Vor ca. 4200 Jahren begann mit der Bronzezeit eine der spannendsten Epochen der europäischen Urgeschichte. Das neue Material eröffnete sensationelle Möglichkeiten bei der Geräte- und Waffenherstellung. Gleichzeitig entstanden zur Beschaffung des eher seltenen Zinns neue Handelswege. Was bedeutete das für die Frauen dieser Zeit? Autorin: Carola Zinner
Vor ca. 4200 Jahren begann mit der Bronzezeit eine der spannendsten Epochen der europäischen Urgeschichte. Das neue Material eröffnete sensationelle Möglichkeiten bei der Geräte- und Waffenherstellung. Gleichzeitig entstanden zur Beschaffung des eher seltenen Zinns neue Handelswege. Was bedeutete das für die Frauen dieser Zeit? Autorin: Carola Zinner
Credits
Autor/in dieser Folge: Carola Zinner
Regie: Susi Weichselbaumer
Es sprachen: Irina Wanka, Peter WeiĂź
Technik: Susanne Harasim
Redaktion: Andrea Bräu
Im Interview:
Philipp W. Stockhammer vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, Professor für prähistorische Archäologie an der LMU München;
Rainer Linke und Siglinde Matysik vom Arbeitskreis für Vor- und Frühgeschichte im Heimatverein für den Landkreis Augsburg, Mitarbeiter des Archäologischen Museums Königsbrunn
Linktipps:
Falls man wissen möchte, wie gut die eigenen Überlebenschancen in der Bronzezeit gewesen wären: aus den Erkenntnissen von Philipp Stockhammer und seinem Team entstand (zum Einsatz für die 6. Klassen) ein Computerspiel:
EXTERNER LINK | https://www.bronzeon.de/Â
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Literaturtipp:
Stockhammer, Philipp W. ORCID logo, Mittnik, Alissa, Massy, Ken and Knipper, Corina (2018): Mobilität - Die wissenden Frauen vom Lechtal. In: Spektrum der Wissenschaft Spezial Archäologie - Geschichte - Kultur, Vol. 2018, Nr. 4: S. 38-41Â
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK atmoartig, unterlegen. Anmutung „Vorgeschichte“Â
ZUSPIELUNG 1 (Stockhammer)
Die Bronzezeit ist in meinen Augen eine der spannendsten Epochen der europäischen Urgeschichte.Â
ZUSPIELUNG 2 (Linke)
Die Bronze war wichtig, das war's A und O.
ZUSPIELUNG 3 (Matysik)
Und ich finde das fantastisch, dass man da das genau regional begrenzen kann, wo diese Leute hergekommen sind.Â
ERZĂ„HLERIN
Philipp Stockhammer, Siglinde Matysik und Rainer Linke haben auf verschiedene Art zum Wissen über die Bronzezeit beigetragen: Linke und Matysik sind Mitglieder eines regionalen Arbeitskreises, der bei Grabungen im südlichen Landkreis Augsburg prähistorische Überreste frei legte. Und Philipp Stockhammer, Mitarbeiter des Max-Planck-Institutes für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Professor für prähistorische Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München konnte unter anderem anhand dieser Funde das Leben in jener Zeit neu beleuchten.
ZUSPIELUNG 4 (Stockhammer)
Wir können da ganz viele naturwissenschaftliche Verfahren einsetzen, das nimmt einem schier den Atem, aber zwingt uns jetzt halt auch als Archäologen und Archäologinnen, die Vergangenheit irgendwie auch wieder neu zu denken und wegzukommen von diesen alten, überkommenen Erzählungen.
MUSIK geht ĂĽber in
ZUSPIELUNG 5 ATMO MuseumÂ
ZUSPIELUNG 6 (Matysik)
Die meisten Leute kommen auf die Grabung. Erste Frage habt ihr Gold gefunden? Dabei ist Gold gar nicht so wichtig. (Linke) Meistens, wenn wir die ausgraben, die Bronzefunde, dann sind die meistens blau, dann weiĂź man schon, da ist sehr viel Kupfer drin.Â
ERZĂ„HLERIN
Königsbrunn bei Augsburg: Im Untergeschoss des Rathauses präsentiert ein kleines archäologische Museum Funde aus der Region, darunter auch zahlreiche StĂĽcke aus der Epoche zwischen 2200 bis 800 vor Christus – der mitteleuropäischen Bronzezeit.Â
ZUSPIELUNG 7 ATMO
ERZĂ„HLERIN
Die beiden Ausstellungsmacher Siglinde Matysik und Rainer Linke stehen vor einer groĂźen Vitrine.Â
ZUSPIELUNGÂ 8 (Matysik)
Dieses Skelett ist wirklich original, und wir wollen anhand dessen die Bestattungssitten zeigen: das ist der Ăśbergang von der Steinzeit zur Bronzezeit: die Männer wurden immer mit dem Kopf nach Norden beerdigt, die Frauen mit dem Kopf nach SĂĽden, Blickrichtung Richtung Osten, also aufgehende Sonne.Â
ERZĂ„HLERIN
Lange lieĂź sich nicht einmal mit Sicherheit bestimmen, ob es sich bei menschlichen Skeletten um die Ăśberreste eines Mannes oder einer Frau handelte. Hinweise gaben etwa die Lage und Größe der Verstorbenen, ihre Kleidung und Grabbeigaben wie Schmuck, Waffen oder Haushaltsgegenstände. Mittlerweile ist die Forschung deutlich weiter: DNA-Ăśberreste geben heute zuverlässig Auskunft ĂĽber das Geschlecht und ĂĽber Verwandtschaftsbeziehungen. Und mithilfe der so genannten Strontium-Isotopenanalyse lässt sich sogar erkennen, in welcher Region die Menschen aufgewachsen sind. Denn die ganz spezifische chemische Zusammensetzung des jeweiligen Bodens, die ĂĽber die Nahrung in den Körper gelangte, hat in den Zähnen eine Art Signatur hinterlassen.Â
ZUSPIELUNG 9 (Stockhammer)
Das heiĂźt, ich kann, wenn sagen wir, eine Frau oder ein Mann in MĂĽnchen bestattet ist, kann ich sehen, passen die Backenzähne zur Boden-Signatur zur MĂĽnchner Schotterebene. Wenn das nicht der Fall ist, kann ich sagen, die haben offensichtlich ihre Kindheit woanders verbracht. Â
MUSIKÂ
ERZĂ„HLERIN
Im SĂĽden von Augsburg liegt, umrahmt von den FlĂĽssen Lech und Wertach, die breite Schotterebene des Lechfeldes. Und, daran angrenzend, das „Hochfeld“: eine fruchtbare Lößterrasse, die bereits den Menschen der frĂĽhen Bronzezeit ideale Bedingungen fĂĽr den Ackerbau bot. Ihre Höfe lagen am Rand des Hochfeldes lose aneinander gereiht wie Perlen an einer Schnur, mit genĂĽgend Abstand zum Fluss, um bei Hochwasser in Sicherheit zu sein, und doch nah genug, um die relativ karge Alltagskost - Getreidebrei, Beeren, Pilze, Milchprodukte, ohne groĂźen Aufwand mit Fisch und Wild aufbessern zu können. (MUSIK hoch). Zu den Gehöften gehörte auch jeweils ein Gräberfeld fĂĽr die Verstorbenen. Deren Ăśberreste nun mithilfe bioarchäologischer Analysen genauer bestimmt werden können. Â
ZUSPIELUNG 10 (Stockhammer)
Wir hatten GlĂĽck, dass wir eine fantastische DNA-Erhaltung haben. Insgesamt haben wir 800 Jahre dort untersucht, so zwischen 2500 und 1700 vor Christus.Â
ERZĂ„HLERINÂ
EIN Ergebnis der Untersuchungen: Die einzelnen Höfe wurden ĂĽber vier, fĂĽnf Generationen von ein- und derselben Familie bewohnt. Allerdings zieht sich die Verwandtschaft nur in männlicher Linie durch; es gibt Väter und Söhne, BrĂĽder und Onkel. Die MĂĽtter der Kinder jedoch stammen allesamt von auswärts; sie hatten hier keine Vorfahren. Und unter den hier geborenen Frauen wiederum findet sich keine einzige Bestattung, bei der die Verstorbene älter als 17 Jahre war. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Töchter in diesem Alter ihre Familien und die Heimat verlassen mussten - wohl in erster Linie, um anderswo einzuheiraten.Â
MUSIK hoch
Dieser Befund ist allerdings keineswegs außergewöhnlich; die Archäologie kann diese so genannten patrilinearen Heiratsmuster, die ja zumindest partiell noch heute in einigen Teilen der Welt existieren, für viele Epochen und Regionen nachweisen. Ein anderes Ergebnis der Untersuchungen aber ließ die Fachwelt aufhorchen. Es war die Entdeckung der „fremden Frau aus der Ferne“, die hier weder Vorfahren noch Nachkommen besaß.
ZUSPIELUNG 11 (Stockhammer)
Total spannend. Also wir haben da schon gesehen, okay, genetisch scheinen alle MĂĽtter von auĂźerhalb zu kommen und gleichzeitig sehen wir jetzt von den Isotopenanalysen, dass ein erheblicher Teil der Frauen offensichtlich von ganz weit herkommt, also ĂĽber 400 Kilometer, ja?Â
ERZĂ„HLERIN
Besonders auffällig war, dass die Bestattungen dieser „Frauen aus der Fremde“ zu den reichsten in der Region gehörten. Und das, obwohl es keine leiblichen Kinder gab, die fĂĽr ein angemessenes Begräbnis Sorge hätten tragen können. Was könnte fĂĽr andere GrĂĽnde gegeben haben fĂĽr die Hochachtung, die die Gesellschaft diesen Migrantinnen offenbar entgegenbrachte? Die Spurensuche fĂĽhrt in die ursprĂĽngliche Heimat der Frauen, die Regionen um Halle, Leipzig und Prag. Und damit in die High-Tech-Zentren jener Epoche, die gekennzeichnet ist vom wachsenden Wissen um die Herstellung und Bearbeitung von Bronze - einer Legierung aus Kupfer und Zinn. Â
ZUSPIELUNG 12 (Stockhammer)
Das richtig coole an Bronze ist, wenn die frisch gegossen ist, ist sie so hart wie Stahl, glänzt wie Gold, und man kann es ja auch viel besser gießen als Kupfer.
ERZĂ„HLERIN
Allerdings kommt Zinn - im Gegensatz zu Kupfer – nur selten in Europa vor. Die wichtigsten Lagerstätten befinden sich in Südengland und im Erzgebirge. Um an das begehrte Metall zu gelangen, braucht es ein großräumiges Netz von Handelsbeziehungen.
ZUSPIELUNG 13 (Stockhammer)
Deshalb ist die Bronzezeit auch etwas, was Menschen ĂĽber weite Distanzen ganz neu miteinander in Austausch gebracht hat, und letztlich, so kann man sagen, die erste globale Epoche der Menschheitsgeschichte in Eurasien zur Folge hatte.Â
ERZĂ„HLERIN
In der Forschung, sagt Philipp Stockhammer, herrschte frĂĽher auch ein relativ klares Bild davon, in welcher Form dieser Austausch stattfand. Â
ZUSPIELUNG 14 (Stockhammer)
Die Erzählung meiner Studienzeit war eben: Mobilität war vor allem der Mann mit der Waffe oder der Mann, der Handwerker, oder der Mann, der Händler, der quasi glĂĽcksbringend durch die Bronzezeit Europas zieht.Â
MUSIK andere Färbung, Dänemark, BronzezeitÂ
ERZĂ„HLERIN
Am 24. Februar des Jahres 1921 machte der Bauer Peder Platz im dänischen Egtved einen eigenartigen Fund. Er war gerade dabei, die Reste eines kleinen Hügels beiseite zu räumen, als er in dessen Mitte auf einen ausgehölten Eichenstamm stieß, in dem Leiche einer jungen Frau lag, eingewickelt in ein Kuhfell. Peder Platz beriet sich zuerst einmal mit seinem Nachbarn, dann setzten sich die beiden hin und schrieben einen Brief an das Nationalmuseum von Kopenhagen.
ZITATOR
Ich vermute, dass es sich um ein altes Begräbnis handelt und dass dieses von Interesse für das Museum sein könnte. Ich habe deshalb die Arbeit eingestellt.
ERZĂ„HLERIN
Tatsächlich erwies sich der Fund als absolute Sensation: Beim „Mädchen von Egtved“ handelt es sich um eine der am besten erhaltenen Bestattungen aus der Bronzezeit. Die schafwollene Kleidung der bei ihrem Tod etwa 17jährigen - eine Bluse mit halblangen Ă„rmeln und ein knielanger Rock aus gedrehten SchnĂĽren, ihre Haare – vorne und an den Seiten kurz geschnitten, hinten halblang, ihr Schmuck – GĂĽrtelpatte, Armreifen und ein Ohrring aus Bronze – all das hatte die Jahrtausende ebenso gut ĂĽberstanden wie die Dose aus Birkenrinde am FuĂźende des Sarges, in der sich Reste eines mit Honig gesĂĽĂźten Biers aus Weizen und Beeren fanden.Â
MUSIK hoch (spätestens bei der nächsten Zuspielung weg)
Der mittlerweile mehr als 100 Jahre zurĂĽckliegenden Entdeckung von Peder Platz verdankt die Archäologie zahlreiche Erkenntnisse ĂĽber das bronzezeitliche Leben. Dazu gehört nun, dank moderner Untersuchungsmethoden, auch der Nachweis, dass sich die junge Frau zu ihren Lebzeiten keineswegs immer nur in Dänemark aufgehalten hat. Sie war offenbar gleich mehrmals in SĂĽddeutschland unterwegs gewesen, wo sie unter Umständen – ganz einig ist sich die Forschung in dieser Beziehung nicht - auch geboren wurde. Aus welchen GrĂĽnden aber mag sie sich auf die lange und wohl auch einigermaĂźen gefährliche Tour quer durchs Land begeben haben? In welchem Rahmen reiste sie? Und – was hatte sie dabei im Gepäck? Auf jeden Fall steht ganz abseits jener Fragen fest: die alte Vorstellung von Handel und kulturellen Austausch in der Bronzezeit – ein Mann zieht bewaffnet oder mit Waren im Gepäck durch die Lande und schlägt sich allein und auf eigene Faust von Ansiedlung zu Ansiedlung durch - ist, wenngleich nicht unbedingt falsch, so doch höchstens ein Teil des Gesamtbildes, zu dem die jungen Frau aus Dänemark ebenso gehört wie die Migrantinnen des Lechtals.Â
ZUSPIELUNG 15 (Stockhammer)
(Gut möglich, dass es ihn gab, diesen Händler. Weil: Der einzelne Krieger hat es schon irgendwie geschafft. Aber) jetzt habe ich Mädels mit 17 Jahren, die zu FuĂź entweder aus der Gegend von Prag oder aus der Gegend von Leipzig nach Augsburg kommen, das ist schon ein StĂĽck. Und was wir auch sehen können ĂĽber die Zähne, dass immer auch wieder Jungs im Alter von sieben Jahren aus dem Lechtal weggeschickt wurden und dann als erwachsene Männer mit 17 wiedergekommen sind. Weil die Zähne bis zum siebten Lebensjahr sind lokal; vom siebten bis zum 17. Lebensjahr ist es dann die Gegend Halle, Leipzig, und dann sind sie aber wieder vor Ort bestattet, also die sind sozusagen ausgeschickt worden, um in der Ferne zu landen… Ich meine, schicken Sie heute mal einen Siebenjährigen quer durch Deutschland!Â
ERZĂ„HLERINÂ
Sollte so eine Reise auch nur ansatzweise Aussicht auf Erfolg haben, dann musste es auf jeden Fall Begleitpersonen geben, die es gewohnt waren, mit Schwierigkeiten umzugehen, von Ăśberfällen durch Mensch oder Tier bis hin zu plötzlichen Krankheiten. Vorstellbar wäre es etwa, dass sich zu bestimmten Zeiten im Jahr Trecks im Stil von Karawanen auf den Weg zu zentral gelegenen Plätzen machten, wo man zusammenkam, um religiöse Feiern abzuhalten und sich bei der Gelegenheit auch fĂĽr zukĂĽnftige Termine verabredete und untereinander Tausch betrieb, ob es nun um Waren oder Wissen ging, Saatgut, Vieh oder Mensch.Â
ZUSPIELUNG 16 (Matysik)
Ein Grab aus der Gemeinde Wehringen: das ist die Ausstattung von einem Frauengrab.Â
ERZĂ„HLERIN
Auch wenn das kleine Museum von Königsbrunn keinen Jahrhundert-Fund wie das „Mädchen von Egtved“ zu bieten hat, kam doch bei den Grabungen der Ehrenamtlichen Beachtliches zutage. Siglinde Matysik zeigt auf ein ĂĽppig mit Bronzeschmuck versehenes weibliches Skelett: Ein massiver Halsring und zahlreiche „Tutuli“ - kleine Pyramiden aus Bronzeblech, die einst einen mittlerweile längst zerfallenen Stoff schmĂĽckten. Dazu im Bereich der Brust Bronzeplatten und um die Waden lange Spiralen aus Bronze, dessen einstiger Goldton sich ĂĽber die Jahrtausende im Schotterfeld in ein sanft schimmerndes TĂĽrkis-GrĂĽn verwandelt hat. Â
ZUSPIELUNG 17 (Matysik)
Das ist fĂĽr mich immer so schwer nachvollziehbar, dass die auf den ganzen Reichtum verzichtet haben und haben das dann mit ins Grab weitergegeben.Â
ERZĂ„HLERIN
Die kostbare Bronze sollte offenbar der Verstorbenen auch im Jenseits das gute „Standing“ sichern, das sie im irdischen Leben besaĂź. Denn eine derart reiche Beerdigung bekamen nur Angehörige der Oberschicht.Â
MUSIK
ERZĂ„HLERIN
Die Bronzezeit ist nicht nur die Epoche, in der das Know-How in Sachen Metallbearbeitung rapide wächst und Handel und damit auch Mobilität eine immer größere Rolle spielen; sie ist auch geprägt von groĂźen sozialen Unterschieden. Die Bestattungen des Lechtals zeugen davon: neben den reich mit Waffen und Schmuck ausgestatteten Gräbern gibt es auch solche, die so gut wie keine Beigaben enthalten. Die Verstorbenen waren offenbar arm gewesen. Und sie besaĂźen, wie die Analysen ergaben, keinerlei Verwandtschaft im Lechtal.Â
ZUSPIELUNG 18 (Stockhammer)
Wir haben diese Gruppe interpretiert als vielleicht Bedienstete, Mägde, Knechte, ob die jetzt unfrei waren oder nicht, also Sklaven oder so, wissen wir alles nicht: sie haben in dem Gehöft gelebt, sie wurden auf dem Familienfriedhof bestattet, also sie sie waren schon Teil der Familie, aber sie hatten den ganzen niedrigen Status.Â
ERZĂ„HLERIN
Sprich, ihre Situation war ganz anders als die „fremden Frauen aus der Ferne – obwohl doch die Grundbedingungen – ursprĂĽnglich nicht hier beheimatet, keine Verwandten, keine Kinder - auf den ersten Blick ganz ähnlich wirken. Der Unterschied: die „fremden Frauen“ kamen aus Technologiezentren. Und brachten wohl aus ihrer Heimat etwas extrem Wertvolles mit, nämlich Wissen und Können – insbesondere, was die Herstellung von Bronze betraf. Â
ZUSPIELUNG 19 (Stockhammer)
Da ist nichts Körperliches, wo man sagt, das kann doch nur ein Mann, das braucht so besondere Kraft: Sie beobachten, wann hat das Metall die richtige Temperatur erreicht von der Färbung her, wie machen Sie die Gussform, welchen Ton wählen Sie fĂĽr den Schmelztiegel aus? Â
 ERZÄHLERIN
AusgerĂĽstet mit diesem Know-How, vielleicht auch mit Werkzeug oder Bronze im Gepäck trafen die „Frauen aus der Fremde“ also auf dem jeweiligen Gehöft ein, auf dem sie fortan leben sollten, in einer Art Wohngemeinschaft mit dem Bauern und, sofern sie noch am Leben waren, mit seinen Eltern, BrĂĽdern und mit den Schwestern unter 17 Jahren. Dazu kamen noch die – eingeheiratete - Ehefrau des Bauern und die Kinder des Paares. An deren Pflege und Erziehung die „Frau aus der Fremde“ vermutlich maĂźgeblich beteiligt war.Â
ZUSPIELUNG 20 (Stockhammer)
Wenn mal eine Frau mit einem Kind bestattet ist, dann ist es nicht die biologische Mutter, sondern eine Frau von ganz weit her. Worauf das fĂĽr mich hindeutet, ist, dass wir letztlich andere Formen von Mutterrollen haben als wir uns vorstellen: Jedes Kind hatte sozusagen seine biologische Mutter, die immer wieder schwanger geworden ist, und auf der anderen Seite eine soziale Mutter, die vermutlich halt dem Kind auch ganz viel Wissen mitgegeben hat.Â
ERZĂ„HLERIN
Angesichts der hohen MĂĽttersterblichkeit, aber auch angesichts der Tatsache, dass die Frauen bei der Heirat fast noch Teenager waren, hatte eine solche „Aufteilung“ der Mutterrolle mit Sicherheit Vorteile. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag damals zwischen 20 und 30 Jahren – und jede Geburt stellte ein hohes Risiko dar. Eine „Ersatzmutter“, die zudem ĂĽber größeres Wissen als der Durschnitt verfĂĽgte, konnte hier ein, wie Philipp Stockhammer es nennt, „SchlĂĽssel zur Optimierung“ sein. Â
ZUSPIELUNG 21 (Stockhammer)
Einerseits der Reproduktion, und andererseits, um den Kindern maximales Wissen und Ăśberlebensmöglichkeiten zu garantieren. Und es ist so spannend, weil es einfach zeigt, wie komplex das Zusammenleben in diesen Häusern war und weit es ĂĽber das hinausgeht, wie wir uns immer dieses, ach, einfache Leben in der Urgeschichte vorstellen.Â
MUSIK
ERZĂ„HLERIN
Dank bioarchäologischer Methoden lässt sich heute vieles beantworten, was frĂĽher unlösbar erschien. Doch jede Antwort bringt unzählige neue Fragen hervor. Was etwa mögen die „fremden Frauen“ wohl sonst noch mitgebracht haben aus ihrer Heimat: Neue Techniken der Textilherstellung? Der Essenszubereitung? Lieder? Ihre Sprache? Medizinische Kenntnisse? ((Und wie ist - ohne die Hilfe unseres modernen Wissens ĂĽber VerhĂĽtung - jene durchgehende Kinderlosigkeit zustande gekommen, die ja offenbar fĂĽr die hoch angesehenen „fremden Frauen“ ebenso galt wie fĂĽr die Frauen der Unterschicht. Â
ZUSPIELUNG 21 (Stockhammer)
Ich glaube, dass es ganz strikte Regeln gegeben haben muss, wer mit wem Nachkommen zeugen durfte und wer nicht, und es hat offensichtlich funktioniert, weil wir keinen einzigen genetischen Beleg dafür haben, dass irgendwo mal ein Seitensprung oder ähnliches… das würden wir ja genetisch sehen. Und das ist schon sehr spannend und zeigt uns, wie strikt und klar dieses System funktioniert haben muss.))
ERZĂ„HLERIN
Ein System, das – wiewohl es offenbar sehr gut funktionierte – dann nach rund 750 Jahren trotzdem relativ abrupt endet. Die frĂĽhbronzezeitlichen Gehöfte des Lechtals sterben nach und nach aus, während parallel dazu andere Menschen in die Region ziehen, die sich, oftmals nur ein paar hundert Meter entfernt, neue Häuser bauen und ihre Toten auf andere Art bestatten. Was mag da wohl dahinterstecken? Und – weitere Fragen: Was war eigentlich mit den armen Bewohnern der Höfe? Wo und wie kamen sie her? Waren sie gekauft oder gar gekidnappt worden? Oder kamen sie womöglich freiwillig, froh, einen Unterschlupf zu finden, der ihnen in der rauen Welt der Bronzezeit zumindest einigermaĂźen das Ăśberleben sicherte? Fragen ĂĽber Fragen - auf die es wohl kaum je Antworten geben wird. Denn jener Teil unserer Geschichte, aus dem nichts Schriftliches und nur einige wenige Bilder ĂĽberliefert sind, bleibt verborgen wie hinter einem Vorhang, der nur kleine Einblicke auf das gewährt, was dahinter liegt. Alles andere bleibt reine Spekulation.Â