radioWissen - Bayern 2   /     Die Wetterpropheten - Wie Meteorologen Sonne und Regen vorhersagen

Description

Unwetter oder Sonnenschein? Wettervorhersagen sind in den letzten Jahrzehnten immer zuverlÀssiger geworden. Dank des "Chaos im Wetter" werden sie allerdings immer ein Wagnis bleiben. (BR 2018) Autor: Martin Schramm

Subtitle
Duration
00:21:58
Publishing date
2023-11-29 03:00
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/die-wetterpropheten-wie-meteorologen-sonne-und-regen-vorhersagen-1/2084038
Contributors
  Martin Schramm
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2084038/c/feed/die-wetterpropheten-wie-meteorologen-sonne-und-regen-vorhersagen-1.mp3
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Shownotes

Unwetter oder Sonnenschein? Wettervorhersagen sind in den letzten Jahrzehnten immer zuverlÀssiger geworden. Dank des "Chaos im Wetter" werden sie allerdings immer ein Wagnis bleiben. (BR 2018) Autor: Martin Schramm

Credits
Autor/in dieser Folge: Martin Schramm
Regie: Dorit Kreissl
Es sprachen: Rahel Comtesse, Andreas Neumann, Jennifer GĂŒzel, Clemens Nicol
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Nicole Ruchlak

Interviewpartner/innen:
Gerhard Lux (DWD);
Hans-Joachim Koppert (DWD);
Felix Ament (Professor; UniversitÀt Hamburg)

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Das vollstÀndige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ATMO – Wasser, Bach

ZSP-COLLAGE (Berichte zur Katastrophe in Simbach)

SPRECHER: 

Simbach am Inn, 1. Juni 2016: Ein unscheinbarer Bach verwandelt sich in einen reißenden Strom.

SPRECHERIN: 

Die Wassermassen fluten HĂ€user, reißen Autos mit sich – und fordern dort am Ende sieben Menschenleben.

SPRECHER: 

Die Katastrophe kommt schnell und ĂŒberraschend: Die Behörden können die Menschen nicht rechtzeitig warnen.

01-O-TON Koppert - Simbach

„Die Herausforderung war, dass diese Gewitter sich chaotisch verhalten haben...

SPRECHERIN: 

Der Meteorologe Hans-Joachim Koppert - er leitet beim Deutschen Wetterdienst die Wettervorhersage.

O-TON

Oft ist es so, dass Gewitter immer eine sehr eindeutige Zugrichtung haben. Wir können genau sagen, wann die wo ankommen, aber hier haben sich die Gewitter relativ chaotisch verhalten, so dass das sehr sehr schwer abzuschÀtzen war. 

Das war auch sehr kleinrĂ€umig, und auch sehr intensiv und diese Fluss-Einzugsgebiete, bzw. Bach-Einzugsgebiete besser gesagt, waren natĂŒrlich auch sehr sehr klein.“ 6:05

SPRECHER:

 „Wetter-Vorhersage“ war und ist also ein heikles GeschĂ€ft.

Doch Unsicherheiten hin oder her - unterm Strich ist die Geschichte der Wettervorhersage eine Erfolgsgeschichte.

SPRECHERIN:

Eine 6-Tage-Prognose ist heute beispielsweise genauso zuverlÀssig wie eine 24-Stunden-Vorhersage im Jahr 1968. - Eine erstaunliche Leistung.

SPRECHER: 

Um so weit zu kommen, mussten sich die „Wetterpropheten“ allerdings ganz schön ins Zeug legen.

Musik – M 1 Weather Satellite – LĂ€nge: 1:00

ZITATOR-1

Messen fĂŒr die WetterkĂŒche - oder: Mehr als Gas und Luft

ZITATOR-2 (1780)

„Die Wissenschaften, die einen unmittelbaren Einfluss auf des Menschen Leben und seine tĂ€gliche BeschĂ€ftigung haben, verdienen eine besondere Beachtung, Aufmerksamkeit und FĂŒrsorge. Aus diesen GrĂŒnden haben Seine KurfĂŒrstliche Durchlaucht die Witterungslehre ihres höchsten Schutzes gewĂŒrdigt und Anstalten treffen lassen, dass an mehreren wichtigen Orten der kurfĂŒrstlichen Erblanden, auch in anderen Gegenden Europas und der ĂŒbrigen Weltteile kĂŒnftig mit gleichartigen Instrumenten tĂ€gliche Beobachtungen gemacht und eingesammelt werden.“ 

SPRECHERIN: 

Mannheim 1780 - KurfĂŒrst Karl Theodor grĂŒndet die „Societas Meteorologica Palatina“, bekannt auch als „Mannheimer Meteorologische Gesellschaft“.

SPRECHER: 

Diese Gesellschaft vollbringt eine Pioniertat: Sie fĂŒhrt Wetterbeobachtungen rund um den Globus durch und veröffentlicht sie - von Nordamerika ĂŒber Grönland, Nord- und Mitteleuropa bis nach Russland.

SPRECHERIN: 

Der Meteorologe Gerhard Lux vom Deutschen Wetterdienst:

03-O-TON Lux - Mannheim

„Das begann etwa 1781 - und diese Messstellen waren alle mit den gleichen Instrumenten ausgestattet und die Daten sind ja heute noch verfĂŒgbar, entsprechen dem, was man heute unter Wetter-Messungen auch versteht.“ 11:30

SPRECHERIN: 

Gemessen wurde tĂ€glich, zu regelmĂ€ĂŸigen Uhrzeiten - mit einem ganzen Arsenal an Messinstrumenten: Thermometer, Barometer, Hygrometer - allesamt geeicht und justiert versteht sich, um auch tatsĂ€chlich vergleichbare Werte zu erzielen.

SPRECHER: 

Hinzu kamen Elektrometer, um die LuftelektrizitÀt zu messen, aber auch Windmesser, Regenmesser, Verdunstungsmesser usw.

SPRECHERIN: 

Gefragt waren prÀzise Daten, um das launische PhÀnomen Wetter naturwissenschaftlich in den Griff zu kriegen. - Gerhard Lux:

04-O-TON Lux – Zusammenschau

Aus der Zusammenschau dann, spĂ€ter, nachdem die Daten zusammengetragen waren, konnte man auch feststellen: Es gibt tatsĂ€chlich Luftdruck-Unterschiede, es gibt hier so etwas wie hoher Luftdruck, niedriger Luftdruck, tiefer Luftdruck - und das Wetter ist eher schlecht da, wo tiefer Luftdruck herrscht. Das Problem damals war, dass die Datenerhebung und die Daten zusammenzutragen per reitender Bote natĂŒrlich ĂŒber viele Wochen angedauert hat. Das war ein naturwissenschaftliches Problem, was erst geklĂ€rt oder gelöst wurde, mit etwas ganz anderem: Mit der Erfindung der ElektrizitĂ€t und dem Morse-Apparat.“

SPRECHER: 

Denn erst als man Wettermessungen blitzschnell von a nach b ĂŒbertragen konnte, um die Daten zentral zu sammeln und auszuwerten, - erst dann wurde „Wettervorhersage“ ĂŒberhaupt erst möglich:

MUSIK M 2  Shoot the Loop – LĂ€nge 0:55

SPRECHERIN: 

Wettervorhersage ist ein zeitkritisches GeschÀft. Geschwindigkeit ein entscheidender Faktor.

SPRECHER: 

Tausende von Messstellen sammeln daher nicht nur Wetterdaten weltweit, rund um die Uhr: Luftdruck, Lufttemperatur, Luftfeuchte, Windgeschwindigkeit, Windrichtung, Sonnenschein, NiederschlÀge usw. - Die nationalen Wetterdienste dieser Welt teilen diesen wertvollen Datenschatz auch miteinander, stehen permanent im Austausch. Jeder profitiert so vom anderen.

SPRECHERIN: 

Die meisten Messstationen arbeiten dabei inzwischen vollautomatisch. Sensoren ĂŒberwachen sich sogar gegenseitig, um automatisiert mögliche Fehler und Ausreißer aufzuspĂŒren.

06-O-TON Lux - ÜberprĂŒfungs-Algorithmen

„Wenn beispielsweise der eine Sensor sagt: Ich messe hier Nieselregen! - Und der andere sagt: Kann nicht sein, weil es regnet gar nicht! - Dann wissen wir: Hier stimmt was nicht! – Dann gehen die Alarmglocken an.“ 25:45

ATMO Satellit

SPRECHER: 

Die QualitĂ€t von Wettervorhersagen ganz entscheidend vorangebracht hat allerdings noch etwas anderes: UnermĂŒdliche SpĂ€her aus dem All.

SPRECHERIN: 

Satelliten, die ihre Augen auch auf jene Regionen richten, in denen es am Boden gar keine Messstationen gibt:

07-O-TON Lux - DatenwĂŒstenproblem

 „Schauen wir auf die SĂŒdhalbkugel. Da sind es 80% an Wasser - und es gibt Gegenden, wo auch normalerweise nie ein Flugzeug entlang fliegt, noch ein Schiff unterwegs ist - es sei denn, es wĂ€re ein Forschungsschiff. Also da haben wir tatsĂ€chlich große Probleme, Daten aus diesen Bereichen zu bekommen.“ 

MUSIK  M 3 Radar (1) - LÀnge: 1:00

SPRECHERIN: 

Wettersatelliten helfen, diese LĂŒcken zu schließen: Sie messen die reflektierte Sonnenstrahlung, die Strahlung der Erde und der AtmosphĂ€re.

SPRECHER: 

Und diese Strahlung liefert nicht nur jede Menge Informationen ĂŒber den Zustand der AtmosphĂ€re, also der GashĂŒlle und „WetterkĂŒche“ unseres Planeten. Sie liefert auch Daten ĂŒber die Land- und MeeresoberflĂ€chen, also zum Beispiel die Temperatur des Erdbodens und der WasseroberflĂ€chen. QuantitĂ€t und QualitĂ€t dieser Daten hat sich in den letzten Jahren enorm verbessert.

SPRECHERIN: 

Dieser „Blick aus dem All“ wird aber noch kombiniert mit einem weiteren „Fernerkundungstool“ - ein Werkzeug namens „Wetterradar“.

SPRECHER: 

Siebzehn Standorte in Deutschland machen sichtbar, was sich in den rund zwölf Kilometern direkt ĂŒber unseren Köpfen abspielt:

08-O-TON Lux - Wetterradar

31.20 „So können wir auch verfolgen natĂŒrlich wo sich Regengebiete aufbauen, wir können in etwa auch darstellen, ĂŒber die Analysen dieser WetterradargerĂ€te, wie viel Niederschlag da drin ist in diesen Gebieten, wie viel möglicherweise auch raus fĂ€llt. - Wir können Hagel so halbwegs auch gut erkennen, auch Windscherung - großes Problem fĂŒr die Luftfahrt beispielsweise - und eine ganze Menge mehr.“ 32:41

SPRECHER: 

Doch das ist lĂ€ngst noch nicht alles: Meteorologen messen und erfassen sogar Dinge, die auf den ersten Blick mit dem PhĂ€nomen „Wetter“, gar nichts zu tun haben - einem PhĂ€nomen, das sich ja vor allem in der ErdatmosphĂ€re abspielt.

SPRECHERIN: 

Sie sammeln beispielsweise auch Bodendaten: Wo wachsen Pflanzen? Sie spielen eine wichtige Rolle, weil sie mit ihren Wurzeln Wasser aus dem Boden ziehen und durch die BlÀtter wieder verdunsten.

SPRECHER: 

Oder: Wo stehen GebÀude, die das Wetter z.B. durch AbwÀrme beeinflussen? - Und vieles mehr, wie der Meteorologe Felix Ament erlÀutert:

09-O-TON Ament - Erdsystem

11:00 „Auch die Luft-Schadstoffe, denn der Staub sorgt dafĂŒr, dass sich die Tröpfchen in den Wolken anders bilden - das sind Effekte, die man dann auch irgendwann mit einbeziehen muss, denn das Wetter wird angetrieben vom Rand her - und der Rand ist die LandoberflĂ€che und die WasseroberflĂ€che - oder auch das Eis. Und so ist man dann eben schnell auch dabei, dass die Meteorologie sich

eben nicht nur mit Gasen und Luft beschĂ€ftigt.“ 12.10

SPRECHER: 

Und das Ergebnis dieser gigantischen Datenjagd - mit tausenden von Messstellen, mit Satelliten, mit Wetter-RadargerÀten macht etwas möglich, wovon Forscher lange nur getrÀumt haben.

Musik – M 1 – LĂ€nge: 0:45

ZITATOR-1 

Mathematisches Heranpirschen - oder: Das Blubbern im Kochtopf

SPRECHER: 

Generationen von Meteorologen hatten eine große Vision: Wenn es Ihnen gelĂ€nge die physikalischen VorgĂ€nge in der AtmosphĂ€re mathematisch zu beschreiben, gleichsam eine Art mathematischer „Wetterformel“ zu entwickeln und diese Formel dann mit allen möglichen Messdaten zu fĂŒttern...

SPRECHERIN: 


dann könnten sie tatsĂ€chlich das Wetter der Zukunft berechnen! Dann könnte man vom aktuellen Wetter auf das Wetter von morgen schließen.

SPRECHER: 

Das Problem dabei: Selbst die einfachsten Modelle sorgen bereits fĂŒr einen gigantischen Rechenaufwand!

MUSIK M 4 „Meetin in the Aisle“ – 0:50

SPRECHERIN: 

Und was nutzt die beste Vorhersage, wenn sie vom realen Wetter â€žĂŒberholt“ wird? Wenn sie also gute Resultate liefert - man die aber erst Tage spĂ€ter nachreichen kann? Ohne leistungsfĂ€hige Computer war an Wettervorhersage daher gar nicht zu denken.

SPRECHER:

Im MĂ€rz 1950 ist es dann so weit: Der erste elektronische Universalrechner namens „ENIAC“ macht es möglich: Der Mathematiker und Vordenker John von Neumann berechnet in den USA erstmals eine Wettervorhersage aus realen Wetterdaten:

10-O-TON Ament - ENIAC

30:00 „Mit einem ganz einfache Modell, das wir heute noch benutzen, um Studenten zu erklĂ€ren wie das Wetter funktioniert -  die wesentlichsten Dinge abbildet – was man heute mĂŒhelos auf jedem Smartphone rechnen kann. Damals war es eine große, große Leistung, damit einen Rechner zu fĂŒttern - und eine Vorhersage nur von dem Druckfeld fĂŒr die nĂ€chsten Tage zu erstellen.“ 31:07

SPRECHERIN: 

Über die Jahrzehnte werden die Wetterformeln immer komplexer, die Rechner immer leistungsfĂ€higer.

SPRECHER: 

Der Supercomputer des Deutschen Wetter Dienstes in Offenbach verschlingt heute eine ganze Etage: Rund tausend Quadratmeter fĂŒr Hardware, fĂŒr Server und Speicher-SchrĂ€nke.

SPRECHERIN: 

Und er macht etwas Entscheidendes möglich: Das Wetter als GesamtphĂ€nomen nachzuvollziehen. Die AtmosphĂ€re als ein großes, ganzes zu sehen, in dem alles mit allem vernetzt ist und sich gegenseitig beeinflusst.

SPRECHER: 

Der Deutsche Wetterdienst berechnet nĂ€mlich das Wetter zunĂ€chst fĂŒr den gesamten Globus - um daraus dann abzuleiten, wie die Entwicklung speziell fĂŒr Europa oder Deutschland aussieht.

SPRECHERIN: 

Der Deutsche Wetterdienst ĂŒberzieht den kompletten Globus daher mit einem feinmaschigen Raster, arbeitet mit einem Modell, das aus mehr als 256 Millionen Gitterpunkten besteht!

SPRECHER: 

Und fĂŒr jeden einzelnen dieser Punkte werden die wichtigsten Wetterwerte berechnet. Gerhard Lux:

11-O-TON Lux - Gitterpunkte

„Das machen wir weltweit fĂŒr alle diese 256 Mio. Gitterpunkte - und zwar jeweils fĂŒr dreißig Sekunden - d.h. fĂŒr die nĂ€chsten dreißig Sekunden, dann die nĂ€chsten dreißig Sekunden. Und das machen wir hier in Offenbach bis zum siebten Tag. Das heißt da kann man dann auch fĂŒr den siebten Tag, kann man dann fĂŒr 256 Mio. Gitterpunkte sagen: Hier an diesem Punkt, in dieser Höhe, haben wir einen kompletten Datensatz an Wetter. Wir erwarten, dass das Wetter am siebten Tag um zwölf Uhr mittags ĂŒber Berlin in 5,5 km Höhe so und so aussieht.“ 42.30

SPRECHER: 

In mĂŒhsamen Einzel-Schritten „hĂŒpfen“ die Meteorologen so gleichsam in die Zukunft.

SPRECHERIN: 

Und diese kleinen „HĂŒpfer“ erzeugen eine gewaltige Datenflut: FĂŒr jeden Schritt und fĂŒr jeden Gitterpunkt muss der Computer etwa 5000 Rechenoperationen durchfĂŒhren.

SPRECHER: 

Dabei gilt: Je kleiner die Maschen, desto punktgenauer sind die Vorhersagen. Umso mehr Rechenzeit verschlingt das ganze aber auch.

SPRECHERIN: 

Der Abstand der Gitterpunkte reicht heute von rund 28 km bei globalen Modellen bis zu 1 km bei lokalen Modellen.

SPRECHER: 

Und in der Forschung gibt es bereits AnsÀtze, die mit einer Auflösung von sage und schreibe wenigen Metern arbeiten - mit denen man das Wettergeschehen also fast wie mit einer Lupe inspizieren kann.

SPRECHERIN: 

Die Sache hat allerdings einen Haken. - Felix Ament:

12-O-TON Ament - Nadelöhr Rechenzeit

„Der Haken ist einfach die Rechenzeit: Also wenn sie zum Beispiel – das ist gerade geschafft worden von der UniversitĂ€t Hannover, die haben den gesamten Großraum Berlin mit einer Auflösung von zehn Metern gerechnet. Die haben fĂŒr eine Vorhersage-Stunde fĂŒnfzehn Stunden Rechenzeit gebraucht. Und das ist eben dann fĂŒr den operationellen Betrieb natĂŒrlich nicht sinnvoll, denn wenn sie mit vierzehn Stunden VerspĂ€tung mit dem Ergebnis der Wettervorhersage ankommen - das Wetter von gestern interessiert dann niemanden mehr.“ 21:55

MUSIK: M 5 Radar (2)        1:20

SPRECHER: 

Die Forscher sind trotzdem hellauf begeistert. Sie hoffen, die Rechenzeiten immer weiter verbessern zu können: durch schlankere Programme, durch bessere Hardware. Und mit den immer engeren Maschen, die PrÀzision und damit auch die ZuverlÀssigkeit immer weiter zu steigern.

SPRECHERIN: 

Der Erfolg scheint Ihnen recht zu geben: Alle zehn Jahre konnten die Meteorologen bislang die Vorhersage-GĂŒte um rund einen Tag steigern.

SPRECHER: 

Sprich: Nach einer Dekade sind sie in der ZuverlÀssigkeit einer Vier-Tages-Vorhersage dort angelangt, wo sie vor der Dekade noch bei einer Drei-Tagesvorhersage lagen.

SPRECHERIN: 

Die Herausforderung schwankt dabei natĂŒrlich je nach Parameter: Luftdruck und Lufttemperatur lassen sich oft sogar zehn Tage im Voraus bestimmen. Auch Wolken in drei bis acht Kilometern Höhe und Windrichtungen sind ganz gut vorherzusehen. Wind-Geschwindigkeiten hingegen und sogenannte Cirruswolken in großer Höhe sind viel komplexer - und daher meist schwer einzuschĂ€tzen.

SPRECHER: 

Als Faustregel gilt: Große Sachen: leicht vorherzusagen. Kleine Sachen: eher schwierig! - Gerhard Lux:

13-O-TON Lux - KleinrÀumig

51.35 „Das heißt wir können heutzutage Orkane oder große Schlechtwetter-Gebiete, die vom Atlantik heranziehen, die können wir ĂŒber Tage hinweg vorher schon erkennen - (nicht in allen Einzelheiten - aber wir wissen, da wird etwas passieren, das wird am Wochenende bei uns sein). Bei Gewittern, oder noch schlimmer vielleicht bei Hagel, haben wir es mit Dingen zu tun, die vielleicht nur einen Durchmesser von rund zwei Kilometern haben. Bei den Gewitterzellen und beim Hagel - das weiß jeder, der das schon beobachtet hat, - ist das eine Sache von vielleicht wenigen hundert Metern. D.h. auf der einen Straßenseite liegt der Hagel kniehoch - und auf der anderen Seite ist nichts runter gekommen, nicht mal ein Tropfen Regen.“ 52:50

SPRECHERIN: 

Je kleinrĂ€umiger die PhĂ€nomene sind, desto mehr werden sie vom „Prinzip Zufall“ bestimmt.

SPRECHER: 

Überhaupt stoßen Meteorologen an grundlegende Grenzen: Es wird ihnen nie gelingen, das Wetter zu 100% vorherzusagen, weil das System Wetter eine ganz spezielle Eigenschaft hat: Es ist „chaotisch“.

SPRECHERIN: 

So chaotisch wie der Wurf eines WĂŒrfels:

14-O-TON Ament - Chaotisches System

5:00 „Also die Physik hat auch bestens verstanden, wie ein WĂŒrfel fĂ€llt, und was passiert, wenn er auf dem Tisch aufprallt, und wieder wegspringt. - Aber das zeichnet eben das Chaos aus: ganz minimale Änderungen. Wenn sie den WĂŒrfel nur ganz klein bisschen anders werfen oder eine kleine Unebenheiten am Tisch haben, dann fĂŒhrt das zu einem ganz andern Ergebnis – und das ist eben dasselbe, was wir im Wetter auch haben. Wenn wir am Anfang etwas andere Anfangsbedingungen haben, dann fĂŒhrt das ab einem gewissen Zeitpunkt zu völlig anderen Ergebnissen.“

SPRECHER: 

Ein Gewitter gleicht so eher einem zufĂ€lligen „Brodeln im Kochtopf“ - und lĂ€sst sich eben nur extrem schwer fassen:

15-O-TON Ament - Blubbern

25:30 “Das ist so aussichtslos, wie wenn sie sich vor ihren Kochtopf am Herd stellen und die Vorhersagen machen wollen an welcher Stelle als nĂ€chstes eine Blubberblase hochkommt. Die einzige Vorhersage, die wir gut machen können, ist, dass es Blubbern wird - dass es ein Risiko fĂŒr Gewitter und Schauer geben wird. Das ist genauso wie Sie wissen, wenn sie den Herd anstellen: Ja, es wird blubbern. Das funktioniert auch zuverlĂ€ssig, aber es wird immer die Situation geben, dass es die Vorhersage gab - ‚Es gibt am Nachmittag Gewitter‘ - und einzelne Leute werden sagen: Wieso, ich hab doch nichts gesehen?“

SPRECHER: 

Anstelle von prĂ€zisen Vorhersagen lassen sich dann nur noch Wahrscheinlichkeiten berechnen: „Sie haben eine Chance von 50 % trocken zu bleiben, von 30 % trocken zu bleiben.“ usw. - Mehr geht nicht.

Musik M 1 – LĂ€nge: 0:40

ZITATOR-1

„Und jetzt zum Wetter...“ - oder: Wie kommuniziert man Unsicherheiten?

ZSP-COLLAGE (Wettervorhersagen)

SPRECHERIN: 

Die Bandbreite der Wetterprognosen ist heute so groß wie nie: Vom klassischen Bericht in Radio und Fernsehen bis hin zu multimedial aufbereiteten und individualisierten Wetter-Apps auf dem Smartphone.

SPRECHERIN: 

Auch der Deutsche Wetter Dienst hat im Laufe der Jahre maßgeschneiderte Vorhersagen entwickelt -  ganz nach Kundenwunsch:

SPRECHER: 

Wettervorhersagen fĂŒr die Landwirtschaft und Schneefall- und Glatteiswarnungen fĂŒr den Straßenverkehr gehören ebenso dazu wie Unwetterwarnungen: ein vollautomatisches System informiert Feuerwehr, Polizei und Katastrophenschutz ĂŒber aufziehende Extremereignisse.

SPRECHERIN: 

In den letzten Jahren sind allerdings auch ganz neue Zielgruppen aufgetaucht - auch aus der Wirtschaft.

SPRECHER: 

Beispielsweise Energiekonzerne. FĂŒr die sind prĂ€zise Vorhersagen inzwischen bares Geld:

16-O-TON Koppert - Wetter als Wirtschaftsfaktor

16:45 „Ich gebe ihnen mal ein Beispiel: Nehmen wir mal an, wir haben eine Vorhersage gemacht, dass ein Windfeld zu einem bestimmten Zeitpunkt kommt. Dann werden an der Strombörse die Preise dafĂŒr gemacht. Und es kann folgendes passieren: Nehmen wir an, dieses Windfeld verspĂ€tet sich um eine Stunde, dann muss der Übertragungs-netzbetreiber in dieser Stunde in der der Wind noch schwĂ€cher weht, muss er Strom teuer zu kaufen. Wenn dieses Windfeld lĂ€nger anhĂ€lt am Ende dann, hat er eine Stunde mehr Strom als er geplant hat. In dem Falle muss er sehen, dass er den Strom los wird. Es kann sein, dass er fĂŒr den Strom, den er los wird, sogar noch bezahlen muss.“  17:50

SPRECHERIN: 

Dabei ist, Vorhersagen zu berechnen, die eine Herausforderung. Diese Daten auch verstÀndlich aufzubereiten und zu kommunizieren, eine ganze andere.

SPRECHER: 

Hier lauern jede Menge Fallstricke. Beispielsweise der „Crying Wolf“-Effekt. Wer zu viel schreit, also zu hĂ€ufig warnt, dem hört irgendwann keiner mehr zu.

SPRECHERIN: 

Wer andererseits im entscheidenden Moment zu spÀt oder gar nicht warnt, hat ebenfalls ein Problem:

SPRECHER: 

Ein weiterer Ansatz: Unsicherheiten kenntlich zu machen, und eben auch deutlich als Unsicherheiten zu kommunizieren! - Felix Ament:

18-O-TON Ament - Unsicherheiten

„Wenn man eben sagt die Niederschlagswahrscheinlichkeit betrĂ€gt 70 %, dann sagen viele Leute: Was bedeutet das denn jetzt? Es regnet morgen ja oder nein? 70% ist ein schwieriger Begriff. Deshalb ist das nicht unbedingt der Schritt mehr in Richtung grĂ¶ĂŸerer Genauigkeit aber der Schritt dahin, dass wir unsere Unsicherheit auch mit-kommunizieren können, dass wir sagen können - ja morgen wissen sehr genau, es wird regnen und ĂŒbermorgen mĂŒssen wir zugeben: Es ist nicht vorhersagbar. Aber wir können das eben quantifizieren, wir können sagen was sicher ist und was nicht.“ 37:23

SPRECHERIN: 

Und: Der „Wetterkunde“ braucht es konkret.

SPRECHER: 

Damit entsprechende Warn-Botschaften tatsĂ€chlich ankommen, mĂŒssen DurchschnittsbĂŒrger auch wissen, was diese Warnungen fĂŒr sie bedeuten – und zwar ganz praktisch. Hans-Joachim Koppert:

19-O-TON Koppert - Auswirkungen

„Und deswegen wird auch eine Weiterentwicklung sein, tatsĂ€chlich die Auswirkung besser zu erfassen und die Auswirkungen auch zu kommunizieren - denn wenn man die Auswirkungen genauer fassen kann - das erfordert auch noch Forschung – wird das auch besser verstanden. Also einfach gesagt: Fliegen meine Dachziegel jetzt vom Dach, ja oder nein? Das ist eine Aussage, die kann besser antizipiert werden, als zu sagen: Wir haben jetzt Beaufort 8 oder 9.“