des Deutschen Talsperrenkomitees;
Dr. Martin Meiske, Experte für Wissenschafts-, Technik- und Umweltgeschichte am Deutschen Museum
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Literaturtipps:
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Sprecherin:
Der Brombachsee im Fränkischen Seenland: Badestrände, Campingplätze und Freizeitanlagen, schattige Wälder, Bootsanlegestellen und Radwege locken hier Einheimische und Touristen an. Hier wird geangelt, dort gesurft oder mit dem Standup Paddle der See erkundet. Wasservögel ziehen hier ihre Bahnen, Wellen schwappen ans Ufer, 8,7 Millionen Quadratmeter Wasserfläche bietet allein der Große Brombachsee mit seinen gut fünf Kilometern Länge. Er ist damit fast so groß wie der bayerische Tegernsee …
MUSIK m02(M0010586002, Bioreactor, Science in motion, Backes, Daniel; Moslener, Peter, 0:33 Min)
Sprecher:
… doch dieses Natur-Idyll ist nicht natürlich. Das wird an der Brombachsee-Ostseite deutlich: Große Steine säumen hier die Wasserkante – und auffällig gerade steigt hier eine Böschung empor. Nur mit Gras bewachsen und oben so breit, dass Fahrzeuge den Weg auf der Kuppe entlangfahren können.
Ganze 1,7 Kilometer erstreckt sich der hohe Wall von einer Uferseite zur anderen. Und beim Blick von oben auf die wasserabgewandte Seite hinunter wird klar: Dieser Wall bildet eine Wand und hindert die schier unvorstellbaren Wassermassen des Sees daran, sich ins darunterliegende Tal zu ergießen – es zu überfluten. Es ist der Hauptdamm des Brombachsees.
01 Pfitzinger-Schiele:
Hier sieht man schön diese Mächtigkeit des Dammes und eben auch diese Abstufung im Prinzip: Oben ist er schmäler und er wird dann immer breiter. Und das ist im Prinzip das Gewicht, das dann diesen Damm auch hält.
Sprecherin:
Erklärt Bauingenieurin Helga Pfitzinger-Schiele. Sie arbeitet beim Wasserwirtschaftsamt Ansbach und erklärt: Der Staudamm muss nicht nur Wind und Wetter trotzen, sondern auch 144 Millionen Kubikmeter Wasser im See halten. Also 144 Millionen mal 1.000 Liter. Zum Vergleich: Ein Schwimmbecken von 50 mal 20 Metern und 2 Metern Tiefe fasst zwei Millionen Liter Wasser. Das wären 72000 Schwimmbecken.
Sprecher:
Entsprechend hoch ist der Staudruck des Wassers.
Um das Wasser im Tal sicher zu stauen, sind für den Hauptdamm am Großen Brombachsee rund 3,5 Millionen Kubikmeter Erdreich nötig – das haben genaue Berechnungen ergeben.
Sprecherin:
Im Querschnitt sieht der Staudamm wie in Trapez aus. Also unten breit und oben schmal, bestehend aus mehreren Erd-Schichten.
02 Pfitzinger-Schiele:
Der hat in der Mitte im Prinzip einen Dichtkern und an diesem Dichtkern angelagert ist dann das homogene Material, dichte Material, und außen drauf, also das letzte dann, um im Prinzip das Gewicht auch für den Damm herzustellen, ist dann der Stützkörper.
Sprecherin:
… beschreibt Helga Pfitzinger-Schiele. Lapidar gesprochen sorgt der Stützkörper also dafür, dass das Wasser den Damm nicht wegschiebt. Auf einer Schemazeichnung sieht es aus, als lehnten Erdmassen von beiden Seiten an einer senkrecht stehenden Mauer. Wobei:
03 Keine Mauer:
Keine Mauer, sonders das ist auch Erdmaterial, aber hoch vergütet, also wirklich kaum durchlässig. Und das ist also dieser Dichtkern, so bezeichnen wir das, und außen ist dann im Prinzip noch vergütetes Material, Dichtmaterial und dann kommt der Stützkörper.
Sprecherin:
36 Meter ist die künstliche Böschung hoch – unten 150 Meter breit. Und damit kein Wasser unter dem Damm hindurch laufen kann, ist auch der Sandstein unterhalb des Damms noch einmal abgedichtet: Ein bis zu 38 Meter tiefer Schlitz ist hier in den Untergrund gefräst und mit Beton verfüllt. So dass das Wasser, das der Staudamm quer zur Fließrichtung im Tal absperrt, insgesamt auf mehr als 70 Metern Höhe auf eine Barriere trifft.
MUSIK m03 (C1589890109, Drytech, Reduced and neutral - Music for film, Kreuzer, Anselm C.; Delmonte, Tony, 0:51)
Sprecher:
So oder so ähnlich sehen Staudämme an Talsperren weltweit aus. Sie halten den Wassermassen quasi durch ihr Eigengewicht und den flachen Böschungswinkel Stand. Je höher das Wasser eingestaut werden soll, desto breiter muss auch der Damm werden.
04 Carstensen:
Also ich beschreibe es den Studierenden immer so: einen Meter nach oben, drei Meter nach rechts und die Schräge, die sich dadurch ergibt, so wäre der Damm dann jeweils geneigt.
Sprecherin:
… erklärt der Wasserbauingenieur Professor Dirk Carstensen die Faustformel. Er lehrt an der Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm. Außerdem ist er Präsident des Deutschen Talsperrenkomitees
Sprecher:
Die Faustformel bedeutet auch: Da geht es ganz schön in die Breite. Bei 50 Metern Höhe schon 150 Meter Breite – auf beiden Seiten des Trapez‘. Die Kronenbreite dazu gerechnet, steht so ein Damm dann rund 315 Meter breit in der Landschaft.
Sprecherin:
Der Platzbedarf ist also enorm und nicht überall lassen sich solche schieren Massen an Material beschaffen oder hinbewegen.
Sprecher:
Wo kein geschütteter Staudamm zum Einsatz kommen kann, setzen Wasserbauingenieure auf massive Staumauern, die danach klassifiziert werden, wie sie den Wassermassen standhalten. Eine gängige Bauweise sind sogenannte Gewichtsstaumauern, beschreibt der Wasserbauingenieur:
06 Carstensen:
Die haben also eine relativ gerade Vorderfront und sie haben dann in der Regel eine Dreiecksform nach hinten. Was mit der eigentlichen Masse oder der Gewichtskraft zu begründen ist, dass das Ding gegen den Wasserdruck, der von der Wasserseite kommt, auch dort stehen bleibt und nicht weggeschoben werden kann. Das Wasser, wenn es in der Höhe da vor der Mauer steht, will es ja eigentlich die Mauer wegschieben. Und damit das nicht möglich ist, wird das Ding so gebaut. Es kippt dann nicht, das Ganze, durch diese Dreiecksform. Und es ist auch schwer genug, dass es stehenbleibt. Zusätzlich ist es natürlich an den Flanken und im Untergrund verankert.
Sprecherin:
Auch sogenannte Pfeiler-Staumauern tragen den Staudruck des Wassers dank ihres Eigengewichts in die Umgebung ab. Beide kommen in breiteren Tälern mit tragfähigem, felsigem Untergrund in der Talsohle in Betracht.
Sprecher:
Bogen-Staumauern dagegen nutzen statisch-wirksame Formen, um dem Wasserdruck Stand zu halten: Ähnlich wie die Gewölbe von Kirchendächern leiten sie die Kräfte in die Umgebung ab, also in die Hänge oder Gebirgsflanken. Die Bogen-Staumauer selbst wölbt sich dabei dem Wasser entgegen. Im Vergleich zu Staudämmen wirken Staumauern geradezu zu filigran.
Sprecherin:
Gemeinsam haben die unterschiedlichen Formen der Absperrbauwerke aber vor allem eins: jedes ist ein Unikat, angepasst an seinen individuellen Standort, betont Dirk Carstensen.
07 Carstensen:
Man muss den Fluss angucken. Man muss das Tal angucken. Man muss eine vernünftige Basis haben für Stauraum und Größe des Bauobjektes. Die Standsicherheit ist eine ganz wichtige Frage; Nutzungen, die dann später damit verbunden sind. Und ich denke natürlich auch an viele ökologische Fragen. Aber ich will deswegen nicht sagen, dass wir keine Möglichkeiten hätten. Wir haben Möglichkeiten, um auch solche Objekte in Zukunft in Deutschland noch zu errichten.
MUSIK m04 (Z8021443110, ARD-Labelmusik Celestial red, Filled with wonder. Music for film, Koerner, Michi; Watzinger, Sebastian, 0:34 Min)
Sprecher:
Die Gründe für den Bau von Talsperren sind vielfältig: Staubecken nehmen Wasser auf und speichern es – und aus den Staubecken kann das gespeicherte Wasser dann wieder kontrolliert abgegeben werden.
Somit dienen Stauseen als Puffer und Zwischenspeicher bei Hochwasser – und bei Trockenheit können die Flusspegel unterhalb aus dem Reservoir gespeist werden. „Niedrigwassererhöhung“ ist hier der Fachbegriff.
Sprecherin:
Aber das ist nicht das einzige. Mittels Wasserkraft kann Strom erzeugt werden. Und das Oberflächenwasser kann zu Trinkwasser aufbereitet werden – wie etwa an den Trinkwassertalsperren Mauthaus in Oberfranken oder Frauenau in Niederbayern.
Sprecher:
Und noch etwas: Stauseen können dem Freizeitsport dienen, sind Erholungsgebiete, Tourismusmagnete und Wasserreservoir für Landwirtschaft und Industrie.
Sprecherin:
Die Landschaft zu formen und ihre Wasserführung zu verändern – ein früher Wunsch der Menschheit:
08 OT Meiske:
Zu den ältesten bekannten Dammprojekten, wenn man so möchte, gehören jene, die so am Euphrat und Tigris, in Mesopotamien und im Mittleren Osten so um 3.000 bis 2.500 vor unserer Zeitrechnung entstanden. Aber auch für die Zeit des römischen Imperiums so gerade im ersten und zweiten Jahrhundert sind einige antike Staudämme überliefert, …
Sprecherin:
… sagt Dr. Martin Meiske, Experte für Wissenschafts-, Technik- und Umweltgeschichte am Deutschen Museum.
09 OT Meiske:
Also vor allem in den Provinzen des Imperiums, die im heutigen Nordafrika, Vorderasien, aber eben auch auf der iberischen Halbinsel liegen. Das heißt, wir haben auch heute noch zumindest in Teilen erhaltene Dämme, die in Spanien zu finden sind. Und jetzt mal so, um einige Beispiele aus dieser antiken Kategorie zu nennen, es gibt den See von Homs in Syrien oder die Proserpina-Talsperre in Spanien, die sind noch erhalten, oder da gibt es zum Teil dann eben modernere Überbauten, die man sich anschauen kann.
Sprecherin:
Diese frühen Bauwerke – meist Stein- oder Erdschüttdämme – dienten wohl vor allem der Bewässerung und sollten vor der zerstörerischen Kraft des Wassers bei Überflutungen schützen.
MUSIK m05 (C1165540005, In carta, Neo String Quartet, Le procédé Rodesco / Letort, 0:18 Min)
Sprecher:
Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts dürfte es dagegen das Verlangen nach der energetischen Kraft des Wassers sein, die das Interesse an Talsperren intensiviert:
10 Meiske:
Wir befinden uns in dieser Hochphase der Elektrifizierung: beleuchtete Städte, elektrische Antriebe, Transformation in Industrie und Mobilität. In der Zeit werden eben diese größeren Wasserturbinen auch entwickelt, und in Kombination mit entsprechenden Generatoren kann man dann größere Mengen an Strom produzieren. Und natürlich entwickeln sich diese Baumaterialien auch weiter. Ja, also, es werden in dieser Zeit im Lauf des zwanzigsten Jahrhunderts Unmengen an Beton genutzt und dessen Einsatz und Qualität entwickelt sich Anfang des 20. Jahrhunderts natürlich deutlich.
Sprecher:
1924 wird im Süden Deutschlands das Walchensee-Kraftwerk fertiggestellt, das heute als Wiege der industriellen Stromerzeugung in Bayern gilt; in den 1950ern entsteht im Allgäu durch den Roßhaupten-Damm schließlich der Forggensee, der flächenmäßig größte Stausee Deutschlands.
11 Meiske:
Es gibt einen ganz großen Antrieb in den 30er und 40er Jahren auf beiden Seiten des Atlantiks. Aber die Hochphase ist tatsächlich eher so in den Fünfziger und 70er-Jahren also, was man jetzt im gemeinhin so als die Zeit der großen Beschleunigung, des globalen Wirtschaftswachstums und der Ressourcenmobilisierung beschreibt. Und dafür ist eben Wasserkraft auch ein Teil davon.
MUSIK m06(Z8022142115, Checkless progress (b), Engineering science, Jebsen, Lars, 0:27 Min)
Sprecherin:
Das weltweite Talsperrenregister der Internationale Kommission für große Talsperren listet mehr als 59.000 große Talsperren.
Als „groß“ gilt eine Talsperre dann, wenn es vom tiefsten Punkt der Gründung bis zur Krone des Damms mehr als 15 Meter sind. Oder auch, wenn mehr als drei Millionen Kubikmeter Wasser gestaut werden.
Maßstäbe, die die mittlerweile gebauten oder geplanten Absperrbauten längst übertreffen: 300 Meter und mehr messen die höchsten Bauwerke auf der Liste der Internationalen Kommission.
Sprecher:
Damit sind sie zwar „nur“ so hoch wie etwa der Eiffelturm in Paris – doch die Absperrwerke stehen ja eben nicht frei in der Luft, sondern stemmen sich riesigen und somit gewichtigen Wasserreservoirs entgegen. Die Volumina der Speichervermögen sind so groß, dass sie nicht in Millionen, sondern in Milliarden Kubikmetern angegeben werden.
Sprecherin:
Und – auch das gehört zur Wahrheit über Talsperren: Die Bauwerke bringen nicht nur Licht, sondern auch Schatten in die Täler:
12 Meiske:
Weil diese Eingriffe natürlich starke Nebeneffekte haben wie Erosion, Abfall von Grundwasser in den Regionen…
Sprecherin:
…sagt Technik- und Umwelthistoriker Martin Meiske – aber nicht nur das:
13 Meiske:
Man schätzt so ungefähr, dass so 40 bis 80 Millionen Menschen inzwischen umgesiedelt werden mussten. Oft ist es auch so, dass die ländlichen Gemeinden, die dann da häufig ja betroffen sind, auch andere Formen der Landschaftsnutzung oder auch der Wassernutzung haben, die damit in Konflikt stehen, mit diesen Ausbauten.
Sprecherin:
… die dann aber den Wassermassen weichen müssen.
14 Meiske:
Das sind ja oft ländliche Gemeinschaften, teils indigene Communities. Das sind dann ganz asymmetrische Machtkonflikte mit großen Unternehmen, mit Staaten, die sozusagen dann diesen Ausbau vorantreiben. Und da werden natürlich auch nicht zuletzt die Agrarflächen und Flussläufe, sondern auch so erinnerungskulturell bedeutende Stätten durchschnitten oder überflutet. Und das ist auch Teil des Konflikts.
Sprecherin:
Dazu kommen Auswirkungen auf das Ökosystem, wenn aus Feldern und Wiesen plötzlich Seen werden – oder Flussbetten nicht mehr trockenfallen. In aufgestauten Seen können sich Mückenlarven vermehren, die Krankheiten übertragen. Künstliche Dauerbewässerung kann zu einer Versalzung des Bodens führen, und ausbleibendes Wasser unterhalb von Talsperren hat nicht nur Auswirkungen auf die Fischpopulationen und deren Wanderrouten, sondern auch auf die Menschen am Unterlauf der Flüsse, die gegebenenfalls vom Fischfang leben.
Sprecher:
In den 1990er-Jahren drängen Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen daher darauf, die sogenannte “World Commission on Dams“ einzusetzen. Das Expertengremium spricht in seinem Abschlussbericht im Jahr 2000 von einem positiven Effekt von Staudämmen auf die Entwicklung vieler Länder – denen aber oft enorme soziale und ökologische Schäden gegenüberstünden.
Sprecherin:
In Bayern etwa fordern verschiedene Gemeinden einen Ausgleich für ihre Leistungen und die Nachteile, die für sie entstehen, weil sie Trinkwasser bereitstellen. Der Markt Nordhalben im Landkreis Kronach gehört zum Beispiel dazu: Auf seinem Gebiet liegt Bayerns erste Trinkwassertalsperre Mauthaus, auch Ködeltalsperre genannt. Sie versorgt 70 oberfränkische Kommunen mit Trinkwasser – die Lasten durch strenge Auflagen trage aber die wasserliefernde Kommune, so die Argumentation.
Sprecher:
Nicht zuletzt gehört zur Geschichte der Dämme außerdem auch die Geschichte der Damm-Katastrophen. Deren Liste ist lang. Martin Meiske nennt als Beispiel etwa die Katastrophe von Vajont, in den 1960er-Jahren in Italien:
15 Meiske:
Durch den besonderen Druck, der auf das Tal entstanden war, gab es hier sozusagen Erdrutsche, die zu einer Flutwelle geführt haben, der schätzungsweise 2.000 Menschen zum Opfer gefallen ist. Der San Francis Damm in Kalifornien zum Beispiel 1928, wo über 400 Leute dann im Rahmen der Überflutung gestorben sind. Oder wir wissen natürlich auch aus aktuellen Konfliktsituationen, dass so ein Damm auch Ziel von kriegerischen Angriffen sein kann. Mann schafft natürlich, oder man konzentriert ein gewisses Risiko durch diesen Dammbau.
ATMO Damm außen
Sprecherin:
Zurück am Großen Brombachsee im Fränkischen Seenland: Gespeist mit den Hochwassern der Altmühl ist der See seit dem Jahr 2000 vollständig eingestaut.
Sprecher:
Nur den wenigsten Wassersportlern, Wanderern und Radfahrern dürften die weißen Quader auffallen, die an der Böschung des Hauptdamms in regelmäßigen Abständen aus dem Gras ragen. Messpunkte für die Dammüberwachung, erklärt Thomas Keller vom zuständigen Wasserwirtschaftsamt:
16 Keller:
Also wir haben über 4.000 Messpunkte, die untersucht werden. Wir untersuchen Damm-Verformungen, wir untersuchen Höhenlagen, wir untersuchen Wasserdrücke, also ein Potpourri oder ein Blumenstrauß an Sicherheitsmessungen. Und wenn Sie rein optisch – und auch das gehört dazu, regelmäßige Damm-Begehungen – eine feuchte Stelle erkennen würden, dann müssten sofort die Alarmanzeichen losgehen.
Sprecherin:
Auch überspült werden darf der Damm nie. Sogenannte Hochwasserentlastungsbauwerke schützen bei Stauanlagen daher vor einem unerwünschten oder unkontrollierten Anstieg des Wasserspiegels im Staubecken. Quasi wie der Überlauf bei einem Waschbecken – die kleine Öffnung oben am Rand, die das Wasser ableitet, bevor es über den Beckenrand schwappt und das Badezimmer überschwemmt– leiten diese Entlastungsbauwerke ein Zuviel an Wasser ab, bevor es durch ein Überlaufen Schaden anrichten würde.
Sprecher:
Kontrolliert wird aber nicht nur von außen:
Etwas abseits, hinter einem Zaun, liegt der Zugang zum sogenannten Krafthaus. Zwei Durchströmturbinen und Generatoren erzeugen hier Strom aus dem Wasser, das aus dem See abgelassen wird. Quasi nebenbei, denn der eigentliche Zweck des Speichersees ist die Anhebung der Niedrigwasserführung in den Flüssen unterhalb.
Zutritt haben hier nur Berechtigte. Denn von hier aus führt auch ein Tunnel in den Damm.
ATMO Kraftwerk
ATMO Schlüssel
18 Keller:
Also, wir sind jetzt im Damm des großen Brombachsees. Wir laufen quasi jetzt in Richtung Wasserfläche, in das Dammbauwerk hinein und da hindurch und sind am Ende dieses Kontrollwegs dann rund 30 Meter unter Wasserstand.
ATMO Damm innen
Sprecherin:
In regelmäßigen Abständen sind Druckanzeiger an den Betonwänden des Gangs angebracht. Farbige Markierungen am Boden und an den Seiten dienen als Orientierung für Messungen, jede Fuge ist bemaßt, so dass jede Veränderung bemerkt werden würde.
In der Mitte des Damms angekommen, führt eine schmale Treppe ein Stück im Damm nach oben. Hier verläuft der Kontrollgang einmal durch die komplette Länge des Damms: 1,7 Kilometer. Neonröhren erhellen den Tunnel, der sich in der Ferne in einer ganz leichten Biegung verliert.
Ein leises Plätschern erinnert daran, dass auf der anderen Seite der Betonwand ein riesiger See liegt. Ein Plätschern, das für Thomas Keller kein Grund zur Beunruhigung ist:
ATMO Sickerwasser
19 Keller:
Das ist jetzt eine Zusammenfassung von mehreren Blöcken, wo wir das anfallende Sickerwasser, was immer kommt, ein Erdbauwerk ist ja nie hundertprozentig dicht, anfällt. Und für uns ist eben wichtig: Wieviel ist es? Ist es im tolerierbaren Rahmen? Haben wir eine Veränderung? Gibt es eine Tendenz nach oben, ist es gleichbleibend – also das ist für uns, drum müssen wir es auch wiederkehrend immer wieder messen. Wird auch aufgezeichnet, dass die geringste Abweichung eventuell zu Maßnahmen führen würde.
Sprecherin:
Als letzter Ausweg aus einer Katastrophe bliebe die Notabsenkung. Dann würde dem Brombachsee quasi der Stöpsel gezogen und die Flüsse unterhalb müssten das Wasser ableiten. Entsprechend hohe Pegelstände wären die Folge.
MUSIK m03 (C1589890109, Drytech, Reduced and neutral - Music for film, Kreuzer, Anselm C.; Delmonte, Tony, 0:31)
Sprecher:
Wasser ist der Quell des Lebens, wo es fehlt, geht nichts mehr: Industrie, Schifffahrt und Landwirtschaft hängen vom Wasser ab. Es erzeugt Energie und ist nicht zuletzt unser wichtigstes Lebensmittel. Gleichzeitig bedroht es uns bei Starkregenereignissen und Unwettern, klimawandel- und jahreszeitlich bedingt mit seiner schieren Kraft und Masse.
Für Wasserwirtschaftler wie Dirk Carstensen vom Deutschen Talsperrenkomitee sind Stauanalgen deshalb elementare Werkzeuge – und zwar sowohl im Nutz- als auch im Schutzwasserbau. Auch wenn nicht immer alles gleichzeitig zu haben ist:
21 Carstensen:
Wenn ich zum Beispiel Wasserkraft betreiben will, dann brauche ich viel Wasser, also hohe Wasserstände. Wenn ich aber andererseits Hochwasserschutz betreiben will, dann sollte ich vor dem Hochwasser möglichst viel Platz in meiner Talsperre haben, damit ich das Hochwasser aufnehmen kann. Da haben wir einen gewissen Widerspruch. Touristische Nutzung und Trinkwasser – ja, das sind zum Teil konkurrierende Zwecke. Die Betreiber versuchen dort, das entsprechend auszugleichen und möglichst viele Zwecke anzubieten. Aber es gibt durchaus ausschließende Faktoren, ausschließende Kriterien.
MUSIK m02 (M0010586002, Bioreactor, Science in motion, Backes, Daniel; Moslener, Peter, 0:43 Min)
Sprecherin:
So sind beispielsweise Trinkwassertalsperren zwar hervorragende Naherholungsgebiete – Wassersport sollte dort aber eben nicht betrieben werden.
22 Carstensen:
Es werden immer mehr Menschen, immer mehr Menschen brauchen immer mehr Wasser. Und wir sehen ja selber, wie es ist, wenn wir aus dem Grundwasser ziehen und der Regen nicht hinterherkommt, dass wir dann auch Defizite kriegen können.
Sprecher:
… argumentiert Dirk Carstensen. Angesichts des Klimawandels wäre der Bau weiterer Stauanlagen für ihn eine logische Konsequenz.
23 Carstensen:
Zum Trinken, zum Waschen, zum Duschen: 570 Millionen Kubikmeter Wasser, das sind ungefähr zehn Prozent der Wasserversorgung, werden im Moment aus Talsperren bestritten, in Deutschland. Das könnten und werden wahrscheinlich auch in Zukunft mehr werden. Und wir müssen uns darüber Gedanken machen, wie wir dieses Wasser bereitstellen wollen – und da bin ich nun mal auch in meiner Funktion beim deutschen Talsperrenkomitee mehr oder weniger verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass Talsperren eine ideale Möglichkeit dafür sind, Wasser zu sparen und verschiedene Zwecke damit zu betreiben.
Sprecherin:
Für andere „bodengebundene“ Zwecke wäre so ein geflutetes Tal dann allerdings verloren. Weshalb neben allen geologischen und wirtschaftlichen Faktoren gesellschaftlicher Konsens eine Grundvoraussetzung für den Bau neuer Staudämme, Staumauern und Talsperren sein muss.